Ein trauriger Tag für Spanien

Montag der 27.06.2016 war ein trauriger Tag für Spanien. Für das Land als solches und insbesondere für jeden einzelnen Spanier, egal, wo auf dem Globus er/sie sich gerade befinden mochte. Es mag sein, dass die Gründe dafür unterschiedlicher Natur waren, aber es war ein trauriger Tag. Natürlich ist das relativ, nicht jeder ist gleichermaßen betroffen, vielen geht es am Allerwertesten vorbei und wiederum andere haben es noch nicht einmal mitbekommen. 

Was ist passiert? Zwei Dinge: Der PP hat die Parlamentswahlen gewonnen und Spanien ist bei der EM ausgeschieden. Und leider, so traurig es ist, hat letzteres mehr Spanier traurig gemacht als die Tatsache, dass eine der korruptesten Parteien Europas erneut die meisten Stimmen erhalten hat. Was sagt das über ein Land aus? Über seine Bewohner? Ich weiß es nicht.

Um genau zu sein, muss man erwähnen, dass die Parlamentswahlen ja nicht am Montag, sondern am Sonntag waren. Zwar hatte sich demnach die eigentliche Tragödie schon einen Tag zuvor abgespielt, aber da die Ergebnisse erst am Sonntagabend bekannt gegeben wurden (die Wahllokale waren ja noch bis 20 Uhr geöffnet) und viele sie erst am nächsten Tag erfahren haben, kann man den Montag wohl als DEN traurigen Tag bezeichnen. Traurig? Warum? Es ist ja nicht so als würde die Welt deswegen jetzt untergehen. Nein, natürlich nicht. Aber besser wird sie auch nicht.

Spanien ist seit über einem halben Jahr im Wahlkampf. Ende Dezember 2015 waren die Parlamentswahlen, die, die alles ändern sollten. PODEMOS, als die Partei des Wandels, lag in den Umfragen abwechselnd auf Platz 2, Platz 3 und manchmal sogar auf Platz 1. Das Wunder schien möglich. Endlich schien es möglich, dass es, nachdem sich die beiden großen Parteien PP und PSOE seit Jahrzehnten in der Regierung abgewechselt hatten und sich so fest in ihrer Machtposition verbissen hatten, dass es unmöglich schien, jemals eine andere Partei an der Spitze zu sehen, einen Wandel geben könnte. Besonders junge Spanier setzten ihre Hoffnung in PODEMOS, war die Partei doch im Endeffekt aus der Protestbewegung 15-M entstanden und hatte den Menschen auf der Straße eine Stimme gegeben. Dabei musste man nicht wirklich links sein, um sich mit der Partei identifizieren zu können. Ja, sie wurde des Populismus beschuldigt, der Demagogie, weil sie Sachen ansprach, die von „denen da oben“ einfach tot geschwiegen wurden. Man müsse akzeptieren, dass Spanien in einer Krise steckte und, dass man nur da raus kommt, wenn man spart. Wenn man sich tot spart. Aber man nimmt natürlich nicht bei denen etwas weg, die viel haben, sondern bei den kleinen Leuten. Der PP – genauso wie der PSOE – stehen tief in der Schuld der spanischen Banken. Schließlich wurden ihre Kampagnen von den Banken bezahlt. Und wenn eine vierköpfige Familie, die ihre Hypothek nicht mehr bezahlen kann, aus ihrer Wohnung geschmissen werden muss, damit die Bank die Wohnung bekommt, dann ist das halt so. Und wenn sich Menschen vom Balkon in die Tiefe stürzen, weil vor ihrer Wohnungstür die Polizei steht, die sie aus der Wohnung zerren will, dann wird darüber nicht gesprochen. Hauptsache die spanische Wirtschaft kommt auf den grünen Ast. Einen dünnen, zerbrechlichen, aber grünen Ast. Der Rest war und ist egal. Zumindest für den rechts-konservativen PP. Sie bezeichnen sich gerne als „die Mitte“, die „Besonnen“, die „Verantwortungsvollen“. Tatsächlich ist es aber schwierig in Spanien eine Partei zu finden, die noch rechter ist als der PP. Ja, natürlich gibt es noch die rechtsextreme Falange von Francisco Franco, deren Syndikalistische Studentenfront FES (Frente de Estudiantes Sindicalistas) schon zu Zeiten der faschistischen Diktatur die „Opposition von rechts“ darstellte. Ein Mitglied der FES war José María Aznar, späterer Vorsitzender des PP und Präsident Spaniens von 1996 bis 2004. Aber die meisten hohen Tiere der Falange traten nach dem Ende der Diktatur dem PP bei, sodass das rechtsradikale Spektrum keine wirkliche Repräsentation mehr hat. Oft höre ich Leute sagen „[…] aber in Spanien haben wir wenigstens keine rechtsextremen Parteien!“. Oh doch, die haben wir. Wir haben keine NPD, nein. Auch keine AfD. Aber im PP findet man sie alle wieder. Natürlich nicht an vorderster Front, das wäre nicht schön. Aber sie ziehen die Fäden aus dem Hintergrund. Anders sind Gesetze wie die „Ley Mordaza“ (das sogenannte „Knebelgesetz“, das spontane Demonstrationen mit bis zu 30.000 €, Proteste in öffentlichen Gebäuden mit bis zu 600.000 €, Aufrufe zu Demonstrationen im Internet mit Geldbußen und sogar Haftstrafen, und die Verbreitung von Bildern oder Videos von Sicherheitskräften im Internet mit über 500.000 € bestraft, ohne die Strafe gerichtlich anfechten zu können) nicht zu erklären. Allein durch dieses Gesetz, das laut der New York Times „Spanien in die dunkelsten Tage des Franco-Regimes zurückwirft“, wurde die Demokratie so stark eingeschränkt wie schon lange nicht mehr. Und hierzulande hört man nichts davon. Aber auch Versuche, legale Abtreibungen und die „Homo-Ehe“ wieder abzuschaffen, sprechen nicht gerade für den PP. Auch die Sparpolitik, die ich im Beitrag über die Krise in Spanien näher beschrieben habe, hat in der spanischen Gesellschaft zu einer starken Ablehnung geführt. Bei den Parlamentswahlen Ende 2015 verlor der PP deshalb ca. 33% der Wählerstimmen (von fast 11 Mio. 2011 auf 7 Mio. 2015). Hatten sie 2011 noch mit 44,6% die absolute Mehrheit gewonnen (nach Mandaten), hatten sie 2015 nur noch 28% der Stimmen. Das war ein Zeichen. So ein niedriges Ergebnis hatten sie schon seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gehabt. PODEMOS landete allerdings nur auf dem 3. Platz, mit 20,6 %. Eine große Enttäuschung für jeden, der auf einen Wandel gehofft hatte, aber auch ein Triumph, schließlich waren es die ersten Parlamentswahlen, an denen sie teilgenommen hatten. Die Diffamierungskampagne, die der PP gegen PODEMOS angezettelt hatte und die Angstmacherei vor dem Neuen, Unbekannten, hatte anscheinend Früchte getragen. Allerdings hatte keine Partei genug Stimmen, um regieren zu können. Monatelang gab es Koalitionsgespräche, die immer wieder abgebrochen wurden. Es war auch schwierig, denn die einzige Koalition, die eine Mehrheit zustande bekommen hätte, wäre die zwischen dem rechtskonservativen PP und dem sozialdemokratischen PSOE gewesen, die aber keinen gemeinsamen Nenner fanden, da keiner vom PSOE Rajoy als Präsidenten sehen wollte.

Nachdem keine Regierung gebildet werden konnte, wurden Neuwahlen ausgerufen, die jetzt am Sonntag stattfanden. Beschimpft mich als Optimisten, aber ich hatte gehofft, dass PODEMOS an zweiter Stelle landet. Sie hatten sich mit der linksozialistischen Izquierda Unida (Vereinte Linke) zusammengetan, und sich so mehr Stimmen erhofft.

An dieser Stelle muss man vielleicht kurz etwas zum spanischen Wahlsystem sagen. Es benachteiligt kleine Parteien. Nicht alle kleinen Parteien, nur die, die landesweit vertreten sind. Kleine Parteien, die nur regional vertreten sind, wie z.B. Esquerra Republicana in Katalonien oder der PNV im Baskenland, werden von dem System begünstigt. Vergeben werden die Mandate nach dem Hondtschen Zählverfahren, das von vornherein große Parteien bevorzugt. Außerdem werden in jeder der 52 Provinzen die Mandate separat vergeben, je nach Größe. Also eigentlich das gute alte Verhältniswahlrecht. Nun ist es aber so, dass ländliche Provinzen aufgrund ihrer Größe im Verhältnis mehr Mandate zugesprochen bekommen als Städte. So kommt die Autonome Gemeinschaft Castilla y León auf 31  Mandate (jedoch pro Provinz höchstens 4) und Madrid auf 36, obwohl Madrid fast dreimal so viel Einwohner hat. Deshalb haben die kleinen Parteien, die landesweit vertreten sind, eigentlich nur in den Städten eine Chance. Dieses System setzt den Grundsatz außer Kraft, dass jede Stimme gleich viel zählen sollte. Nicht jede Stimme zählt gleich viel, zumindest nicht in Spanien. Dem PP reichen z.B. etwa 56.000 Stimmen aus, um 1 Mandat zu bekommen. Dem PSOE reichen 63.000 Stimmen für ein Mandat. Bei den regionalen Parteien sind es auch relativ wenig Stimmen (z. B. etwa 55.000 bei den baskischen Nationalisten vom PNV oder 60.000 bei der katalanischen links-nationalistischen ERC). Schwierig ist es nur für kleine Parteien, wie eben Izquierda Unida, die für jedes Mandat mindestens 400.000 Stimmen benötigen. 2015 war es so, dass sie fast 1 Mio. Stimmen hatten, aber nur zwei Abgeordnete stellen durften.

Diese zusätzlichen Stimmen hatte man sich bei PODEMOS erhofft, als man das Bündnis mit Izquierda Unida (IU) einging. Aber sie blieben aus. Wenn man die Stimmen von PODEMOS und IU von 2015 zusammenzählt und als Ausgangspunkt für die Wahlen 2016 nimmt, dann haben sie sogar fast 1 Mio. Stimmen verloren. Wo sind sie hin? Man weiß es nicht. Denn die einzige Partei, die Stimmen gewonnen hat, ist der PP.

Ergebnisse (elpais.com)

Das Resultat der letzten Wahlen ist für mich ein Armutszeugnis für Spanien. Der PP gewinnt über 600.000 Stimmen dazu und stellt damit 137 Abgeordnete (176 sind für die Mehrheit notwendig), während es ein halbes Jahr vorher nur 123 waren. Ja, PODEMOS hat zwei Abgeordnete dazu gewonnen und stellt nun 71 anstatt 69 Abgeordneten. Trotzdem ist es wie ein Schlag in’s Gesicht. Alle Umfragen sahen PODEMOS an zweiter Stelle. Alle. Und das wäre DIE Möglichkeit gewesen, einen Wandel einzuleiten. Aber schon wieder wurde die Möglichkeit verpasst. Bei einer Wahlbeteiligung von unter 70% leider auch kein Wunder. So viele Spanier, die im Ausland leben konnten wieder nicht wählen. Und die, die es könnten, tun es nicht. Es ist einfach nur beschämend. Man sollte ein System einführen wie in Brasilien oder Belgien; eine Wahlpflicht. Wir haben in einer Demokratie viele Rechte, aber wir haben auch Pflichten. Und eine davon, die wichtigste, ist verdammt nochmal wählen zu gehen. Und wenn es schon keine institutionelle Pflicht ist, dann eben eine moralische. Bestes Beispiel ist das Referendum für den Brexit. Wenn man nicht wählen geht, passiert das, was man ja für so unwahrscheinlich gehalten hatte.

Mir tun die Menschen leid, die Spanien wegen des desaströsen Sparpolitik des PP haben verlassen müssen. Menschen, die ihr Land lieben, gerne nach Hause zurückkehren würden, es aber nicht können, weil es für sie dort keine Zukunft gibt. Die Menschen, die noch in Spanien leben, und nur mit Hilfe der Familie ihren Kopf über Wasser halten können. Die Menschen, die 50 Stunden pro Woche arbeiten müssen, um 400 Euro/ Monat zu verdienen. Die Menschen, die alles tun, um nicht auf der Straße zu landen. Die Menschen, die sich jeden Tag abrackern, nur damit sie die Politiker vom PP im Fernsehen sagen hören können, dass Spanien endlich aus der Krise gefunden hat. Während die Nachrichtensprecherin im nächsten Beitrag mal wieder darüber berichtet, wie viele Millionen der PP-Politiker X unterschlagen hat, und welche krummen Geschäfte PP-Politiker Y gemacht hat, um keine Steuern bezahlen zu müssen. Für diese Menschen empfinde ich ein riesen Mitgefühl, vielleicht bin ich auch zu empathisch, aber es geht einfach nicht spurlos an mir vorbei. Für den Rest, empfinde ich nichts. Verachtung wäre zu stark, Mitleid mittlerweile geheuchelt. Natürlich weiß man im Moment nicht, was nun passieren wird. Denn abermals hat keine Partei genug stimmen, um alleine zu regieren und die einzig mögliche Koalition ist mal wieder PP-PSOE. Wahrscheinlich ist aber, dass Rajoy wieder regieren wird. Und so lange das so ist, wird kein Spanier in sein Land zurückkehren wollen/können.

Letzten Endes zählt halt auch nur, dass Spanien schon wieder aus einem internationalen Turnier geflogen ist, dass Iniesta wieder hervorragend gespielt hat, de Gea ein super Torwart ist und wir einfach an unserer Chancenverwertung arbeiten müssen. Diese Chance des Wandels haben wir verpasst, vielleicht klappt es ja bei der nächsten Wahl :)

Dieses Bild sagt alles….Esta imagen lo dice todo….No cal afegir-hi res més….A imaxe xa o di todo…Açò ja ac ditz tot…

Ergebnisse (elpais.com)

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Ein Gedanke zu “Ein trauriger Tag für Spanien

  1. Danke für deine Gedanken und die Skizzierung der Situation. Du liest mir aus der Seele! Ich kann mich an dem Tag sehr gut daran erinnern. Saß in einer Cafeteria mit Freunden am Sonntagabend und keiner konnte vor lauter Enttäuschung und nicht-glauben-können-wollen ein Wort aussprechen. Die Blicke…
    Ich war damals optimistisch und illusioniert, und habe wirklich fest daran geglaubt, dass Podemos gewinnen wird. Das Wahlergebnis war ein Schlag ins Gesicht. Als Spanien die EM Finale dann verlor, schien allerdings niemand mehr sich für das Wahlergebnis zu interessieren. Weißt eh wie es bei uns ist.

    Damals war die Hoffnung an eine Änderung sehr groß, heute leider nicht so. Die Wahlen in Andalusien haben leider einen sehr ernüchternden und demotivierenden Effekt gehabt. Hoffnung stirbt allerdings zuletzt und die Partizipation (nicht nur die, der loyale Peperos) scheint allmählich zu steigen. Langsam aber stets. Schauen wir Mal ;-)

    Hast schon lange nicht mehr veröffentlicht. Würde mich über mehr Artikel von dir freuen :-)

    Liebe Grüße von einer Baskin in Wien.

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