Die „Autonome Gemeinschaft Baskenland“¹ liegt ganz im Norden der Iberischen Halbinsel, an der Grenze zu Frankreich. Das Baskenland ist im Ausland ziemlich bekannt. Leider ist dies nicht zuletzt der ETA zu „verdanken“, die zwischen 1960 und 2011 ca. 850 Menschen getötet hat. Wen das aber am meisten trifft, sind die Basken selbst, denn die meisten Anschläge geschahen dort und von dieser Assoziierung kommt man nicht so schnell los. Auch wenn die ETA seit Jahren niemanden mehr getötet hat, verbinden die Leute das Baskenland immer als ersten damit. Und den Baskenmützen, vielleicht. Auch wenn die Baskenmütze heute eher mit dem französischen Savoir-Vivre verbunden wird, kommt sie ursprünglich von hier. In Frankreich sagt man, er komme aus dem Béarn, etwas weiter östlich des französischen Baskenlandes, aber jeder Baske wird einem da widersprechen.
Vielleicht nicht ganz so bekannt, aber meiner Meinung nach um ein Vielfaches interessanter, ist die Baskische Sprache. Man weiß bis heute nicht, woher sie stammt und es ranken sich viele Mythen um sie. Einige Sprachwissenschaftler sind der Ansicht, dass sie vom Kaukasus stammt, andere meinen, sie wäre von den Berbern mitgebracht worden. Doch die am weitesten verbreitete Theorie ist, dass diese Sprache ein Überbleibsel der Alteuropäischen Sprachen ist, die vor der Verbreitung der Indogermanischen Sprachen gesprochen wurden. So ist das Baskische heute die einzige nichtindogermanische Sprache Westeuropas und die einzige isolierte Sprache des Kontinents, d.h. sie ist mit keiner der heutigen Sprachen verwandt. Wenn man bedenkt, dass anderen Völker, wie z.B. die Iberer, die Etrusker, die Tartesser oder die Punier allesamt unterworfen und zum größten Teil romanisiert wurden, ist die Tatsache, dass sich dieses kleine Volk in den Pyrenäen allen Versuchen der Unterwerfung entziehen und den Einfluss anderer Sprachen so gering halten konnte, ziemlich beeindruckend.
Nur allzu verständlich scheint dann der Ruf der Basken zur Unabhängigkeit. Selbst die vielen Jahrhunderte unter kastilischem Einfluss und der sowohl politischen als auch wirtschaftlichen Vormachtstellung des Spanischen Königreichs konnten ihrer Identität nichts anhaben. Zwar wurde der Drang nach Eigenständigkeit immer wieder größer, sobald ein Machthaber versuchte, ihre Rechte einzugrenzen, unabhängig wurden sie jedoch nicht. Zuletzt war es eben die ETA (Euskadi Ta Askatasuna = Baskenland und Freiheit), die anfangs versuchte, sich gegen den Diktator Franco und seiner repressiven Politik gegenüber sprachlichen und politischen Minderheiten aufzulehnen. Durch gezielte Anschläge auf Politiker und Polizisten des Regimes wollten sie die Unabhängigkeit des Baskenlandes erreichen. Aber wie das oft mit solchen Gruppen passiert, die am Anfang noch logische und vertretbare Absichten haben (siehe z.B. die FARC in Kolumbien, COLINA während der Militärdiktatur in Brasilien, die PKK in Kurdistan), mit der Zeit jedoch das Ziel aus den Augen verlieren und sich immer mehr in kriminellen Organisationen verwandeln, die zur Geldbeschaffung alles tun würden, so ist auch die ETA immer mehr korrumpiert. Was mit einen bewaffneten Widerstand gegen ein autoritäres, menschenfeindliches Regime begonnen hatte, nahm während der Demokratie immer skurrilere Formen an, und verlor auch in der baskischen Bevölkerung zunehmend an Unterstützung. Bombenattentate auf Supermärkte (z.B. 1987 in Barcelona, 21 Tote), oder Kasernen, wo die Polizisten mit ihren Familien wohnen (z.B. 1987 in Zaragoza, 11 Tote, 5 davon Kinder oder 1991 in Vich, 10 Tote, 5 davon Kinder), führten dazu, dass die Unterstützung zurück ging.
Ich war es gewöhnt, von den Attentaten zu hören. Es verging nie ein Monat, ohne dass jemand erschossen wurde oder durch eine Bombe getötet wurde. Meistens wurde niemand getötet, schließlich rief die ETA immer vorher an, um davor zu warnen. Das war ihr Ding. Doch manchmal töteten sie halt doch. Meistens waren es Politiker, egal welcher Couleur, die einfach auf der Straße erschossen wurden oder deren Autos explodierten. Selbst bei den Zuganschlägen in Madrid am 11. März 2004, gingen wir alle zunächst davon aus, dass es ETA gewesen war. Schließlich mordeten sie ja schon seit über 40 Jahren im Land. Schnell war aber klar, dass sie es nicht gewesen sein konnte. Zu groß war das Attentat, zu viele Menschen wurden getötet. Und es gab keine Warnung.
Im Sommer 2009 war ich mit meiner Mutter und meiner Schwester auf dem Weg von Barcelona nach Galicien. Meine Mutter wollte, dass wir Spanien gut kennen, deshalb fuhren wir jeden Sommer ein oder zwei Wochen in eine andere Gegend, um dann später die restlichen vier Wochen bei der Familia am Strand zu verbringen. Wir übernachteten in Burgos. Es war ca. 4 Uhr morgens, als wir alle von einem lauten Knall wach wurden. Aber wir dachten es wäre ein Böller gewesen, schließlich sind im Sommer ja überall die Patronatsfeiern. Am nächsten Morgen erfuhren wir dann, dass die ETA die Polizeikaserne in der Nebenstraße mit einer Autobombe zerstört hatte. Über 60 Verletzte, getötet wurde zum Glück niemand. Es war ein beklemmendes Gefühl, so nah dran gewesen zu sein.
So, jetzt zu den schönen Seiten des Baskenlands. Denn es hat viele. Das Baskenland steht für Urtümlichkeit und Moderne zugleich. Urtümlich, oder traditionell, was meiner Meinung nach besser passt, ist die Volkskultur. Dazu zählen Sportarten wie das Ballspiel euskal pilota (pelota vasca auf Spanisch), das auch in anderen Regionen Spaniens und auch in Lateinamerika im Fernsehen verfolgt wird, der Holzhackwettbewerb Aizkolaritza oder das Steineheben Harri-jasotzea, genauso wie die singenden Dichter, die bertsolariak, Tänze wie der Baskische Sprung (mutxiko) oder Schwerttanz (ezpata-dantza), Feste paganischen Ursprungs wie die Karnevale (inauteriak) oder die Grillgelage am Sonntag vor der Fastenzeit (je nach Region Txitxiburduntzi, Kanporamartxo oder Basokoipetsu genannt), und nicht zuletzt die Baskische Sprache (Euskera).
Das Moderne trifft man, wie eigentlich überall, eher in den Städten an. Donostia-San Sebastián und Bilbao sind hier wohl die Vorreiter, obwohl Vitoria-Gasteiz, die Hauptstadt des Baskenlandes, den anderen beiden in nichts nachsteht. Bilbao ist für mich keine wirklich schöne Stadt. Sie hat zwar eine sehr schöne Altstadt, aber einmal draußen sieht es alles sehr trist aus, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Industrie lange Zeit die Haupteinnahmequelle war. Aber wie gesagt, die Altstadt ist schön und hier vermischt sich auch das Traditionelle mit dem Modernen. Direkt neben der Altstadt erhebt sich das Guggenheim-Museum über den Fluss, ein Meisterwerk der dekonstruktivistischen Architektur. Mir erschließt sich die Schönheit ehrlich gesagt nicht, und extra deswegen nach Bilbao zu reisen, würde ich auch nicht. Aber anscheinend gibt es ganz viele Menschen, die dies tun. Denn nach der Fertigstellung gingen die Besucherzahlen der Stadt rasant nach oben, was nun international als Bilbao-Effekt bekannt ist.
San Sebastián spielt in einer anderen Liga. Es ist traditionell, konservativ, modern und unglaublich schön. Die privilegierte Lage an der Bucht La Concha, die, bis ins Meer reichenden, Berge, der weiße Sandstrand und die gut erhaltene Altstadt machen sie zu einer viel besuchten Stadt. Bekannt wegen ihrer pintxos und einer der höchsten Michelin-Sterne-Dichte weltweit, ist die Stadt zudem ein wahres Mekka für Food-Fetischisten. Cineasten kennen die Stadt dagegen wohl eher wegen des Festival Internacional de Cine de San Sebastián, Jazzliebhaber wegen eines der größten Jazzfestivals Europas. Heutige Fashionvictims – ich entschuldige mich jetzt schon dafür, dass ich dieses Wort benutzt habe – werden Paco Rabanne nicht mehr als Vorreiter der haut couture kennen (eher wegen des Parfums), doch auch er kommt von hier.
Seit ein paar Monaten ist San Sebastián, zusammen mit Breslau, Kulturhauptstadt Europas und hat sich mit dem Motto „Kultur zum Zusammenleben“ ein hohes Ziel gesetzt: Die Aufarbeitung der Vergangenheit. Auch wenn die ETA seit Jahren den Waffenstillstand einhält und niemand in der Altstadt mehr zu Schutzgeld erpresst wird, ist dieses Thema immer noch ein Tabu. Noch heute werden alle Politiker von Bodyguards begleitet, aus Angst vor einem Anschlag. Auch wenn die Altstadt mittlerweile sicher ist (bis vor einigen Jahren meideten Politiker diesen Teil der Stadt), gibt es immer noch Bars, wo man am besten nicht über das Thema redet. In Gipuzkoa, der Provinz deren Hauptstadt San Sebastián ist, und in der Stadt an sich, hatte die ETA schon immer mehr Rückhalt gehabt als anderswo. Und da die spanische Regierung alles unternahm, um zu verhindern, dass der politische Arm der ETA in der Politik Fuß fassen konnte, änderte sich auch nichts daran. Nachdem verschiedene Parteien oder Organisationen der „izquierda abertzale“ (der nationalistischen Linken), wie z.B. Batasuna, Amnistiaren Aldeko Batzordeak und Euskal Herritarrok, verboten wurden und jeder Versuch einer linksnationalistischen Partei an Wahlen teilzunehmen, zu verhindern versucht wurde, haben es nun doch ein paar Parteien geschafft. Es gab zwar auch Parteiverbotsverfahren gegen Bildu, Amaiur und Sortu, diese wurden jedoch abgelehnt und die Parteien zugelassen. Seitdem ist der Rückhalt in der Bevölkerung für ETA extrem zurückgegangen. Umfragen zufolge unterstützen sie nur noch 1% der Basken. Ich bin gespannt, wie die Politik dieses Thema angehen wird. Denn nur die ETA für alles zum Schuldigen zu machen, wird nichts ändern. Der Erfolg der Abertzale, sowohl im Baskenland als auch in Navarra (30% für Bildu in Gipuzkoa, ca. 20% für Bildu in den anderen Provinzen) zeigen deutlich, dass es noch Diskussionsbedarf gibt.
¹ In diesem Beitrag nenne ich die Region einfachheitshalber Baskenland, obwohl es nicht ganz richtig ist, da der Begriff an sich auch die anderen baskischen Regionen einschließt. Diese baskischen Länder heißen auf baskisch „Euskal Herria“ und werden von mir auch so genannt, wenn ich mich darauf beziehen sollte.