Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht gedacht, dass ich mal über dieses Thema schreiben würde. Zu gefestigt schien mir meine Meinung dazu, zu breitgetreten das Thema in den Medien, als dass ich es für nötig erachtet hätte, über etwas zu schreiben, von dem ich überzeugt war, es wäre nationen- und generationsübergreifender Konsens. Doch ich scheine mich geirrt zu haben.
Für mich war es immer klar, dass man Feminist sein muss. Oder ein Verbündeter (Feminist Ally/ Aliado). Zumindest sollte man dem Kampf der Feministinnen nicht im Weg stehen. Nicht, weil Frauen besser sind als Männer, sondern, weil ich überzeugt davon bin, dass der Feminismus der einzige Weg ist, die Gleichstellung aller Geschlechter zu erlangen. Und dabei geht es eben nicht nur darum, die Rechte der Frauen zu stärken und ihnen die gleichen Chancen zu gewährleisten, wie den Männern, sondern um die Befreiung aus einem patriarchalischen System, das uns alle stigmatisiert und diskriminiert. Natürlich liegt der Fokus – von den Medien oft nur sehr oberflächlich dargestellt – auf dem Kampf um Gleichstellung von biologischen Frauen und Männern. Aber der Feminismus kämpft eben auch für die Gleichstellung aller derjenigen, die sich in diesem binären heteronormativen Geschlechtssystem nicht wiederfinden (wobei sich der Kampf natürlich primär auf das Empowerment/ Empoderamiento der benachteiligten Gruppen konzentriert, die Gleichstellung der Geschlechter ist sozusagen die Konsequenz). Ja, für manche mag es verwirrend sein, dass das biologische Geschlecht nicht automatisch mit der Geschlechtsrolle (Gender), Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung übereinstimmt, und es auch Menschen gibt, die keinem dieser Geschlechter zugeordnet werden können/wollen, doch so ist das halt. Und der Feminismus kämpft auch für ihre Rechte, egal ob man nun der Heteronormativität entspricht oder eben nicht. Schließlich ist unser Verständnis von Geschlecht nicht das einzig gültige auf der Welt: Viele Ureinwohner Nordamerikas kannten bis zur Eroberung durch die Europäer drei Geschlechter (Männer, Frauen und Two-Spirits), in Samoa kennt man die Fa’afafine (eigenständiges Geschlecht, das nicht als homosexuell gilt, aber sowohl mit Männer und Frauen als auch mit anderen Fa’afafine zusammen sein kann), die Bugis auf Sulawesi (Indonesien) kennen fünf soziale Geschlechter (männlicher Mann, weiblicher Mann, männliche Frau, weibliche Frau und Bissu, der beides vereint, aber keinem Geschlecht zugeordnet werden kann und oft als Schamane verehrt wird) und das Volk der Kallawaya in Amarete (Bolivien) kennt sogar zehn Geschlechter (neben zwei biologischen Geschlechtern entscheiden auch die Geschlechter der Äcker und Ämter der Person über ihr soziales Geschlecht). Außerdem findet man in Nordalbanien bis heute die sogenannten Burrneshas/Virgjineshas (eingeschworene Jungfrauen), also Frauen, die, um einer ungewollten Heirat zu entgehen oder ein fehlendes männliches Familienoberhaupt zu ersetzen, ihr soziales Geschlecht ändern. Sie legen vor dem Stammesrat einen Schwur ab und leben ab dem Moment wie ein Mann, tragen Waffen und Männerkleidung, genießen die Privilegien der Männer (z.B. Tabak- und Alkoholkonsum) und werden von den Männern auch als vollwertiger Mann akzeptiert, müssen auf der anderen Seite aber auch die Pflichten der Männer übernehmen (z.B. Blutfehden weiterführen ⇒ Blutrache ist in Nordalbanien, besonders in den Bergregionen des Qark Shkodra, bis heute der Hauptgrund für das Fehlen männlicher Mitglieder in vielen Familien, da Frauen nach dem albanischen Gewohnheitsrecht Kanun zwar nur „Schläuche“ sind, „in denen die Ware transportiert wird“, aber von der Blutrache verschont werden) und auf sexuelle Beziehungen, Ehe und Kinder verzichten. Was haben viele dieser Gesellschaften, die alle mehr Geschlechter kennen als wir, jedoch gemein? Der Mann genießt einen höheren Status. So sind für die Kallawaya im Tal liegende Äcker männlich, während Äcker, die an den Berghängen liegen, weiblich sind; ein „weiblicher“ Mann hat dieselbe soziale Stellung wie eine „weibliche“ Frau. Die Fa’afafine werden werden zu Frauen erzogen, um den Frauen im Haushalt und mit den Kindern zu helfen. Und auch die albanischen Burrneshas – die zwar wie Männer behandelt werden, aber kein Stimmrecht im Rat haben – gibt es nur, weil die Stammesgesellschaft Nordalbaniens von Männern dominiert wird. Damit möchte ich diesen kleinen Exkurs in die Gender-Thematik beenden, nicht weil es nicht wichtig wäre darüber zu sprechen, sondern weil das Thema viel zu vielschichtig ist, als dass ich es hier in diesem Beitrag ausreichend behandeln könnte. Es soll nur deutlich werden, dass alle Menschen, egal welchen biologischen und sozialen Geschlechts sie sind oder welcher sexuellen Orientierung sie nun angehören, unter der Stigmatisierung, der direkten und indirekten Gewalt leiden, die uns durch unsere patriarchalische Gesellschaft vorgelebt wird. Die soziale Geschlechtsrolle – ein Begriff, für den man im Deutschen auf das englische „Gender“ zurückgreifen muss, weil es, anders als im Spanischen (género), kein eigenes Wort dafür gibt – gilt im Feminismus nicht als angeboren; das, was „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“ ist, ist eine kulturelle, künstliche, Konstruktion, die eben deshalb auch verändert werden kann und muss.
In Deutschland – und in vielen Gesellschaften Westeuropas – gehen viele Menschen davon aus, dass sich der Feminismus überholt hat. Viele sehen keinen Sinn darin, weiter für etwas zu kämpfen, was in ihren Augen längst erreicht wurde. Doch so einfach ist es nicht. Die Tatsache, dass Männer und Frauen heute vor dem Gesetz gleichgestellt sind, heißt nicht, dass jetzt alles gut ist. Besonders in der medial angeheizten Flüchtlingsdebatte hört man immer wieder Stimmen aus dem rechten Lager, die proklamieren, dass „Wir unsere Frauen schützen müssen“ oder dass „Wir unsere Frauen ja respektieren“. Besonders „schön“ war auch der Hashtag nach den Ereignissen der Silversternacht 2015 in Köln: #UnsereFrauenSindKeinFreiwild. Nur unsere? Oder sind sie nur kein Freiwild für Ausländer? Und wenn wir doch in einer Gesellschaft leben, die Frauen respektiert und beschützt, wie kommt es dann zu den tausenden von Vergewaltigungen, versuchten Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen? Wie kommt es, dass mindestens jede siebte Frau vergewaltigt/schwer sexuell genötigt wurde? Und dass 58% der Frauen schon sexuell belästigt wurden? Wie ist es zu erklären, dass 37% der Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr Opfer schwerer körperlicher Gewalt wurden? Diese Zahlen stammen aus einer Studie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2004, gelten als repräsentativ, es ist aber bekannt, dass 90% der Opfer sexueller/körperlicher Gewalt keine Anzeige erstattet, besonders weil der Täter fast immer aus dem näheren Umfeld des Opfers kommt (nur 15% der Täter sind Unbekannte). Aber auch die Tatsache, dass nur 8% der Angezeigten verurteilt werden, machen eine Anzeige – mit der mit ihr verbundenen Retraumatisierung der Opfer – für viele unzumutbar. Viele argumentieren damit, dass auch Männer Opfer sexueller/körperlicher Gewalt werden und man deshalb nicht nur von Gewalt gegen Frauen sprechen darf. Natürlich werden auch Männer Opfer. Meistens allerdings im Kindesalter, und auch hier sind fast 99% der Täter männlich (Zahlen aus den USA aus dem Jahr 1995). Aber wegen einiger weniger Ausnahmen – die natürlich genauso schlimm sind, aber eine andere Ursache haben – das Problem nicht beim Namen nennen zu dürfen, scheint mir etwas scheinheilig. Denn es gibt viele Männer, die nicht anzeigen, das Geschehene verdrängen etc., da es in unserer Gesellschaft halt so ist, dass man als Mann stark sein muss. Wenn man nun mit diesen Männern gegen Feminismus zu argumentieren versucht, landet man früher oder später beim Kern des Problems: dem Patriarchat.
Auch in Spanien werden ähnliche Debatten geführt wie hier, allerdings ist man dort, zumindest was die Gesetzgebung anbelangt, um einiges weiter als hierzulande. Während hier bis 1997 eine Vergewaltigung nur außerhalb der Ehe strafbar war (in der Ehe galt es als Nötigung), da CDU und CSU der Meinung waren, dass ansonsten eine Ehefrau eine vorgetäuschte Vergewaltigung dafür nutzen könnte, um abzutreiben, wurde im spanischen Strafgesetzbuch schon Jahre vorher kein Unterschied mehr gemacht. Nur was das Frauenwahlrecht angeht, war Deutschland schneller als Spanien. So dürfen Frauen in Deutschland seit 1919 wählen, während sie es in Spanien erst ab 1931 durften. Naja, wenn man bedenkt, dass die Frauen in der Schweiz und in Lichtenstein erst 1971 bzw. 1984 zu diesem Privileg kamen, scheinen wir sogar richtig fortschrittlich zu sein. Aber wir sollten auch nicht vergessen, dass bis 1958 der Ehemann den Arbeitsvertrag seiner Frau kündigen konnte, über ihren Besitz verfügte und dass z.B. in Baden-Würtemberg bis 1956 Lehrerinnen ihren Job aufgeben mussten, sobald sie heirateten. Erst seit 1962 dürfen Frauen ein Bankkonto eröffnen und seit 1969 werden verheiratete Frauen als geschäftsfähig angesehen. Und erst seit 1977 gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe mehr. In Spanien und im Rest Europas wird der zeitliche Ablauf in etwa derselbe gewesen sein, doch seit 2004 hat Spanien ein Gesetz, das sich explizit auf die genderspezifische Gewalt bezieht und den Straftatbestand dahingehend definiert, dass die Gewalt z.B. an einer Frau ausgeübt wurde, eben weil sie eine Frau war: Die „Ley de Violencia de Género“. Und damit ist Spanien Deutschland um einiges voraus (hier fällt alles unter häusliche Gewalt). Grund zur Freude ist das zwar nicht, aber immerhin wurden z.B. im Jahr 2015 von den über 32.000 Angezeigten fast 30% angeklagt (davon etwa 65% verurteilt, der Rest wurde entweder wegen Unschuld oder Mangel an Beweisen freigesprochen). Außerdem gilt solch ein Verbrechen auch als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, was verschiedene Sanktionen mit sich bringt. Auch sind sogenannte „intime“ Femizide, also Morde an Frauen durch ihren (Ex-) Partner, in Spanien viel stärker in der Öffentlichkeit als in Deutschland. Genaue Zahlen gibt es nicht, da es unterschiedliche Auslegungen gibt, was als Femizid (als Folge von genderspezifischer Gewalt) oder als „normaler“ Mord gilt, aber man geht von jährlich 60-120 Frauen aus. In Deutschland waren es im Jahr 2015 331, also 3 – 5 Mal so viele, berichtet wird darüber kaum. Wird in Spanien eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, erscheint es in allen Medien. In allen, dieses Jahr sind es schon vier. Passiert sowas hier, muss man danach suchen. Mit etwas Glück findet man etwas im Lokalteil einer Zeitung, oft nicht einmal das.
Spanien gilt oft als Land der Machos, der „typisch“ spanische Mann ist ein „macho ibérico“. Es ist schon lustig, dass das Deutsche den Begriff „Macho“ übernommen hat, um jemanden zu bezeichnen, der im Spanischen „Machista“ genannt werden würde. Denn „Macho“ ist eigentlich nur ein männliches Tier, theoretisch bekommt das Wort erst durch das Anhängen von „-ista“ seine heutige Bedeutung, also ein Mann, der seine Männlichkeit stets beweisen muss und sich als Mann den Frauen überlegen fühlt. Dadurch, dass das Deutsche kein eigenes Wort dafür kennt, fehlt auch ein sehr wichtiger Begriff für diese Debatte: Machismo. Also der Glaube an die Überlegenheit des Mannes und alles, was diese Überzeugung mit sich bringt. Das Gegenteil von Machismo ist nicht etwa Feminismus, und auch nicht der „Hembrismo“ (auch ein Wort, das es im Deutschen nicht gibt; ein Synonym für Misandrie, also Männerhass), obwohl das oft behauptet wird. Denn Misandrie ist das Gegenteil von Misogynie (Frauenhass), und resultiert aus diesem und den aus der Misogynie resultierenden Verhaltensweisen (u.a. Machismo, Gewalt gegen Frauen etc.). Eine misandrische Frau wünscht sich oft eine Welt ohne Männer, während ein misogyner Mann sich keine Welt ohne Frauen vorstellen kann, er will nur, dass sie unterwürfig sind. Diese Konzepte werden sehr oft vermischt, sodass in Spanien (und in anderen Ländern) vor ein paar Jahren ein Wort in Mode gekommen ist, mit dem man „radikale“ Feministinnen zu beleidigen bzw. jegliche Art von Feminismus zu delegitimieren versucht: Feminazi. Für spanischsprachige Trolls ist es im Internet zum Lieblingswort geworden, jede Frau, die es wagt, auf Missstände hinzuweisen, wird sofort zur „Feminazi“. Zur Unterscheidung der Begriffe ist eines wichtig: Die historische Tragweite der Misogynie und des daraus entstehenden Machismo. Das Patriarchat ist eine historisch gewachsenen Gesellschaftsform, die geprägt wurde von Frauenhassern: Platon («Nur Männer sind direkt von den Göttern geschaffen und haben eine Seele.» hier), Aristoteles («Zweck und Mittelpunkt der irdischen Natur ist nicht der Mensch, sondern der männliche Mensch. Ein weibliches Kind ist eine Art von Missgeburt und das Weibliche etwas Verstümmeltes im Vergleich zum Männlichen.» hier), Konfuzius («Drei Männern hat die Frau in ihrem Leben Untertan zu sein: In der Kindheit ihrem Vater, in der Reife ihrem Mann und im Alter ihrem Sohn.» oder «Der Mann hat das Recht seine Frau zu töten. Wird die Frau zur Witwe, soll sie sich als Zeichen ihrer Keuschheit selbst verbrennen.»), Erasmus von Rotterdam («Wie der Sattel nicht zum Ochsen, so passt auch die Bildung nicht zur Frau») und ein langes Et cetera (darunter Pitagoras, Hippokrates, Voltaire, Schopenhauer, Freud, Nietzsche, Napoleon, Lessing).
Zurück zum Macho Ibérico: Während der Franco-Diktatur und in den Jahren danach war das ein eher kleiner, schwarzhaariger, leicht dummer Mann, der von Frauen besessen war. Heute vielleicht etwas weniger dumm und meistens etwas größer, der Rest hat sich aber kaum verändert. Natürlich sind die meisten spanischen Männer nicht so, waren sie auch damals nicht, aber es gibt sie immer noch, die „Machos Ibéricos“. „Piropos“, also „Komplimente“, besonders die, die man einer Frau auf der Straße nachruft, galten lange Zeit als Kunst. Zumindest sahen die Männer das so, die Frauen eher weniger. Denn oft gingen diese „Komplimente“ weit über ein „¡Guapa!“ (Hübsche) hinaus: „¡Que no me entere yo que ese culito pasa hambre!“ (Wehe dieser Arsch hungert! wörtlich: Ich möchte nicht mitbekommen, dass dieser Arsch hungert ⇒ wenn ja, fütter ich ihn), „¡Quién fuera compresa para estar entre tus piernas!“ (Wäre ich doch nur eine Binde, um zwischen deinen Beinen zu sein) oder „¡Niña, con ese cuerpo, yo te hacía un traje de saliva!“ (Mädchen, mit so einem Körper würde ich dir einen Anzug aus Speichel machen) gehören noch zu den harmloseren. Groß war da der Aufschrei bei denjenigen, als Frauen Kampagnen starteten, um dieses Hinterhergeschreie/genuschel abzuschaffen. Jetzt dürfte man einer Frau noch nicht mal mehr ein Kompliment machen. Feministen sehen doch überall nur „Machismo“. Einigen Männern scheint es wirklich leicht zu fallen, die Opferrolle für sich zu beanspruchen. Und leider fehlen auch nicht die Frauen, die diese Form von „Komplimenten“ unterstützen. Wenn man an einer Baustelle vorbeigeht und keiner einem etwas zuruft, dann fehlt doch was. Bei sowas fehlen mir einfach die Worte. Wenn du deinen Selbstwert davon abhängig machst, ob dir Leute auf der Straße zurufen, dann lass dir bitte helfen, aber stör nicht die anderen Frauen in ihrem Kampf gegen Alltagsmachismo. Besonders die heutige Jugend scheint sich in dieser Thematik ziemlich zurückentwickelt zu haben. Hier zwei Videos eines spanischen Youtubers, der Jugendliche in Spanien zu unterschiedlichen Themen befragt. Die Ergebnisse sind eigentlich alle erschreckend, und man kann nur hoffen, dass er sich absichtlich diese Art von Menschen ausgesucht hat, um die Fragen zu beantworten. Leider gibt es jedoch schon Studien und Umfragen, die belegen, dass in Spanien junge Menschen verstärkt akzeptieren, ja es sogar normal finden, dass ihr Partner ihr Handy kontrolliert, bestimmt mit wem sie sich treffen dürfen, zu welcher Party sie gehen dürfen, etc. (32% der Mädchen/Frauen zwischen 15 und 29 Jahren finden das okay und 34% der Jungen/Männer; Studie vom CIS im Auftrag des spanischen Gesundheitsministeriums). Ob das in Deutschland auch der Fall ist, weiß ich nicht, da ich keine ähnliche Studie aus Deutschland kenne, aber ich kann es mir vorstellen. Denn das Verständnis von dem, was Liebe ist, hat sich geändert. Eifersucht gilt vermehrt als Liebesbeweis, denn es beweist ja, dass man der Person wichtig ist (73,3% der spanischen Jugendlichen denken das).
Natürlich muss man sagen, dass es Länder gibt, wo es noch schlimmer ist. Spanien ist europäisch, der jahrzehntelange Kampf der Frauenbewegung hat einiges bewirkt. Daher kann man die Situation nicht mit Lateinamerika vergleichen, wo der Alltag für die meisten Frauen um einiges anstrengender und gefährlicher ist. Zum einen sind die Alltagsbelästigungen, sexuellen Übergriffe und Femizide sehr viel häufiger (jährlich 60.000 von ihren Partnern ermordete Frauen, es ist die erste Todesursache bei Frauen im Alter zwischen 15 und 44), zum anderen hat sich in den dortigen Gesellschaften der Feminismus noch nicht wirklich durchgesetzt. Den Männern in Lateinamerika stößt jegliche Art von Widerstand gegen diese Praktiken sehr viel stärker auf, als hierzulande. Dabei geht es ja gar nicht darum, den Männern zu verbieten, einer Frau Komplimente zu machen. Es kommt auf das wie an, die gute Erziehung und der gesunde Menschenverstand sollten die Grenzen vorgeben. Hier möchte ich ein Video zeigen, dass von Bekannten in Cartagena de Indias (Kolumbien) für die Kampagne „No quiero tu piropo, quiero tu respeto“ (Ich will nicht dein Kompliment, ich will deinen Respekt) gemacht wurde, um auf die Situationen der Frauen aufmerksam zu machen. Es kommt vielleicht übertrieben rüber, aber man muss nur einen Meter hinter einer Frau gehen (in Anwesenheit eines Mannes passiert es meistens nicht), um sich ein eigenes Bild über das Ausmaß der Alltagsbelästigung in vielen kolumbianischen und lateinamerikanischen Städten zu machen.
Auch was die Strafverfolgung von Vergewaltigungen betrifft, ist Spanien Deutschland um einiges voraus. Zwar ist das Denkmuster noch nicht aus allen Köpfen verschwunden – wir leben sowohl in Spanien als auch in Deutschland in einer Vergewaltigungskultur (Cultura de la violación) – aber immerhin gibt es Gesetze, die das Opfer schützen. In Spanien gilt seit Jahren „Nein heißt nein“, in Deutschland erst seit 2016. Vorher musste das Opfer sich in heroischer Weise gegen den Angreifer gewehrt haben, damit es als Vergewaltigung galt. Für die Verurteilung war das Verhalten des Opfers relevant. Vollkommen absurd, vor allem weil es bei anderen Straftaten nicht der Fall ist (z.B. bei Diebstahl wird dem Opfer auch nicht vorgeworfen, die Handtasche nicht festgehalten zu haben). Heute ist es zum Glück nicht mehr so. Was leider nichts daran ändert, dass es durch fehlende Beweise (wie will man das auch beweisen?) fast nie zu Verurteilungen kommt. Das Wort Vergewaltigungskultur (Rape Culture) stößt vielen bitter auf, viele verbinden es eher mit Indien oder der arabischen Welt und wollen davon hier nichts wissen. Aber auch hier in Europa gibt es sie. Vielleicht in abgeschwächter Form, aber es gibt sie. Wenn ein Mädchen vergewaltigt wird und Fragen aufkommen wie: Was hatte sie an? Hat sie mit dem Jungen vorher geflirtet? War sie betrunken oder auf Drogen? Hatte sie schon mal Sex mit der Person? Oder Aussagen wie: Wenn die sich so anzieht, darf sie sich nicht wundern! Wenn sie erstmal alle heiß macht und dann nicht mehr will, dann hat sie selber Schuld. Das alles ist Teil der Vergewaltigungskultur, in der man versucht, die Schuld beim Opfer zu suchen. Auch die Tatsache, dass Mädchen von klein auf eingetrichtert wird, dass sie Angst vor Männern haben müssen; Männer oft als triebgesteuert gelten, als wären sie irrationale Tiere, die ihre Impulse und Triebe nicht steuern könnten; eine Frau als mutig gilt, wenn sie nachts alleine nach Hause geht oder Witze über Vergewaltigung von Männern in Gefängnissen gehören dazu. Ein weiterer Teil der Vergewaltigungskultur ist das Verharmlosen von Vergewaltigungen oder sexistischer Gewalt. Natürlich gibt es auch in Deutschland Leute, die dies tun, sei es durch Witze oder anderweitige Aussagen. Aber was mich in Spanien besonders erschrocken hat, ist ein „Kompliment“, das vor ein paar Jahren unglaublich weit verbreitet war und wahrscheinlich von Lateinamerika nach Spanien übergeschwappt ist: Estás violable (Du bis vergewaltigbar). Jap. Du siehst so gut aus, dass man dich vergewaltigen könnte. Und es wurde nicht angezweifelt, Frauen freuten sich, wenn ihre Freunde das sagten, es war, als würde man sagen, dass man sexy sei. Bis anscheinend jemand mal nachgedacht hat und deutlich wurde, was hinter dem Begriff steht.
Ich glaube, dass das den meisten gar nicht bewusst ist. Jährlich werden über 8.000 Vergewaltigungen angezeigt (bei ca. 1000 kommt es zur Anklage), doch wirklich etwas davon mitbekommen tun wir nicht. Dabei unterscheiden sich die Zahlen zwischen Deutschland und Spanien kaum. Wenn mal darüber in den Medien berichtet wird, dann immer als Einzeltat (was natürlich für die einzelne Tat stimmt), aber nie als Teil eines großen Ganzen. Jedes Jahr werden während des Oktoberfests in München zwischen 10 und 16 Vergewaltigungen angezeigt, die Dunkelziffer liegt bei ca. 200 in den 16 Tagen, die das Volksfest dauert. Bei jedem kleineren oder größeren Festival kommt es zu sexuellen Übergriffen. Doch wir bekommen davon nichts mit. Erst letztes Jahr kam es bei den Sanfermines in Pamplona (Navarra, Spanien) zu mehreren Vergewaltigungen und zu einer der abartigsten Gruppenvergewaltigungen, von denen ich je gehört habe.
Und auch wenn wir heute glauben mögen, dass doch alles gut geregelt ist und dass unsere Gesellschaft gereift ist, dann reicht ein Blick ins Internet, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Man brauch nicht lange suchen, um Trolls zu finden, die unter Zeitungsartikel oder auf Journalistinnen-Profilen offen Vergewaltigungen banalisieren, mit Vergewaltigungen drohen etc. Es sind Trolls, ja. Aber es sind viele, und dass es Männer hierzulande gibt, die immer noch solche Denkmuster in sich tragen, die oft durch zu viel Alkohol zum Vorschein kommen, beweist, dass wir von einer gesunden, geschlechtlich gleichgestellten Gesellschaft unglaublich weit entfernt sind.
Auch die Sexismus-Debatte wird mir hier in Deutschland auf eine Art und Weise geführt, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Der Fall Jenna Behrends aus der CDU, die den Mund aufgemacht hat, um Missstände in der CDU anzusprechen und kurz darauf zur Persona non grata und von manchen Medien fast öffentlich hingerichtet wurde, zeigt, dass noch einiges getan werden muss. Die Hypersexualisierung der Geschlechter, aber besonders der Frau, in allen Bereichen unseres Alltags ist nicht mehr zu übersehen, und trotzdem gibt es Männer und Frauen, die sich daran nicht stören. Warum? Weil es normal ist. Es ist normal geworden, dass ein sekundäres Geschlechtsmerkmal der Frau (die Brust) – wie es beim Mann der Bartwuchs oder das Verhältnis zwischen Schulter- und Hüftbreite sein kann – übersexualisiert ist. Ein Mann darf sich mit freiem Oberkörper zeigen, eine Frau nicht. Warum? Nicht, weil Frauen einen schönen männlichen Oberkörper oder einen Bart nicht attraktiv finden würden, sondern, weil Männer sich von Brüsten sexuell provoziert fühlen. Warum ist es nicht schlimm, in sozialen Netzwerken Bilder und Videos von Gewalt und Mord zu zeigen, aber eine weibliche Brust wird zensiert? Jeder der versucht, das zu rechtfertigen, sollte sich mal ernsthaft Gedanken darüber machen und sich fragen, woher diese Meinung kommt. Das Problem bei Sexismus in der Werbung ist eigentlich auch nicht die nackte Haut an sich, sondern erneut das versteckte Machtverhältnis. Halbnackte Frauen in der Werbung dienen zum Konsum des Mannes (teilweise in absurdester Art und Weise). Warum gelten Tampons und Binden in Deutschland und in vielen Ländern dieser Welt als Luxusartikel? Warum gehören Katzenfutter, Blumen und Garnelen zum „Grundbedarf“ (und werden daher mit der ermäßigten Mehrwertsteuer von 7% besteuert), Tampons dagegen als Luxus (volle Mehrwertsteuer von 19%)?
Es muss also heute immer noch sehr viel getan werden, damit wir von einer gerechten Gesellschaft sprechen können. Die Tatsache, dass sich viele Menschen nicht im klaren darüber sind, wie machistisch unsere Gesellschaft noch ist, sollte die anderen nicht davon abhalten, weiterhin für das Ideal einer gerechten Gesellschaft zu kämpfen. Solange noch Frauen vergewaltigt, genötigt, belästigt und geschlagen werden, solange nicht jedes Mädchen auf der Welt Zugang zu Bildung hat, solange es noch Kulturen gibt, die Frauen unterdrücken, brauchen wir den Feminismus. Solange es noch normal ist, Dinge zu sagen wie „Du wirfst/läufst/schlägst wie ein Mädchen“, „Du musst stark sein wie ein Mann“, „Frauen kochen besser“ (ja? Gibt es dafür ein Gen?), „Du solltest weiblicher sein“, „Sie ist eine Schlampe, guck mal was die trägt“, „Du musst begehrenswert sein“, „Sei kein Mädchen/ Sei keine Memme“, „Männer weinen nicht“, „Sei ein richtiger Mann“ oder das typische „Una mujer debe ser una dama en la calle, una señora en casa y puta en la cama“ (Eine Frau sollte auf der Straße eine Lady, im Haus eine Dame und im Bett eine Schlampe sein), brauchen wir den Feminismus. Solange Frauen – trotz gleicher Qualifikation – weniger verdienen als Männer, brauchen wir den Feminismus. Solange Männer unter den Stereotypen leiden, die ihnen das Patriarchat auf erzwingt, sie nicht die sein können, die sie wirklich sind, aus Angst davor, nicht als männlich genug zu gelten, brauchen wir den Feminismus. Solange es Menschen gibt, die von Neanderthalern diskriminiert, verprügelt oder getötet werden, weil sie nicht so sind, wie die es wollen, brauchen wir den Feminismus!
Zum Schluss noch eine Rede von Chimamanda Adichie, einer nigerianischen Schriftstellerin, einer – wie sie sagt – „glücklichen afrikanischen Feministin“, die mit ihren Büchern Americanah und Die Hälfte der Sonne zwar in die BBC-Auswahl der 20 besten Romane zwischen 2000 und 2014 aufgenommen wurde, ihre Bekanntheit aber vor allem ihren Reden bei TEDxtalk zu verdanken hat (einmal The danger of a single story und eben We should all be feminists).
Hallo!
Dieser Beitrag gefällt mir sehr!I
Ich denke es ist sehr notwendig.
Felicidades y muchos saludos
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Hallo dein artikel gefällt mir,
Ist es solch eine Lotterie, als Mann auf die Welt zu kommen, mir erscheint ja.
Ein richtiger Mann mag die Frauen, ohne Sie zu belästigen.
Einen tollwütigen Hund erschießt man ja auch, oder.
Prima schade ist nur, das die meisten, die es etwas angeht, solche Artikel nicht lesen.
Viele Grüße
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