Gesten und Abstand

Spanier gestikulieren meiner Meinung nach nicht halb so viel wie Italiener. Selbst Brasilianer gestikulieren um einiges mehr. Auch was die Lautstärke angeht, würde ich sagen, dass Italiener und Brasilianer um einiges lauter sind. Ein Deutscher, der in einer Kleinstadt lebt, wird mir da wohl eher nicht zustimmen. Aber es ist halt alles relativ. In Deutschland fällt es eher auf, wenn man z. B. im Restaurant ist und an einem Tisch eine Gruppe Spanier sitzt, dann hört man hauptsächlich sie im Raum. In Spanien würde diese Gruppe einfach nicht auffallen. Triebe man es an die Spitze, könnte man meinen, Spanier könnten sich fast ohne Worte unterhalten, wie in diesem Video hier ziemlich lustig dargestellt wird.

Die Gesten haben verschiedene Bedeutungen, was in Deutschland eine Beleidigung ist, kann in Spanien etwas ganz anderes bedeuten, und andersherum. Möchte man etwas essen, führt man eine Hand – Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengehalten – zum Mund. In Deutschland führt man sich eher eine imaginäre Gabel zum Mund und dreht das Handgelenk dabei. Möchte man noch etwas zu trinken bestellen, oder ein Freund fragt in einer überfüllten Bar, ob er dir noch etwas mitbringen soll, dann macht man eine Faust, der Daumen und der Zeigefinger werden abgespreizt (wie bei den hawaiischen Surfern „Shaka“), und in Richtung Mund geführt. Wenn man einen Expresso (café solo) möchte, macht man eine ähnliche Handbewegung, nur dass sich dabei der Daumen und der Zeigefinger berühren und die restlichen Finger leicht abstehen. Es gibt Handzeichen für „vorher“ und „nachher“, zum Heranwinken (zeigt die Handfläche nach unten, ist alles gut, zeigt sie nach oben und der Kopf nickt dabei, gibt es meistens Ärger) oder um die Rechnung zu bestellen (dabei wird entweder in der Luft oder auf der Handfläche so getan, als würde man schreiben). Wenn jemand sehr dünn ist, macht man eine Faust und spreizt nur den delgadokleinen Finger ab; ist jemand unverschämt, streicht man sich mit dem Handrücken über die Wange; möchte man sagen, dass es irgendwo sehr voll war, oder es ganz viel von etwas gab, dann streckt man die Hand etwas nach vorne, Handfläche nach oben, und kopft dabei die Finger auf den Daumen. Es kann auch zu Missverständnissen kommen, denn in manchen Gegenden Spaniens ist das „Ok“-Zeichen (Daumen und Zeigefinger bilden einen Ring) eine Beleidigung. Wie ich gerade herausgefunden habe, ist es das in Deutschland auch und kann mit einer Geldstrafe von bis zu 750€ geahndet werden. Selbst, wenn man jemandem den „Vogel“ zeigt, muss man mit einer saftigen Geldstrafe rechnen. Vielleicht ist es in Spanien auch strafbar, den Mittelfinger zu
zeigen (peineta) oder den „corte de mangas“ oder in Katalonien „botifarra“ zu machen cornudo(linken Arm ausstrecken und mit der rechten Hand in die Armbeuge schlagen), ich bezweifel aber, dass es ähnlich verfolgt wird, wie in Deutschland. Eines sollte man aber in Spanien und auch in anderen südlichen Ländern nie, wirklich NIE, machen. Der in Deutschland und in den meisten anderen Ländern Europas und in den USA als „Metal Sign“ bekannte Gruß von Rockern (Faust, Zeigefinger und kleiner Finger zu Hörnern abgespreizt), ist in südeuropäischen Ländern, besonders in Spanien und Italien, eine der schlimmsten Beleidigungen überhaupt. Es bedeutet „Gehörnter“ und deutet an, dass die Person vom Partner betrogen wird/wurde. Und bei sowas verstehen viele keinen Spaß.

In Spanien drückt man nicht die Daumen, um jemandem Glück zu wünschen, man kreuzt die Finger (den Mittel- und Zeigefinger, um genau zu sein). Wenn man seinen Zeigefinger unter ein Auge legt und es etwas runterzieht, möchte man den Gesprächspartner vor jemandem gerissenen warnen oder es heißt einfach „Vorsicht“. Ist man stattdessen z.B. auf einer Party und will seinen Freunden ein Zeichen geben, dass es Zeit ist zu gehen, klopft man mit der rechten Hand senkrecht von unten auf die geöffnete Handinnenseite der linken Hand. Möchte man darauf aufmerksam machen, dass zwei Menschen zusammen sind oder etwas miteinander haben, reibt man die Innenseite der beiden Zeigefinger aneinander. Hier ist ein kleines Video, das ein paar der beschriebenen Gesten verdeutlicht und noch ein paar zusätzliche nennt, die man einfach nicht wirklich gut beschreiben kann. Ich zumindest nicht.

Um die Aufmerksamkeit des Kellners zu bekommen, ist es in Spanien nicht unüblich, ihm hinterher zu „pssss“ten. Was in Deutschland als unglaublich respektlos empfunden wird und höchstens benutzt wird, um die Katze vom Tisch zu verscheuchen, ist in Spanien ganz normal. Jetzt fängt es an, sich zu ändern, denn die Globalisierung macht eben vor nichts halt. Aber die meisten tun es immer noch. Es gibt auch ein Schnalzen mit der Zungenspitze, ein Knacklaut, ich weiß nicht, wie man das besser beschreiben kann, der in Deutschland sehr verpönt ist, da ihn Leute machen, wenn sie genervt sind. Jemand kommt und erzählt dir zum hundertsten Mal, dass er am Flughafen Thomas Gottschalk gesehen hat oder was weiß ich, und dann macht man so einen Knacklaut mit der Zunge. In Spanien gibt es das auch, jedoch zweimal hintereinander und bedeutet „nein“. Ohne irgendwelche Hintergedanken, einfach nein. Wie oft habe ich mir schon anhören müssen, dass das unhöflich sei, denn man zeige damit, dass es einen nicht interessiert, was der andere zu sagen hat. Dem ist aber nicht so. Es heißt einfach nein :)

Was den Abstand anbetrifft, den man bei zwischenmenschlichen Interaktionen einhält, so muss man sagen, dass der bei Spaniern generell viel kleiner ist als bei Deutschen. Das ist von Kultur zu Kultur unterschiedlich, in den orientalischen Kulturen ist der Abstand traditionell sehr groß, in den nord- und mitteleuropäischen Ländern etwas kleiner und in südlichen Ländern sehr klein. Es kommt oft vor, dass Spanier sich während eines Gespräches berühren, auf die Schulter klopfen, den Arm anfassen etc. Das stößt viele Deutsche vor den Kopf, denn sie kennen es nicht. Von den Eltern meiner „biodeutschen“ Freunde wurde meine Mutter immer als exotisch wahrgenommen, denn sie war ja sooo anders. Für mich war das unverständlich, kannte ich es doch nur so. Es ist natürlich auf keine Fall so, dass sich in Spanien fremde Personen einfach anfassen. Das ist ein klares Eindringen in die sogenannte intime Distanzzone, in die nur Freunde, Familie und Partner dürfen, ohne bei uns Unbehagen, Ärger oder Angst hervorzurufen. Kennt man die Person burbujajedoch, ist es kein Problem. Diese Distanzzone kann man sich als eine Blase vorstellen, die uns umhüllt. Wir, in der Blase, fühlen uns sicher, solange kein Fremder in die Blase eindringt. Es gibt Situationen, wo es toleriert wird, z.B. beim Arzt oder im Fahrsstuhl, aber selbst wenn man in der vollen Innenstadt ist, versucht man automatisch einen gewissen Abstand zu den anderen Leuten zu haben.

Alles ändert sich. So laufen mittlerweile selbst Begrüßungen zwischen jungen Leuten in Deutschland anders ab als früher. Jetzt sind auch Umarmungen drin, wenn man sich kennt. In Spanien geben sich Männer, die sich nicht kennen, die Hand. Frauen werden eigentlich immer mit zwei Küsschen auf die Wange begrüßt, außer vielleicht bei formellen Treffen. Hat man sich schon mal gesehen, gibt man sich fast immer zwei Küsschen, Männer umarmen sich, Küsschen sind möglich, aber nicht nötig. Mir ist es schon so oft passiert, dass ich ein Mädchen mit zwei Küsschen begrüßen wollte und dieses dann total verwirrt vor mir stand :D Aber naja, was soll man da machen, so is dat halt. Manchmal klappt es halt doch nicht so mit der interkulturellen Kompetenz.

Bei mir halten sich Gesten etc. ziemlich in Grenzen, woran das liegt? Keine Ahnung. Aber sobald ich längere Zeit woanders bin (z.B. in Kolumbien oder Brasilien), fange ich relativ schnell damit an, zu gestikulieren. Dann zeige ich auf etwas, indem ich mit einem Kussmund darauf zeige, schnipse mit den Fingern und mache irgendwelche Handbewegungen, die man halt im jeweiligen Land auch macht. Wenn ich dann wieder in Deutschland bin, hält es noch ein paar Tage, vielleicht Wochen an, und dann ist es auch wieder verschwunden. Für die gediegenen Hamburger schickt sich das halt nicht, dieses ganze Rumgefuchtle mit den Händen. Ein einfaches „Moin“ muss da halt reichen, für sonstige Interaktionen ist man eher nicht zu haben. Aber ich liebe es auch. Beides hat, wie alles, seine Vor- und Nachteile.

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