Kataloniens Weg zur Unabhängigkeit?

Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist heutzutage wohl eines der polemischsten Themen in Spanien. Kein anderes Thema bringt die Emotionen der spanischen Öffentlichkeit so zum Kochen wie Katalonien. Weder die Stierkampf-Debatte noch die dutzenden Korruptionsskandale der PP. Nur jemand, der öffentlich auch nur ansatzweise versucht, die Existenz der ETA zu begründen, könnte ähnliche Diskussionen auslösen. Naja, damit hätte dieser jemand sich allerdings eh sein eigenes Grab geschaufelt, denn neben als Terrorist, Etarra (ETA-Mitglied) und Abschaum abgestempelt zu werden, würde man ihn wohl nie wieder vor ein Mikrophon lassen. Aber dazu komme ich vielleicht in einem anderen Beitrag.

Das „Problem“ mit Katalonien spaltet das Land, heutzutage allerdings stärker als vor 15 Jahren. Auch in Deutschland kennen viele mittlerweile die Problematik. Sobald jemand hört, dass man aus Katalonien ist, hat man immer öfter das Gefühl, sich erklären zu müssen. Entweder, weil sofort davon ausgegangen wird, dass man selbst auch die Unabhängigkeit will, oder weil man sich genötigt fühlt, sich für diese „Verrückten“ zu entschuldigen (besonders im Kontakt mit anderen Spaniern). Irgendwie scheint man hier zu glauben, dass alle Katalanen die Unabhängigkeit wollen, und dem ist nicht so. Es ist geht auch nicht nur um Geld, was den Katalanen ja oft vorgeworfen wird. Katalonien ist nicht die Lombardei. Verübeln kann man das den Leuten aber nicht, schließlich lässt die deutschsprachige Berichterstattung  zu dem Thema stark zu wünschen übrig. Als z.B. im Jahr 2009 in Arenys de Munt (8.600 Einwohner) die erste Abstimmung stattfand, berichtete selbst der Spiegel davon, dass „die Mehrheit der Katalanen für die Abspaltung“ gestimmt hatte. Nirgendwo berichtete man von der Tatsache, dass die Wahlbeteiligung nur bei 41% lag. Ja, von diesen hatten dann 96% für die Abspaltung gestimmt, dies allerdings als „Mehrheit der Katalanen“ darzustellen, ist nicht seriös (2.500 von 6.500 Stimmberechtigten). Auch die hunderten lokalen Abstimmungen, die darauf folgten, hatten nur eine Wahlbeteiligung von durchschnittlich 20 %. Erwähnt wurden aber nur die Ergebnisse. Ich habe außerdem das Gefühl, dass die deutschen Medien, aber auch die spanischen (nicht-katalanischen), Katalonien und die Katalanen einfach überhaupt nicht verstanden haben. Das meine ich jetzt zwar nicht als Vorwurf, aber vielleicht doch als Anstoß, um bei der Wahl der jeweiligen Ansprechpartner nicht nur die Extreme zu bedienen. Denn Katalonien tendiert nicht zu Extremen: Wenn es etwas gibt, das die Katalanen seit jeher ausgezeichnet hat, dann ist der Seny (gesunder Menschenverstand/ Vernunft/ Pragmatismus), ihr Unternehmergeist und Arbeitswille, ihr Verhandlungsgeschick und ihr Wille, immer einen Kompromiss zu finden. Diese Kultur des Kompromisse-Findens (Pactisme) schließt allerdings nicht aus, dass es in der Vergangenheit auch schon mal knallen konnte (Rauxa; plötzlicher Ausbruch/ Ausrasten), wenn den Katalanen die Geduld ausging und man sich unterdrückt und bevormundet fühlte (vor allem die Bauernaufstände im Mittelalter, Aufstände gegen zu übermütige Könige, später vor allem im Arbeiterkampf, der in Katalonien extrem tief verwurzelt ist).

Um das Phänomen der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien – und besonders den enormen Boom seit 2010 – zu verstehen, müssen einige Faktoren beachtet werden. Denn nicht jeder, der die Unabhängigkeit will, ist „Nationalist“; nicht jeder „Nationalist“ will die Unabhängigkeit; nicht jeder, der das Referendum will, will auch die Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeitsbewegung ist sehr heterogen, und jeder, der versucht, sie auf nationalistische Beweggründe, fehlende Solidarität mit ärmeren Regionen oder Spanien-Hass zu reduzieren, begeht einen schweren Fehler. Wären das die Gründe, gäbe es heute kaum Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung. Um den Ursprung des politischen Katalanismus (katalanischer Nationalismus = Kampf um den Erhalt der katalanischen Nation) nachvollziehen zu können, muss man – so langweilig das manchen erscheinen mag – einen Blick in die Geschichte werfen.

Wer nicht den ganzen Beitrag lesen möchte, weil er wirklich ziemlich lang ist, kann hier einfach zu den verschiedenen Themen springen. Empfehlen würde ich trotzdem, den ganzen Beitrag von oben bis unten durchzulesen, um sich vor allem der geschichtlichen Kontinuität des Konfliktes bewusst zu werden.

Historische Hintergründe

Wie ich im Beitrag über Katalonien (hier) schon ziemlich ausführlich beschrieben habe, hat Katalonien eine sehr lange, sehr interessante und zum Teil sehr chaotische Geschichte. Alles begann mit den katalanischen Grafschaften in den Pyrenäen (8./9. Jhd.; innerhalb des Karolingischen Reichs) und der wachsenden Macht der Grafen von Barcelona. Wilfried der Haarige (Guifré el Pilós; ca. 840 in Arrià/Rià im Conflent geboren) setzte einen Meilenstein, indem er im Jahr 878 die fünf wichtigsten Grafschaften (Barcelona, Girona, Osona, Urgell und Cerdanya) vereinte und das Haus Barcelona (Casal de Barcelona) gründete. Er gilt oft – wenn auch etwas romantisiert – als Gründer von Katalonien (Pare de la Pàtria), obwohl die anderen Grafschaften – die allesamt Vasallen oder Alliierte Barcelonas waren –  erst später Teil des Herrschaftsgebiets des Grafen von Barcelona wurden (1172 und 1192 die Grafschaften Rosselló und Pallars Jussà;, 1325 die Grafschaft Empúries; 1413 die Grafschaft Urgell und 1491 schließlich die Grafschaft Pallars Sobirà). Mit Guifré el Pilós bekamen die katalanischen Grafen auch das Recht, Titel und Ländereien zu vererben, sodass sie nicht mehr von den Franken abhängig waren. Ende des 10. Jhd. – mit dem Ende der Herrschaft der Karolinger – kündigte man außerdem die Lehnspflicht und sonstige Verbindungen zum Fränkischen Reich auf (allen voran Borrell II., Graf von Barcelona-Girona-Osona und Urgell; Enkel von Guifré el Pilós). Grund hierfür war, dass die Franken den katalanischen Grafen nicht zur Hilfe gekommen waren, als diese von den Mauren angegriffen wurden. Damit waren die Grafschaften de facto unabhängig (ab 987), auch wenn die Unabhängigkeit von Frankreich (Nachfolgestaat des Westfränkischen Königreichs) erst im 13. Jhd. de iure anerkannt wurde.

Als sich die Grafschaft Barcelona und das Königreich Aragonien im Jahr 1162 endgültig zur Krone von Aragonien vereinten, stellte man – durch das Haus Barcelona – die Könige der Krone: Der König von Aragonien Ramiro II. hatte 1137 im Ehevertrag zwischen seiner erst einjährigen Tochter Peronella und dem Grafen von Barcelona, Ramon Berenguer IV., dem Grafen von Barcelona die Regentschaft des Königreichs von Aragonien vermacht, und das Eigentum/den Titel des Königreichs seiner Tochter und zukünftigen Ehefrau von Ramon Berenguer IV., Peronella d‘Aragón (sie heirateten 1150). Zum ersten König der Krone Aragoniens wurde 1162 somit der Sohn von Ramon Berenguer IV. (Graf von Barcelona und Fürst von Aragonien) und Peronella d’Aragón (Königin von Aragonien), Alfons el Cast bzw. el Trobador (Graf von Barcelona und König von Aragonien = König der Krone von Aragonien). Damit entstammten bis zum 15. Jhd. alle Könige dem Haus Barcelona, auch, wenn sich das Königshaus — also die Hauptlinie der Dynastie — ab diesem Zeitpunkt Casal d’Aragó nannte (Martí l’Humà war der letzte, er starb 1410 kinderlos). Außerdem eroberten u.a. katalanische Söldner (die berühmt-berüchtigten Almogàvers) für eben diese Krone das westliche und östliche Mittelmeer (Valencia, Mallorca, Sardinien, Sizilien, Süditalien, Malta, Djerba, Teile Griechenlands).

Auch wenn anfangs nicht alle katalanischen Grafschaften vom Grafen von Barcelona regiert wurden, wurden bereits im Jahr 1188 die Grenzen Kataloniens — zunächst als geografisches und kulturelles Gebilde innerhalb der Krone von Aragonien, in dem es jedoch verschiedene politische Einheiten (Vasallen, Grundherren) gab — offiziell festgelegt: von Salses (im Norden) bis Tortosa (im Süden) und Lleida bzw. später dem Cinca (im Westen). Begründet und zusammengehalten wurde das Gebiet durch drei Werke, die jeweils einen gemeinsamen legislativen, kulturellen und juristischen Rahmen festlegten: den „Drei Grundpfeilern der politischen Identität Kataloniens“ (Tres monuments de la identitat política catalana: Usatges de Barcelona (Gesetzessammlung), Gesta Comitum Barchinonensium (die Heldentaten der Grafen von Barcelona) und Liber feudorum maior (Kopialbuch, das u.a. die feudale Gliederung, Besitzverhältnisse, Allianzen, etc. enthält); zwischen 1170 und 1195 entstanden).

Ab 1350 wird offiziell vom Fürstentum Katalonien (Principat de Catalunya) gesprochen, einem mittelalterlichen/neuzeitlichen Staat mit festgelegten Grenzen, mit einem einheitlichen juristischen und legislativen Rahmen (Usatges de Barcelona, Constitucions Catalanes, Corts Catalanes), mit eigener Sprache, eigener Kultur, eigener Währung, und eigenen Institutionen. Der Souverän des Fürstentums war der Graf von Barcelona, also meistens der König der Krone von Aragonien.

Katalonien im 13. Jhd. In rot die Besitztümer des Grafen von Barcelona. Vasallen Barcelonas: Grafschaften von Urgell, Pallars Sobirà und Empúries

Im Jahr 1283 wurden die Corts Catalanes, die katalanische Ständeversammlung/ das Parlament, gegründet und seit 1359 hat Katalonien seine eigene, permanente Regierungsinstitution/Ratsversammlung, die Diputació del General de Catalunya (später auch inoffiziell Generalitat de Catalunya genannt). Ihr erster Präsident war der Bischof von Girona, Berenguer de Cruïlles. Sie wurde gegründet, weil die Corts Catalanes – die eigentlich einmal pro Jahr vom König einberufen werden mussten – zu selten tagten und eine permanente Institution zur Steuerverwaltung/ -eintreibung benötigt wurde (diese Steuern hießen generalitats, ein Wort, das später in Frankreich übernommen wurde: généralités = Steuerbezirke).

Ab 1413 erlangte die Diputació del General auch immer mehr politische/exekutive Kompetenzen und diente zudem dazu, die Einhaltung der katalanischen Verfassungen zu überwachen. Die Generalitat bestand aus 6 Mitgliedern, von denen jeweils zwei — 1 Abgeordneter (Diputat) und 1 Auditor (Oïdor de comptes) — dem Klerus (Erster Stand; Braç Eclesiàstic), dem militärischen/adligen Stand (Zweiter Stand; Braç Militar/Noble) und dem Dritten Stand (Braç reial/popular; Kaufleute/Bürger aus den dem König unterstellten Städte, z.B. Barcelona, Perpinyà, Lleida, Girona, Vic, Puigcerdà, etc.) angehörten. Gewählt wurden die Mitglieder durch ein Losverfahren: die drei Stände, die in den Corts vertreten waren, bestimmten – nach festgelegten Richtlinien – unterschiedlich viele Mitglieder ihres Standes, deren Namen dann in einen Lederbeutel gesteckt wurden (Braç Eclesiàstic: 66 Mitglieder; Braç Militar: 250; Braç reial o popular: 206). Die Beutel wurden in Kisten gesteckt, mit vier Schlössern verschlossen und geschüttelt. Am Ende zog dann ein höchstens sieben Jahre altes Kind („per un minyó menor de set anys“) die Namen aus den Beuteln. Dieses System nennt man Insaculació/ Desinsaculació und der König hatte keinerlei Einfluss darauf. Eine Amtszeit dauerte drei Jahre und man durfte nur nach sechs Jahren erneut an der Insaculació teilnehmen, um so dem Nepotismus des Adels entgegenzuwirken. Präsident bzw. Vorsitzender dieser Ratsversammlung war immer der Abgeordnete des kirchlichen Standes. Die Stadtregierung von Barcelona, der Consell de Cent (Rat der Hundert; 1249 gegründet), und viele andere Stadtregierungen funktionierten ähnlich, aber darauf gehe ich später genauer ein.

Die Corts Catalanes – auch Cort General de Catalunya genannt – waren die Legislative (“Pakt zwischen dem Land und dem König” – «pactum entre la terra i el rei») im mittelalterlichen und neuzeitlichen Katalonien (innerhalb der Krone Aragoniens), und haben ihren Ursprung in der Cort Comtal (Ständeversammlung der Grafschaft Barcelona) und den Versammlungen der Pau i Treva de Déu (Gottesfrieden und Waffenstillstand Gottes). Die Cort Comtal wurde um das Jahr 1000 gegründet; in ihr versammelten sich sowohl der kirchliche und weltliche Adel als auch Stadträte und Richter. Hier entstanden 1068 die ersten Usatges de Barcelona (Bräuche, Gesetzessammlungen), die später Teil der katalanischen Verfassung (Constitucions Catalanes) wurden, und die die Macht der Grafen, aber auch der Lehnsherren einschränkten. Die Cort Comtal ist der Ursprung der Corts Catalanes, der Corts Valencianes und des Parlaments des Königreichs Sardinien. Die Pau i Treva  dagegen war eine soziale Bewegung des 11. Jhds., die aber relativ schnell von der Kirche angeführt wurde. Die Bauern der katalanischen Grafschaften (aber auch im Rest des feudalen Europas) litten unter den Feudalherren, die ihnen Land wegnahmen, sie zu übertriebenen Abgaben und zur Leibeigenschaft zwangen. Es kam zu sehr viel Gewalt. Auch die Kirche litt unter den Angriffen des Landadels und den Enteignungen. Die Bauern begannen Revolten, die sich aber gegen alle etablierten Mächte richteten und so auch der Kirche gefährlich werden konnten. Doch die Kirche schaffte es, sich die Gunst der Bauern zu sichern, indem sie die Rechte der Bauern anerkannte und für ihre Sicherheit sorgte (z.B. durch sogenannte Sagreres, ein Sicherheitsbereich um Kirchen und Klöster, wo die Bauern nicht angegriffen werden durften). Um auch außerhalb der Sagreres die Sicherheit zu gewährleisten, wurden Versammlungen einberufen, die Assemblees de Pau i Treva de Déu. Die erste Versammlung fand 1027 im nordkatalanischen Toluges (Grafschaft Rosselló; heutiges Frankreich) statt. Später gab es auch Versammlungen in Vic (1033), Nizza (1041), Narbonne (1032, 1043, 1054), Barcelona (1064), Girona (1068), etc. Zu diesen Versammlungen kamen auch die Grafen der jeweiligen Grafschaft, was ihren Entscheidungen einen binden Charakter gab (z.B. Verbot von Gewalt von Donnerstag bis Montag, Verbot von Angriffen auf die Kirche, etc.). Die Entscheidungen der Versammlungen wurden auch in den Usatges de Barcelona niedergeschrieben. Zwar galten die Verträge der Pau i Treva ab 1198 nur noch in den Ländereien des Grafen bzw. des Königs und nicht mehr in den Ländereien der Feudalherren (da die Grafen/Könige abhängiger vom Geld des Adels wurden und Zugeständnisse machen mussten), aber das änderte sich im Laufe der Zeit (als dann die verschiedenen Gerichtsbarkeiten vereint wurden). Und so legte diese Friedensbewegung einen weiteren Grundstein für die Kultur des Pactisme (Paktieren) der katalanischen Gesellschaft mit ihrer Obrigkeit.

Die Corts Catalanes sind für die meisten Historiker seit jeher das Vorzeigemodell eines mittelalterlichen Parlaments, an das weder die englischen noch die französischen Parlamente jener Zeit heranreichten. Der König war verpflichtet, die Corts einmal pro Jahr einzuberufen (später alle drei Jahre) und ihm war es verboten, Gesetze oder Dekrete zu erlassen, ohne dass diese vorher vom Parlament abgesegnet worden waren. Außerdem konnten die Corts auch selbst legislativ handeln, Gesetze beschließen (entweder mit oder ohne Zustimmung des Königs, je nach Rang des Gesetzes) und nur die Corts waren dazu befugt, Gesetze wieder zu annullieren.

Innerhalb der Krone von Aragonien (1162 – 1715; einem Zusammenschluss verschiedener teilsouveräner Staaten/Königreiche unter einem König), war das Fürstentum Katalonien — wie die politische und juristische Vereinigung aller katalanischen Grafschaften (Alt-Katalonien) und Markgrafschaften (Neu-Katalonien, im 12. Jhd. erobert; Marquesat de Lleida und Marquesat de Tortosa) seit 1350 auch offiziell genannt wurde — der wichtigste Teilstaat. Hier hatte die Königliche Kanzlei (Cancelleria Reial) ihren ständigen Sitz, hier — am Hafen von Barcelona — fand der Handel statt und hier wohnten auch die meisten Könige der Krone, da sie ja zum allergrößten Teil dem Hause Barcelona (Casal de Barcelona) entstammten, der wichtigsten und einflussreichsten Dynastie des westlichen Mittelmeers. Selbst als ab Ende des 15. Jhd. die Kronen von Aragonien und Kastilien in Personalunion regiert wurden, behielt Katalonien seine Eigenständigkeit bei (genauso wie alle anderen Länder der aragonesischen Krone). Das einzige, was sich geändert hatte war, dass von nun an die Könige der Krone (nun Spanische/Hispanische Monarchie) nie mehr aus dem Hause Barcelona stammen würden und, dass sich die Konflikte mit den neuen Monarchen verstärken würden (erst mit der kastilischen Trastámara-Dynastie, für die diese Art der Politik neu war; dann mit dem spanischen Zweig der österreichischen Habsburger, die immer autoritärer regieren wollten; und schließlich der große Knall mit den französischen Bourbonen). Aber die Grenzen blieben erhalten, die eigenen Gesetze, die eigene Regierung und Verwaltungsgliederung, das eigene Parlament, die eigene Währung, selbst die Steuerhoheit blieb bei Katalonien. Wollte der spanische König auch der König von Aragonien, Mallorca, Valencia oder Katalonien sein (in Katalonien war er eigentlich nicht König, sondern Graf von Barcelona), musste er zuerst in jedem Parlament vorstellig werden und den dortigen Verfassungen die Treue schwören (Amtseid). Tat er das nicht, konnte er nicht der König sein (i si no, no! – ‘Und wenn nicht, dann nicht’). So stand es geschrieben (z.B. als Teil des Schwurs vor dem katalanischen Parlament 1702): «Nós, que valem tant com vós per separat, i junts més que vós, us fem el nostre rei i us jurem lleialtat a condició que mantindreu els nostres drets i les nostres llibertats, i si no, no» (Wir, die wir einzeln genauso viel wert sind wie Ihr, und zusammen mehr als Ihr, machen Euch zu unserem König und schwören Euch die Treue, wenn Ihr unsere Rechte und Freiheiten beibehaltet, und wenn nicht, dann nicht; ähnliche Schwüre sind auch aus dem Königreich Aragonien überliefert). In späteren Auseinandersetzungen soll auch der Satz gefallen sein „Antes hubo leyes que reyes“ (Zuerst gab es Gesetze, dann Könige). Das gefiel in Kastilien nicht. Die kastilische Krone hatte es in den vorherigen Jahrhunderten geschafft, ihre eigenen Teilreiche (Galicien, Asturien, León) vollkommen zu „absorbieren“. Sie hatte überall das kastilische Recht eingeführt, die örtlichen Eliten durch Kastilier ersetzt und versucht, alles so stark zu zentralisieren, wie möglich. In der Krone Kastiliens gab es keine einzige Institution mehr, die die Macht des Königs einschränken konnte, weshalb es sich „einfach“ regieren ließ. Doch an den Ländern der Krone von Aragonien biss man sich die Zähne aus.


Bevor ich weiter schreibe, ist es glaub ich wichtig, sich kurz damit zu beschäftigen, wie die Verwaltung im Katalonien der Neuzeit aussah. Es gab zwei Verwaltungen/ eine geteilte Souveränität: auf der einen Seite die königliche und auf der anderen die „des Landes“. Zur königlichen Verwaltung gehörte natürlich der Monarch, der sich aber in Katalonien durch einen Vizekönig (Virrei/Lloctinent) vertreten ließ, da er fast nie im Land war. Unterhalb des Vizekönigs, der u.a. Präsident der Reial Audiència de Catalunya war (Oberlandesgericht), befand sich der Gouverneur (Governador), der einer der ranghöchsten Richter war, die ganze Zeit von einem Gericht zum anderen reiste, und von der Generalitat bezahlt wurde. Unterhalb des Gouverneurs befanden sich die Veguers (≈ Vogte), die in einem Landkreis/Vogtei (Vegueria) Recht sprachen und das Gebiet verwalteten. Unter den Veguers standen dann die Batlles, die ähnliche Aufgaben hatten wie die Veguers, aber innerhalb einer Gemeinde/Kommune. Sowohl die Veguers als auch die Batlles hatten eigene Räte mit Vertretern der örtlichen Stände, die sie berieten. Allesamt musste vor Amtsantritt einen Eid ablegen und den katalanischen Verfassungen die Treue schwören. Außerdem mussten sie alle Katalanen sein (nur der Vizekönig durfte Ausländer sein) und in Katalonien leben. Auf der anderen Seite stand die „Macht/Gewalt der Heimat/ des Landes“ (Poder de la terra): die drei Stände versammelten sich in den Corts, bewilligten oder verweigerten Spenden für den König, handelten neue Gesetze mit dem König aus und wählten die Generalitat, die dann ihrerseits zum einen für die Steuereintreibung und zum anderen für die Überwachung der Einhaltung der Verfassung zuständig war. Die Generalitat hatte größere Kompetenzen als die königliche Verwaltung, da sie auch in den Ländereien zuständig war, die nicht direkt dem König gehörten (vor allem Ländereien des Landadels und des Klerus). Bei Beschwerden konnte man sich entweder an den Vizekönig oder den Aragonien-Rat (Consell d’Aragó) in Madrid wenden, der die Beschwerden dann an den König weiterleitete und diesen beriet. Der Consell d’Aragó agierte weitestgehend selbständig: er war für die Krone von Aragonien zuständig und war gleichzeitig auch das höchste Gericht der aragonesischen Krone. In ihm versammelten sich der Präsident (Vicecanceller) und 6 Regenten (Regents): 2 aus Aragonien, 2 aus Valencia und 2 aus Katalonien (die Balearen und Sardinien wurden durch die katalanischen Regenten vertreten). Da sich die Beschwerden aber eigentlich immer gegen königliche Institutionen richteten, wurden die Probleme oft in den Corts besprochen, wo der König anwesend sein musste und niemand dazwischen funken konnte. Auf kommunaler Ebene gab es zudem dutzende Städte, die das königliche Privileg hatten, eigene Stadträte und Bürgermeister zu wählen, sodass die tatsächliche Bedeutung der Veguers und Batlles von Region zu Region sehr unterschiedlich war: von fundamental bis eigentlich überflüssig. Zur genaueren Funktionsweise dieses ziemlich komplizierten Systems, komme ich später, denn anhand der entstandenen Konflikte kann man es besser erklären.

Verfassungssystem Kataloniens.


Im 17. Jhd. kam es dann sogar zum Krieg zwischen Kastilien (Monarchie) und Katalonien: der „Aufstand der Schnitter“ (kat.: Guerra/Revolta dels Segadors). Der Konflikt wird sowohl in der katalanischen als auch in der kastilischen Geschichtsschreibung unterschiedlich bezeichnet. In Katalonien spricht man mal vom „Krieg (Guerra) oder Aufstand (Revolta) der Schnitter“, mal vom „Separationskrieg“ (Guerra de Separació). In Kastilien wird generell vom „Aufstand Kataloniens“ (Sublevación de Cataluña) gesprochen, aber auch vom „Aufstand der Katalanen“ (Revuelta de los catalanes) oder vom „Katalonien-Krieg“ (Guerra de Cataluña). Daran wird deutlich, wie vielschichtig der Konflikt war, der zwar mit einem Volksaufstand begann, aber als politische Rebellion und im Krieg endete.

Vorgeschichte und Auslöser

Schon Ende des 16. Jhd. verstärkten sich die ohnehin schon großen Spannungen zwischen der Generalitat und der spanischen Monarchie, als der König Felipe II. von Kastilien (innerhalb der Krone von Aragonien als Felip I. von Aragonien bekannt) die Corts Generals 1585 in Montsó/Binèfar verließ, ohne die neuen Verfassungen zu unterschreiben. Als er dann die unterschriebene Verfassung nach Barcelona schickte, hatte er mehrere Paragraphen umgeändert, ohne das mit den katalanischen Abgeordneten abzusprechen. Das sorgte natürlich für großen Unmut bei den Katalanen, die sich aber bis zu den nächsten Corts im Jahr 1599 in Barcelona gedulden mussten, um ihre Beschwerden — die sogenannten Greuges — vor dem neuen König Felipe III. (Felip II.) geltend machen zu können. Wie man sieht, ließ die Monarchie ihre Pflichten, wie z.B. die Corts regelmäßig einzuberufen, schleifen; das lag vor allem daran, dass die habsburgische Dynastie, die seit 1516 die spanische Monarchie regierte, immer autoritärer regieren wollte und ihr daher die Corts im Weg waren. Die Folge davon war, dass die Generalitat und der Consell de Cent immer wichtiger wurden, da sie ja nicht vom König abhängig waren.

Ab den Corts von 1626 wurde es dann schlimmer: Durch die kastilischen Zentralisierungsbestrebungen, die von Conde-Duque Olivares — dem Premierminister des Königs Felipe IV. (Felip III.) — vorangetrieben wurden, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen der Generalitat und der Monarchie zunehmend. Das Hauptprojekt von Olivares war die Unión de Armas (eine 140.000 Mann starke königliche Armee, an der sich jedes Land der Monarchie beteiligen sollte), mit der man Katalonien zwingen wollte, jährlich 16.000 Soldaten und 250.000 Dukaten (Goldmünzen) für die Armee bereitzustellen. Die katalanischen Verfassungen erlaubten aber nicht, dass Katalanen im Ausland kämpften und auch nicht, dass sie an einem Angriffskrieg teilnahmen. Und genau das war ja der Plan: die spanische Monarchie kämpfte in den Niederlanden, Italien und Burgund – indirekt – gegen Frankreich (Dreißigjähriger Krieg; 1618 begonnen), und hatte vor, Katalonien zu einem weiteren Kriegsschauplatz zu machen. Durch einen Angriff auf die Südgrenze Frankreichs wollte man die Franzosen ablenken und so die Schlachten in Mitteleuropa gewinnen. Die Gesetze sahen aber eben nicht vor, dass sich Katalanen an ausländischen Kriegen beteiligten. Auch nicht in Kastilien oder dem Baskenland (als z.B. Hondarribia/Gipuzkoa 1638 von den Franzosen belagert wurde, schickte Katalonien keine Truppen). Denn für die Katalanen waren Kastilien, etc. eben das: Ausland. Man hatte zwar denselben König, aber das war’s auch schon (der König der Krone von Aragonien und der König der Krone von Kastilien war nur dieselbe Person). Und Ausländer durften in Katalonien auch keine öffentlichen Ämter bekleiden (nur der Vizekönig durfte Ausländer sein, da dieses kein organisches, sondern ein königliches Amt war, das direkt vom König besetzt wurde), schließlich waren sie mit dem katalanischen Recht nicht vertraut. Auch Aragonesen und Valencianer galten als Ausländer, obwohl man zur selben Krone gehörte (zum Königreich Mallorca hatte man andere Verbindungen, da die Balearen von Katalanen wiederbesiedelt wurden und die Balearer bis 1423 als Katalanen galten: der König Pere III. hatte ihnen 1365 den Status als Katalanen gewährt, d.h. dort galten die katalanische Verfassung, die Usatges de Barcelona und die Inseln schickten Repräsentanten zu den Corts Catalanes). Anzumerken ist jedoch, dass die Ausländergesetze auch andersrum galten: Aragonesen oder Katalanen durften keine Ämter in Kastilien oder am königlichen Hof bekleiden (die einzige Ausnahme war das Haus Cardona, die zweitwichtigste Dynastie Kataloniens; sie gingen nach der Vereinigung der Kronen von Kastilien und Aragonien allerdings nach Kastilien und heirateten in den kastilischen Adel ein).

Der einzige legale Grund, um in Katalonien die regulären Milizen (Sometent) einberufen zu können, war die Selbstverteidigung. Katalonien selbst hatte kein stehendes Heer (Tercios oder Regimente); das einzige, was es gab, war der Sometent: eine meist lokale Miliz, der sich jeder Bewohner einer Länderei anschließen musste, wenn das Dorf/die Stadt angegriffen wurde. Daher waren alle Einwohner Kataloniens dazu verpflichtet, Zuhause eine Waffe zu haben (während es in Kastilien nur dem Adel erlaubt war, eine Waffe zu tragen). Zur Einberufung des Sometent wurden die Kirchglocken geläutet und Feuer auf den Hügeln entfacht: so emetent > “Laut abgebend”. Der König/Vizekönig bzw. die Generalitat konnten den Sometent General (also landesweit) einberufen, aber eben nur, um in Katalonien zu kämpfen.

In Katalonien lebten Anfang des 17. Jhd. lediglich ca. 450.000 Menschen, und das auch nur aufgrund der starken Immigration aus Okzitanien/Frankreich während des gesamten 16. Jhd. (besonders aus der Gascogne/Gasconha und dem Languedoc/Lengadòc). Die Okzitanier — die in Katalonien oft einfach francesos oder abfällig gavatxos genannt wurden (die Okzitanier nannten ihrerseits die französischsprachigen Franzosen gavaches) — flohen zum einen vor der extremen Armut, die die englisch-französischen Kriege über die Region gebracht hatten; und zum anderen vor den grausamen Glaubenskriegen (sie waren sowohl Hugenotten/Calvinisten als auch Katholiken). Während Kastilien die Grenzen jedoch geschlossen hielt, weil man selbst in einer schweren Wirtschaftskrise steckte, luden die katalanischen Institutionen die Okzitanier sogar ein: im 15. Jhd. hatte in Katalonien mit den Remences-Aufständen und einem „Bürgerkrieg“ (Bauernaufstände und Krieg der Generalitat/katalanischer Adel gegen den König von Aragonien Joan II. El Sense Fe) die soziale Revolution gesiegt, was im Endeffekt dazu führte, dass Katalonien und Barcelona hauptsächlich von Kaufleuten und einer gesellschaftlichen Mittelschicht (Patrizier, Händler, Handwerker, Ärzte, Juristen, etc.) regiert wurden und nicht mehr vom Adel bzw. von Feudalherren. Zwischen 1482 und 1640 herrschte in Katalonien ein relativer Frieden und die Wirtschaft boomte, aber man suchte händeringend nach Arbeitskräften, weil die Kriege und die Pest die Bevölkerung dezimiert hatten. Im Jahr 1553 gab es nur knapp 60.000 steuerzahlende Haushalte (Focs), man schätzt also ca. 300.000 Einwohner. Die Okzitanier kamen demnach genau im richtigen Moment. Zehntausende Okzitanier überquerten die Grenze; wobei natürlich viele auch nach Aragonien und Valencia weiterzogen oder nach einiger Zeit wieder nach Hause zurückkehrten. Viele andere ließen sich aber in Katalonien nieder (während des 16. Jhd. waren bis zu 20% der männlichen Einwohner Kataloniens gebürtige Okzitanier, regional sogar bis zu 30%).

Nur zum Vergleich: allein die Krone von Kastilien hatte über 7 Mio. Einwohner. Die gesamte Krone Aragonien kam dagegen nicht mal auf 1,5 Mio. Für Katalonien bedeuteten 16.000 Soldaten also fast 4% der Bevölkerung bzw. über 20% betroffene Familien (im stark militarisierten Israel sind es heute ca. 2%), während die 44.000 Soldaten, die Kastilien für die Unión de Armas bereitstellen sollte, nur 0,5% der kastilischen Bevölkerung ausmachten. Anstatt den Katalanen etwas im Gegenzug anzubieten (z.B., dass Katalanen auch Befehlshaber der spanischen Armee sein könnten, die Klärung der offenen Beschwerden oder die Öffnung der Handelsrouten nach Amerika), erwartete man einfach, dass es stillschweigend akzeptiert wird. Aber dieser Versuch der „nationalen“ Einheit kam einfach zu spät: man versuchte die nicht-kastilischen Länder zu einem Projekt zu zwingen (Expansionismus, Imperialismus, Kriege um den Erhalt der Vorherrschaft in Europa, etc.), das Kastilien mittlerweile vollkommen ruiniert hatte (u.a. musste dreimal Ende des 16. Jhd. und auch 1627 der Staatsbankrott erklärt werden). Es war also nicht besonders verlockend, zumal auch nur Kastilien in der Vergangenheit von den Vorzügen dieser Politik profitiert hatte (Handelsmonopol mit den Kolonien, Monopol für die Posten innerhalb der Monarchie, etc.). Jetzt, wo die Sachen anfingen, schlecht zu laufen, wollte man, dass sich die anderen Länder beteiligten.

Die Corts Catalanes waren über 26 Jahre lang nicht einberufen worden, sodass sich bei den Corts von 1626 viele Beschwerden angehäuft hatten. So hatte z.B. der Vizekönig in Katalonien 1620 wieder angefangen, eine Gemeindesteuer (Quints) einzutreiben, die seit dem 16. Jhd. ausgesetzt gewesen war; ein Fünftel der Einnahmen jeder Gemeinde. Und das rückwirkend ab 1599, ohne die dafür notwendige Zustimmung der Corts Catalanes eingeholt zu haben. Barcelona sollte so über 300.000 Lliures (katalanische Pfund; Silbermünzen) bezahlen, die die Stadt aber nicht hatte. Als sich Barcelona weigerte, diese Steuern zu zahlen und andere Städte und Gemeinden dazu aufrief, sie auch nicht zu zahlen, wurden mehrere Stadträte des Consell de Cent (Stadtregierung Barcelonas) verhaftet. Außerdem wollten die Katalanen weitere Verletzungen der Constitucions von Seiten der Vizekönige anzeigen und die Befugnisse der Inquisition einschränken.

In Katalonien hatte es zwar schon seit 1232 eine päpstliche Inquisition gegeben (gegen die okzitanischen Katharer/Albigenser, die nach dem Albigenser-Kreuzzug – bei dem Frankreich und der Vatikan zwischen 200.000 und 1 Mio. Katharer getötet hatten – nach Katalonien geflohen waren), doch 1482 wurde sie durch die neugegründete kastilische/spanische Inquisition ersetzt, die sich von allen Inquisitionen Europas unterschied und die – neben der Monarchie – die einzige Institution war, die im ganzen Imperium agieren durfte. Seit ihrer Einführung gab es keine einzige katalanische Ständeversammlung, bei der die katalanischen Abgeordneten nicht versuchten, ihre Kompetenzen einzuschränken. Nicht, weil die katalanischen Institutionen ketzerisch oder besonders konvertitenfreundlich waren, sondern weil die neue kirchliche Gerichtsbarkeit auf anonymen Denunziationen und geheimen Verhandlungen basierte, und dies gegen das katalanische Recht verstieß, das – für die damalige Zeit – sehr viel mehr Rechtssicherheit bot (u.a. Pflichtverteidiger, kostenlose Anwälte für Arme, öffentliche Verhandlungen, Folterverbot, etc.).

Doch das alles interessierte den König Felipe IV. nicht; er wollte nur die Unión de Armas verabschieden, die aber natürlich auf vehementen Widerstand stieß. Und so verließ er die Corts einfach, ohne sie offiziell zu schließen. Das war ein Affront. Erst 1632 ließ er die Corts wieder tagen. Doch auch dieses Mal wurden die Corts von königlicher Seite abgebrochen (der König selbst war noch nicht einmal anwesend). 1640 sollten die nächsten Corts tagen, aber das passierte nie, denn bis dahin hatte sich die Situation stark verändert (tatsächlich sollte es noch bis 1702 dauern, bis die Corts endlich wieder offiziell beendet wurden). Während dieser Zeit gab es am spanischen Hof eine Redewendung: «Katalanen sind für die Welt, was Steine für die Felder sind; ein Hindernis/Ärgernis» (Los catalanes son al mundo lo que las piedras a los campos: un estorbo).

1635 trat Frankreich offiziell in den Dreißigjährigen Krieg ein und erklärte der spanischen Monarchie den Krieg. Doch die Schlachten fanden zunächst weiterhin in den spanischen Niederlanden (heutiges Belgien/Luxemburg; die heutigen Niederlande erlangten mit diesem Krieg 1648 die Unabhängigkeit von der spanischen Monarchie), der spanischen Freigrafschaft Burgund (Franco Condado/Franche-Comté) und Italien (vor allem im damals spanischen Herzogtum Mailand) statt. Trotzdem hatte der Krieg sofortige Auswirkungen auf Katalonien: der Handel mit Frankreich wurde verboten. Und das war für Katalonien, das seit jeher gute Handelsbeziehungen zu Frankreich – und hier besonders mit dem Lengadòc – gehabt hatte, ein großes Problem. Jeder Handel mit Frankreich wurde ab diesem Zeitpunkt als Schmuggel verfolgt und bestraft, was die Generalitat aber nicht akzeptieren wollte.

Obwohl der Krieg erstmal woanders stattfand, setzte die Monarchie die Unión de Armas um und stationierte ihre Truppen in Katalonien (mehrere Zehntausend Mann). Mit dem desaströsen Angriff auf das französische Leucate (direkt hinter der französisch-katalanischen Grenze) im Jahr 1637 machte sie das Fürstentum zum Schlachtfeld in einem Krieg, mit dem man in Katalonien nichts zu tun haben wollte. Im Jahr 1638 kam es in Palafrugell – einem Dorf an der Costa Brava, das seit dem Jahr 1251 das Privileg hatte, keine Truppen stationieren zu müssen – zum ersten Aufstand gegen die kastilischen Truppen, weil diese mehrere Häuser und Kirchen geplündert und niedergebrannt hatten. Dazu muss man sich daran erinnern, dass Katalonien keine Kasernen hatte. Es gab ein paar Standquartiere (Guarniciones), doch in denen befanden sich nie mehr als 100 königliche Soldaten. Denn um Geld zu sparen (in den Guarniciones musste die Monarchie für den Unterhalt der Soldaten aufkommen) und aus Platzmangel, musste die örtliche Bevölkerung die restlichen Soldaten in ihren Häusern beherbergen und unterhalten. Das extremste Beispiel war wohl das Empordà (Hinterland der Costa Brava): in der Festung von Roses befanden sich nur ca. 30 Soldaten, während sich im gesamten Empordà zwischen 5.000 und 10.000 Soldaten aufhielten (bei einer Bevölkerung von etwa 25.000 Menschen, in ca. 6.500 Haushalten). Die Soldaten, die regelmäßig kein Gehalt erhielten, plünderten die Häuser, ließen ihre Pferde das frisch ausgesäte Getreide fressen (was für die Bauern einen Ernteausfall bedeutete) und vergingen sich an den Frauen der Gastgeber. Beschwerten sie sich, zündeten sie das Haus an und töteten die Bewohner. Durch die gewaltsamen Exzesse der Truppen, kam es in immer mehr Dörfern und Städten zu Revolten gegen die verhassten Soldaten, die teilweise zu Dutzenden von aufständischen Bauern getötet wurden. Als Rache dafür, brannten die Soldaten dann ganze Dörfer nieder. Es war eine einzige Gewaltspirale.

Der Krieg

Frankreich sah in den Aufständen in Katalonien eine Chance, die spanische Monarchie zu schwächen und die politische Grenze an die „natürliche“ Grenze zwischen Frankreich und Spanien – die Pyrenäen – zu verlagern (dabei waren die Pyrenäen noch nie die Grenze von irgendwas gewesen: die Basken lebten und leben beidseits der Pyrenäen; auch die Iberer lebten sowohl südlich als auch nördlich der östlichen Pyrenäen; zum Toledanische Westgotenreich gehörte die Provinz Septimania, die sich über Perpignan, Carcassone und Narbonne bis zur Rhône erstreckte und die auch zeitweise von den Mauren erobert worden war; später bildete sie zusammen mit den katalanischen Grafschaften die Gothia/Gothien/Spanische Mark). Der französische König Ludwig XIII. sah sich selbst als Nachfolger von Karl dem Großen und des fränkischen Reichs, weshalb er sich auch ganz Katalonien – das ja seinen Ursprung in den katalanischen Grafschaften hatte, die Vasallen des fränkischen Reichs (8. Jhd.) gewesen waren – einverleiben wollte. Und das, obwohl man bereits 1258 mit dem Vertrag von Corbeil die Grenze zwischen Katalonien und Frankreich offiziell anerkannt und die Krone von Aragonien – trotz Erbanspruchs – u.a. auf die Grafschaft Toulouse/Tolosa verzichtet hatte.

Mitte 1639 belagerte und eroberte Frankreich dann die Grenzfestung von Salses, dem nördlichsten Ort Kataloniens. Daraufhin marschierten ca. 25.000 Soldaten (davon etwa 18.000 Katalanen) an die französisch-katalanische Grenze und schafften es, Anfang 1640 die Festung zurückzuerobern. Angeführt wurden die katalanischen Truppen von Francesc de Tamarit, dem Abgeordneten des militärischen/adligen Arms der Generalitat. Warum konnte der Sometent mobilisiert werden? Katalonien war angegriffen worden und musste verteidigt werden. Doch während man in Katalonien stolz darauf war, trotz der widrigen Umstände, Katalonien verteidigt zu haben (es war Winter, es hatte hohe Ernteausfälle gegeben und die Soldaten starben reihenweise an der Pest, weshalb die Bevölkerung sich größtenteils weigerte, in den sicheren Tod zu ziehen und unzählige Soldaten desertierten), erntete man aus Madrid nur Vorwürfe, Beleidigungen und Bezichtigungen des Verrats, weil man angeblich nicht genug getan hatte. Katalonien hatte gerade 3% seiner Bevölkerung verloren und das einzige, was man zu hören bekam, waren Vorwürfe. Der Graben zwischen den katalanischen Institutionen und der Monarchie wurde immer tiefer.

Bei seiner Rückkehr nach Barcelona wurde Tamarit zunächst vom jubelnden Volk empfangen, doch wenig später ließ ihn der Vizekönig Dalmau III. de Queralt auf Befehl des Königs hin verhaften. Ihm wurde vorgeworfen, die Einberufung und Unterbringung der Soldaten behindert zu haben. Die Anschuldigungen waren haltlos, hatte er doch gerade erst tausende Soldaten mobilisiert, aber die Monarchie wollte der politischen Gegenwehr Kataloniens ein Ende setzen; und erreichte nur das Gegenteil. In Santa Coloma de Farners (Girona) wurde kurze Zeit später der königliche Gerichtsdiener (Algutzir) Miquel Joan de Mont-rodon von Aufständischen getötet. Mont-rodon sollte die Einwohner dazu zwingen, ein neapolitanisches Regiment (über 1.000 Männer in einem Dorf mit nur ca. 250 Häusern) zu beherbergen. Als ein Bewohner sich beschwerte, schoss er ihm in die Brust. Daraufhin erhob sich das Dorf und verfolgte ihn und seine Männer bis zu einer Herberge. Von dort aus schossen die Staatsdiener auf die Menschen, die ihrerseits das Gebäude in Brand setzten. Mont-rodon und drei seiner Helfer starben in den Flammen. Der Vizekönig befahl den im Umland stationierten Truppen daraufhin, das gesamte Dorf niederzubrennen. Nur zwei Häuser wurden stehen gelassen. Anschließend kam es zu einem Aufstand in Barcelona: Über 2.000 Bauern aus dem Umland Barcelonas, die wegen der Missernten und horrenden Kriegssteuern ohnehin schon aufgebracht waren, belagerten im Mai 1640 das Gefängnis und forderten die Freilassung von Tamarit. Auf Druck der Aufständischen musste man ihn wieder freilassen.

Nur einen Monat später, am Fronleichnamstag 1640, kam es dann zum sogenannten Corpus de Sang (Blut-Fronleichnam), der als Beginn des Kriegs gilt. Das Klima war sehr angespannt: es war eine soziale und politische Revolution, die weit über eine einfache Revolte hinausging. Die Tatsache, dass sich die kastilischen Truppen immer noch in Katalonien aufhielten und herumwüteten, obwohl die Auseinandersetzungen mit Frankreich bereits vor 6 Monaten beendet worden waren, machte, dass Katalonien einem Dampfkochtopf glich, der in jedem Moment explodieren konnte. An Fronleichnam 1640 kamen hunderte Schnitter nach Barcelona, um wie jedes Jahr von den Großgrundbesitzern für die Ernte angestellt zu werden. Bei einer Auseinandersetzung wurde ein Schnitter von einem kastilischen Soldaten getötet und es begann ein generalisierter, blutiger Aufstand gegen die Obrigkeit. Nicht nur die Schnitter, sondern die gesamte Arbeiterbevölkerung Barcelonas erhoben sich. Unter Rufen wie „Visca la terra, muira el malgovern!“ (Es lebe das Land, es sterbe die Missregierung), „Muiren los traïdors!“ (Tod den Verrätern), „Visca Catalunya i els Catalans!“ (Es lebe Katalonien und die Katalanen) und „Visca la fe de Crist!“ (Es lebe der Glaube Christi), brannten die Aufständischen Häuser von königlichen Staatsdienern (vor allem von Juristen der Reial Audiència, die für die Stationierung der Soldaten verantwortlich waren) nieder, töteten bis zu 20 Staatsdiener und den verhassten Vizekönig Dalmau III. de Queralt, während er versuchte auf ein Schiff zu fliehen. Der Aufstand breitete sich auf ganz Katalonien aus. Es war offensichtlich, dass es nicht nur um soziale Missstände ging, da ausschließlich die königlichen Staatsdiener (Gerichtsvollzieher, Batlles, Veguers, Richter der Reial Audiència, Soldaten) getötet, und deren Häuser geplündert und niedergebrannt wurden. Auch die Herrschaftshäuser des katalanischen Adels, der hinter dem König stand, wurden nicht verschont. Unbehelligt blieben dagegen die Stadträte des Consell de Cent und die Abgeordneten der Generalitat, die immer versucht hatten, für die Sorgen der Bevölkerung einzustehen. Alle königlichen Kräfte (Gouverneur, Verwalter, Adel, Richter, etc.) wurden aus Katalonien vertrieben und die Junta General de Braços (Sonderversammlung der Stände; wurde von der Generalitat im Notfall einberufen; alle Mitglieder der Corts, die sich zu der Zeit in Barcelona befanden, nahmen daran teil) übernahm die alleinige Kontrolle über Katalonien. Dies war der Beginn der institutionellen Rebellion. Als das in Kastilien bekannt wurde, bereitete die Monarchie ein 30.000 Mann starkes Heer vor, um Katalonien zu erobern und militärisch zu besetzen. Angeführt wurde das Heer vom Marktgrafen/Marqués de Los Vélez (Pedro Fajardo de Zúñiga y Requeséns). Der Plan der Monarchie war es, Katalonien zu besetzen und die Corts einzuberufen, damit diese – mit der Armee im Rücken – die Gesetze verabschiedeten, die die Monarchie wollte. So hatten man es bereits Ende des 16. Jhd. im Königreich Aragonien gemacht, wo es 1591 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Generalidad de Aragón und der Monarchie gekommen war. Zehntausende kastilische Soldaten besetzten Aragonien, man ließ die Anführer der Rebellion erhängen und berief die Cortes ein, die dann neue Gesetze verabschiedete, die die Eigenständigkeit der Generalidad stark einschränkten und vom König abhängig machten.

Angesichts der drohenden Invasion trafen sich Vertreter der Generalitat (Ramon de Guimerà, Francesc de Tamarit und Francesc de Vilaplana) und der Repräsentant des französischen Kardinals Richelieu (Bernard Du Plessis-Besançon) im September 1640 in Ceret (Vallespir) und unterschrieben den Vertrag von Ceret. Katalonien würde militärische Hilfe von Frankreich bekommen, sich von der spanischen Monarchie loslösen und zu einer unabhängigen Republik unter französischem Schutz werden. Wenn man die traditionelle Abneigung der Katalanen gegenüber Frankreich bedenkt, wird deutlich, wie groß die Angst bei der Generalitat gewesen sein muss. Aufgrund der nahenden kastilischen Truppen stimmte auch die Junta General de Braços zu. Das eigentliche Ziel war, mit diesem Schritt die spanische Monarchie zum Verhandeln zu bewegen, aber das passierte nicht. Um sich effektiver verteidigen zu können, gründete man die Miquelets, eine Art Söldner- und Freiwilligenmiliz (benannt nach einem der Hauptmänner, Miquelot de Prats), die vor allem aus waffenerprobten Landbewohnern bestand (u. a. Jäger, Bandolers). Sie kannten das Gelände wie ihre Westentasche, konnten sich sehr viel schneller durch die Wälder, Berge, Hügel und Schluchten bewegen, und etablierten den Guerrilla-Kampf gegen die kastilischen Truppen.

Zeitgleich begann in Portugal der Restaurationskrieg (seit 1580 wurden Portugal und die portugiesischen Kolonien vom spanischen König regiert; der Krieg begann 1640 mit der Unabhängigkeitserklärung und endete 1668 mit der Anerkennung Portugals als unabhängige Monarchie des Hauses Bragança). Ohne den Krieg in Katalonien hätte Portugal es wahrscheinlich nicht geschafft, da die kastilischen Truppen erst einige Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung in Portugal einmarschierten, und man so viel Zeit hatte, den Widerstand zu organisieren und Allianzen mit England zu schließen.

Die Invasion Kataloniens begann im September 1640 im Südwesten und „a sang i foc“ (“mit Blut und Feuer” > mordend und niederbrennend): Nachdem in Tortosa die Revolte zunächst gesiegt hatte, schlug die lokale Oligarchie zurück, ließ alle Anführer erhängen oder mit dem Schwert hinrichten und verwandelte die Stadt in den militärischen Stützpunkt der königlichen Armee. Die kastilischen Truppen rückten schnell nach Norden vor: zuerst fielen Xerta (November 1640) und El Perelló (Anfang Dezember 1640), dann Cambrils (15. Dezember 1640) und Tarragona (Ende Dezember 1640). Besonders Cambrils diente dazu, die Angst bei den Katalanen zu schüren: Nachdem das Dorf, in dem sich ca. 400 Einwohner und ca. 2.000 Miquelets befanden, tagelang von etwa 26.000 spanischen Soldaten belagert worden war – und nachdem bereits 400 Katalanen während eines Waffenstillstands getötet worden waren – handelte man die Kapitulation aus. Den Besiegten wurde versprochen, sie am Leben zu lassen. Doch als die Menschen dann unbewaffnet durch die Tore kamen, um sich zu ergeben, wurden sie alle getötet. Mindestens 800 unbewaffnete Menschen einfach so niedergemetzelt. Danach wurde das Dorf geplündert und die Politiker und Verteidiger der Stadt entlang der Stadtmauer erhängt (u.a. die Hauptmänner Antoni d’Armengol, Jacint Vilosa, Carles Bertrolà, der Batlle und die Stadträte/Jurats). Insgesamt starben über 1.100 Menschen in Cambrils. Damit war nun auch den Abgeordneten in Barcelona klar, dass der König nicht mit sich reden lassen würde.

Am 17. Januar 1641 – die kastilischen Truppen standen kurz vor Martorell, ca. 20km vor den Toren Barcelonas – rief Pau Claris i Casademunt, Präsident der Generalitat, die Unabhängigkeit Kataloniens aus. Doch bereits am 23. Januar 1641 – Martorell war gerade gefallen und die kastilischen Truppen waren auf dem Weg nach Barcelona – mussten die Braços Generals den französischen König Ludwig XIII. zum Grafen von Barcelona – also zum Souveränen von Katalonien – ernennen (als Lluís I.), damit dieser endlich die ersehnte militärische Hilfe schickte (für die man ja auch bezahlt hatte). Katalonien wurde so Teil der französischen Monarchie.

Am 26. Januar kam es dann zur Schlacht vom Montjuïc (Batalla de Montjuïc), bei der sich ca. 6.000 Katalanen und Franzosen den 25.000 kastilischen Soldaten entgegenstellten. Überraschenderweise – überraschend für beide Seiten – gewannen die Katalanen. Etwa 600 Kämpfer der Coronela de Barcelona (Stadtmiliz Barcelonas; bestand aus Mitgliedern der Handwerkerzünften) hatten sich oben auf dem Berg verschanzt – der sich zu der Zeit noch außerhalb von Barcelona befand – und schafften es, die kastilischen Soldaten zurückzudrängen. Hunderte Soldaten starben, als sich die Katalanen von oben auf sie stürzten. Beim panischen Rückzug wurde das Heer dann von den restlichen Truppen, die sich an der Stadtmauer verschanzt hatten, angegriffen; über 1.500 königliche Soldaten starben, auf katalanischer Seite nur 32. Einen Monat nach der Schlacht vom Montjuïc verstarben Pau Claris und sein Sekretär Rafael Noguers; ziemlich plötzlich und mit denselben seltsamen Symptomen. Höchstwahrscheinlich wurden sie – so vermuteten es damals die Franzosen, und heutige Studien scheinen es anhand der überlieferten Symptome zu bestätigen – im Auftrag von Kastilien vergiftet (mit Acqua di Napoli). Vielleicht als Rache für die Niederlage; vielleicht, um den politischen Anführer der Revolte zu töten. Genaueres weiß man aber nicht, da seine Überreste im 19. Jhd. verschwanden (die Kirche, in der er begraben war, wurde 1888 im Rahmen der Weltausstellung niedergestampft).

Die Kriegsfront zog sich ungefähr entlang der Flüsse Llobregat und Cardener. Die Gebiete im Westen waren größtenteils unter spanischer Kontrolle, die Gebiete im Osten und Norden hauptsächlich unter französischer Kontrolle. Frankreich schickte nicht nur Soldaten, sondern auch französische Staatsdiener, die die Generalitat „unterstützen“ sollten. Doch diese Franzosen hatten nicht wirklich vor, die katalanische Verfassung zu achten. Schnell kam es innerhalb des französisch kontrollierten Gebiets zu einer starken Repression gegen die Gegner dieser Allianz. Unzählige Kritiker wurden gehängt. Der neue Intendant in Katalonien, der gascognische Franzose Pèire/Pierre de Marca, schürte bewusst die Feindseligkeiten unter den Katalanen, um so die Macht der Generalitat zu schwächen. Außerdem manipulierte er geschichtliche Überlieferungen, um die französischen Gebietsansprüche „geschichtlich“ belegen und legitimieren zu können (ihm verdanken wir z.B. die hartnäckige Lüge/Legende, dass die Spanische Mark ein fränkischer Verwaltungsbezirk gewesen war; tatsächlich hatte sie aber mit richtigen fränkischen Marken – wie z.B. der Mark vom Friaul, der Karantanischen Mark oder der Awarenmark – nichts zu tun und hatte nie einen Markgrafen; der Begriff „Marca Hispanica“ wurde von 821 – 850 nur als geografische Bezeichnung für die Gesamtheit aller Grafschaften im Norden der Iberischen Halbinsel verwendet).

Die Front war aber keineswegs starr, immer wieder gab es Versuche, Städte auf der anderen Seite zu erobern (so z.B. die Belagerung Lleidas von Seiten der Spanier, Belagerung von Tarragona, Tortosa und Roses von Seiten der Franzosen). 1642 wurden Perpinyà, Cotlliure und Salses (alle im Rosselló) von der französischen Armee erobert. Im Jahr 1643 starb Ludwig XIII. und sein Nachfolger, König Ludwig XIV. (5 Jahre alt), wurde zum Grafen von Barcelona ernannt (als Lluís II.).

Nördlich und südlich der Pyrenäen waren die Meinungen über die Allianz mit Frankreich sehr unterschiedlich. Der Norden des Fürstentums (Grafschaften Rosselló und Cerdanya; oft nur Els Comtats – “die Grafschaften” genannt, weil sie einen eigenen königlichen Gouverneur hatten) wurde seit Jahrhunderten immer wieder von Frankreich angegriffen; es verging kaum ein Jahr, in dem Frankreich nicht versuchte, die Grenzorte einzunehmen. Im 15. Jhd. waren sie sogar mal über 30 Jahre lang an Frankreich verpfändet worden, weil der König von Aragonien Joan II. el Sense Fe (der Treulose) Geld und Waffen von Frankreich brauchte, um gegen die Generalitat zu kämpfen. Aus dieser Zeit stammen u.a. der Spitzname „Menja-rates“ (Rattenfresser) für die Einwohner von Perpinyà – die während der langen französischen Belagerungen sogar Ratten essen mussten – und die Legende um Joan Blanca, dem Bürgermeister (Cònsol en Cap) von Perpinyà während der französischen Belagerung 1474/75. Die Franzosen hatten seinen einzigen Sohn als Geisel genommen und drohten, ihn hinzurichten, wenn Blanca nicht kapitulierte. Doch er weigerte sich und soll gesagt haben: “In erster Linie bin ich meinem König und meinem Vaterland Katalonien treu, und ich ziehe den Tod meines einzigen Sohnes vor statt zu einem Verräter zu werden”. Ob das so stimmt ist umstritten, aber Tatsache ist, dass sein Sohn und der Gouverneur der Comtats Bernat d’Oms  von den Franzosen öffentlich hingerichtet wurden. Als Dank für die zähe Verteidigung der Stadt erhielt Perpinyà den Ehrentitel „Fidelíssima Vila“ (Allertreuste Stadt).

Die Katalanen im Norden sehnten sich nach Frieden und waren daher die einzigen, die sich aktiv gegen eine Allianz mit Frankreich stellten. Sie wussten, was sie erwartete. Teilweise wurde sogar versucht, die Kommunikationswege zwischen den Franzosen und der Generalitat zu boykottieren. Nachdem die Allianz unterschrieben worden war, flohen große Teile des politischen Führung der Comtats in den Süden (vor allem die Familien Oms, Llupià, Banyuls, Llar, Descatllar, etc.). Später konfiszierte der französische König ihr Eigentum und schenkte es regimetreuen Katalanen aus dem Süden.

Ab 1648 änderte sich die Lage, weil in Frankreich ein Bürgerkrieg begann (die Fronde) und man die französischen Soldaten im eigenen Land brauchte. Das nutzte Felipe IV. – der mittlerweile Olivares durch dessen Neffen Luis de Haro ersetzt hatte – und begann die Rückeroberung Kataloniens. Innerhalb von wenigen Jahren eroberten sie Lleida, Tortosa und Tarragona (waren allesamt kurz vorher von Frankreich besetzt worden), Poblet, Montblanc, Valls, Torredembarra, Vilanova i la Geltrú und Sitges zurück. 1651 stand dann das spanische Heer vor den Toren von Barcelona. Unterstützung erhielten sie – überraschenderweise – von der katalanischen Zivilbevölkerung und Teilen der katalanischen Führung. Warum? Die französischen Soldaten verhielten sich keinen Deut besser als die kastilischen: auch sie plünderten, töteten, missbrauchten und brannten Dörfer nieder. Außerdem war die katalanische Bevölkerung traditionell sehr antifranzösisch. Nicht nur, weil man seit dem Mittelalter immer wieder gegen sie in den Krieg ziehen und ihre Belagerungen aushalten musste, sondern auch, weil die katholische Bevölkerung Kataloniens die Franzosen mit Ketzern (Heretges) gleichsetzte. Dazu trugen natürlich die Glaubenskriege und die Hugenotten in Frankreich bei, aber auch die Tatsache, dass die französischen Könige zwar den Ehrentitel „Allerchristlichster König“ (Sa Majesté très chrétienne) trugen, aber trotzdem den muslimischen Piraten in Frankreich einen sicheren Hafen boten, um von dort aus katalanische Handelsschiffe anzugreifen und katalanische Küstenorte zu plündern. Davon zeugen auch damalige katalanische Redewendungen: «De gavatx i de porc, no te’n fiïs fins que és mort» (Trau einem Franzosen und einem Schwein erst, wenn sie tot sind) oder «Passar-se de gavatx» (sich zu französisch geben = sich nicht an sein Wort halten). Auch die katalanischen Institutionen waren nicht mehr wirklich geeint, denn der fehlende Respekt, den die französischen Staatsdiener der katalanischen Verfassung zollten, ließ viele daran zweifeln, dass man mit Frankreich tatsächlich besser dran wäre. Trotzdem flohen über 1.500 frankreichtreue Katalanen der Führungsriege (vor allem Abgeordnete der Generalitat, des Braç Militar, der Stadtverwaltungen und ihre Familien) nach Perpinyà. Darunter Familien wie die Sagarra, Fontanella, Romanya, Copons, Tamarit, Rocabruna und Margarit, die dort später Karriere machten. Francesc Tamarit selbst zog sich jedoch schnell aus der Politik zurück, da er mit dem französischen Vorgehen nicht einverstanden war.

Katalonien 1654. In blau die französisch-kontrollierten Gebiete

Nach einer einjährigen Belagerung musste Barcelona kapitulieren. Die Generalitat und der Consell de Cent schworen dem König, und dieser den katalanischen Verfassungen die Treue. Außerdem verkündete er eine allgemeine Begnadigung, von der aber einige Personen ausgeschlossen waren (vor allem die, die dann nach Perpinyà flohen und zu Kastiliens größten Feinden wurden). Damit endete die erste Phase des Krieges, denn die französischen Truppen blieben noch sieben Jahre im Land und belagerten, eroberten und verloren immer wieder Städte (z.B. Girona, Berga, Solsona, Puigcerdà). Allerdings blieben die Gebiete nördlich der Pyrenäen in französischer Hand; die kastilischen Truppen versuchten es gar nicht erst, die Gebiete zurückzuerobern. Wahrscheinlich, weil bereits im Jahr 1656 die Friedensverhandlungen begonnen hatten und man wusste, was Frankreichs Plan war. 1658 fand in Camprodon die letzte wichtige Schlacht statt (ca. 200 Tote auf Seiten der Kastilier, ca. 1.000 auf Seiten der Franzosen). Am 7. November 1659 wurde dann der Pyrenäenfrieden unterschrieben: die spanische Monarchie überließ Frankreich das Artois und mehrere Festungen in Flandern und Luxemburg (Teil der Spanischen Niederlande) und Frankreich gab die eroberten Gebiete in Burgund und Italien an die spanische Monarchie zurück. Doch für Katalonien hatte dieser Vertrag eine schlimme Folge: die katalanischen Gebiete, die theoretisch nördlich der Pyrenäen lagen, gingen an Frankreich (die Grafschaften Rosselló und Cerdanya, mit den Landkreisen Rosselló, Vallespir, Conflent, Capcir und Cerdanya). Während die Franzosen sehr gute Berater hatten (vor allem katalanische Kollaborateure), verhandelte die spanische Monarchie hinter dem Rücken der katalanischen Institutionen und hatte nicht einen einzigen Berater, der sich mit den Gesetzen in Katalonien oder der katalanischen Geschichte auskannte. Denn die Wahrheit war, dass die katalanische Verfassung klar verbot, Teile des Gebiets abzutreten. Und die einzigen, die daran etwas hätten ändern können, waren die Corts Catalanes. Das Fürstentum verlor ein Fünftel seines Territoriums und seine zweitwichtigste Stadt (Perpinyà), ohne darüber benachrichtigt zu werden (der spanische König informierte die katalanischen Institutionen erst im Jahr 1702 offiziell darüber). Für die spanische Monarchie waren aber Flandern und Burgund viel wichtiger, denn diese Regionen war stark bevölkert, was hohe Steuereinnahmen bedeutete. Außerdem dachte niemand, dass diese Grenzänderung tatsächlich endgültig sein würde: in der damaligen Zeit waren Gebietsverluste nichts endgültiges, im nächsten Friedensvertrag konnte man die alten Gebiete immer zurückfordern. Aber das passierte nie.



Dieser Krieg ist auch Thema der katalanischen Nationalhymne, die Els Segadors (Die Schnitter) heißt. Eigentlich war das Lied ein katalanisches Volkslied/Romanze, das zeitgleich mit dem Krieg entstand (um 1640). Im historisch überlieferten Text (z.B. 1882 von Manuel Milà i Fontanals veröffentlicht) stehen Strophen wie «Catalunya, comtat gran; qui t’ha vist tan rica i plena! Ara el rei, Nostre Senyor, declarada ens té la guerra» (Katalonien, du große Grafschaft; wer dich gesehen hat, so reich und üppig! Nun hat uns jedoch der König, unser Herr, den Krieg erklärt), «Lo gran comte d’Olivar, sempre li burxa l’aurella: „Ara és hora, nostre rei, ara és hora que fem la guerra“» (Der große Graf von Olivares liegt ihm immer in den Ohren: „Jetzt ist es Zeit, unser König, jetzt ist es Zeit, den Krieg zu beginnen“), «Contra tots els catalans, ja veieu quina n’han feta» (Gegen alle Katalanen, ihr seht schon, was sie angerichtet haben), «Mataren un sacerdot, mentre la missa deia; mataren un cavaller, a la porta de l’església» (Sie töteten einen Priester, während er die Messe feierte; sie töteten einen Ritter am Eingang zur Kirche), «A presència dels parents deshonraven les donzelles, i mataven els seus pares si del mal donaven queixa» (In Anwesenheit der Verwandten entehrten sie die Mädchen, und töten ihre Eltern, wenn sie sich beschwerten), «N’hi donen part al Virrei, del mal que aquells soldats feien. „Llicència els he donat jo, molta més se’n poden prendre!“» (Sie berichteten dem Vizekönig von den Übeltaten, die die Soldaten begingen: „Ich habe ihnen die Erlaubnis gegeben, sie können sich noch viel mehr erlauben!“), «A vista de tot això, s’és esvalotat la terra» (Angesichts dieser Vorfälle, hat sich das Volk/das Land erhoben), «Aneu alerta, catalans! Catalans, aneu alerta! Mireu que així ho faran, quan seran en vostres terres» (Passt auf Katalanen! Katalanen, passt auf! Denn sie werden es genauso machen, wenn sie bei euch einmarschieren) oder «A les armes catalans, que ens han declarat la guerra» (An die Waffen, Katalanen! Denn sie haben uns den Krieg erklärt). Wobei es natürlich verschiedene Versionen gab, die sich zwar in der Wortwahl, aber nicht im Inhalt unterschieden (hier eine Version von Subirachs). Der heutige „politische“ Text der Hymne (hier) ist von Emili Guanyavents, der 1899 einen Wettbewerb der Unió Catalanista (einer katalanistischen Vereinigung) gewann. Die drei offiziellen Strophen sind: 1. «Catalunya triomfant, tornarà a ser rica i plena! Endarrere aquesta gent, tan ufana i tan superba» (Triumphierendes Katalonien, es wird wieder reich und üppig sein; Weg mit diesen Leuten, die so protzig und hochmütig sind), 2. «Ara és hora, segadors! Ara és hora d’estar alerta! Per quan vingui un altre juny, esmolem ben bé les eines» (Jetzt ist die Zeit gekommen, Schnitter! Jetzt ist es Zeit, wachsam zu sein! Für den Fall, dass ein nächster Juni kommt, lasst uns die Werkzeuge gut schleifen) und 3. «Que tremoli l’enemic en veient la nostra ensenya. Com fem caure espigues d’or, quan convé seguem cadenes» (Der Feind soll zittern, wenn er unser Banner sieht. Denn so wie wir goldene Ähren zu Boden fallen lassen, so zerschneiden wir auch Ketten, wenn die Zeit gekommen ist).



Was man selten bedenkt, ist, dass 1635 der Beginn eines 80 Jahre währenden Kriegszustands in Katalonien war. Natürlich nicht durchgehend und auch nicht überall gleich intensiv, aber zwischen 1635 und 1714 kam es immer wieder zu Kriegshandlungen im Land (1635 – 1659; 1667 – 1678; 1680 – 1684; 1689 – 1697 und 1705 – 1714). Auch die Beziehungen zur Monarchie in Madrid wurden nicht einfacher. Felipe IV. hatte zwar 1652 den katalanischen Verfassungen die Treue geschworen, aber sich auch eine Strafe für die rebellischen Katalanen ausgedacht: Er kontrollierte jetzt, wer am Losverfahren (Insaculació) teilnehmen durfte, um Abgeordneter der Generalitat oder des Consell de Cent zu werden. Er kontrollierte nicht das Losverfahren an sich, sondern die Namen, die in die Beutel gesteckt und so ausgelost werden konnten. Damit war das wichtigste Element der Eigenständigkeit Kataloniens eingeschränkt worden. Vorher bestimmten ja die Braços, wer aus ihrem Stand teilnehmen durfte, sodass die Institutionen immer unabhängig vom König waren. Jetzt war’s anders. Obwohl der König keinesfalls die absolute Kontrolle hatte (viele seiner „königstreuen Katalanen“ entpuppten sich als starke Opposition), forderten die Katalanen jahrzehntelang, dass der König die Kontrolle über die Insaculació wieder abgibt. Außerdem ließen weder Felipe IV. noch sein Nachfolger Carlos II. (der Verhexte) die Corts tagen: zwischen 1632 und 1701 gab es keine Ständeversammlung in Katalonien.

Bereits im Jahr 1687 kündigte sich ein neuer Aufstand in Katalonien an. Frankreich hatte in den vorherigen Jahren – im Rahmen des Devolutionskriegs (1667/68) und des Reunionskriegs (1683/84; fanden beide eigentlich in den Spanischen Niederlanden statt) – immer wieder Razzien im Norden des Fürstentums durchgeführt, Städte geplündert, belagert und besetzt: z.B. Puigcerdà (1667), Maçanet de Cabrenys (1674), Razzien im Empordà (1674/75), Camprodon (mehrmals), Girona (1684), etc. Obwohl 1687 kein Krieg herrschte (zumindest nicht auf der Iberischen Halbinsel), waren tausende kastilische Soldaten in Katalonien stationiert, um im Zweifelsfall die Grenze zu schützen. Und mal wieder war es die arme Landbevölkerung, die die Soldaten beherbergen und versorgen musste (sowohl der Adel als auch der Klerus war davon ausgenommen); obwohl die katalanischen Gesetze besagten, dass Katalonien in Friedenszeiten nicht für ausländische Soldaten aufkommen muss. Immer wieder kam es zu Plünderungen und ein Dorf nach dem anderen begann, die illegalen Kriegssteuern nicht mehr zu bezahlen. Wichtig war auch, dass die kastilischen Truppen als unnötige Last angesehen wurden, denn die meisten Kämpfe hatten zwischen den Franzosen und dem jeweiligen Sometent oder den Miquelets stattgefunden. Als die kastilischen Truppen am Kriegsschauplatz ankamen, war die Schlacht meist bereits gewonnen.

In dunkelgrau die von Frankreich ab 1689 besetzten Gebiete in Katalonien. In hellgrau und diagonal gestreift: die Barretines-Aufstände

Nachdem der Präsident der Generalitat Antoni de Saiol i Quarteroni und der Auditor Josep Sitges vom König – auf Druck des Vizekönigs Felípez de Guzmán – entlassen und inhaftiert worden waren, weil sie einen Beschwerdebrief an den König geschickt hatten, schlossen sich immer mehr Dörfer dem Steuerboykott an und weigerten sich, Soldaten zu beherbergen. Die Reaktion des Vizekönigs war es, dutzende Stadträte verhaften zu lassen. Anzumerken ist hier allerdings, dass die anderen Abgeordneten der Generalitat sich hinter den Vizekönig stellten und auch der Consell de Cent sich gegen die Revolte aussprach (wir erinnern uns daran, dass der König entschied, wer gewählt werden durfte). Dementsprechend hatte diese Revolte nicht die politische/ institutionelle Komponente, die sie 1640 gehabt hatte. Im April 1688 kam es dann zum großen Aufstand (Revolta dels Barretines/dels Gorretes): Er begann in Centelles (Osona), wo der Sometent zusammengetrommelt wurde, weil ein Landwirt bei einem Streit von einem Soldaten verletzt worden war. Von dort breitete sich der Aufstand über die gesamte Ebene von Vic (Plana de Vic) aus und es begann der Marsch auf Barcelona. Erst 700, dann 2.000, bis sich am Ende über 20.000 Bauern vor den Toren Barcelonas versammelten, die Stadt belagerten und die Begnadigung aller Aufständischen (hunderte waren verhaftet worden), die Einhaltung der Verfassung und die Wiedereinstellung der entlassenen Abgeordneten forderten. Den Forderungen wurde teilweise nachgegangen (z.B. wurden Saiol und Sitges wieder freigelassen und konnten ihre Posten wieder beziehen). Als Strafe ließ der König den Vizekönig ersetzen, der in seinen Augen zu lasch reagiert hatte. Allerdings gab es überall im Land weiterhin Bauernaufstände, die von Missernten und Heuschreckenplagen weiter angefacht wurden (Ernteausfälle von ca. 70%).

1689 standen über 12.000 französische Soldaten im französischen Nordkatalonien bereit, um Katalonien zu besetzen (als Teil der französischen Expansionsbestrebungen während des Neunjährigen Kriegs/Pfälzischen Erbfolgekriegs; bei dem Frankreich auch in die Niederlande und ins Heilige Römische Reich eindrang). Doch anstatt darin eine Gefahr zu sehen, empfand der neue Vizekönig die Bauernaufstände als das tatsächliche Problem. Außerdem forderte er von der Generalitat eine Spende von über 2 Mio. Rals, um die Stationierung der Soldaten zu bezahlen. Das führte erneut zum Aufstand der Bauern, denn diese Spende hätte von der Junta General de Braços (Sonderversammlung der Stände) genehmigt werden müssen. Außerdem forderten sie, dass sich auch die Reichen daran beteiligten, und nicht nur die arme Landbevölkerung. Die Aufständischen formierten sich im sogenannten Exèrcit de la Terra, und begannen unter dem Schlachtruf «Visca la terra i morin els traïdors» (Lang lebe das Land, Tod den Verrätern) eine Rebellion. Über 18.000 Bauern aus dem Umland Barcelonas (Baix Llobregat) belagerten erneut die Stadt, wurden aber dieses Mal von der Armee zurückgedrängt. Der neue Vizekönig begann eine starke Repression gegen die Anführer, die allesamt gehängt wurden. Außerdem ließ er mehrere Ortschaften komplett niederbrennen (u.a. Sant Feliu de Llobregat und Sant Boi de Llobregat). Anfang 1690 galt die Rebellion als beendet, als eine generelle Begnadigung ausgesprochen wurde, und Barcelona und andere königliche Städte sich bereit erklärten, mit Sonderbeiträgen die Stationierung der Soldaten zu finanzieren. Außerdem ließ man mehrere Kasernen bauen, um dem ewigen Problem der Stationierung der Soldaten ein Ende zu setzen.

Doch der Neunjährige Krieg war schon voll im Gange: Ende 1689 war Camprodon von den Franzosen erobert worden, 1690 fielen dann Sant Joan de les Abadesses, Sant Pere de Ribes, Ripoll und 1691 La Seu d’Urgell. Die spanischen Truppen konnten nur mehr schlecht als recht Widerstand leisten. 1691 bombardierten die Franzosen dann Barcelona vom Meer aus, zogen aber schnell weiter in Richtung Alicante. Erst 1694, als die Front in den Niederlanden ruhig war, verstärkte Frankreich die Kämpfe in Katalonien wieder. 26.000 Soldaten drangen in Katalonien ein; in wenigen Wochen fielen Roses, Palamós, Girona, Hostalric und Castellfolit de la Roca. Im Juni 1697 begannen die Franzosen dann die Belagerung Barcelonas: mit 24.000 Soldaten am Boden und über 60 Schiffen im Hafen. Die Stadt selbst hatte nur noch wenige Tausend Soldaten zur Verfügung, weil der Vizekönig Velasco mit 10.000 Soldaten nach Martorell geflohen war. Nach 2 Monaten fiel die Stadt, nachdem die Zivilbevölkerung fast durchgehend bombardiert worden war. Über 4.000 Einwohner Barcelonas waren getötet worden, aber auch fast 16.000 französische Soldaten. Eine der wichtigsten Personen im Widerstand war Georg von Hessen-Darmstadt (ein kaiserlicher General im Dienst der österreichischen Habsburger), der mit 2.000 Männern nach Barcelona kam und zusammen mit der Generalitat und dem Consell de Cent die Verteidigung organisierte. Zwar fiel die Stadt, weil der Vizekönig kapitulierte, aber für die Bevölkerung Barcelonas war er ein Held. So kam es dann auch, dass der König Carlos II. ihn auf Drängen des Volkes hin zum neuen Vizekönig von Katalonien machte, nachdem die von Frankreich besetzten Städte 1698 mit dem Frieden von Rijswijk wieder an die spanische Monarchie zurückgegeben worden waren. In den drei Jahren seiner Amtszeit lernte er sogar Katalanisch und war einer der wenigen Vizekönige, mit dem man in Katalonien voll und ganz zufrieden war.

Mit dem Frieden von Rijswijk war nun auch die letzte Chance verstrichen, um das von Frankreich annektierte Nordkatalonien zurückzubekommen. Das eigentliche Interesse Frankreichs waren die spanischen Niederlande und die Freigrafschaft Burgund, die um einiges reicher und bevölkerter waren (= mehr Steuern). Zwischen 1640 und 1697 war Nordkatalonien für Frankreich bei Friedensverhandlungen (immerhin mindestens drei Mal) ein Druckmittel bzw. ein Tauschobjekt. Hätte die spanische Monarchie z.B. Burgund abgetreten, hätte man Nordkatalonien im Tausch angeboten. Die Priorität für die spanischen Habsburger war aber der Erhalt der Besitztümer in Mitteleuropa. Und als 1678 Burgund und wichtige Festungen im Süden der spanischen Niederlande bereits an Frankreich abgetreten worden waren, und jetzt noch zusätzlich ein Frieden zwischen den Vereinten Niederlanden und Frankreich unterschrieben worden war, brauchte Frankreich kein Druckmittel mehr. Katalonien blieb seitdem geteilt: ein von Frankreich verwaltetes Nordkatalonien und ein zur spanischen Monarchie gehörendes Südkatalonien (Fürstentum Katalonien).



Was wurde aus Nordkatalonien?

Im nun französischen Teil Kataloniens – von da an offiziell Provinz Rosselló (Province du Roussillon) genannt, obwohl der Rosselló nur einer von fünf Landkreisen war – begann bereits 1661 der Widerstand gegen die Besatzung. Denn obwohl Frankreich sich dazu verpflichtet hatte, die katalanischen Institutionen beizubehalten, wurden sie nur ein Jahr nach dem Pyrenäenfrieden abgeschafft und durch neue Institutionen ersetzt (z.B. wurde die Generalitat durch den Consell Sobirà del Rosselló ersetzt). Jeder Protest wurde jedoch im Keim erstickt; u.a. wurden mehrere Veguers, Notare und Batlles gehängt. Während die Grenzziehung mit dem Pyrenäenfrieden noch etwas schwammig war, wurde sie ein Jahr später in der Konferenz von Ceret konkretisiert. Das Rosselló, das Conflent, das Vallespir, das Capcir und ein Teil der Cerdanya sollten an Frankreich gehen; also alles, was theoretisch auf der Nordseite des Pyrenäen-Hauptkamms liegt. Aber die Cerdanya ist ein Hochtal, das auf der Südseite des Kamms liegt und ganz klar zur Iberischen Halbinsel gehört. Allerdings bildet das Tal auch den natürlichen Zugang zum Conflent, weshalb Frankreich einen Teil der Cerdanya haben wollte. Die Cerdanya war ein homogenes, historisch gewachsenes Gebiet (Kerngebiet der Grafschaft Cerdanya; 798 gegründet und seit 1118 Teil der Grafschaft Barcelona), mit Hauptstadt in Puigcerdà. Doch mit den neuen Verträgen gingen 33 Ortschaften im Nordosten einfach an Frankreich (u.a. Èguet, Estavar, Ix, Llo, Naüja, Ro, Vià, Ur, Sallagosa, Enveig, Er, etc.); Puigcerdà blieb bei der spanischen Monarchie. Eine Ausnahme stellte Llívia dar, das noch heute eine spanische Exklave in Frankreich ist. Warum? Llívia hatte königliche Stadtrechte (Vila) und verblieb daher in der spanischen Monarchie. Allerdings muss man sagen, dass die neue Grenze für die Bewohner erstmal kaum Folgen hatte. Die traditionellen Verbindungen zu den Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze blieben erhalten, man kaufte weiterhin im spanischen Puigcerdà ein, es gab grenzüberschreitende Ehen, etc. Die neue französische Cerdanya/Cerdagne (jetzt oft Alta Cerdanya – “Hohe Cerdanya” genannt) gehörte noch bis 1802 zum katalanischen Bistum Urgell (dem Erzbistum Tarragona unterstellt); ab 1802 wurde die Alta Cerdanya aber ins Bistum Perpinyà-Elna integriert. Das Bistum Perpinyà-Elna dagegen – das bis 1659 dem Erzbistum Tarragona unterstellt gewesen war – war bereits mit dem Pyrenäenfrieden dem Erzbistum Narbonne unterstellt worden (seit 2002 dem Erzbistum Montpellier). Dass man jetzt zu Frankreich gehörte, wurde zunächst hauptsächlich daran deutlich, dass sich die Steuern änderten; später an den Grenzfestungen. Zwar importierte Frankreich französischsprachige Priester und Staatsdiener, aber sie mussten allesamt Katalanisch lernen, weil sie sich sonst nicht mit der Bevölkerung verständigen konnten. Wichtig war auch die Gründung einer Jesuiten-Schule, in der zwar auf Französisch unterrichtet wurde, zu der aber eh nur die Elite Zugang hatte. Bis Anfang des 20. Jhd. war die Hauptsprache der Nordkatalanen weiterhin das Katalanische, obwohl es bereits im Jahr 1700 von Ludwig XIV. verboten worden war (im amtlichen und juristischen Gebrauch). In seinem Dekret schrieb er: «Der Gebrauch des Katalanischen ist abstoßend und geht gegen die Ehre der französischen Nation».

Wirtschaftlich war die Teilung aber – sowohl für den Norden als auch für den Süden – eine Katastrophe: Perpinyà war die zweitwichtigste Stadt des Fürstentums gewesen und wurde jetzt plötzlich zu einer unbedeutenden Stadt im Süden Frankreichs. Bis zur neuen Ordnung 1790 (im Rahmen der Französischen Revolution) war Nordkatalonien zwischen zwei Grenzen gefangen: im Süden die Grenze zum Fürstentum Katalonien und somit zur spanischen Monarchie, und im Norden die Grenze zum Lengadòc (die traditionelle Grenze zu Frankreich), die immer noch gültig war. Denn die neue Provinz Rosselló war eine sogenannte Province réputée étrangère (ausländisch geltende Provinz) und ein Pays d’Imposition (Steuerland), d.h. als eroberte Provinz wurden die Bewohner mit höheren Steuern bestraft, die sie – anders als andere Provinzen – nicht selbst verwalten durften, und sie mussten zusätzliche Zölle bezahlen, um mit anderen französischen Provinzen zu handeln (eine ähnliche Situation galt nur für Korsika und das Elsass/Lothringen). Dieser Zustand – Zölle nach Norden und Süden, hohe Steuern, die direkt an den König gingen – ließ die Wirtschaft in Nordkatalonien schnell einbrechen. Vorher wichtige Städte wie Vilafranca de Conflent oder Perpinyà versanken bis zum 19. Jhd. in der Bedeutungslosigkeit.

Zwischen 1667 und 1675 kam es im Vallespir und im Conflent – teilweise aber auch im Rosselló – zu mehreren Bauernrevolten, die von den sogenannten Angelets de la Terra (“Engelchen der Erde”; weil sie auftauchten und wieder spurlos verschwanden) angeführt wurden. Die Angelets de la Terra waren organisierte, bewaffnete Landbewohner, die in Josep de la Trinxeria – einem Bauern aus Prats de Molló (Vallespir) – ihren Anführer gefunden hatten. Auslöser der Revolten war die Einführung und konsequente Eintreibung der verhassten Salzsteuer, mit der die dort stationierten französischen Soldaten und Beamten bezahlt werden sollten (Gabella; jeder Einwohner Frankreichs war gezwungen, wöchentlich eine bestimmte Menge an französischen Salz zu einem festgelegten Preis zu kaufen). Diese Steuer verstieß aber gegen die katalanische Verfassung, da die Corts Catalanes die Salzsteuer bereits im 13. Jhd. abgeschafft hatten. Außerdem richtete sich die Steuer gegen die Interessen der neuen Grenzbewohner, für die das Salz überlebenswichtig war (Viehzucht) und die seit Jahrhunderten ihr Salz aus Katalonien bezogen und wichtige Handelsbeziehungen aufgebaut hatten. Die Aufständischen weigerten sich die Steuer zu bezahlen, schmuggelten Salz aus Cardona über die – noch unsichtbare – Grenze und griffen die Steuereintreiber und die Soldaten an. Diese töteten ihrerseits dutzende Bauern und verurteilten über 50 von ihnen zu lebenslangem Galeerendienst. 1673 begann ein antifranzösischer Aufstand, um die Provinz Rosselló wieder mit dem Rest Kataloniens zu vereinen (innerhalb der spanischen Monarchie). Teil des Aufstands war auch die Verschwörung von Vilafranca de Conflent im Jahr 1674, bei der die wichtigsten nordkatalanischen Familien (Descatllar, Llar, Banyuls, etc.) planten, mit Hilfe des kastilischen Heeres, die Gebiete zurückzuerobern. Doch die Verschwörung flog auf. Frankreich schickte über 4.000 Soldaten in die Region – in der nur ca. 1.500 Menschen lebten (Vallespir und Conflent) – um die Revolten niederzuschlagen. Überall in Frankreich gab es Aufstände wegen der hohen Steuern, aber nirgendwo sonst wurde so extrem durchgegriffen. Es gab Kollektivstrafen (z.B. hohe Geldstrafen für die Dörfer Prats de Molló und Sant Llorenç de Cerdans), öffentliche Hinrichtungen, Verurteilungen zu langen Haftstrafen oder zu Galeerendienst und niedergebrannte Dörfer und Kirchen (z.B. wurde Aiguatèbia komplett niedergebrannt). Viele der Anführer wurden verhaftet, brutal gefoltert und auf dem Marktplatz (Plaça de la Llotja) von Perpinyà öffentlich hingerichtet; ihre Köpfe und Körperteile wurden zur Abschreckung an die Stadttore gehängt (darunter Francesc Puig i Terrats, Manuel Descatllar i Dessoler und Carles de Llar i Teixidor). Nur wenige schaffte es, ins spanische Katalonien zu fliehen; darunter u.a. Josep de la Trinxeria.

Schlimm war für die Nordkatalanen, dass die politische Repression nicht direkt von Franzosen ausgeführt wurde, sondern von südkatalanischen Kollaborateuren wie Ramon de Trobat i Vinyes (hatte Frankreich beim Pyrenäenfrieden beraten; Generalanwalt des Consell Sobirà), Francesc Martí i Viladamor (Richter des Consell Sobirà) und Francesc de Segarra, der zum Dank für seine Loyalität u.a. zum Gouverneur vom Rosselló und Präsident des Consell Sobirà gemacht worden war. Tatsächlich waren fast alle Posten im Consell Sobirà in den ersten Jahren mit pro-französischen Katalanen aus dem Süden besetzt, die ja, nachdem Barcelona von Felipe IV. zurückerobert worden war, nach Perpinyà geflohen waren (Felipe IV. hatte sie von der Generalbegnadigung ausgeschlossen). Bei den Friedensverhandlungen hatten sie die Generalitat und den Consell de Cent verraten – die sie geschickt hatten, um die Einheit Kataloniens zu garantieren – und hatten die Franzosen sogar dazu überredet, die Cerdanya zu teilen. Ludwig XIV. dankte ihnen, indem er ihnen das konfiszierte Eigentum der geflohenen nordkatalanischen Familien schenkte und ihnen wichtige Posten an seinem Hof verschaffte (Trobat i Vinyes z.B. wurde später selbst Intendant und Präsident des Consell). Kollaboration wurde reich belohnt. So wurde z.B. Hyacinthe Rigaud zum Maler des Hofes und gilt noch heute als der bedeutendste Porträtmaler des Ancien Régime. Der im Juli 1659 im noch katalanisch-spanischen Perpinyà geborene Sohn einer nordkatalanischen Künstlerfamilie (der Pyrenäenfrieden wurde erst einige Monate später unterschrieben), ging mit 14 nach Montpellier und später nach Paris. Niemand sollte ihn jemals wieder mit seinem katalanischen Geburtsnamen Jacint Rigau-Ros i Serra ansprechen, geschweige denn ihn unter seinem Taufnamen kennen (sein ganzer Name, laut seiner Taufurkunde, war Híacint-Honorat-Matías-Pere Màrtir-Andreu-Joan Rigau-Ros i Serra).

Obwohl der Consell Sobirà theoretisch teilautonom handeln durfte und sich nach den katalanischen Verfassungen und Gewohnheitsrechten von Perpinyà (Costums de Perpinyà) richten musste, entwickelte er sich schnell zum wichtigsten Instrument der Französisierung der Region, insbesondere der politischen und kulturellen Elite. Es kam nicht selten vor, dass sich die Stadträte (Cònsuls/Jurats) von Elna, Perpinyà oder Prada beim Consell Sobirà wegen Verfassungsverletzungen von Seiten der Franzosen beschwerten, und der Consell Sobirà die Beschwerden einfach abschmetterte. Über dem Consell Sobirà standen zudem auch immer der Intendant und der Gouverneur des Roussillon; französische Staatsdiener, die direkt vom König ernannt wurden. Als Grenzregion war die Provinz zudem dem staatlichen Kriegsministerium unterstellt. Ab 1679 – 20 Jahre nach der Annektierung – begann Frankreich, die Grenze zu militarisieren. Entlang der willkürlich gezogenen Grenze, die teilweise quer durch Höfe, Ländereien und Kirchen ging, wurden Grenzfestungen errichtet. Frankreich hatte 1678 das langersehnte Franche-Comté und Teile Flanderns erhalten, weshalb man die Provinz Rosselló nicht mehr als Druckmittel brauchte. Daher musste jetzt die Grenze befestigt werden. Gewinner der „Ausschreibung“ war der französische Militäringenieur Sébastien de Vauban, der überall an der französischen Grenze Festungen erbauen ließ (ein Eiserner Gürtel um Frankreich). In der Provinz Rosselló ließ er mehrere große Festungen bauen, wie z.B. das Fort de Bellegarde/Bellaguarda (El Pertús), das Fort Lagarde/de la Guàrdia (Prats de Molló), Ausbau des Castell Reial de Cotlliure (Abriss der gesamten Altstadt, um die Festung zu vergrößern; Cotlliure), aber vor allem das Fort Libéria (Vilafranca de Conflent) und Mont-Louis/Montlluís (zu Ehren von Ludwig/Louis XIV. nannte man das vorher bestehende Dorf El Vilar d’Ovança in Mont-Louis um; Grenze Alta Cerdanya/Capcir/Conflent). In den folgenden Jahrzehnten war diese Grenze die am stärksten militarisierte Grenze Europas (allein in Mont-Louis waren fast 4.000 Soldaten stationiert). Die Festungen dienten aber nicht nur zur Grenzsicherung, sondern eben auch zur Unterdrückung der Bevölkerung. Heute sind es sehr gut erhaltene Festungen und Touristenmagnete, doch es sollte wohl niemanden überraschen, dass sich im Jahr 2008 viele nordkatalanische Vereine in der Plattform «Plataforma per la Dignitat Catalunya Nord» (Plattform zur Würde Nordkataloniens) vereinten, um gegen die Ernennung der Festungen von Vauban zum UNESCO-Weltkulturerbe zu demonstrieren. Verhindern konnten sie es nicht: sowohl das Fort Libéria als auch Mont-Louis sind heute, zusammen mit elf anderen Festungen von Vauban, UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Französische Revolution – Meilenstein für die westliche Zivilisation und Wiege der Menschenrechte – hatte in Nordkatalonien erstmal zwei Folgen: eine extreme Repression gegen diejenigen, die gegen die gerade herrschende Partei waren (Girondisten/Montagnards/Jakobiner); und die Abschaffung der bisherigen Institutionen und Verwaltungsgliederung. Aus der Provinz Rosselló wurde das Départment Pyrénées-Orientales, dem jetzt auch der okzitanischsprachige Landkreis Fenolhedés/Fenouillèdes angehörte (die französische Form ist mal wieder eine Falschübersetzung: die richtige Form im Französischen wäre Fenouilledais und nicht Fenouillèdes). Die Vegueries und Sost-Vegueries – Verwaltungseinheiten (Rosselló – Vallespir; Conflent – Capcir; Alta Cerdanya) – wurden aufgelöst und durch drei Distrikte/Arrondissements ersetzt, die auf keiner historischen oder verwaltungstechnischen Grundlage beruhten (Perpinyà/Perpignan, Ceret/Céret und Prada/Prades).

Ab diesem Zeitpunkt begann eine starke Französisierung der Bevölkerung. Mit den Namenswechseln sollte jede Erinnerung an die Vergangenheit ausgelöscht werden. Alle Bewohner der neuen Republik sollten gleich sein: gleiche Steuern, gleiche Rechte, etc. Und dafür brauchte es – so der Wunsch der Revolutionäre – eine gleiche Sprache. Die Sprach- und Kulturvielfalt Frankreichs war ihnen verhasst und so tiefer traf es sie, als sie herausfanden, dass im damaligen Frankreich höchstens 20 % der Bevölkerung Französisch sprach. Der Großteil der Bevölkerung sprach andere Sprachen: Okzitanisch (Occitan/Provençau/Gascon), hochdeutsche Dialekte (Lothringer Platt und Elsässisch), Bretonisch (Brezhoneg), Arpitanisch (Arpetan), Baskisch (Eskuara/Üskara), Katalanisch (Català), Korsisch (Corsu), Westflämisch (Vlaemsch), und ligurische (Ruiascu/Brigašc) oder eben französische Dialekte (wie z.B. Normannisch, Pikardisch oder Gallo). Eine vielzitierte Meinung war: „Der Feudalismus und der Aberglaube sprechen Bretonisch, die Auswanderung und der Republik-Hass sprechen Deutsch, die Gegenrevolution spricht Italienisch und der Fanatismus spricht Baskisch“ (Barère de Vieuzac; 1794). Das Patois (alles was nicht Französisch war) mussten zu Gunsten des Französischen vernichtet werden. Das ging aber natürlich nicht so schnell. Allerdings setzte sich mit der Zeit ein sehr starkes Schamgefühl bei Patois-Sprechern durch, die zwar weiterhin ihre Muttersprache sprachen, aber anfingen, Französisch zu lernen, um vor Auswärtigen, höher gestellten Personen und den Behörden nicht „schlecht“ dazustehen. Außerdem durften nur noch französische bzw. französisierte Namen im Melderegister erscheinen (Joseph statt Josep, Pierre statt Pere, François statt Francesc, Georges statt Jordi, Jacques/Jacob statt Jaume/Jacme/Dídac, etc.). Im 19. Jhd. hingen Schilder und Schulordnungen mit folgender Regel in den Schulen: „Es ist verboten auf den Boden zu spucken oder Patois zu sprechen“.

Das 19. Jhd. war für die Nordkatalanen trotz allem eine halbwegs gute Zeit. Zwar fand die industrielle Revolution nur in Perpinyà statt, aber das ließ auch die Wirtschaft im Umland wachsen. Die Region schenkte Frankreich zudem einige der überzeugtesten Republikaner des Landes, wie z.B. François Arago (Francesc Aragó i Roig; Physiker, Astronom und Politiker; 1848 Teil der Regierung und verantwortlich für die Abschaffung der Sklaverei in Frankreich). Doch man orientierte sich immer weiter nach Paris, denn Spanien war im 19. Jhd. ein einziges Chaos. Da wollte niemand hin. Erst der Unabhängigkeitskrieg (gegen die Besetzung durch Napoleon); dann eine absolute Monarchie, die sich weigerte, zu gehen; und parallel dazu die drei Carlisten-Kriege, bei denen sich ihre katalanischen Brüder gegenseitig umbrachten; weil die einen die Wiederherstellung der absoluten Monarchie mit Sonderrechten für Katalonien wollten (Carlisten) und die anderen eine liberale Bundesrepublik. Und auf ihrer Seite der Grenze: die Republik (mit Unterbrechungen), Paris, der Kampf gegen den Adel, Prestige in Europa. Das wollte niemand für das Chaos südlich der Grenze eintauschen. Am Sprachverhalten änderte sich zunächst aber relativ wenig; noch bis Ende des 19. Jhd. war das Katalanische die Muttersprache von mindestens 90% der Bevölkerung. Allerdings hatte sich etwas geändert: 1881 wurde die flächendeckende Schulpflicht eingeführt. Ab diesem Zeitpunkt lernte jedes Kind, egal ob Stadt- oder Dorfkind, Französisch (einzige Unterrichtssprache) und die Werte der Republik. Und sie lernten die Angst vor/den Hass auf Deutschland. Das bezeugen die Lieder in den Schulbüchern jener Zeit. Doch niemand in Nordkatalonien hatte jemals einen (feindseligen) Deutschen gesehen. Bis 1914. Im Ersten Weltkrieg mussten zehntausende Nordkatalanen gegen die Deutschen kämpfen, was das Zusammengehörigkeitsgefühl der Franzosen stärkte und das französische Nationalgefühl entstehen ließ. Doch es wurden auch Tausende im Krieg getötet oder verwundet, weil sie die Befehle der französischen Generäle nicht verstanden. Diejenigen, die dann nach Hause zurückkehren konnten, verbreiteten eine neue Einsicht: Französisch war die Sprache der Zukunft. Tausende Familien fingen an, mit ihren Kindern auf Französisch zu sprechen; es kam zum Bruch der intergenerationellen Weitergabe des Katalanischen. Einer 1000 jährigen Sprachgeschichte wurde ein jähes Ende gesetzt. Zwar konnten fast alle im Jahr 1939 natürlich noch Katalanisch, weshalb sie keinerlei Verständigungsschwierigkeiten mit den zehntausenden katalanischen Flüchtlingen hatten, um die sich viele Nordkatalanen heldenhaft kümmerten; aber in wenigen Jahrzehnten verschwand die Sprache – dank Radio und Fernsehen – komplett aus der Öffentlichkeit (natürlich auch unterstützt durch eine wachsende französischsprachige Immigration; fast 60% der heutigen Bevölkerung Nordkataloniens wurden außerhalb geboren). Die Kinder fingen an, sich für ihre Eltern und Großeltern zu schämen, weil sie eine „Bauernsprache“ sprachen, die sie am sozialen Aufstieg hinderte. In einer Schule im nordkatalanischen Aiguatèbia erinnert noch heute ein Wandspruch aus den 1950ern an jene Zeit: Seid sauber, sprecht Französisch“. Noch bis Mitte des 20. Jhd. wurden Kinder brutal geschlagen, wenn sie im Unterricht Katalanisch sprachen (z.B. der Bericht von Lluïsa, einer 90-jährigen Frau aus Aiguatèbia, der ein Lehrer mit einem Faustschlag die Nase brach, als sie 5 Jahre alt war: «si parlàvem en català, ens feien punir, […] em va trencar el nas, el mestre em va fotre un cop de puny sul nas» – ‘wenn wir Katalanisch sprachen, wurden wir bestraft, […] mir hat man die Nase gebrochen, der Lehrer schlug mir mit der Faust auf die Nase’); die Lehrer gingen nach Schulschluss durch das Dorf und belauschten die Familien, um sie – falls sie Katalanisch sprachen – dazu aufzufordern, mit den Kindern nur Französisch zu sprechen. Der Linguizit/Sprachmord, den Frankreich seit Jahrhunderten versuchte durchzuführen, fand im Kapitalismus und in der Modernisierung des 20. Jhd. seine besten Verbündeten. Am Beispiel des Okzitanischen sieht man es am besten: waren 1860 noch 39% der Franzosen okzitanischsprachig (14 Mio.), waren es 1920 nur noch knapp 27% und heute höchstens 2% (zwischen 200.000 und 600.000 Muttersprachler).

Nur 6% der Nordkatalanen benutzen heute das Katalanische noch im Alltag, obwohl es noch 35% sprechen können. Dadurch entstand in Nordkatalonien eine andere Art der Katalanität (Catalanitat): im Gegensatz zu Katalonien, ist hier die katalanische Identität sehr viel ethnischer/folkloristischer. Selbst, wenn man kein Katalanisch spricht, fühlt man sich als Katalane. Die Nordkatalanen nennen sich selbst „Catalans“ und definieren das eher über Kultur und Abstammung. Man tanzt Sardanes (jedes Dorf/jede Stadt hat mindestens einen Sardanes-Verein); geht zum Rugby, feuert die USAP (Union Sportive Arlequins Perpignan; Spitzname: Els Catalans) oder die Dragons Catalans an und singt dabei El Cant d‘USAP bzw. l’Estaca (offizielle bzw. inoffizielle Hymne der USAP) und Els Segadors (Hymne der Dragons/Dracs Catalans); wedelt mit der Senyera und singt beim Stierkampf voller Inbrunst die katalanische Nationalhymne. In Katalonien wäre das unmöglich. Tatsächlich sind die Farben der katalanischen Flagge (sang i or – blutrot und gold) überall präsent: sowohl bei den Rugby-Spielen, bei Demonstrationen und Straßenfesten, als auch an öffentlichen Gebäuden, Restaurants, auf Souvenirs etc. Selbst die Stadtverwaltung von Perpinyà hat sich ein Motto gegeben: Perpignan – La Catalane/ Perpinyà – La Catalana. Auch auf den Ortseingangsschildern steht das (was übrigens den spanischen Botschafter ziemlich verärgert haben muss, da er sich öffentlich darüber beschwerte).

Im Jahr 2016 wurden die Regionen Midi-Pyrénées und Languedoc-Roussillon (zu der Nordkatalonien gehörte) im Rahmen der französischen Verwaltungsreform in der neuen Region Occitanie/Occitània vereint. Bei einer unverbindlichen Volksbefragung, die in den beiden Regionen stattfand, stimmte die Mehrheit (45%) für diesen Namen. Doch in Nordkatalonien wollte niemand diese Bezeichnung, weil sie sich diskriminiert fühlten. Sie sind Katalanen, keine Okzitanier. Die favorisierte Version der Nordkatalanen war Occitanie-Pays Catalan, oder als neutralen Kompromiss Pyrénées-Méditerranée. Doch beide Optionen kamen nur auf 12,1% bzw. 15,3%. Das war ja auch zu erwarten: die ca. 470.000 Nordkatalanen stellen nur knapp 9% der Bevölkerung der neuen Region. Doch auch in anderen Regionen kam es zu Protesten, da Okzitanien sehr viel größer ist als diese neue Region, und viele Okzitanier aus Aquitanien und der Provence darin eine Aneignung sahen. Auch im Elsass und im nördlichen Lothringen kam es zu Protesten, weil ihre beiden traditionell deutschsprachigen Regionen (Alsace/Elsass und Lorraine/Lothringen; nur der Norden Lothringens ist traditionell deutschsprachig) mit der französischsprachigen Region Champagne-Ardenne zur Region „Großer Osten“ (Grant Est) vereint wurden. Der Vergleich hinkt zwar, weil wir in Deutschland Bundesländer haben, die eine Eigenstaatlichkeit inne haben, aber: man stelle sich mal vor, man würde z.B. Bayern und Baden-Würtemberg zum „Großen Süden“ oder „Baden-Würtemberg“ vereinen…Beim „Großen Süden“ würden beide Bundesländer protestieren, und bei „Baden-Würtemberg“ würden die Bayern wohl vor Wut an die Decke gehen. Geändert haben die Proteste übrigens nichts: der Staatsrat (Conseil d’État) – eine Art Rat der Weisen (Mischung aus Beratungsorgan der Regierung und Oberstes Verwaltungsgericht)- beschloss die Namen der neuen Region im Jahr 2016. Aus Protest brachten die meisten nordkatalanische Gemeinden unterhalb ihrer Ortsschilder ein weiteres Schild mit der Aufschrift „Pays Catalan“ an.

Langsam wird versucht, auch die institutionellen Verbindungen zwischen Katalonien und Nordkatalonien zu stärken (Universitäten, Generalitat – Consell dels Pirineus Orientals, etc.), aber es dauert und ist ziemlich schwierig, weil die Institutionen in Nordkatalonien nur verwaltungstechnische Kompetenzen haben. Wenn politisch etwas passieren soll, dann geht das nur über Paris. Und Paris…ja, Paris ist eben Paris. 1992 änderte man sogar den Artikel 2 der Verfassung, damit auch dort geschrieben steht, dass nur „Französisch die Sprache der Republik ist“. Erst im Artikel 75 steht dann, dass die Regionalsprachen ein Kulturgut sind. Mehr nicht, und daraus gehen auch keine Rechte hervor (Entscheidung des französischen Verfassungsgerichts 2011). Da bringt es wenig, dass der Consell dels Pirineus Orientals (Département-Rat) die katalanische Flagge als Logo hat oder im Jahr 2007 die „Charta zur Förderung des Katalanischen“ (Carta a favor del català) beschloss, mit der man sich selbst dazu verpflichtete, das Katalanische in der Öffentlichkeit und im Schulsystem zu fördern. Natürlich war dieses Dokument ein Meilenstein: zum ersten Mal in der Geschichte definierte der Département-Rat das Katalanische offiziell – neben dem Französischen – zur Sprache des Departments und zum ersten Mal definiert sich die Region in einem offiziellen Dokument als Catalunya Nord. Aber es fehlen einfach die Kompetenzen, um auch wirklich was zu ändern. Das öffentliche Schulsystem bietet verschiedene Möglichkeiten: 1. Überhaupt kein Katalanisch (die Mehrheit), 2. 30 – 60 Minuten/Woche Katalanisch als Wahlfach (Iniciació) oder 3. „bilingualer“ Unterricht (3 Std. Katalanisch-Unterricht und 3 Std. ein auf Katalanisch unterrichtetes Fach; also 6 Std/Woche, von 26). Das als bilingualen Unterricht zu bezeichnen ist zwar lachhaft, aber immerhin besser als nichts. Von diesen „bilingualen“ Schulen gibt es etwas über 30 (nur ca. 10% aller Schulen in Nordkatalonien). Wenn eine Familie aber möchte, dass das Kind größtenteils auf Katalanisch unterrichtet wird (Immersion), kann sie nur auf die Schulen von La Bressola zurückgreifen; einem Kulturverband, der in ganz Nordkatalonien ein privates, katalanischsprachiges Schulnetz betreibt (sie bilden mit den baskischen Seaska, den bretonischen Diwan, den okzitanischen La Calandreta und den elsässischen ABCM-Zweisprachigkeit  ein Netzwerk, das die Arbeit macht, die die französische Regierung nicht macht). Jedoch betreibt La Bressola nur 7 Vor-/Grundschulen (Maternal: 2 – 5 Jahre; Primària: 6 – 11 Jahre) und eine weiterführende Schule (Col·legi), mit insgesamt ca. 1.000 Schülern. Trotz der großen Nachfrage sind es nicht mehr, da das Geld fehlt und das Bildungsministerium sich weigert, sie finanziell zu unterstützen, solange sie nicht mindestens 50% des Unterrichts auf Französisch anbieten (das Bildungsministerium übernimmt die Bezahlung der Lehrer erst, wenn der jeweilige Schulstandort 5 Jahre existiert). Frankreich unterhält überall auf der Welt Französische Schulen (Lycées Français; über 500 Stück), in denen die totale Immersion in Französisch praktiziert wird; verbietet aber die Immersion in den regionalen Sprachen des Staates im eigenen Schulsystem. Oft wird gesagt, dass ca. 25% der nordkatalanischen Schüler Katalanisch lernen. Das ist aber Augenwischerei: nur 8% besuchen eine bilinguale oder teil-immersive Schule, und nur 3% besuchen die voll-immersiven Bressoles. Und das, obwohl über 70% der Nordkatalanen dafür sind, dass das Katalanische präsenter wird, und 76% ein zweisprachiges Schulsystem befürworten. Man hat sich jetzt fest vorgenommen, das öffentliche Schulnetz dementsprechend auszubauen, mal gucken, was passiert. Denn immer mehr junge Menschen wollen wieder Katalanisch lernen. Seitdem Spanien 1986 der EU beigetreten ist, hat ein Wandel stattgefunden: Viele orientieren sich jetzt nach Süden. Direkt hinter der nun offenen Grenze befindet sich ein starkes Wirtschaftszentrum und eine der dynamischsten Großstädte Europas, Barcelona; nur 2 Stunden mit dem Auto oder 80 Minuten mit dem Zug entfernt. Und dort spricht man Katalanisch, ganz ohne Komplexe oder Schamgefühle. Immerhin 30% der Nordkatalanen sprechen überwiegend (15% ausschließlich) Katalanisch, wenn sie Katalonien besuchen. Dank der EU und der damit verbundenen offenen Grenzen ist etwas in Bewegung gekommen. Im Jahr 2003 eröffnete die Generalitat in Perpinyà eine Auslandsvertretung (Casa de la Generalitat a Perpinyà), um die Beziehungen zu stärken (sowohl ökonomisch und institutionell, als auch kulturell und sprachlich). Außerdem wird der Austausch zwischen den Universitäten in Perpinyà, Girona und Barcelona gefördert. Zudem gründete man zusammen den Espai Català Transfronterer (katalanischer grenzübergreifender Raum), dem sowohl Nordkatalonien als auch die Provinz Girona angehören. Auf längere Sicht ist es der Plan, einen Eurodistrikt zu gründen, um so die Zusammenarbeit noch besser zu koordinieren. Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit kann man heute schon bestaunen: vor einigen Jahren wurde in Puigcerdà das erste und einzige grenzübergreifende Krankenhaus Europas eröffnet (Hospital de Cerdanya/ Hôpital de Cerdagne), in dem sich auch die Bewohner der französischen Cerdanya und des Capcir behandeln lassen können, da sie ansonsten über 1,5 Stunden zum nächsten Krankenhaus in Prada fahren müssten. Es ist spannend zu sehen, wohin sich alles entwickelt



Auch wenn das hier alles sehr lang wird, so denke ich doch, dass es wichtig ist, um die Haltung und die Entscheidungen der Katalanen jener Zeit zu verstehen. Niemand könnte ansonsten verstehen, warum die Generalitat gegen die Monarchie rebellierte oder was die Katalanen dazu bewegte, sich wieder von Frankreich zu entfernen; ohne dieses Vorwissen wäre es unerklärlich, was die katalanischen Politiker beim Spanischen Erbfolgekrieg dazu brachte, ihre Meinung zu ändern, und sich gegen die französischen Bourbonen zu stellen. Denn natürlich hörten die Spannungen mit dem Ende des 17. Jhds. nicht einfach auf. Tatsächlich kam es Anfang des 18. Jhds. zum letzten Knall, zur letzten Rebellion, zum letzten Aufbäumen der Katalanen, um ihre Verfassungen und Institutionen zu verteidigen.


Exkurs: der Spanische Erbfolgekrieg (Guerra de Successió Espanyola)

Der Spanische Erbfolgekrieg war eine internationale Angelegenheit, denn es ging um die Vormachtstellung in Europa und um die Kontrolle der spanischen Kolonien in Amerika. Carlos II. war im Jahr 1700 ohne Thronerben gestorben und hatte Felipe de Anjou zu seinem Nachfolger ernannt (nachdem sein Favorit, Joseph Ferdinand von Bayern, bereits im Jahr 1699 gestorben war). Für viele Kastilier war Ludwig XIV. – der „Sonnenkönig“ und Großvater von Felipe de Anjou – die einzige Person, die die territoriale Integrität der spanischen Monarchie garantieren konnte. Denn die europäischen Mächte hatten schon zu Lebzeiten Carlos II. begonnen, sich die spanischen Gebiete untereinander aufzuteilen. Die Ernennung des Franzosen zum Thronfolger kam aber nicht bei jedem gut an; zumal es zwei Thronprätendenten gab, die eigentlich dieselben Anrechte hatten. Auf der einen Seite stand der französische Bourbone Felipe de Anjou – der von Frankreich, Kastilien, Bayern, Kurköln und dem Hause Savoyen unterstützt wurde – und auf der anderen Seite stand der österreichische Habsburger Erzherzog Karl (Archiduque Carlos), der vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRR), England, Schottland, den Vereinigten Niederlanden und Portugal unterstützt wurde. Da Felipe de Anjou auch Thronfolger der französischen Krone war, sahen England und das HRR in der Vereinigung Frankreichs und der Spanischen Monarchie unter einem Herrscher eine große Bedrohung. Andererseits befürchtete Frankreich, dass durch die Vereinigung des HRR und der Spanischen Monarchie eine ähnliche Situation entstehen würde wie im 16. Jhd., als Carlos I. von Spanien (Karl V. des HRR) über fast ganz Mittel-, Süd- und Südwesteuropa herrschte (u.a. die Kronen Kastilien und Aragonien, Süditalien, Nordwestitalien, Schweiz, Deutschland, Niederlande, etc.) und Frankreich dadurch extrem isolierte. Diese Länder hatten also neben den Machtbestrebungen auch die Absicht, den Erbfolgekrieg zu nutzen, um sich spanische Gebiete außerhalb der iberischen Halbinseln anzueignen.

Das Fürstentum Katalonien und die anderen Länder der Krone Aragoniens (namentlich die Königreiche Aragonien, Valencia und Mallorca) stimmten zunächst dem Thronanspruch von Felipe de Anjou zu. Im Jahr 1701 ging der 17-jährige Franzose sogar nach Barcelona (noch bevor er nach Madrid ging; auf Anraten seines Großvaters Ludwig XIV., der die Katalanen ja kannte und ihm daher riet, erst die „argwöhnischen Nationen der Monarchie davon zu überzeugen, dass er ihre Sonderrechte nicht abschaffen würde“), schwor den Verfassungen die Treue, ließ die Corts tagen und beendete sie 1702. Alles in allem waren die Corts ganz gut verlaufen: man hatte sogar die Einführung des Tribunal de Contrafaccions durchbekommen, einer Art neutralen Verfassungsgerichts, das bei Verfassungsverstößen von Seiten der Monarchie urteilen sollte. Diese Forderung war seit fast  200 Jahren von den spanischen Königen ignoriert worden. Allerdings weigerte sich Felipe de Anjou, ab jetzt Felipe V. (Felip IV. in Katalonien), die Kontrolle über die Insaculació abzugeben, was bei vielen Katalanen überhaupt nicht gut ankam. Ein weiterer negativer Punkt war, dass Felipe V. den beliebten Vizekönig Georg von Hessen-Darmstadt absetzte und ihn durch Portocarrero ersetzte (1701, noch bevor er den Verfassungen die Treue geschworen hatte; das verstieß gegen die Verfassungen); und dass Felipe V. im Jahr 1703 Velasco wieder zum Vizekönig machte, obwohl er bei den Katalanen verhasst war (wir erinnern uns daran, dass er nur 6 Jahre vorher, im Jahr 1697, mit Tausenden Soldaten aus Barcelona geflohen war, weshalb die Bewohner der Stadt der französischen Belagerung fast schutzlos ausgeliefert waren). Doch der Krieg in Europa hatte bereits begonnen und so ging Felipe V. direkt nach der Beendigung der Corts nach Italien, um dort persönlich an der Front zu sein.

In Katalonien selbst gab es zwar Anhäger Felipes (botiflers/felipistes/borbònics), aber auch sehr viele Anhänger der Habsburger (austriacistes/vigatans/imperials); denn die traditionelle antifranzösische Haltung vieler Katalanen hatte mit den blutigen Kriegen der letzten 50 Jahre nicht gerade abgenommen. Besonders die Belagerung 1697, bei der über 4.000 Barceloniner den über 20.000 französischen Brandbomben zum Opfer gefallen waren; und, die ja erst 4-5 Jahre her war, war bei vielen Katalanen sehr präsent. Viele französische Generäle beschwerten sich darüber, dass französische Staatsdiener auf der Straße beleidigt und manchmal sogar mit Steinen beworfen wurden. Dieses Klima nutzte die habsburgische Allianz im Jahr 1704 aus und legte in Barcelona an, um gegen die bourbonischen Truppen zu kämpfen. Allerdings schlug der Versuch fehl, und während die Allianz wieder verschwand, begann der – ohnehin schon verhasste – Vizekönig Velasco in Barcelona eine scharfe Repression gegen die einheimische Bevölkerung und trat die Constitucions Catalanes mit Füßen. Er verfolgte vermeintliche Austriacistes und ließ hunderte verhaften; darunter Mitglieder der Tres Comuns (den drei großen Institutionen Kataloniens: Diputació del General, Consell de Cent und Braç Militar de Catalunya), Richter der Reial Audiència de Catalunya und der Bischof von Barcelona. Am Ende ließ er die Conferència dels Tres Comuns (eine Versammlung, in der sich die Delegierten der Tres Comuns berieten) sogar ganz verbieten. Das alles führte dazu, dass sich immer mehr Katalanen auf die Seite der Habsburger schlugen. Besonders für die politische Führungsschicht Kataloniens (Bürgertum, Landadel, Patrizier, Kaufleute), aber auch für das normale Volk, war die Verteidigung der eigenen Rechte wichtiger als die Loyalität zu einem König, der sie missachtete. Für die Katalanen reichte das Erbrecht oder ein Testament nicht aus, um jemanden als König zu akzeptieren. Schwor er der Verfassung die Treue und hielt sich an die Gesetze, waren sie treue Untertanen. Missachtete er sie, begehrte man auf.

Der Botschafter Barcelonas (damals durfte Barcelona noch eigene Botschafter nach London, Wien, Madrid, etc. schicken), der sich in Madrid über die Repression beschweren wollte, wurde sofort inhaftiert, was die Unzufriedenheit nur noch mehr anfeuerte. Und so unterschrieben Katalonien und England im Juni 1705 einen Militärpakt (Pacte de Gènova), in dem sich Katalonien bereit erklärte, für die Habsburger zu kämpfen, und England sich im Gegenzug dazu verpflichtete – egal wie der Krieg enden sollte – die katalanischen Sonderrechte zu verteidigen. Die Austriacistes/Vigatans begannen im Umland von Vic, Tarragona und Lleida einen Aufstand gegen die Bourbonen, der sich schnell auf ganz Katalonien ausbreitete. So wurde der Weg für die habsburgische Allianz geebnet (Teil des Pacte de Gènova). Wenige Monate später traf der Erzherzog Carlos mit seinen habsburgischen Truppen in Barcelona ein, wo sie von der Bevölkerung jubelnd empfangen wurden. Die Menschen schrieben sogar ein traditionelles Weihnachtslied, den Cant dels ocells (Gesang der Vögel; heutzutage eine Friedenshymne), um, und widmeten Carlos beim Empfang Strophen wie «Cantavan los aucells, quan veren los vaixells devant de Barcelona» (Die Vögel sangen, als sie die Schiffe vor Barcelona sahen), «Cantan los cruixidells y tots los passarells, viva lo Rey de Espanya, Carlos Tercer és lo nom, és blanch com un colom, vingut de Alemanya» (Die Grauammer und Bluthänflinge singen Es lebe der König von Spanien, Carlos III. ist sein Name, er ist so weiß wie eine Taube, er kommt aus Deutschland) oder «Cantava lo pinçà, mirau lo Cathalà, que goig y que alegria té avui de son Rey» (Der Buchfink sang, schaut euch den Katalanen an, welche Wonne und Freude er heute an seinem König hat). Im November 1705 schwor der Erzherzog Carlos den katalanischen Verfassungen die Treue und berief die Corts ein. Die neuen Verfassungen ähnelten den vorherigen sehr, allerdings gab es auch fundamentale Unterschiede: Soldaten durften nur noch in Kasernen untergebracht werden; Carlos erklärte sich dazu bereit, Nordkatalonien zurückzugewinnen; das Briefgeheimnis wurde wieder schriftlich festgelegt; königliche Staatsdiener durften Katalanen nicht ohne Grund festnehmen, und wenn sie nicht innerhalb von 15 Tagen verurteilt wurden, erhielten sie wieder die Freiheit; und Carlos übergab die Kontrolle der Insaculació wieder den Katalanen (behielt sich aber vor, dies wieder zu ändern). Mit der offiziellen Beendigung der Corts Anfang 1706 wurde der Erzherzog zum König Carlos III. ernannt und er verlegte seinen königlichen Sitz nach Barcelona. Außerdem heiratete er dort im Jahr 1708 seine Frau, Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel. Der Krieg zog sich noch ein paar Jahre, Barcelona wurde mehrmals von den Bourbonen belagert, aber nicht eingenommen; und die Habsburger eroberten zweimal Madrid, mussten aber wieder abrücken, weil das kastilische Volk sie nicht akzeptierte. Dass Carlos III. während der Belagerungen nicht floh, sondern in der Stadt blieb, stärkte seine Beliebtheit bei den Katalanen.

Im Jahr 17011 verließ Carlos III. jedoch die iberische Halbinsel: seine Truppen waren geschwächt, und er sollte zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt werden (als Karl VI.), weil sein Bruder Joseph I. verstorben war. England stieg daraufhin aus der Allianz aus, weil man nicht wollte, dass die spanische Monarchie und das HRR von einem einzigen Habsburger regiert werden. In den Friedensverhandlungen beharrten die Engländer zunächst darauf, dass Katalonien seine Verfassungen und Sonderrechte beibehält. Später schlugen die Habsburger vor, dass man entweder die Krone Aragoniens unter habsburgische Herrschaft stellen oder Katalonien (inklusive des Königreichs Mallorca) den Status einer unabhängigen Republik zusprechen sollte. Beides lehnten Felipe V. und Ludwig XIV. vehement ab («Por esos canallas, esos sinvergüenzas, el rey otorgará jamás sus privilegios, pues no sería rey si lo hiciera» – “Diesem Gesindel, diesen Lumpen, wird der König niemals ihre Sonderrechte gewähren, denn er wäre kein König, wenn er es täte”). Die Habsburger zogen sich daraufhin aus den Friedensverhandlungen zurück. Als Felipe V. England dann noch gewisse Zugeständnisse machte, indem er u.a. auf den französischen Thron verzichtete und England Gibraltar und Menorca überließ, zogen auch die Engländer ihre Forderungen zurück. Der habsburgische Botschafter in Utrecht warf dem englischen Minister vor, seine Verbündeten im Stich zu lassen, „im Tausch für Opium aus Peru und Potosí, das den englischen Minister gerade betäubt hat, um die Interessen seiner Verbündeten zu opfern“ (todo ello a cambio de «opio del  Perú y Potosí que presente ha adormecido al ministro inglés para sacrificar los intereses de sus aliados»). Nachdem beide Seiten den Friedensvertrag unterschrieben hatten (Teil des Friedens von Utrecht), zogen die Engländer und die Habsburger ihre Truppen aus Barcelona ab und überließen den Bourbonen die Waffen und Festungen (1712/1713). Auch Elisabeth von Braunschweig-Wolfenbüttel musste die Stadt 1713 verlassen. In einem Brief an ihren Freund und Berater, dem Markgrafen von Rialp, schrieb sie: „Ich werde nie eine andere Nation so lieben, wie ich die Katalanen liebe, und ich werde sie mein ganzes Leben lang lieben“.

Die Katalanen waren alleine gelassen worden – selbst ihre geliebte Königin war gegangen – und berieten nun darüber, ob man sich Felipe V. ergeben sollte oder nicht. Die verschiedenen „Arme“ (Braços) der Corts Catalanes (des Parlaments) und der Consell de Cent (Regierung Barcelonas) diskutierten lange, doch das „Angebot“ von Felipe V. im Friedensvertrag war nicht gerade das, was sie erwartet hatten. Im Vertrag versprach er den Katalanen zwar die Begnadigung (wegen der Rebellion), aber er sagte auch, dass sie nur die Rechte bekommen würden, die auch die Bewohner beider Kastilien (Alt- und Neukastilien) genießen. Denn diese wären die Völker Spaniens, die der König am meisten liebte («les concede aquellos privilegios que poseen y gozan los habitantes de las dos Castillas, que de todos los pueblos de España son los más amados del rey católico»). Am Ende entschied man sich, den Krieg alleine weiterzuführen und erklärte Felipe V. am 9. Juli 1713 erneut den Krieg.

In Kastilien war mittlerweile die Meinung über Katalonien sehr negativ; Felipe V. hatte bereits 1711 angefangen, Propaganda zu verbreiten, in der er behauptete, dass die  „verräterischen“ Katalanen planen würden, ganz Spanien zu erobern. Katalonien stattdessen versuchte das Bild wieder gerade zu rücken und veröffentlichte Prospekte sowohl auf Katalanisch als auch auf Kastilisch, um zu erklären, dass man diesen Krieg nicht nur für Katalonien kämpfte, sondern auch für Valencia und Aragonien (beide Länder hatten 1707 ihre Sonderrechte verloren) und für die Freiheit von ganz Spanien. Doch das half nichts, spanische/kastilische und französische Truppen fingen bereits am 25. Juli 1713 an, Barcelona zu belagern; teilweise wurde die Stadt wochenlang Tag und Nacht bombardiert.

In England schien es indes nicht ausgeschlossen, Barcelona zu Hilfe zu kommen. Die Tories (gegen den Krieg) und die Whigs (für den Krieg) diskutierten lange über ihre Verantwortung gegenüber Katalonien, da man die Katalanen erst dazu bewegt hatte, gegen Felipe V. zu rebellieren, und sie dann in Stich gelassen hatte. Doch am Ende entschied man sich dazu, sich raus zu halten (die Tories hatten die Parlamentsmehrheit). Die Gesamtheit dieser Debatte und der Auseinandersetzungen zwischen England/HRR und dem Bourbonen wurde „The Case of the Catalans“ genannt und während der Parlamentsdebatte in England fielen Sätze wie (dokumentiert im März und Mai 1714): «Ihre Vorfahren haben ihnen diese Privilegien hinterlassen, die sie schon seit Jahrhunderten genießen. Und jetzt sollen sie sie einfach aufgeben und zu einem Volk von Sklaven werden? Nein! Sie bevorzugen es, zu sterben. Der Tod oder die Freiheit, das ist ihre entschiedene Wahl.» oder «All diese Probleme berühren das Herz eines jeden edelmütigen Engländers. Wird das Wort „Katalanen“ nicht zum Synonym unserer Schande werden?». Sollte es vielleicht. Im selben Jahr 1714 erschienen in London die Manifeste „The deplorable history of the Catalans“ (Die bedauernswerte Geschichte der Katalanen) und „The Case of the Catalanes considerd“ von J. Baker, in dem die Unterstützung der Katalanen im Erbfolgekrieg gepriesen und der darauffolgende Verrat durch England angeprangert wird (mit unzähligen unveröffentlichten Briefen, Verträgen und Erklärungen). Nachdem es 1715 in England zu einem Machtwechsel gekommen war, wurden einige Minister der Tories wegen Vertragsbruch und Verrat an den Katalanen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Tatsächlich versuchte man 1714 sogar noch die englische Flotte, die in Maó (Menorca) stationiert war, nach Barcelona zu schicken, doch es war bereits zu spät: der katalanische Botschafter erhielt die Zusage des englischen Königs am 18. September 1714. Barcelona war aber bereits am 11. September gefallen (die Nachricht war allerdings noch nicht in Mitteleuropa angekommen).

Nachdem Barcelona ein Jahr lang belagert worden war, begann man die Stadt 60 Tage am Stück zu bombardieren. Vor den Toren Barcelonas standen ca. 39.000 französische und spanische Soldaten,  bis zu 40.000 weitere waren in ganz Katalonien verteilt, um das Land unter Kontrolle zu bringen (zwischen 80.000 und 100.000 Soldaten in einem Land, das nur ca. 430.000 Einwohner hatte). Die einzige Festung, die zusammen mit Barcelona den bourbonischen Truppen standhielt, war Cardona. Der Rest des Landes war verwüstet und unter bourbonische Kontrolle gebracht worden. Dabei gingen die Besatzer grausam vor: ganze Orte wurden geplündert und nahezu vollständig niedergebrannt (z.B. Manresa, Terrassa, Sallent, Vilassar de Dalt, Teià, Caldes de Montbui, Torelló, Sant Hipòlit de Voltregà, Prats de Lluçanès, Viladrau, etc.). Allerdings beließ man es beim Niederbrennen: anders war es Xàtiva ergangen, der zweitgrößten Stadt des Königreichs Valencia. Xàtiva wurde zur Strafe 1708 vollkommen niedergebrannt, die verbliebenen Gebäude geplündert und dem Erdboden gleich gemacht, und die Bewohner entweder ermordet oder nach Kastilien deportiert. Xàtiva wurde exterminiert (Extermini de Xàtiva). Auf den Ruinen ließ Felipe V. eine neue Stadt bauen: San Felipe. Erst Jahrzehnte später kamen langsam ehemalige Bewohner zurück (1707: 12.000 Einwohner; 1708: 400; erst Ende des 18. Jhd. erreichte man wieder die 12.000 Einwohner) und erst 100 Jahre später erlangte die Stadt ihren richtigen Namen zurück. Noch heute bezeichnet man die Bewohner Xàtivas als Socarrats (Verbrannte) und im Stadtmuseum hängt ein umgedrehtes Porträt von Felipe V. Erst, wenn sich seine Nachfahren, die aktuelle Königsfamilie, offiziell für die Gräueltaten entschuldigen, wird man es richtig herum aufhängen.

Im Landesinneren Kataloniens wurden zudem tausende Widerstandskämpfer der Sometents entweder in der Schlacht oder danach niedergemetzelt und in vielen Ortschaften führte man den Delme de forca/Diezmo de horca ein: alle Gefangenen oder Bewohner eines Ortes wurden aufgestellt, und jeder Zehnte gehängt. Der Rest wurde entweder ins Gefängnis gesteckt, zu jahrelangem Galeerendienst verurteilt oder deportiert. Der Befehl des neapolitanischen Generals Duque de Pópuli war: «Precisa a usar del hierro y del fuego para cauterizar a miembros tan dañados» (Es ist nötig, Eisen und Feuer zu benutzen, um diese dermaßen geschädigten Glieder auszubrennen/zu kauterisieren/zu verätzen). Sein Nachfolger General Duque de Berwick erklärte zudem, dass diejenigen, die sich gegen die Herrschaft von Felipe V. wehrten, „nur mit Vernichtung und Verwüstung rechnen dürften“ («Mandaré darles tal que será su último exterminio y desolación»). Und warum das alles? «Para que sirviese este castigo de padrón memorable para la posterioridad y de escarmiento» (Damit diese Strafe als erinnerungswürdiges Muster für die Nachwelt und zur Abschreckung dient); «y se logra […] el que aquellos convivan un gran terror y miedo» (und man bewirkt, dass jene mit großem Schrecken und Angst leben). Die ungebremste Repression wurde schon von zeitgenössischen Chronisten als „militärischer Terrorismus“ bezeichnet. In den eroberten Gebieten führten die Bourbonen zudem die höchsten Steuern ein, „die die Menschen je gesehen hatten“, was im Januar/Februar 1714 einen Volksaufstand auslöste (Revolta de les Quinzenades), der brutal unterdrückt wurde. Allerdings führte dieser militärische Terrorismus auch zu Rachefeldzügen von Seiten mancher Katalanen, die anfingen, ihrerseits die Kriegsgefangen zu töten. Nach vielen bourbonischen Massakern kam es in der Nähe zu einem Massaker an gefangenen bourbonischen Soldaten; zumeist von einzelnen Personen durchgeführt, die beim vorherigen Massaker Familienangehörige verloren hatten. Das größte war wohl das Massacre de la Serra dels Degollats: bei der Schlacht von Balsareny hatten sich ca. 700 kastilischen Soldaten ergeben, und wurden von einem katalanischen Regiment nach Cardona geführt, um sie dort ins Gefängnis zu stecken. Zeitgleich hatten die Bourbonen ihr Wort gebrochen, und über 120 Dorfbewohner in La Gleva (Osona) erhängt, obwohl man versprochen hatte, sie am Leben zu lassen. Doch das war noch nicht zum Regiment durchgedrungen. Eine bourbonische Reitergruppe holte das katalanische Regiment ein, berichtete ihnen vom Massaker in La Gleva und drohten damit, sie alle auch am nächsten Tag zu hängen, denn dann würden die bourbonischen Truppen sie eingeholt haben. Drei Miquelets, die in La Gleva Familienangehörige verloren hatten, riefen „Morin aquests, ja que els nostres moriren“ (Diese werden sterben, denn die unseren sind bereits tot) und fingen an, die Kriegsgefangen zu töten. Zwei weitere schlossen sich ihnen an: ca. 600 der 700 Soldaten wurden getötet. Die letzten Monate des Kriegs waren ein totaler Krieg. Zeitgenössische Berichte von Bauern, Priestern, etc., die darüber in ihren Tagebüchern schrieben, beschrieben die Situation als „das jüngste Gericht“. Überall brannten Dörfer und Kirchen, Häuser wurden geplündert und in den Wäldern und auf den Marktplätzen hingen überall die Hingerichteten. Immer mehr Dörfer ergaben sich den Bourbonen, viele Bürgermeister schworen Felipe V. die Treue, um sich der Repression zu entziehen. Einer dieser Orte war Vic, Wiege der habsburgischen Rebellion, was für viele in Katalonien einem Verrat gleichkam. Die Botiflers (Kollaborateure) übernahmen das Kommando und ließen u.a. den größten Widerstandskämpfer der Region, Bac de Roda (eigentlich Francesc Macià i Ambert), erhängen. Daraufhin entstand ein Volkslied, das noch heute gecovert wird. Das Lied beginnt so: «Ai adéu ciutat de Vic, bé mereixes ser cremada, has fet penjar un cavaller, el més noble de la plana» (Ach, tschüß Vic, du verdienst es, niedergebrannt zu werden, denn du hast einen Ritter hängen lassen, den edelmütigsten der ganzen Ebene). Auch sein letzter Satz ist im Lied überliefert: «No em maten per traïdor, ni tampoc per ser cap lladre, sinó perquè he volgut dir que visqués sempre ma Pàtria» (Sie töten mich nicht, weil ich ein Verräter oder Dieb bin, sondern weil ich sagen wollte „es lebe immer mein Vaterland“). Heutzutage ist Vic übrigens eine der Hochburgen der Unabhängigkeitsbewegung (75% wählten separatistische Parteien).

In Barcelona selbst verharrten noch 40.000 Menschen, bei denen sich natürlich Angst und vor allem Hunger breit machten (seit August gab es keine Nahrungsmittel mehr, das einzige, was ausgegeben wurde, war „Brot“ aus verfaulten Pferdebohnen). Die etwa 7.000 Soldaten, die Barcelona beschützten, gehörten vor allem zur Coronela de Barcelona (Stadtmiliz Barcelonas; unterstand dem Conseller en Cap de Barcelona, dem Bürgermeister Barcelonas, zu der Zeit Rafael Casanova); d.h. sie waren alle Zivilisten, da die Coronela ausschließlich aus Mitgliedern der Handwerkerzünften bestand (z.B. Adroguers i Confiters – ‘Drogisten und Konditore’; Notaris – ‘Notare’; Candelers i Pintors – ‘Kerzenmacher und Maler’; Argenters – ‘Silberschmiede’; Sabaters – ‘Schuhmacher’; Teixidors – ‘Weber’; Taverners – ‘Gastwirte’; Fusters i Terrissaires – ‘Tischler und Töpfer’, etc.). Nur ca. 2.000 gehörten zum Exèrcit del Principat de Catalunya. Im Umland von Cardona befanden sich dann noch die restlichen 10.000 Soldaten des Exèrcit del Principat de Catalunya (Heer Kataloniens, 1713 gegründet; unterstand den Tres Comuns). Am letzten Tag der Belagerung ließ Casanova die gesamte männliche Bevölkerung Barcelonas bewaffnen, denn es nahte der Sturmangriff auf die Stadt und die Tres Comuns hatten mit 26 zu 4 Stimmen gegen eine verhandelte Kapitulation gestimmt. Viele Frauen und Kinder waren bereits vor den Bomben geflohen und hatten sich in zwei improvisierten Lagern am Fuße des Montjuïc einquartiert. Jeder war sich der Situation bewusst: man hatte vor, mit insgesamt ca. 13.000 Soldaten und mehreren Tausend Zivilisten gegen über 80.000 kastilische und französische Soldaten zu kämpfen. Doch man hatte gesehen, wie es Valencia und Aragonien 1707 ergangen war: die politischen und juristischen Nationen, die seit Jahrhunderten Teil einer föderalen Monarchie gewesen waren, wurden ausgelöscht. Das wollte man in Katalonien um jeden Preis verhindern. Auf dem Montjuïc und auf der Festung von Cardona hing jeweils eine schwarze Flagge mit der Aufschrift: «Viurem lliures o morirem» (Wir werden in Freiheit leben oder sterben).  Der Krieg richtete sich nicht direkt gegen Kastilien – obwohl man ihnen sehr wohl übel nahm, Felipe V. zu unterstützen – der Feind war der bourbonische, französische Absolutismus, der in den Augen der Katalanen das Gegenteil von allem war, was die spanische Monarchie bis dahin gewesen war. Überall in den Straßen Barcelonas sangen die Menschen Cobles, mit religiösem oder politischem Inhalt, um die Moral aufrecht zu erhalten. Eine der unzähligen überlieferten Cobles war: «Si l’amable llibertat antes havíem perdut, alegrem-nos, que ja Carles, ens ha tret de l’esclavitud» (Auch wenn wir vorher die Freiheit verloren haben, lasst uns fröhlich sein, denn Carlos hat uns aus dem Sklaventum befreit).

Für die Katalanen war das Recht etwas Grundlegendes: das gesamte Leben, die gesamte Gesellschaft richtete sich nach niedergeschriebenen Gesetzen, notariellen Beglaubigungen, Erklärungen, Beschwerden, Urteilen, Zustimmungen, Rechten, Verträgen, etc. Alles, was das Leben und Zusammenleben betraf, wurde niedergeschrieben und beglaubigt. Selbst während der Belagerung wurden hunderte, tausende notariell beglaubigte Verträge, Testamente, etc. aufgesetzt, da die Bewohner sich um ihre Zukunft sorgten, und alles beglaubigt wissen wollten. Nicht umsonst ist das notarielle Archiv Barcelonas (Arxiu Històric de Protocols de Barcelona) das zweitgrößte Europas (mit über 85.000 Buchbänden vom 13. – 19. Jhd.; z.B. über 7.300 Bände mit notariellen Eintragungen aus dem 16. Jhd., über 8.800 Bänden aus dem 17. Jhd., etc.). Und das alles war — neben der Eigenständigkeit der eigenen Institutionen — in Gefahr. Man war bereit für die Freiheiten dieser Nation bis zum „letzten Tropfen Blut“ zu kämpfen, und doch glich das alles — angesichts der Übermacht der Bourbonen — einem Selbstmordkommando. Nur die große Hoffnung und das Vertrauen darauf, dass ihnen Carlos III. oder England doch noch zu Hilfe kommen würden, können diesen Kampfgeist erklären.

Im Morgengrauen des 11. Septembers 1714 begann der Angriff der Bourbonen. Laut den Zeitzeugen war es ein Gemetzel, mit dem die Angreifer anscheinend nicht gerechnet hatten. Rafael Casanova führte die Coronela an und trug dabei das Banner der Santa Eulàlia (Penó de Santa Eulàlia; der Schutzheiligen der Stadt). Als die Menschen das Banner sahen, strömten sie auf die Straßen, um zu kämpfen; denn es war gleichzeitig das Zeichen der Einberufung des Sometent. Zwar schafften die Bourbonen es, einige Teile der Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen, aber bei anderen taten sie sich schwer. So wechselte z.B. die Bastion Sant Pere in wenigen Stunden elf mal den Besitzer. Der Schlachtruf der Katalanen war: Lliures o morts (Frei oder tot); die Kirchglocken läuteten Tag und Nacht. Die Katalanen konnten die französisch-spanische Armee zwar mehrmals zurückdrängen, doch es war klar, dass das Ende nahte; vor allem, weil sowohl Casanova als auch Villarroel (Heerführer) im Kampf schwer verletzt worden waren. Um ein Massaker an Kindern, Frauen und Alten zu verhindert (die bourbonischen Soldaten hatten den Befehl, jeden niederzumetzeln, und diejenigen zu erhängen, die sich wehrten), verhandelte man mit den Bourbonen die Kapitulation aus. Am 12. September wurde dann die Kapitulation unterzeichnet, in der sich die Bourbonen verpflichteten, die Stadt nicht zu plündern und die Soldaten, Hauptmänner und alle Bürger Barcelonas zu begnadigen. Allerdings hielt man sich nicht wirklich dran. Zwar wurde die Stadt nicht geplündert, aber über 20 Befehlshaber des katalanischen Heeres wurden inhaftiert, einige zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Tausende Austriacistes (Anhänger der Habsburger) flohen ins Exil ins HRR – vor allem Süditalien, Niederlande und Wien – um dort den Habsburgern zu dienen (mindestens 25.000 – 30.000 Katalanen, fast 7% der Bevölkerung; es sollte bis zum 20. Jhd. dauern, um auf der Welt ähnliche Exilierungen/Fluchtbewegungen zu sehen). Und wer ging ins Exil? „La flor i nata“, die „Crème de la Crème“; die politische, kulturelle und intellektuelle Führungsriege. Der General Josep Moragues i Mas und die Hauptmänner Jaume Roca und Pau Macip wurden gefoltert und zum Tode durch die Garrote vil verurteilt. Moragues wurde danach zerstückelt und sein Kopf an ein Eingangstor zur Stadt gehängt. 12 Jahre lang, damit jeder wusste, was passiert, wenn man sich dem König widersetzt. Der Kampf um Barcelona endete mit ca. 15.000 Toten auf der Seite der Bourbonen, knapp 7.000 Toten auf Seite der Katalanen und einer Stadt, die durch die über 30.000 Bomben zu mindestens einem Drittel komplett und zu einem weiteren Drittel stark zerstört war. In den folgenden Monaten wurden etwa 4.000 Austriacistes verhaftet und hingerichtet.

Das neue absolutistische Spanien war kleiner geworden: Gibraltar und Menorca gingen an England, Sizilien an das Haus Savoyen und die Spanischen Niederlande, Neapel, Sardinien und Mailand an die Habsburger. England übernahm von nun an die Vorherrschaft in Europa.


Der Bourbone hatte also den Krieg gewonnen und bestrafte seine Widersacher 17016 mit den Verordnungen „Decretos de Nueva Planta“. Katalonien verlor damit als letzter Teilstaat der Monarchie (das Königreich Mallorca kapitulierte zwar ein Jahr später als Katalonien, erhielt aber seine Decretos de Nueva Planta noch vor Katalonien) jegliche Eigenständigkeit und Eigenstaatlichkeit: alle Sonderrechte wurden abgeschafft (Constitucions Catalanes, Usatges de Barcelona, etc.), die eigenen Institutionen wurden aufgelöst (Diputació del General, Corts Catalanes, Conseller en Cap, Consell de Cent, etc.), die Grenzen, Zölle und Grenzkontrollen wurden aufgehoben und es wurde ein zentrales Steuersystem eingeführt, sodass Katalonien plötzlich zur bedeutungslosen kastilischen Provinz wurde. Man führte überall das kastilische Recht ein, verbot in den Schulen über die Krone von Aragonien zu sprechen und verbannte das Katalanische als Amtssprache; die einzige Sprache, die für offizielle Angelegenheiten benutzt werden durfte, war Kastilisch (Spanisch). Das entpuppte sich als ziemlich kompliziert, da selbst viele Botiflers kein Kastilisch sprechen konnten. Auch die Priester, die nun auf Kastilisch predigen und schreiben sollten, taten sich schwer; stattdessen predigten sie wieder auf Latein. Anders ist es nicht zu erklären, dass die bourbonische Verwaltung fast jährlich neue Katalanisch-Verbote veröffentlichte; ihre Verbote funktionierten einfach nicht. Die katalanische Gesellschaft war rein katalanischsprachig; zwar konnten Teile des Adels und einige Intellektuelle und Schriftsteller Kastilisch — letztere vor allem, weil der spanischsprachige Markt größer war — doch 95% der Bevölkerung hatte in ihrem Leben weder Kastilisch gehört, gesprochen oder geschrieben. Zeugnis davon sind z.B. Hispanismen, also Wörter kastilischen Ursprungs, die ihren Weg ins Katalanische gefunden haben. Da die Katalanen lange Zeit das spanische <j> nicht aussprechen konnten ([χ] wie das „ch“ in Bach [baχ]) und stattdessen ein /k/ sagten, findet man heute noch im Katalanischen Wörter wie „oco!“/ „quefe“ / „traque“ (nur dialektal bzw. umgangssprachlich) oder „maco“ statt der katalanischen „compte!/ alerta!“, „cap“, „vestit“ und „bufó/gentil“ (von ¡ojo! – ‘Achtung!’, jefe – ‘Chef’, traje – ‘Anzug’ und majo – ‘nett’; nur maco ist heute im Katalanischen standardsprachlich).

Das Ziel war, die Erinnerungen an die Krone Aragoniens und ihre Sonderstellung innerhalb der Spanischen Monarchie auszulöschenuniversalmente todo lo que sea procurar borrar lo que tenía la Corona de Aragón antes de la conquista será muy conveniente, no sólo al rey y a la monarquía, sino a ellos mismos, porque las libertades que tenían son las que les han perdido», Joaquim Albareda Salvadó, 2010). Zu diesem Zweck wurde auch die Real Academia de la Historia (Königliche Akademie der Geschichte) gegründet, die von da an eine manipulierte, revisionistische Geschichte Spaniens erzählte (ist heute noch in staatlicher Hand und hat Verträge mit dem Bildungsministerium; z.B. veröffentlichte sie 2008 ein staatliches Biographie-Lexikon mit über 40.000 Biographien, in der u.a. Franco nicht als Diktator beschrieben wurde, dafür aber der demokratisch gewählten Präsidenten der 2. Spanischen Republik, Juan Negrín, schon). Teil dieser „Auslöschung der Erinnerung“ war, dass auch die Stadtarchive, Dokumente und Archive der Kanzleien, der Generalitat, des Consell de Cent, etc., geklaut und nach Kastilien verfrachtet wurden, wo sie sich teilweise noch heute befinden. Zudem wurden alle fünf katalanischen Universitäten geschlossen: Nur die neugegründete Universitat de Cervera durfte bleiben, da das Dorf Cervera (zu dem Zeitpunkt ca. 2.300 Einwohner) auf der Seite der Bourbonen gekämpft hatte. Des Weiteren ließ man sowohl offizielle Dokumente, wie z.B. die Constitucions Catalanes, und Flaggen (z.B. die der Santa Eulàlia) öffentlich verbrennen. Es war das symbolische Ende der katalanischen Nation.

Außerdem ersetzte man die traditionelle Verwaltungsgliederung der Vegueries durch die kastilischen Corregimientos, die jeweils von einem, vom König ernannten, Corregidor (Amtmann) verwaltet wurden. Diese wichtigen Positionen wurden ab dem Zeitpunkt zudem mit Kastiliern besetzt, die – anders als in Kastilien – Militärs waren, um so das katalanische Volk besser kontrollieren zu können. Die höchste Autorität – in Abwesenheit des Königs – war der Generalkapitän (Capitán General), ein ranghoher Militär, der auch vom König bestimmt wurde und der über unbegrenzte Vollmacht verfügte. Außerdem war er Präsident der neuen absolutistischen Real Audiencia (Oberlandesgericht) und Chef des Militärs. Seine Entscheidungen konnten zudem weder vor dem König noch vor den Cortes angefochten werden. Auch die quasi-demokratisch gewählten Stadt- und Gemeinderäte (je nach Region Consell, Paeria, Consolat oder Jurat genannt) wurden durch die kastilischen Ayuntamientos und Municipios ersetzt.

Die Stadt- bzw. Gemeinderäte waren das Beratungsorgan der Stadt- bzw. Gemeinderegierung/Verwaltung und waren nicht wirklich einheitlich. In manchen Gemeinden (Comuns/Universitats) hatte der königliche Batlle den Vorsitz im Rat (in dem die drei Stände vertreten waren). Aber es gab auch Städte, die Privilegien hatten, und die daher sowohl die Räte als auch die Vorsitzenden/Bürgermeister (Conseller en Cap, Paer en Cap, Jurat en Cap, etc.) selbst wählen durften (z.B. Barcelona, Lleida, Tortosa, Girona, Cervera, Tàrrega, Balaguer, Manresa, Sabadell, Igualada, Vic, etc.). Das beste Beispiel ist der Consell de Cent von Barcelona: er bestand zu je einem Viertel aus Patriziern (Ciutadans honrats), Kaufleuten (Mercaders), Handwerkern (Menestrals) und Künstlern (Artistes) – insgesamt 128 Räte (früher 100, daher der Name) – die jedes Jahr per Losverfahren von ihrem Stand gewählt wurden und die dann per Insaculació den Bürgermeister und fünf weitere Stadträte mit exekutiver Gewalt wählten (Conseller en Cap, Conseller Segon, Conseller Terç, …., Conseller Sisè). Dieses System wurde durch das kastilische System ersetzt, wo sowohl die Räte (Regidores) als auch die Bürgermeister (Alcaldes) entweder direkt vom Corregidor oder vom König ernannt wurden. Die Kompetenzen dieser neuen Verwaltung waren stark eingeschränkt und viele der neuen Stellen wurden mit regimetreuen Botiflers und Söhnen kastilischer Militärs besetzt, die keinerlei Bestrebungen hatten, der Bevölkerung zu dienen.

König Felipe V. (von dem bekannt ist, dass er manisch-depressiv war) machte auf diese Weise sein „Recht der Eroberung“ (Dret de conquesta) geltend. So schrieb z.B. Giulio Alborni, ein enger Berater des Königs, diesbezüglich, dass man, „wenn man ein Land erobert, dort ein neues Gesetz und eine neue Regierung einführen muss“ («cuando se conquista un país hay que hacer una nueva ley y gobierno en él»). Spanien wurde „vereint“ und zur absolutistischen Monarchie. Die Repression gegen die Bevölkerung hörte aber nicht auf: es gab durchgehend öffentliche Hinrichtungen, Priester wurden gefoltert, zu Zwangsarbeit verurteilt oder hingerichtet, etc. (im Archiv des Vatikans gibt es unzählige Beschwerdebriefe von damaligen katalanischen Priestern). Die ungezügelte Gewalt, die Felipe V. in Katalonien anwenden ließ, schockierte sogar manche Bourbonen. Der bourbonische Historiker Rousset de Missy schriebt 1719 u.a. dass „nicht jeder den Rachefeldzug lobte, den der König gegen die Katalanen führte; eine Rache, die in der Härte in der Geschichte nahezu beispiellos war“. Ein bourbonischer Militär (Francisco de Moya de Torres), der in Katalonien stationiert war, schrieb Felipe V. sogar einen Brief, in dem er ihn bat, den Ländern der Krone von Aragonien ihre Rechte wiederzugeben und sie im Gegenzug dazu zu zwingen, jeweils 30.000 Soldaten zu stellen. „Denn Güte würde immer anziehender und siegreicher sein, als Härte“. Auch wenn der Großteil der Bevölkerung eher gelähmt war, gab es eine Gruppe von Widerstandskämpfern, die von Joan Pere Barceló i Anguera (Lo Carrasquet/Carrasclet) angeführt wurde. Es waren fast 8.000 Guerrilleros, die im Süden Kataloniens (vor allem im Umland von Tarragona, dem Priorat, der Terra Alta, etc.) versuchten, Dörfer und Städte wieder zu erobern.  Im Jahr 1720 hörten sie allerdings auf und El Carrasclet – der mittlerweile zum Volksheld der Region geworden war – floh ins österreichische Exil. Erst 1725, 11 Jahre nach Kriegsende, hörte die willkürliche Repression auf, weil Felipe V. im Rahmen des Vertrags von Wien gezwungen war, eine generelle Amnestie auszusprechen. Dabei muss man stets bedenken, dass – zum Glück – nicht alle Pläne der militärischen Berater umgesetzt wurden. Denn viele wollten um einiges weiter gehen: so wurde u.a. vorgeschlagen, mindestens ein Fünftel der katalanischen Männer zwangszurekrutieren, und sie an die Front zu schicken; Barcelona komplett zu zerstören und die Bevölkerung der rebellischen Städte/Dörfer nach Amerika oder Frankreich zu deportieren, etc.

Doch die neue Monarchie traute den Katalanen immer noch nicht, weshalb man die gesamte Bevölkerung entwaffnen ließ, den Sometent verbot und pro Haushalt nur ein Brotmesser erlaubte, das zudem an den Tisch gekettet sein musste. Ein Berater des Königs, der Bischof von Segorbe, beschrieb die Katalanen z.B. als „Liebhaber der Freiheit, temperamentvoll, streit- und rachsüchtig, weshalb man ihnen immer misstrauen sollte. Außerdem liebten sie ihre Heimat so sehr, dass sie den Kopf verlieren und daher nur ihre eigene Sprache sprechen würden“. Deshalb ließ man viele Festungen abreißen und z.B. die Kathedrale von Lleida (La Seu Vella) – von wo aus viel Widerstand geleistet wurde – in eine Militärkaserne umwandeln. Damit ist die Kathedrale von Lleida die einzige der Welt, die so umfunktioniert wurde. Und das nicht nur ein paar Jahre oder Jahrzehnte: erst 1948 wurde die Kaserne aufgelöst und die Kathedrale der Stadtverwaltung Lleidas übergeben (nach 241 Jahren).

Um die Einwohner Barcelonas besser kontrollieren zu können, plante man zwei Dinge: Zum einen den Ausbau der Festung Castell de Montjuïc auf der Südseite der Stadt, und zum anderen den Bau der Ciudadela, einer riesigen Zitadelle, im Norden der Stadt. Dazu wurden im Jahr 1717 Teile der mittelalterlichen Stadtmauer und fast das gesamte Viertel La Ribera/ Quarter de Mar abgerissen; über 1.000 Gebäude wurden dem Erdboden gleich gemacht. Das entsprach einem Fünftel der Stadt und der Auslöschung des Stadtzentrums, denn hier befanden sich die meisten Händler, der Hauptplatz der Stadt, etc. Die über 5.000 Bewohner – die bekannt dafür waren, die Stadt bis aufs Letzte verteidigt zu haben – wurden nicht entschädigt und mussten von nun an auf der Straße, bei Verwandten oder in Barracken am Strand leben (erst 1758 begann der Bau des Viertels La Barceloneta, in dem auch die Enteigneten wohnen sollten, doch die meisten lebten bis zur Fertigstellung nicht mehr). Manche wurden sogar dazu gezwungen, ihre eigenen Häuser einzureißen. Auf der nun freien Fläche wurde eine Militärfestung gebaut, die so groß war wie 40 Fußballfelder. Ihre Mauern waren zwischen sechs und elf Meter hoch und alle Kanonen waren auf die Stadt gerichtet. Obwohl man nämlich so tat, als würde man die Festung zum Schutz der Stadt bauen, so hatte sie doch eigentlich nur ein explizites Ziel: die Bewohner Barcelonas zu unterdrücken/bezwingenDominar al pueblo de Barcelona»). Die Ciudadela – oder kat. Ciutadella – beherbergte 8.000 bourbonische Soldaten, ein Gefängnis und verschiedene Gebäude, in denen die Befehlshaber wohnten. Sie war das Symbol des Absolutismus; die ewige Erinnerung daran, dass man verloren hatte. Nichts war den Bewohner Barcelonas verhasster als diese Festung, von der aus immer wieder Bomben auf die Stadt geworfen wurden, und vor deren Toren öffentliche Hinrichtungen stattfanden, um die Menschen immer daran zu erinnern, was passiert, wenn man sich gegen den König erhebt. Die Stadtverwaltung Barcelonas versuchte über 100 Jahre lang, die Zentralregierung dazu zu bringen, die Ciudadela an Barcelona abzutreten, damit sie abgerissen werden konnte, doch bis 1868 weigerte sie sich. Erst mit der September-Revolution von 1868 (Sturz der Königin Isabel II.) wurden neue Tatsachen geschaffen: der katalanische General Joan Prim i Prats wurde zum Ministerpräsidenten Spaniens und unterschrieb 1869 persönlich das Dekret, das die Festung offiziell an Barcelona übergab; und sofort fingen die Bewohner der Stadt an, die Festung einzureißen. Nur drei Gebäude wurden stehen gelassen: die Kapelle, der Palau del Governador (Regierungspalast), in dem sich heute eine Schule befindet, und das Waffenarsenal (l’Arsenal), das seit 1932 das Parlament von Katalonien beherbergt. Bei seiner Antrittsrede im Parlament, sagte Francesc Macià 1932: «Em plau saludar-vos, honorables diputats, dintre aquests murs que el destí ha volgut que fossin, justament, els mateixos que alçà per abatre Catalunya l’usurpador de les nostres llibertats.» (Es ist mir eine Freude, sie hier begrüßen zu können, geehrte Abgeordnete; innerhalb dieser Mauern, die, wie das Schicksal es wollte, dieselben sind, die der Usurpator unserer Freiheiten errichten ließ, um Katalonien zu unterjochen). Der Rest wurde zu einem Park umgebaut, dem heutigen Parc de la Ciutadella und auch der Zoo von Barcelona fand hier seinen Platz.

Die Spanische Monarchie erlebte einen fundamentalen Wandel: die vorher sehr föderalistisch geprägte „zusammengesetzte“ Monarchie (Monarquía compuesta), in der der König in jedem Staat/Königreich des Imperiums unterschiedliche Befugnisse hatte (Régimen polisinodial), wurde zwangszentralisiert. Alle föderalen Institutionen wurden abgeschafft, wie z.B. der Consejo de Aragón (Rat der Krone von Aragonien), der Consejo de Italia, etc.: alle Territorial-Räte wurden im Consejo de Castilla (Kastilien-Rat) vereint. Auch die Ständeversammlungen/Parlamente (Cortes/Corts), die der König einberufen musste, um Gesetze in den jeweiligen Königreichen durchzubringen, wurden in den Cortes de Castilla vereint (hatte nur noch beratende Funktionen und wurde nur einberufen, um dem König die Treue zu schwören, d.h. den König zu ernennen; in Spanien gab es seit dem 16. Jhd. keine Krönung mehr), zu denen nun Repräsentanten der Provinzen geschickt wurden. Auch wenn es vielleicht scheint, dass Kastilien hier maßgeblich beteiligt war und sich den anderen Völkern Spaniens aufgedrängt hat, ist es tatsächlich nicht ganz so einfach. Felipe V. war Bourbone, Franzose; kein Kastilier. Ein Franzose, der allerdings Kastilien liebte (weil es so einfach zu regieren war). Nur der kastilische Adel, der seine Privilegien in Gefahr sah, stellte sich ihm entgegen; das kastilische Volk feierte ihn, weil es während der Herrschaft der Habsburger unter den horrenden Steuern gelitten hatte. Die Decretos de Nueva Planta wurden – in geringerem Maße – auch in Kastilien angewandt: so wurden z.B. die Consejos de Estado (Staatsräte) abgeschafft, in denen der kastilische Kirchen- und Geldadel seine Interessen vertreten konnte. Der Unterschied war nur, dass das dem „normalen Volk“ in Kastilien relativ egal bzw. gar nicht bewusst war: Die kastilischen Institutionen hatten schon über 200 Jahren vorher (1520) ihre Fähigkeit verloren, die Macht des Königs einzuschränken; und die wenigen negativen Folgen der Decretos betrafen nur den Adel, der sich allerdings schnell an die Vorzüge des neuen Systems gewöhnte. Man kann auch nicht sagen, dass in Katalonien nun dieselben Gesetze galten wie in Kastilien: tatsächlich war das neue System in Katalonien (und den anderen Ländern der ehemaligen Krone Aragoniens) der pure Absolutismus. Ein Absolutismus, der so in Kastilien nie eingeführt wurde und nie eingeführt werden konnte (z.B. als versucht wurde, den Cadastro/die Grundsteuer auch in Kastilien einzuführen, rebellierten die Kastilier). Kastilien war jetzt das unangefochtene Zentrum der Spanischen Monarchie; und wenn man so will, war Kastilien jetzt Spanien.

In Kastilien hatte man sich schon lange als Spanien gesehen, doch man vermied es immer, sich offiziell den Titel König von Spanien zu geben. Denn das Konzept von Spanien war damals noch ein anderes: Spanien war die gesamte Iberische Halbinsel, die von den Römern und Westgoten Hispania (> España) genannt worden war. Es war eine historisch-geografische-kulturelle Bezeichnung, die nichts mit einem Staat oder einem Königreich zu tun hatte. Schon die Katholischen Könige lehnten es 1479 ab, die Kronen von Kastilien und Aragonien in einem Titel zu vereinen, um Portugal nicht auf den Schlipps zu treten, das sich genauso als Teil Spaniens/Hispaniens betrachtete. Ähnlich wäre es z.B. wenn sich Schweden in Skandinavien oder Serbien in Balkan umbenennen würde. Die anderen Länder der Halbinseln würden diese Tatsache als illegitime Aneignung empfinden. Quevedo schrieb im 17. Jhd., dass sich Spanien aus drei Kronen zusammensetzt: Kastilien, Aragonien und Portugal. Und selbst 1702, als sich der portugiesische König Pedro II. de Bragança in den Spanischen Erbfolgekrieg einmischte und sich auf die Seite der Habsburger schlug, erwähnte er als Grund, dass man es ihm nicht verzeihen würde, wenn er sich raus hielte, da auch „die Portugiesen unter die Bezeichnung Spanier fallen“. Allerhöchsten nannte man die Könige mal „Reyes de las Españas“, also Könige der Spaniens, aber nie offiziell. Tatsächlich war es José I. Bonaparte (Joseph Bonaparte, Bruder von Napoleon), der sich 1808 als erster König auch offiziell König von Spanien nannte.

Für die Kastilier hatte die absolutistische Monarchie zunächst nur Vorteile, doch für die Katalanen war das alles ein klarer Wendepunkt in ihrer Geschichte; was natürlich am schrecklichen Krieg, den fast 80 Jahren Kriegszustand und den verlorenen Rechten lag. Es war eine Art kollektives Trauma für das katalanische Volk, das anscheinend lange gebraucht hat, um darüber hinwegzukommen; vor allem, weil der Belagerungszustand ja noch über Jahrzehnte beibehalten wurde (während des gesamten 18. Jhd. waren nie weniger als 30.000 Soldaten in Katalonien stationiert; wir erinnern uns daran, wie die Katalanen reagierten, als wenige Jahrzehnte vorher mal über 20.000 Soldaten im Land stationiert wurden). Aus den folgenden Jahrzehnten gibt es fast keine Information über politische Entwicklungen, etc. Es ist, als hätte zwischen 1714 und 1800 nichts politisches in Katalonien stattgefunden. Dem ist aber natürlich nicht so. Alle paar Jahre kam es in Katalonien – und vor allem in Barcelona – zu Aufständen: in den ersten Jahren noch klar politisch/habsburgisch geprägt, später vor allem Aufstände gegen die Lebensmittelknappheit, die zu hohen Steuern oder die massiven Zwangsrekrutierungen (u.a. 1719, 1726/28, 1731-33, 1736/37, 1773-75, 1789, etc.). Allesamt wurden von der Ciudadela und vom Montjuïc aus niedergebombt. Während der Cortes von 1760 (erste vereinte Parlamentsversammlung überhaupt) übergaben die acht Abgeordneten Barcelonas, Zaragozas, Valencias und Palmas (als Repräsentanten der „vier Königreiche“ der ehemaligen Krone von Aragonien) dem neuen König Carlos III. (Sohn von Felipe V.) ein Beschwerde-Manifest (Memorial de Greuges/ Representació); ganz nach der alten Tradition. Darin beschwerten sie sich darüber, dass die Kastilier nun überall in der ehemaligen Krone von Aragonien öffentliche Posten besetzen durften, den Bewohnern der Krone Aragoniens aber der Zugang zu den Posten in Kastilien verwährt blieb. Außerdem sei dies ein einziges Chaos – besonders in den katalanischsprachigen Provinzen – weil alle bisherigen Dokumente auf Katalanisch waren und die Kastilier das Katalanische nie so beherrschen würden, wie es z.B. für gerechte Gerichtsverfahren, etc. notwendig wäre. Sie beklagten sich auch darüber, dass von über 100 Richterposten nur zwei an Aragonesen und einer an einen Valencianer gingen. Ähnlich sah es bei den Bischöfen aus: von den 19 Bischöfen der Krone Aragoniens waren nur sechs auch dort geboren worden. Das hatte natürlich zur Folge, dass auch viele Priester Kastilier waren, die sich aber nicht mit der Bevölkerung verständigen konnten. Und dies verstieß gegen die Erlasse des Vatikans, die besagten, dass die Messe immer in der Sprache des Volkes gehalten werden musste. Um die Forderung zu untermauern, griff man auf einen Vergleich mit den Kolonien in Amerika zurück, wo die Priester allesamt die indigenen Sprachen erlernen mussten. „Waren Katalanen, Valencianer und Mallorquiner nun weniger Wert als die Indianer?“. Zudem wurde kritisiert, dass die gesamte Krone Aragoniens nur einen Repräsentanten im Kastilien-Rat hatte, während z.B. Galicien, Asturien und Navarra jeweils zwei stellen durften; man forderte des Weiteren, dass der Kastilien-Rat in Spanien-Rat unbenannt wird, um die Länder der ehemaligen Krone Aragoniens nicht zu diskriminieren. Anzumerken ist jedoch, dass das Dokument zwar vieles beklagte und die Wiederherstellung der traditionellen Gesetze und Institutionen forderte, aber immer die Königstreue und die Einheit Spaniens verteidigte (die Vertreter waren ja schließlich allesamt Botiflers; das macht dieses Dokument um so bedeutender). Die Einheit wurde aber eben nicht im kulturellen, sprachlichen oder juristischen Sinne verstanden: man verglich Spanien und seine ehemaligen Königreiche mit einem Körper und seinen Gliedmaßen, die zwar alle unterschiedlich waren und sich unabhängig voneinander bewegten, aber einer einzigen Seele/ einem Kopf (dem König) gehorchten. Und dementsprechend täte die Wiederherstellung der Ausländergesetze, der früheren Stadtverwaltungen und Verfassungen der Einheit Spaniens keinen Abbruch. Doch das Memorial de Greuges hatte keinerlei politische Folgen: es wurde gekonnt ignoriert und während der Parlamentsversammlung forderten die Repräsentanten von Burgos sogar, dass sich die Repräsentanten der Krone von Aragonien in die hinterste Reihe setzen sollten, getrennt von den Kastiliern.

Wirtschaftlich zunächst extrem angeschlagen (ein verwüstetes Land, das der König zudem mit einer Art Kriegssteuer – Catastro/Grundsteuer – bestrafte, die die Steuerlast in Katalonien verachtfachte), schafften es die Katalanen innerhalb von wenigen Jahrzehnten, sich wieder zu erholen. Das lag vor allem auch an einem fundamentalen Unterschied im Erbrecht: während im Rest Spaniens das Land/Erbe unter allen Kindern aufgeteilt wurde (und dadurch stetig kleiner wurde), erbte in Katalonien nur der Erstgeborene (Hereu; gab es keine Söhne, dann die Erstgeborene, die Pubilla). Die jüngeren Geschwister (Cabalers/ Fadristerns) wurden von den Eltern oder dem Erben finanziell unterstützt, um sich in den Städten ausbilden zu lassen und dort Geld zu machen. Als Barcelona 1778 endlich der Handel mit Amerika erlaubt wurde (der war nämlich bisher nur Kastilien – genauer gesagt Cádiz/Sevilla – vorbehalten gewesen), fing Kataloniens Wirtschaft an zu boomen. Es entstand eine neue bürgerliche Schicht, die vor allem von der Textilmanufaktur, dem Export von Wein/Schnaps (Vi/Aiguardent) und dem Import von nordeuropäischem Kabeljau lebte; die normalen Arbeiter blieben aber – natürlich – arm.

Das 19. & 20. Jhd.: Katalonien findet sich wieder

Das 19. Jhd. war ein einziges großes Chaos: Spanien war der instabilste Staat Europas. Daher werde ich nur kurz auf die wichtigsten spanienweite Ereignisse eingehen. Das Jahrhundert begann mal wieder mit einer Krise, die Napoleon Bonaparte ausnutzte, um die spanische Monarchie militärisch zu besetzen und zum Satellitenstaat seines Imperiums zu machen. 1807 schickte er ein über 65.000 Mann starkes Heer, um Portugal zu erobern (Portugal war das einzige Land, das sich der Kontinentalsperre, der Wirtschaftsblockade Napoleons gegen Großbritannien, entgegenstellte). Der Aufenthalt der Truppen im Land war vom König Carlos IV. vertraglich erlaubt worden (Vertrag von Fontainebleau). Doch Napoleon schickte schnell noch viel mehr Truppen und besetzte mehrere spanische Städte, darunter Barcelona, Figueres, Burgos, Pamplona und San Sebastián. Das verursachte ein ziemliches Chaos in der Königsfamilie und im Adel, was nach mehreren Aufständen und Putschversuchen (vor allem der Motín de Aranjuez) dazu führte, dass Carlos IV. gezwungen war, abzudanken, und seinen Sohn Fernando VII. zum König zu machen. Lange sollte Fernando VII. allerdings nicht vom Putsch gegen seinen Vater profitieren, denn bereits 2 Monate später zwang Napoleon ihn zu Gunsten von Joseph Bonaparte (Napoleons Bruder) abzudanken. Im Mai 1808 wurde dieser dann als König José I. Bonaparte zum ersten König Spaniens (Rey de España); jedoch nicht von Katalonien, da Katalonien zu großen Teilen unter französischer Kontrolle oder unter Kontrolle der Junta Superior de Catalunya war (anti-französische Kriegs-Junta). Die Thronbesteigung des Franzosen löste überall auf der Iberischen Halbinsel Volksaufstände aus. Es begann der Spanische Unabhängigkeitskrieg (Guerra de Independencia; etwas romantisierte Bezeichnung in Spanien) bzw. der Franzosen-Krieg (Guerra del Francès; Bezeichnung in Katalonien). Bezeichnend für diesen Krieg war der Guerrilla-Krieg, der von großen Teilen der Bevölkerung gegen die französischen Soldaten geführt wurde. In Katalonien selbst erhoben sich viele Städte gegen die Besatzung, was aber in grausamen Belagerungen und Massakern an der Zivilbevölkerung endete (z.B. Lleida 1810: über 2.000 tote Zivilisten; Tarragona 1811: über 2.000 ermordete Zivilisten, 450 Frauen und Kinder). Im Jahr 1812 wurde Katalonien dann von Napoleon annektiert und in vier französische Departements unterteilt: Departament del Ter (Hauptstadt Girona), Departament del Segre (inklusive Andorra; Hauptstadt Puigcerdà), Departament de Montserrat (Hauptstadt Barcelona) und das Departament de les Boques de l’Ebre (inklusive der aragonesischen, aber katalanischsprachigen, Städte Fraga und Mequinensa; Hauptstadt Lleida). Parallel dazu ließ die Junta Suprema Central – die Gegenregierung zu José I. Bonaparte – die Cortes in Cádiz einberufen (1810), um einen verfassungsgebenden Prozess zu beginnen. Die wichtigsten katalanischen Abgeordneten, die teilnahmen, waren Felip d’Aner i d’Esteve, Ramon Llàtzer de Dou i de Bassols und  Antoni de Capmany (von den 16 anwesenden Katalanen, waren sie auch die einzigen, die sich gut auf Kastilisch ausdrücken konnten). Einer der bekanntesten Sätze von Felip d’Aner war: «Nadie es capaz de hacer que los catalanes se olviden de que son catalanes» (Niemand ist in der Lage, die Katalanen vergessen zu lassen, dass sie Katalanen sind). Ramon Llàtzer – ein konservativer Reformist – beschwerte sich darüber, dass „Katalonien wie eine eroberte Provinz“ behandelt wird, setzte sich allerdings auch für den Erhalt der Inquisition ein. Ihm war es u.a. zu verdanken, dass am Ende das katalanische Zivilrecht nicht abgeschafft wurde, obwohl das der Plan der Parlamentarier war. Doch es war Capmany, der am hartnäckigsten versuchte, für Katalonien die Situation von vor 1714 wiederherzustellen. Bei seiner Intervention beharrte er darauf, dass Katalonien die Institutionen zurückbekommen sollten, „die es bis 1714 gehabt hatte, als die Waffen von Felipe V., die stärker als die Gesetze waren, alle freien Institutionen Kataloniens zum Schweigen brachten“ («hasta el año 1714, en que las armas de Felipe V, más poderosas que las leyes, hicieron callar todas las instituciones libres en Cataluña»). Alle katalanischen, aragonesischen, valencianischen, mallorquinischen und navarresischen Abgeordneten taten sich zusammen, um die Sonderrechte zurückzuerlangen bzw. im Fall von Navarra beizubehalten. Gebracht hat es wenig, denn die Parlamentarier, die in Cádiz versammelt waren, hatten sehr unterschiedliche Ziele: manche waren Absolutisten, andere waren aufgeklärte Reformisten, die aber keine Revolution wollten, und wiederum andere waren Liberale, die allerdings auch wieder in verschiedene Strömungen unterteilt werden konnten. Die Mehrheit war sich allerdings darin einig, dass Spanien auf jeden Fall ein Einheitsstaat sein muss. Die Verfassung von 1812 (auch La Pepa genannt) war zwar revolutionär und orientierte sich stark an der französischen (Recht der Freiheit der Person/ auf Eigentum/ auf Gleichheit vor dem Gesetz, nationale Souveränität, Pressefreiheit, etc.), behielt aber den Katholizismus als einzig wahre Religion (jede andere Religion war verboten) und die Monarchie bei (der König war es „durch die Gnade Gottes“) und bezeichnete Spanien als eine einzige Nation. Tatsächlich hatte die Verfassung aber keine Auswirkungen über Cádiz hinaus, denn Zentralspanien wurde von José I. Bonaparte kontrolliert, Katalonien und Teile des Baskenlands, Navarras und Aragoniens waren unter direkter Kontrolle von Napoleon, und überall im Land herrschte Krieg. Der Krieg endete 1814 mit der Abdankung von José I. Bonaparte, der Rückkehr von Fernando VII. und der Rückgabe des annektierten Katalonien. Über 300.000 französische Soldaten und über 570.000 Spanier (mindestens 200.000 Zivilisten) waren gestorben; Spanien war total verwüstet und hoch verschuldet. Fernando VII. schaffte die Verfassung wieder ab, führte den Absolutismus und die Inquisition wieder ein und verfolgte die Afrancesados (diejenigen, die mit den französischen Behörden zusammengearbeitet hatten) und die Liberalen bis aufs letzte. Tausende wurden hingerichtet und über 12.000 Menschen mussten ins Exil gehen (darunter vor allem Beamte, Politiker und Künstler, wie z.B. der Maler Francisco de Goya).

Das Chaos hörte hier aber nicht auf. 1820 kam es zu einem liberalen Putsch (Pronunciamiento von Rafael de Riego; ihm ist die Nationalhymne der 2. Spanischen Republik gewidmet) und zur liberalen Revolution, die im Trienio Liberal (1820 – 23; drei Jahre konstitutionelle Monarchie) mündeten. Fernando VII. war gezwungen, die Verfassung von 1812 einzuführen und die Inquisition wieder abzuschaffen. Das tat er auch, bat aber gleichzeitig die Heilige Allianz (Preußen, Russland, Frankreich, Österreich) um Hilfe, die dann 1823 100.000 französische Soldaten schickte, um in Spanien wieder den Absolutismus einzuführen. Damit war 1823 der Absolutismus wiederhergestellt, doch Fernando VII. sah ein, dass er sich mit den Liberalen verständigen musste, wenn er weiterregieren wollte. So ließ er z.B. die Inquisition nicht wieder einführen. Trotzdem blieb das darauffolgende Jahrzehnt als „Unheilvolle Dekade“ (Década Ominosa) in Erinnerung. Schon 1827 kam es im katalanischen Hinterland zu einem Aufstand absolutistischer Generäle (u.a. Josep Bossoms, Joan Rafí Vidal und Josep Galceran i Escrigà), die mit ca. 30.000 Kämpfern (vor allem unzufriedene Landarbeiter, die von ultrakatholischen Priestern angeheuert wurden) mehrere Städte – z.B. Vic, Valls, Manresa, Berga und Ripoll – besetzten, um gegen Fernandos liberalen Kurs zu protestieren (Guerra dels Malcontents – ‘Krieg der Unzufriedenen’). Es war das erste Aufbegehren des entstehenden Carlismus. Allerdings wurde der Aufstand nach wenigen Monaten niedergeschlagen, die neun Hauptverantwortlichen öffentlich in Tarragona hingerichtet und etwa 300 andere nach Ceuta (Afrika) deportiert. Im Jahr 1830 änderte Fernando VII. dann sogar das Thronfolgegesetz (Ley Sálica), um seine Tochter Isabel zur Königin zu machen, die eine konstitutionelle, liberalere Monarchie einführen sollte.

Das führte dann ab seinem Tod 1833 zur endgültigen Spaltung der spanischen Gesellschaft: ein Großteil der Bevölkerung befürwortete den Anspruch von Isabel (Isabelinos), doch ein wichtiger Teil – besonders im Baskenland, Navarra, dem Maestrat (Aragonien/Valencia) und im Hinterland Kataloniens – befürwortete den Thronanspruch von Fernandos Bruder, Carlos María Isidro de Borbón/ Don Carlos (Carlisten). Der Carlismus war reaktionär, traditionalistisch und legitimistisch (nach der Ley Sálica wäre Carlos der legitime Nachfolger gewesen). Warum fand er besonders im Baskenland und im ländlichen Katalonien so viel Rückhalt? Zum einen bedrohte die liberale Revolution das traditionelle Leben der Landbevölkerung, die mit ansehen musste, wie der Staat das von ihnen bestellte Land – das zu großen Teilen der Kirche oder den Gemeinden gehörte – konfiszierte und versteigerte (Desamortizaciones). Somit kam es in die Hände von Privatpersonen, die die Bauern, dann daran hinderten, das Land z.B. als Viehweiden oder zur Brennholzgewinnung zu nutzen und ihre kommunalen Rechte auszuüben. Das führte zu einer großen Landflucht. Zum anderen wollten die Carlisten zwar eine absolutistische Monarchie, verteidigten allerdings auch die Rechte der Völker Spaniens und versprachen z.B. Katalonien die Wiederherstellung der alten Sonderrechte und Institutionen. Außerdem waren die Carlisten erzkatholisch – genauso wie der Großteil der Landbevölkerung – und sträubten sich gegen die liberalen Veränderungen; wie z.B. Zwangsenteignungen und Schließung von Klöstern (1800: ca. 2.000 Mönchsklöster; 1867: 62), extreme Reduzierung des Klerus durch gesetzlich angeordnete Exklaustrierungen (1800: ca. 49.000 männliche Geistliche; 1867: 1.678), weniger Macht für die Kirche, Einführung der Religionsfreiheit, etc. Zehntausende Geistliche unterstützten die Carlisten, entweder mit Geld oder indem sie selbst zu den Waffen griffen. Deshalb kam es immer wieder zu antiklerikalen Aufständen, bei denen dutzende Mönche, etc. getötet wurden (z.B. Matanza de frailes de Madrid 1834; 73 getötete Mönche). In Katalonien nannte man diese Aufstände Bullangues (1835). Die Mönche wurden als „Zecken“ (paparres) bezeichnet, auf der Straße beleidigt und zudem dafür verantwortlich gemacht, dass die Carlisten tausende Liberale töteten. Während der Bullangues wurden in Katalonien 67 Geistliche getötet und dutzende Klöster niedergebrannt.

Das Motto der Carlisten war „Gott, Vaterland, Sonderrechte und König“ (Dios, Patria, Fueros y Rey). Diese Spaltung der Gesellschaft führte zu mehreren Bürgerkriegen, den drei Carlisten-Kriegen (Guerras Carlistas, auf Katalanisch Guerres Carlines bzw. Carlinades): 1833 – 40 (über 200.000 Tote), 1846 – 49 (fand ausschließlich in Katalonien statt; ca. 10.000 Tote) und 1872 – 76 (ca. 50.000 Tote). Alle Kriege wurden von den Liberalen gewonnen, die klar in der Mehrheit waren. Während der Nachkriegszeit des Ersten Carlisten-Kriegs kam es in Barcelona zu erneuten liberalen Bullangues (1842/43), die sich vor allem gegen den autoritären Regierungsstil und die ultra-liberale Politik vom General Espartero (Regent Spaniens von 1841-43) richteten, und die u.a. eine verfassungsgebende Versammlung forderten. Die Aufstände wurden von Espartero brutal niedergeschossen: 1842 ließ er die Stadt 13 Stunden lang bombardieren (über 460 zerstörte Häuser und 30 Todesopfer), bei der Unterdrückung der Bullanga von 1843 (auch abfällig Camància/Jamància genannt) wurden über 300 Aufständische getötet. Espartero prägte übrigens auch den Satz „Barcelona muss alle 50 Jahre bombardiert werden, um sie im Zaum zu halten“, der von vielen anderen spanischen Generälen und Präsidenten wiederholt wurde.

Parallel zum Carlismus und dem moderaten Liberalismus kam es aber in den Städten zu einem anderen politischen Phänomen: dem föderalen Republikanismus, der vor allem von der städtischen Arbeiterbevölkerung und Teilen der progressiven Kulturelite getragen wurde. Besonders präsent war er deswegen in Barcelona und Umgebung (nur hier gab es Industrie, ergo eine Arbeiterbevölkerung). Später weitete er sich natürlich auf den Rest Spaniens aus. Ihr Ziel? Die Umwandlung Spaniens in eine föderale Bundesrepublik. Beide Strömungen – konservativer, erzkatholischer Carlismus und föderaler, progressiver und laizistischer Republikanismus – hatten in Katalonien am Ende ein gemeinsames Ziel: mehr Rechte/Eigenstaatlichkeit für Katalonien, innerhalb Spaniens. Mit der September-Revolution von 1868 wurde sogar die Königin Isabel II. gestürzt und es begann das Sexenio Democrático, die sechs demokratischen Jahre (1868-74). Höhepunkt dieser Zeit war ohne Zweifel die 1. Spanische Republik, die im Januar 1873 ausgerufen wurde. In Barcelona wurden daraufhin drei Festtage angeordnet, um die Republik zu feiern. Die Straßen waren voll mit feiernden Menschen; selbst die Soldaten, die einen Akt des Ungehorsams begingen, indem sie Phrygische Mützen/Jakobinermützen (Gorros frigios; Symbol der Demokratie und des Republikanismus) oder Barretines (katalanische Wollmützen) statt des offiziellen Ros (zylindrischer Filz-Helm des Militärs) trugen, um so die Generäle von einem Putsch abzuhalten. Die Zeitungen feierten die „Bundesrepublik“ (República Federal) und überall hing die föderale Flagge Kataloniens. Doch in Wirklichkeit war gar keine Bundesrepublik ausgerufen worden. Zwar war es das Ziel, eine föderale Verfassung auszuarbeiten, die Spanien zu einer Bundesrepublik machen sollte, doch viele Republikaner der Partei Partido Demócrata-Radical (zentralistisch, von der Französischen Revolution inspiriert) weigerten sich zunächst. Im März 1873 versuchte man in Katalonien sogar mehrmals den „Katalanischen Staat“ auszurufen, um den Druck auf Madrid zu erhöhen. Die Versuche wurden aber immer kurz vorher abgeblasen, weil die Katalanen den Versprechungen aus Madrid vertrauten (schließlich saßen dort mehrere Katalanen an der Spitze). Und tatsächlich wurde noch im Juli 1873 die Bundesrepublik Spanien ausgerufen. Doch nur 6 Monate später wurde die Bundesrepublik durch einen Putsch (Golpe de Pavia) wieder zu einer Einheitsrepublik (Januar 1874). Die Situation war ein einziges Chaos: auf Kuba fand der erste kubanische Unabhängigkeitskrieg statt (hatte schon über 130.000 Tote auf beiden Seiten gefordert), an vielen Orten kam es zu kantonalistischen Aufständen (radikaler Föderalismus, dutzende Städte und Landkreise erklärten sich zu Republiken oder freien Kantonen; vor allem in Andalusien, Valencia, Murcia und Extremadura) und im Norden wütete der Dritte Carlisten-Krieg. Im Innenland Kataloniens hatten die Carlisten sogar die Generalitat wiedereingeführt und alle historischen Rechte wiederhergestellt (ohne tatsächliche Auswirkungen). Letzten Endes wurde der 1. Spanischen Republik – dem ersten Ausflug Spaniens zur Demokratie – nach nur 23 Monaten durch einen erneuten Putsch ein jähes Ende gesetzt (Dezember 1874).

Vier der wichtigsten Persönlichkeiten dieser Zeit waren die Katalanen Joan Prim i Prats (Ministerpräsident und Kriegsminister während des Sexenio Democrático), Estanislau Figueras i Moragas (1. Präsident der Republik), Francesc Pi i Margall (2. Präsident der Republik; musste wegen des Kantonalismus zurücktreten) und Laureà Figuerola i Ballester (Finanzminister während des Sexenio Democrático; schaffte inländische Zölle ab und führte die katalanische Peseta, die seit 1808 in Barcelona geprägt wurde, als einzige offizielle Münze Spaniens ein, um dem Währungschaos – es waren 97 verschiedene Münzen im Umlauf – ein Ende zu setzen). Prim war auch ein eiserner Verfechter der Freiheiten Kataloniens, wie seine Reden im spanischen Kongress zeigen (z.B. 1851, nach den letzten liberalen Bullangues). In Bezug darauf, dass 143 Katalanen ohne Gerichtsurteil „wie Hundehingerichtet worden waren und immer noch über 100 Katalanen im Gefängnis saßen, während zeitgleich hunderte aufständische Spanier begnadigt worden waren, sagte er 1851 im Kongress:

«Warum ist man zu ihnen so unerbittlich? Ohne Zweifel, weil sie Katalanen sind.»

In Bezug auf die ständigen Aufstände, die die fortdauernde militärische Besetzung Barcelonas – die Ciutadella stand und funktionierte immer noch – auslösten, meinte er:

«Haben Sie gedacht, dass die Katalanen wie Hunde die Hand ablecken, die sie bestraft? Sie täuschen sich: die Katalanen sind wie Tiger, die denjenigen zerfetzen, der sie misshandelt.»

 Am Ende stellte er den spanischen Abgeordneten die alles entscheidende Frage:

«Sind die Katalanen nun Spanier oder nicht? Sind sie unsere Kolonisten oder unsere Sklaven? Wir müssen wissen was sie sind. Gebt ihnen entweder die Linderung oder den Tod, aber beenden Sie diese Agonie. […] Wenn die Katalanen Spanier sind, dann gebt ihnen die Garantien zurück, die ihr ihnen weggenommen habt […]. Wenn ihr sie nicht als Spanier wollt, dann zieht eure Soldaten und königlichen Staatsdiener aus Katalonien ab, denn niemand dort braucht sie. Wenn ihr aber wollt, dass sie gleichzeitig Spanier und Sklaven sind, und ihr mit der unheilvollen Politik von Felipe V. weitermachen wollt, dann macht es schnell und macht es richtig: kettet ihre Messer an die Tische, wie es jener König tat; schließt sie in einen Bronzekreis ein (Kanonenbronze war Hauptbestandteil der Kanonen). Und wenn das nicht reicht, dann macht Katalonien dem Erdboden gleich und zerstört alles, versalzt die Felder; denn so, und nur so, werdet ihr unser Genick brechen; so, und nur so, werdet ihr unseren Stolz besiegen; so, und nur so, werdet ihr unsere Wildheit bändigen.»

Doch all ihre Anstrengungen, Spanien zu modernisieren, scheiterten; das einzige, was den Zentralisierungswahn Madrids überstand, war die Peseta. Ende 1874 kam es so dann zur Restauration der bourbonischen Monarchie (mit Alfonso XII. als König), und die Katalanen verschwanden erstmal wieder aus der spanischen Politik, in der sie immer nur sichtbar waren, wenn Spanien demokratische Versuche unternahm.

Das 19. Jhd. war also vor allem von Kriegen und Militärputschen geprägt (acht geglückte, dutzende versuchte), in Katalonien aber eben auch von der industriellen Revolution. Katalonien war die erste industrialisierte Region Spaniens; Hauptgrund dafür war, dass katalanische Kaufleute Bahnstrecken bauen ließen, um ihre Produktionsstätten untereinander und mit dem Hafen zu verbinden (1848 die Strecke Mataró-Barcelona, erste Bahnstrecke Spaniens), während man in Madrid mit den Steuergeldern nur Bahnstrecken zwischen den königlichen Palästen bauen ließ. Außerdem waren die Unternehmer in Katalonien dazu gezwungen, sehr risikobereit zu sein: für die industrielle Revolution brauchte es Baumwolle, Kohle und Wasser. Und in Katalonien gab es weder Baumwolle noch Kohle; und man hatten keinen Staat hinter sich, der einen unterstützte. 1758 war bereits die Junta de Comerç (Handelskammer) gegründet worden, die in den folgenden Jahren immer mehr Berufsschulen eröffnete, um gut ausgebildete Arbeiter zu haben. Diese Berufsschulen stopften in gewissem Maße das Loch, weil die Universität von Barcelona ja immer noch geschlossen war (die einzige Universität Kataloniens befand sich immer noch in Cervera, wo aber nur humanistische Studien betrieben wurden). Erst im Jahr 1842 wurde die Universitat de Barcelona wiedereröffnet und erst 1871 begann der Lehrbetrieb. Finanziert wurde das alles von Privatpersonen, die hauptsächlich durch den Weinbrand- und Textil-Handel reich geworden waren, aber teilweise auch von Negrers, also Sklavenhändlern, die in Afrika Sklaven kauften und dann nach Kuba, etc. verschifften (vor allem der Kantabrer Antonio López López/Markgraf von Comillas, und bestimmte katalanische Familien, wie die Vidal-Quadras, die Bosch i Alsina, die Güell i Ferrer oder die Xifrè i Casas). Auf dem Rückweg brachten sie dann Baumwolle, Zucker und Tabak nach Barcelona. Eine weitere wichtige Kapitalquelle waren die Kuba-Katalanen, die auf Kuba zu viel Geld gekommen waren und Investitionen tätigen konnten. Der Staat tat absolut gar nichts. Daher brauchte es findige Unternehmer, die das ins Land holten, was gebraucht wurde (Baumwolle aus Amerika und Kohle aus Großbritannien). So waren es z.B. die Brüder Bonaplata, die 1832 in Barcelona die erste Textilfabrik Spaniens eröffneten, die mit Dampfmaschinen funktionierte. Überall im Land entstanden die sogenannten Colònies Industrials (Arbeiterkolonien): am Oberlauf des Llobregat vor allem zum Kohleabbau, in den Einzugsgebieten (Conques) des Llobregat, des Ter, des Cardener und des Segre vor allem für die Textilfabriken (über 75 Textil-Kolonien). Bediente Katalonien im Jahr 1820 noch 20% der Textil-Nachfrage Spaniens, waren es im Jahr 1850 schon fast 75%. Unterstützt wurde das alles durch einen enormen Bevölkerungszuwachs, der bereits im 18. Jhd. begonnen hatte: hatte Katalonien 1717 nur knapp 402.000 Einwohner, waren es 1787 schon über 800.000. Und im 19. Jhd. ging es weiter: im Jahr 1857 hatte Katalonien bereits 1,6 Mio. Einwohner. Auch Barcelona, als der Ort, in dem sich der Großteil der Fabriken ansiedelte, durchlebte einen Bevölkerungsboom: von ca. 100.000 Einwohnern im Jahr 1787, auf 353.800 (1877) und 544.000 im Jahr 1900.

Außerdem kam es im 19. Jhd. zur sogenannten Renaixença, der „Wiedergeburt“ der Katalanischen Sprache in der Literatur und des katalanischen Selbst- und Nationalverständnisses: Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jhd. entstand eine kulturelle katalanistische Bewegung, deren Anhänger dafür kämpften, dass das Katalanische wieder an Prestige gewinnt, das nationale Selbstverständnis der Katalanen anerkannt und mehr für die katalanische Kultur getan wird (im gesamteuropäischen Prozess der Nationenbildung). Typisch für diesen kulturellen Katalanismus waren Dichterwettbewerbe wie die wiedererlangten mittelalterlichen Jocs Florals, Veröffentlichungen von Romanen (z.B. La orfaneta de Menargues von Bofarull), übersetzten Klassikern und Gedichtbänden, die die Gegenwart mit der glorreichen Vergangenheit der Sprache verbanden, wie z.B. Los Trobadors Nous (Antoni de Bofarull), Los Trobadors Moderns und Lo Trobador de Montserrat (beide von Víctor Balaguer), etc. Die wichtigsten Schriftsteller dieser Zeit waren Víctor Balaguer i Cirera, Antoni de Bofarull, Jacint Verdaguer i Santaló (auch Mossèn Cinto Verdaguer genannt), Bonaventura Carles Aribau, Manuel Milà i Fontanals, Joaquim Rubió i Ors, Àngel Guimerà und Narcís Oller. Aus diesem kulturellen Katalanismus entstand Mitte/Ende des 19. Jhd. der politische Katalanismus, der auch katalanischer Nationalismus genannt wird (in Spanien gilt generell alles als Nationalismus, außer der spanische Nationalismus, der wird geleugnet). Obwohl über 150 Jahre vergangen waren, seitdem Katalonien seine Eigenständigkeit verloren hatte, war es nicht aus der kollektiven Erinnerung der Katalanen verschwunden. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass man bis heute die Toilette – früher die Latrine/das Scheißhaus – im ländlichen Katalonien noch als „Can Felip“ (Haus von Felipe) bezeichnet; in Anspielung auf eben jenen verhassten Felipe V.

Im Jahr 1885 verfasste das Centre Català (eine katalanistische Vereinigung, die sowohl Carlisten als auch republikanische Föderalisten in sich vereinte) den Memorial de Greuges, ein Dokument, in dem man den König Alfonso XII. darum bat, die katalanischen Institutionen und Gesetze wieder einzuführen und das Katalanische als Amtssprache anzuerkennen, „um es auch außerhalb der Häuser sprechen zu können“. Außerdem bat man darum, die Wirtschaft protektionistischer zu gestalten, was jedoch auch abgelehnt wurde. Für das katalanische Bürgertum war der Protektionismus wichtig, denn mit den Zöllen auf ausländische Waren konnte man die eigene Produktion schützen (besonders Großbritannien überschwemmte den spanischen Markt mit billigen Waren). Doch hier trafen zwei unterschiedliche Wirtschaftsmodelle aufeinander: in Katalonien ein breitgefächertes Bürgertum, das von der Industrie und vom Handel lebte, und im Rest Spaniens die Landwirtschaft, die in den Händen von einigen wenigen Oligarchen und Großgrundbesitzern lag, die zudem allesamt als Abgeordnete im Kongress saßen. Kritisiert wurde außerdem die extreme Steuerlast, die auf Katalonien lastete. Obwohl Katalonien nur ca. 10% (1,8 Mio. Einwohner) der Bevölkerung Spaniens ausmachte, kamen fast 30% aller Steuern aus Katalonien. Im Jahr 1900 zahlte z.B. die Provinz Barcelona mehr Steuern als Alt-Kastilien, Aragonien und Valencia zusammen. Doch investiert wurde in Katalonien nicht, während z.B. allein in den Bau des Kanals von Lozoya in Madrid über 100 Mio. Peseten investiert wurden; mehr als im gesamten 19. Jahrhundert in Katalonien. Auch diese Tatsache brannte sich in das Gedächtnis der Katalanen ein; zumal sich daran wenig bis gar nichts änderte.

Im Jahr 1886 erschien das Werk «Lo Catalanisme. Motius que’l llegitiman. Fonaments cientifichs y solucions practicas» („Der Katalanismus. Gründe, die ihn rechtfertigen. Wissenschaftliche Grundlagen und praktische Lösungen“) von Valentí Almirall, das zum ideologischen Pfeiler des progressiven politischen Katalanismus werden sollte. Er verteidigte eine Modernisierung und eine Föderalisierung Spaniens; in etwa so, wie es bereits 13 Jahre vorher mit der 1. Spanischen Republik versucht worden war. Aus Madrid erntete Almirall sehr viel Kritik, besonders heftig reagierte z.B. der Kastilier Núñez de Arce, der u.a. Präfekt von Barcelona gewesen war. Er warf Almirall vor, „das glorreiche Spanien“ zerstören und durch „erfundene Organismen, ja sogar mit eigener Sprache“ ersetzen zu wollen. Er forderte zudem, dass die Katalanen lieber eine andere, bessere Sprache sprechen sollten (das Kastilische), denn nur diese Sprache hätte die nötige „Kraft und Festigkeit“. Almiralls Antwort war knapp: er wolle Spanien nicht zerstören, er wolle nur, dass man aufhört, es mit Kastilien gleichzusetzen. Und zur Sprache sagte er, er spräche das Kastilische „mit Abscheu, weil es ihnen aufgezwungen wird“. In die Diskussion mischte sich auch Joan Mañé i Flaquer, ein eher konservativer Liberaler, ein. Er schrieb: „Verstehen Sie uns als Brüder? Dann behandeln Sie uns als Brüder, in Gleichheit, und versuchen Sie nicht, uns ihr Recht und ihre Sprache aufzuzwingen; wir beabsichtigen ja auch nicht, Ihnen unsere aufzuzwingen. Verstehen Sie uns als erobertes Land, in dem Sie das Recht haben, mit Gewalt ihren Willen durchzusetzen? Dann erwarten Sie von uns keine brüderliche Korrespondenz“ («¿Nos consideran Vds. como hermanos? Trátennos Vds. como hermanos, bajo pie de igualdad, y no pretendan imponernos su derecho y su idioma, ya que nosotros no pretendemos imponerles los nuestros. ¿Nos consideran Vds. como país conquistado y con derecho a imponernos por el número, que es la fuerza, su voluntad? En este caso no exijan de nosotros correspondencia fraternal»).

Der Föderalismus hatte viele Anhänger, nicht nur in Katalonien, zerfiel aber mit der Zeit in zwei Lager: Auf der einen Seite standen die „Radikalen“, die zuerst die Unabhängigkeit der Regionen wollten, um sich dann freien Willens mit den anderen unabhängigen Republiken Spaniens zu vereinen (Föderalisierung von unten nach oben); und auf der anderen Seite standen die „Moderaten“, die es bevorzugten, den Föderalisierungsprozess von der spanischen Regierung leiten zu lassen. Zu erwähnen ist außerdem, dass der Katalanismus ideologienübergreifend war und ist: Sowohl linke als auch eher rechte/ konservative, sowohl republikanische als auch monarchische Parteien können katalanistisch sein. So wurde 1887 die konservative katalanistische Partei Lliga de Catalunya gegründet (oder 1901 die Lliga Regionalista), die vor allem die konservative Bourgeoisie und viele moderate Carlisten Kataloniens hinter sich versammelte. Neben der Wiedereinführung der alten Sonderrechte (besonders des Dret Civil Català, des katalanischen Zivilrechts), wollten sie eine eigene Verfassung mit exklusiven Kompetenzen in Bildung, Verwaltung, Steuererhebung, etc., Katalanisch als Amtssprache und den wirtschaftlichen Protektionismus (im Jahr 1892 in den Bases de Manresa festgelegt, einem ersten Entwurf für eine Regionalverfassung Kataloniens); aber immer als Teil Spaniens, weil sie eben konservativ und monarchisch waren. Valentí Almirall dagegen war der wichtigste Vertreter des progressiven, links-republikanischen Flügels des Katalanismus. Er war z.B. auch der Gründer des Centre Català. Doch diese Forderungen hatten keinen Platz im damaligen Spanien, und erst recht nicht, als Spanien 1898 die letzten Kolonien in Übersee verlor (u.a. Kuba, Puerto Rico und die Philippinen), was ein tiefes Trauma bei der spanischen Elite und den Intellektuellen verursachte.

Bereits 1886 hatten Gruppen von jungen Katalanen und Anhänger des Centre Català begonnen, am 11. September den Nationalfeiertag Kataloniens (Diada Nacional de Catalunya) zu feiern. 1888 wurde die Statue von Rafael Casanova eingeweiht (der Held während der Verteidigung Barcelonas im Jahr 1714), die ab 1891 die jährlichen Blumengabe (Ofrena floral) beherbergte, um seiner zu gedenken und die Nationalhymne zu singen. Jedes Mal wurde die Versammlung von der Polizei gewaltsam aufgelöst und dutzende Teilnehmer verhaftet. Doch mit jedem Jahr, das verging, wurde die Versammlung größer (z.B. 1901 über 12.000 Menschen).

Im Jahr 1899 kam es dann zu einem Streik von Seiten der katalanischen Bourgeoisie: die Zentralregierung erhöhte die Steuern, um das  – aus dem Verlust der Kolonien und den Kriegen entstandene – Defizit auszugleichen und das Bürgertum in Katalonien rebellierte. Denn mal wieder traf sie die Erhöhung stärker als Madrid (aufgrund der anders gelagerten Unternehmens- und Produktionsstruktur). Sie meldeten ihre Geschäfte und Fabriken ab, da das die einzige legale Möglichkeit war, die Steuern nicht zu bezahlen. In Barcelona beteiligten sich über 50 Innungen (Gremis), die vom Bürgermeister der Stadt, Bartomeu Robert i Yarzábal (auch Doctor Robert genannt), unterstützt wurden. Der Protest – Tancament de Caixes (Kassen-Schließung) genannt – breitete sich schnell auf Sabadell, Manresa, Mataró und Vilafranca del Penedès aus. Der Staat rief den Kriegszustand aus, verbot Zeitungen und Vereine, ließ hunderte Handwerker und Geschäftsinhaber verhaften und ihr Geld konfiszieren. Der Bürgermeister Barcelonas trat zurück, weil er sich weigerte, die ausstehenden Steuern zu beschlagnahmen, und auch der einzige Katalane in der spanischen Regierung, der Justizminister Manuel Duran i Bas, reichte seinen Rücktritt ein. Seine Begründung: «No ens entendrem mai» (Wir werden uns nie verstehen).

Als die Lliga Regionalista – mit Enric Prat de la Riba an der Parteispitze – bei den Wahlen 1907 mit der Solidaritat Catalana (einem Zusammenschluss mehrerer katalanistischer Parteien, von moderaten Republikanern und Föderalisten bis hin zu Carlisten) überraschenderweise die meisten Stimmen in Katalonien holte (41 von 44 Sitzen; davon u.a. 14 für die Lliga, 9 für Unió Republicana, 6 für die Partit Republicà Democràtic Federal, 6 für die Carlisten, 3 für das Centre Nacionalista Republicà), brachte das das politische System in Madrid ins Wanken. Im Jahr 1914 erreichte die Lliga Regionalista sogar – nachdem die Verhandlungen jahrelang ausgesetzt worden waren – die Einrichtung der Mancomunitat de Catalunya; d.h. den administrativen Zusammenschluss der vier katalanischen Provinzen (Barcelona, Girona, Lleida und Tarragona). Zwischenzeitlich war es nämlich zur Tragischen Woche (Setmana Tràgica) in Barcelona gekommen und das hatte alle politischen Prozesse zum Stillstand gebracht.

Zur Setmana Tràgica im Sommer 1909 habe ich im Beitrag zu Katalonien mehr geschrieben, hier nur so viel: mitten in einem eh schon angespannten gesellschaftlichen Klima, beschloss die Zentralregierung zehntausende Reservisten einzuberufen und in den sicheren Tod nach Marokko zu schicken. Die Reservisten waren jedoch bereits Familienväter und Alleinverdiener, und konnten sich – anders als die Reichen – nicht vom Wehrdienst freikaufen. In Katalonien, woher dieses Mal die meisten Reservisten kommen sollten, mobilisierten verschiedene Gewerkschaften und die radikalen Republikaner des andalusischen Populisten Alejandro Lerroux García (Gründer des Partido Republicano Radical; zentralistisch, extrem antiklerikal und anti-katalanistisch) die Arbeiterschaft: die Armen sollten in den Krieg ziehen, um die Minen der Reichen zu beschützen (die meisten Minen in Marokko gehörten Politikern und Adligen). Besonders Lerroux schürte zudem den ohnehin schon starken Antiklerikalismus  die Kirche beschützte das Bürgertum, verwehrte den Arbeitern die Bildung, torpedierte die Arbeiterbewegung mit gelben Gewerkschaften, etc.  mit seinen zur Gewalt aufrufenden Reden (z.B. „Junge Barbaren von heute, […] zerstört ihre Tempel, erledigt ihre Götter, hebt den Schleier der Nonnen und macht sie zu Müttern […] Macht weiter, kämpft, tötet und sterbt“). Lerroux war vor allem bei der nicht-katalanischen Arbeiterbevölkerung beliebt, die in ihm einen Patrioten sah (er sprach ja Spanisch), der aktiv gegen ihre meist katalanischsprachigen Arbeitgeber kämpfte.

Dazu muss man wissen, dass Katalonien seit etwa 1880 immer häufiger das Ziel von Einwanderern aus den katalanischsprachigen Regionen Aragoniens (Ribagorza, La Llitera, Baix Cinca und Matarranya) und Valencias war. Sie wurden natürlich von den vielen Arbeitsplätzen angezogen, die die Industrialisierung schuf, aber auch von der kulturellen und sprachlichen Nähe. Ab Anfang des 20. Jhd. kamen dann auch vermehrt spanischsprachige Einwanderer aus Murcia und Almería (Andalusien); durchschnittlich etwa 5.000/ Jahr, zwischen 1916 und 1920 kamen jedoch über 200.000. Waren Ende des 19. Jhd. nur 1,3% der Einwohner Kataloniens außerhalb von Katalonien geboren worden, waren es 1920 schon 13% (ca. 300.100).

Besonders bei dieser spanischsprachigen Bevölkerung konnte Lerroux mit seinen demagogischen Diskursen punkten, da er an ihr „Spanischsein“ appellierte; die katalanischsprachige Arbeiterbevölkerung wurde dagegen eher von den Gewerkschaften mobilisiert (hauptsächlich von der sozialistisch-anarchistischen Solidaritat Obrera). Allerdings muss man sagen, dass sich diese Einwanderergeneration sehr schnell in Katalonien integrierte, und Lerroux zwischen 1907 und 1923 nie mehr als 3 der 44 möglichen Sitze in Katalonien holte (einzige Ausnahme war 1910, da holte er 5).

Als dann ein paar Wochen nach der ersten Reservisten-Einberufung bekannt wurde, dass bei einer Schlacht über 300 Reservisten getötet worden waren, wurde in Barcelona der Generalstreik ausgerufen. Der Streik war ein voller Erfolg und verlief den gesamten Tag über friedlich und kontrolliert ab. Gegen Abend artete er aber aus, weil sich niemand mehr dafür verantwortlich fühlte, den Protest anzuführen (nicht einmal Lerroux, der die Massen ja angestachelt hatte). Einzelne Gruppen fingen im Arbeiterviertel Poblenou an, Straßenbahnen anzugreifen und eine katholische Schule niederzubrennen. Die Zentralregierung ließ den Kriegszustand ausrufen und setzte die verfassungsrechtlichen Garantien aus, was den Gouverneur von Barcelona, den Madrilenen Ángel Ossorio y Gallardo, dazu veranlasste, zurückzutreten, weil er damit nicht einverstanden war. Als die Polizei anfing, auf die Demonstranten zu schießen, eskalierte es dann richtig. Überall in der Stadt wurden Barrikaden errichtet (über 250), Polizeiwachen angegriffen, Straßenbahnen, Kirchen und Klöster abgefackelt. Der Protest breitete sich schnell in die anderen Industriestädte Kataloniens aus (Sabadell, Granollers, Manresa, Mataró, Badalona, etc.). Am Ende wurde der Aufstand vom Militär niedergeschossen (die in Barcelona stationierten Soldaten weigerten sich, auf ihre Landsleute zu schießen, weshalb Soldaten aus Valencia, Zaragoza und Burgos geholt werden mussten). Über 80 Gebäude waren niedergebrannt (33 religiöse Schulen, 14 Pfarrkirchen, 18 Klöster, etc.), und 3 Geistliche und 4 Polizisten getötet worden. In Europa und Amerika wurde Barcelona als „die Feuer-Rose“ (La Rosa de Foc) bekannt. Besonders aktiv waren auch die Frauen: viele Barrikadenkämpfe wurden von Frauen kommandiert, die um jeden Preis verhindern wollten, dass ihre Männer einberufen werden, da ihre Familien sonst verhungert wären. Außerdem leiteten viele Frauen – besonders auch die Prostituierten (waren oft hauptberuflich Fabrikarbeiterinnen, die ihren Lohn aufstocken mussten) – die Streikposten. Besonders bekannt waren z.B. Encarna Avenalleda „La Castiza“ (die Rassige), Maria Llopis Berges „La Quaranta Cèntims“ (die 40-Cents; zum Tode verurteilt), Enriqueta Sabater (endete vorm Kriegsgericht), Josefa Prieto Saldaña „La Bilbaína“ (Die aus Bilbao; floh ins Exil) oder Rosa Esteller „La Valenciana“ (Die Valencianerin, auch zu einer Haftstrafe verurteilt).

Vereinzelt war es auch zu Grab- und Leichenschändungen von Geistlichen gekommen, weil die Menschen herausfinden wollten, ob die Gerüchte von vergrabenen Schätzen und lebendig begrabender Nonnen stimmten. Als die ersten Gräber geöffnet wurden, und die Menschen sahen, dass die Mumien an den Händen und Füßen gefesselt waren, erzürnte sie das noch mehr, weil sie damit die Gerüchte bestätigt wussten (Tatsache ist jedoch, dass das zum Totenritual bestimmter Orden gehörte). Auf der Seite der Demonstranten waren die Opferzahlen um einiges höher: über 100 Zivilisten wurden getötet, über 400 schwer verletzt. Tausende Menschen wurden verhaftet, über 2.000 flohen ins Exil nach Nordkatalonien. Gegen knapp 2.000 Gefangene wurde ein Militärprozess eröffnet, der dann mit 17 Todesstrafen, über 300 Verbannungen und u.a. knapp 60 lebenslangen Haftstrafen endete. Die Repression war willkürlich, da man niemandem etwas direkt nachweisen konnte. Unter den Hingerichteten war auch Ramon Clemente i Garcia, ein 22-jähriger Kohlearbeiter (gebürtig aus València), der eine geistige Behinderung hatte und der hingerichtet wurde, weil er auf offener Straße mit einer Mumie getanzt hatte. Die Tatsache, dass seine geistige Behinderung einfach ignoriert wurde, erzürnte große Teile der Zivilbevölkerung. Aber es sollte ein Exempel statuiert werden. Dazu gehörte auch der Fall Francesc Ferrer i Guardia. Der Pädagoge hatte 1901 in Barcelona die Escola Moderna (Moderne Schule) gegründet; die erste laizistische, rationalistische und libertäre Schule Spaniens. Damit hatte er so viel Erfolg, dass es im Jahr 1906 schon über 60 Schulen gab. Laizistische Schulen waren aber, laut der Regierung und der Kirche, die Inkarnation des Bösen, sodass er nach der Setmana Tràgica ins Fadenkreuz der Repression geriet (schon vorher hatte die Kirche mehrmals vergeblich versucht, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen, weshalb er im Exil lebte). Im Oktober 1909 wurde er dann schließlich vor das Kriegsgericht gestellt, und ohne Rechtsschutz, Beweise oder Zeugen zum Tode verurteilt, weil er angeblich der Anführer des Aufstands gewesen war. Tatsächlich hatte er aber überhaupt  nichts mit dem Aufstand zu tun (er war nur auf Heimatbesuch, um seine kranke Nichte zu besuchen). Er weigerte sich, bei der Erschießung eine Augenbinde zu tragen, um seinen Henkern in die Augen zu gucken. Bevor sie schossen, rief er: «Sóc innocent. Visca l’Escola Moderna!» (Ich bin unschuldig. Es lebe die Moderne Schule). Seine Hinrichtung lösten große Proteste im Ausland aus (Demonstrationen, Bombenanschläge auf spanische Botschaften, Leitartikel in den größten Zeitungen, etc.), doch in Spanien selbst musste man seine Unterstützer mit der Lupe suchen; selbst Intellektuelle wie Unamuno hetzten gegen ihn. Auch die bürgerliche Lliga Regionalista gab kein gutes Bild ab, und wurde bei den nächsten Wahlen bestraft (1910 gewannen sie nur 10 statt vorher 14 Mandate; stärkste Partei Kataloniens wurde in jenem Jahr die republikanische, katalanistische und föderalistische Unió Federal Nacionalista Republicana). Erst 1914 konnte die Lliga wieder an Stimmen gewinnen und das Projekt der Mancomunitat weiterführen.

Im Jahr 1914 wurde dann die Mancomunitat eingeführt, die zudem mit – wenn auch minimalen – Selbstverwaltungskompetenzen ausgestattet war (ausschließlich verwaltungstechnisch) und das Katalanische de facto als  Amtssprache benutzte (existierte bis 1923/25). Dies war die erste offizielle Anerkennung der Einheit Kataloniens, seitdem das Land Anfang des 18. Jhd. unterworfen und 1833 in vier voneinander unabhängige Provinzen und Provinz-Verwaltungen (Diputaciones) aufteilt worden war.


Bedeutung der Mancomunitat

Die Zeit der Mancomunitat war zwar chaotisch, aber auch voller Hoffnung und Tatendrang. Es herrschte eine große Aufbruchsstimmung. Das damalige Katalonien hinkte den anderen Industrieregionen Europas entwicklungstechnisch ziemlich hinterher. Und das, obwohl Barcelona das Wirtschaftszentrum Spaniens war. Aber staatliche Investitionen für die Bevölkerung und die Industrie blieben aus. Während der Staat in Katalonien jährlich über 200 Mio. Peseten an Steuern einnahm, investierte er nur etwa 19 Mio. Peseten. Über 40% der Bevölkerung arbeiteten noch auf dem Land, über 45% waren Analphabeten. Besonders die Infrastruktur war mangelhaft: Zwar hatten katalanische Privatleute ihre Produktionsstätten und die Häfen mit Bahnstrecken verbunden, aber aufgrund der fehlenden Investitionen von Seiten der Zentralregierung gab es ansonsten kaum Bahnstrecken oder Landstraßen; über die Hälfte der Dörfer Kataloniens hatten noch nicht einmal einen Zufahrtsweg, waren also von der Außenwelt nahezu komplett isoliert. Nur 38 der über 1.000 katalanischen Gemeinden hatten ein Telefon. Das Motto von Prat de la Riba, dem ersten Präsidenten der Mancomunitat, war daher: «Cap ajuntament sense escola, biblioteca, telèfon i carretera» (Keine Gemeinde ohne Schule, Bibliothek, Telefon und Straße). So ließ man über 5.000km an Telefonleitungen legen (bis 1922 hatten bereits 400 Gemeinden ein Telefon), über 1.700km an Straßen und auch die erste U-Bahn-Linie Barcelonas bauen (1926 eröffnet). Man eröffnete vier Schulen, die direkt der Mancomunitat unterstanden (die Kompetenz lag eigentlich beim Staat und der Kirche), die zudem das Katalanische als einzige Unterrichtssprache benutzten. Um das Schulsystem zu verbessern, ließ man großflächig neue Lehrer ausbilden. Außerdem wurden viele Berufsschulen eröffnet (vor allem für Technik, die Textilindustrie, das Ingenieurwesen, Chemie und die moderne Landwirtschaft). Hervorzuheben ist hier die Schule für Bibliothekarinnen (Escola de Bibliotecàries), denn man weihte ein katalonienweites öffentliches Bibliotheksnetz ein, damit jeder kostenlosen Zugang zu Büchern hat. Die Zahl der Bibliotheksbesucher wuchs von ca. 4.600 im Jahr 1914 auf fast 44.000 im Jahr 1922. Auch die Analphabetenrate sank auf 32% im Jahr 1920.

Kulturell war die Mancomunitat natürlich vom Katalanismus, aber auch vom Noucentisme geprägt; einer kulturellen Bewegung, die oft als katalanische Form des Neoklassizismus gilt. An der Spitze des Noucentisme stand der Schriftsteller, Philosoph und Kunstkritiker Eugeni d’Ors, der u.a. auch mit dem Ausbau des Bibliotheksnetzes beauftragt wurde. Die Künste wurden modernisiert/europäisiert, man förderte die Archäologie und den Denkmalschutz. Außerdem gründete man in Barcelona die Kunsthochschule (Escola Superior dels Bells Oficis) und die Theaterschule (Escola Catalana d’Art Dramàtic). Ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich war die „Erhebung der katalanischen Sprache auf ein europäisches Niveau“. Das Institut d’Estudis Catalans (die katalanische Sprachakademie) erhielt finanzielle Unterstützung, damit diese einen allgemein gültigen Standard veröffentlichen konnte. Dank dieser Unterstützung konnten die offiziellen Rechtschreibnormen (Normes ortogràfiques von Pompeu Fabra i Poch), die Grammatik und Wörterbücher veröffentlicht werden. Dazu muss man sagen, dass zu der Zeit zwar die überwältigende Mehrheit der Katalanen das Katalanische als einzige Muttersprache hatte, aber die, die schreiben konnten, taten das oft auf Spanisch, weil es keine offiziellen Regeln für das Katalanische gab. Das sieht man vor allem an den Autoren, die schon vor der Standardisierung auf Katalanisch schrieben, und die teilweise noch das aus dem Mittelalter stammende ch für den Laut /k/ benutzten (siehe z.B. Valentí Almirall „cientifichs“ statt heute „científics“; heute noch in Nachnamen wie Domènech, March, Bosch, Blanch, Antich, etc.), archaisierende Elemente benutzten (wie z.B. vehí statt heute veí – ‘Nachbar’; rahó statt raó – ‘Verstand’; ab statt amb – ‘mit’) oder a statt e schrieben. Letzteres war der größte Streitpunkt, denn die Westkatalanen formen zum Beispiel den Plural von femininen Substantiven und Verbformen mit [e], während man in Ostkatalonien ein [ə] sagt, was sich eher wie ein „unsauberes“ /a/ oder /e/ anhört (z.B. wie in bitte [ˈbɪtə]). Geeinigt wurde sich – trotz anfänglichen Widerstands einiger Autoren – auf <e>, da es für Sprecher der ostkatalanischen Dialekte keinen Unterschied macht, ob dort <a> oder <e> steht (z.B. Almirall „practicas“ statt heute „pràctiques“, „legitiman“ statt heute „legitimen“). Umso wichtiger war es also, dass sich die Mancomunitat und die Gemeinden des neuen Standards bedienten, um ihn so zu normalisieren.

Außerdem versuchte man das Gesundheitswesen zu modernisieren, indem man z.B. Geburtshäuser errichtete (in denen jede Frau unter hygienischen Bedingungen gebären konnte, auch wenn sie arm war), Hebammen und Krankenpflegerinnen ausbilden ließ, etc. Ein weiterer Meilenstein war die Gründung des Servei Meteorològic de Catalunya (Meteorologischer Dienst Kataloniens), der allerdings 17 Jahre später von Franco geschlossen wurde.


Die Zeit der Mancomunitat war auch die Zeit eines wachsenden katalanischen Nationalbewusstseins, das aber in Spanien auf vehementen Widerstand stieß. Das politische System des Spaniens der „Restauración“ (zwischen 1874 – Ende der 1. Spanischen Republik – und 1931, Gründung der 2. Republik) war vor allem oligarchisch, zentralistisch und sehr religiös (der Katholizismus war Staatsreligion). Zwar gab es regelmäßige Wahlen, aber es gab keine Demokratie. Das etablierte System hieß Turnismo (Abwechslung), d.h. die beiden großen monarchischen Parteien (Konservative und Liberale) wechselten sich nach jeder Regierungsperiode ab. Die zu vergebenen Sitze im Kongress wurden bereits vor den Wahlen verteilt (Encasillado), und das richtige Wahlergebnis wurde dann durch den Caciquismo garantiert bzw. im Nachhinein gefälscht. Die Caciques waren lokale Persönlichkeiten, die sehr viel Einfluss in ihrer Region hatten (vor allem Großgrundbesitzer, Pfarrer, etc.), die u.a. bewaffnete Gruppen dafür bezahlten, um die Bevölkerung zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder zur Enthaltung zu zwingen. Besonders stark war dieses System in Andalusien und Kastilien verankert, wo die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land lebte und von den Großgrundbesitzern abhängig war. In den großen Städten hatten die Caciques kaum Einfluss auf die Wahlen. Andere Parteien hatten aber in diesem System natürlich überhaupt keine Chance. Daher war der Wahlerfolg der Solidaritat Catalana wie ein kleines Erdbeben, das das System in Madrid in seinen Grundfesten erschütterte.

Autonomiebestrebungen

Im Jahr 1916 veröffentlichte die Lliga Regionalista das Manifest „Per Catalunya i l’Espanya gran“ (Für Katalonien und das große Spanien), in dem sie die Assimilierungspolitik Spaniens anprangerte und forderte, die Katalanen nicht mehr als „Spanier dritter Klasse“ zu behandeln. Sie forderten u.a. eine Autonomie für Katalonien, eine Föderalisierung Spaniens und ein Mitspracherecht für die nicht-kastilischen Nationalitäten. Im Jahr 1917 versuchte Francesc Cambó – Parteichef der Lliga Regionalista und Abgeordneter im spanischen Kongress – die katalanischen Forderungen ins spanische Parlament zu bringen. Aber es war mal wieder der falsche Zeitpunkt: Spanien befand sich in einer militärischen, politischen und sozialen Krise.

  • Militärisch: Die auf dem spanischen Festland stationierten Soldaten organisierten sich in den sogenannten Juntas de Defensa, einer Art Militär-Gewerkschaft, die jedoch illegal war. Ihr Ziel war es, dass der Staat ihre Löhne erhöht. Zwar ließ die liberale Regierung einige Militärs verhaften, doch das führte nur dazu, dass diese den Druck erhöhten, mit dem Bruch des militärischen Gehorsams drohten und Hilfe beim spanischen König Alfonso XIII. ersuchten. Dieser löste die Regierung auf und ernannte eine konservative Regierung, mit Eduardo Dato an der Spitze, der die Juntas de Defensa legalisierte. Die Folge davon war, dass das Militär immer mehr Einfluss auf die Politik hatte. Zwischen 1917 und 1923 kam es wegen des Militärs zu 14 Regierungskrisen, 4 Neuwahlen und 3 Ministerpräsidenten mussten zurücktreten.
  • Politisch: Im Mai 1917 beschlossen die Republikaner um Alejandro Lerroux und die Reformisten, dass die Verfassung von 1876 überarbeitet werden muss und forderten, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Doch Eduardo Dato hielt seit Monaten das Parlament geschlossen, sodass Francesc Cambó anbot, im Juli eine „alternative“ Parlamentarierversammlung (Asamblea de Parlamentarios) in Barcelona abzuhalten. Dato und die konservative Presse Madrids versuchten, diese Versammlung als separatistisch und revolutionär zu diskreditieren, weshalb nur die katalanischen Abgeordneten, die Republikaner, Reformisten und Pablo Iglesias (Gründer der PSOE und der Gewerkschaft UGT; gilt als Vater des spanischen Sozialismus) teilnahmen. Die Versammlung wurde von der Polizei aufgelöst, die Anwesenden verhaftet, aber kurz danach wieder freigelassen. Als Antwort auf die Beschlüsse der Versammlung, die vor hatten, Spanien komplett zu reformieren, ließ Dato mehrere Zeitungen verbieten und Barcelona militärisch besetzen.
  • Sozial: Zwar war Spanien im 1. Weltkrieg neutral (da bereits in einem kosten- und kräftezehrenden Krieg in Marokko verstrickt), aber trotzdem ließ er die Inflation in die Höhe schießen. In wenigen Jahren waren die Lebensmittelpreise um über 110% angestiegen; die Löhne jedoch stiegen kaum. Es kam zu Hungerrevolten und vielen Streiks, die von den großen Gewerkschaften CNT (anarcho-syndikalistisch; 1910 gegründet) und UGT (sozialistisch) organisiert wurden (beide Gewerkschaften wurden in Barcelona gegründet). Die CNT war jedoch in Katalonien dominierend, über 90% der Gewerkschaftsmitglieder gehörten der CNT an (1917 ca. 300.000 Mitglieder, 1919 schon über 700.000). Für August 1917 hatten beide Gewerkschaften zu einem unbefristeten, „revolutionären“ Generalstreik aufgerufen (von der russischen Februarrevolution inspiriert), doch am Ende machten UGT und PSOE einen Alleingang, trafen sich mit Vertretern des Bürgertums und forderten einen Regierungswechsel. Die CNT — die sich vom Aufruf distanziert hatte, weil er zu parteipolitisch und bürgerlich war — unterstützte den Streik nur in Katalonien. Deshalb fiel er kleiner aus als geplant. Zwar wurden die Industrie- und Großstädte (Barcelona, Bilbao, Madrid, València, Zaragoza, etc.) und einige Bergbauregionen (Asturien und León) für einige Tage stillgelegt, aber der ländliche Raum war kaum betroffen. Die spanische Regierung schickte das Militär, um den Streik zu unterdrücken. Insgesamt wurden 71 Streikende getötet — 37 davon in Katalonien — über 200 wurden verletzt und ca. 2.000 inhaftiert. Am 14. August wurde das Streikkomitee verhaften; in der Nacht wurden daraufhin 7 sozialistische Mitglieder des Komitees während einer Gefängnisrevolte ermordet. Die restlichen wurden vor ein Militärgericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Der spanische König setzte die konservative Regierung von Dato ab, und ersetzte sie wieder durch eine liberale, in der sogar ein Minister der Lliga Regionalista vertreten war.

Da der Versuch, das katalanische Problem im spanischen Parlament zu lösen, gescheitert war, kam Cambó 1918 zu dem Schluss, dass jetzt „die Stunde Kataloniens“ gekommen war und dass Katalonien seine „vollkommene Autonomie“ bekommen müsse (Autonomía integral). Bei einer Versammlung aller Bürgermeister und Abgeordneten Kataloniens im Juli 1918 wurde dann beschlossen, ein Plebiszit in allen katalanischen Gemeinden durchzuführen, damit diese ihre Meinung zu den Autonomiebestrebungen kundtun konnten. Es war der Beginn der Campaña Autonomista Catalana (Katalanische Autonomie-Kampagne).

Mit dem Ende des 1. Weltkriegs im November 1918 kam es in Barcelona vermehrt zu großen Demonstrationen von Anhängern der Alliierten und Gegnern der Monarchie. Außerdem wurde versucht, das „katalanische Problem“ zu internationalisieren: Nach dem 1. Weltkrieg wurden viele Grenzen verschoben und es entstanden neue Staaten, deren Gründung wiederum hauptsächlich auf dem 14-Punkte-Programm des US-amerikanischen Präsidenten Wilson beruhte (darunter Island, Finnland, Polen, Estland, Lettland, Litauen, die Tschechoslowakei, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Trennung von Österreich-Ungarn, Südtirol ging an Italien, etc.). Sowohl das Comité Nacional Català in Paris, als auch das Comité Pro Catalunya – und später auch die Lliga Regionalista – nahmen Kontakt zu Paris und zu Wilson auf, doch erhielten keine Antwort. Dies lag vor allem daran, dass die USA der spanischen Regierung bereits zugesichert hatten, dass das 14-Punkte-Programm nicht bei neutralen Staaten zur Anwendung kommen würde. Somit scheiterte der Versuch der Internationalisierung.

Der König Alfonso XIII. animierte Cambó jedoch dazu, mit den Autonomiebestrebungen weiterzumachen. Für ihn war das nämlich die einzige Möglichkeit, um in Katalonien eine soziale Revolution wie in Russland oder Deutschland zu verhindern, die seine Monarchie hätte stürzen können. Denn Barcelona war bereits ein Pulverfass, der Arbeiterkampf war in vollem Gange. Jährlich gab es hunderte Streiks und die Arbeitgeber antworteten mit Massenentlassungen und Auftragsmördern, die führende Gewerkschaftler ermordeten.


Wobei es erst ab 1919 richtig eskalieren sollte: Die CNT hatte mit dem Generalstreik „Vaga de la Canadenca / Huelga de la Canadiense“ Barcelona und 70% der katalanischen Industrie fast 6 Wochen lang komplett stillgelegt. Zwar wurden tausende Arbeiter entlassen oder verhaftet (über 3.000 allein im Gefängnis auf dem Montjuïc), aber dieser Streik gilt bis heute als einer der größten Erfolge der Arbeiterbewegung in Katalonien und in Spanien:  es wurden nicht nur alle Verhafteten freigelassen, die Löhne erhöht und tausende entlassene Arbeiter wieder eingestellt, sondern man erkämpfte sich auch den 8-Stunden-Tag, der noch im selben Jahr gesetzlich festgeschrieben wurde.

Die Arbeitgeber organisierten sich jedoch in der Federació Patronal (Arbeitgeberverband), gründeten die gelbe Gewerkschaft Unión de Sindicatos Libres, um die Arbeiterbewegung zu spalten, und bezahlten Auftragsmörder eben dieser Gewerkschaft, um führende Gewerkschaftler der CNT und Arbeiter zu ermorden. Dadurch radikalisierte sich auch die Arbeiterbewegung, die nun ihrerseits damit begann, Leute zu töten. Die Arbeitgeber wurden allerdings vom Gouverneur von Barcelona (Francisco Maestre Laborde-Boix) und der Polizei unterstützt, während die anarchistischen Attentate als „Terrorismus“ galten.

Es war die Zeit des Pistolerisme. Zwischen 1918 und 1923 gab es über 800 Attentate, allein in Barcelona waren es 1919/20 über 400. Fast 500 Menschen wurden ermordet, darunter über 100 unschuldige Arbeiter, mindestens 200 Mitglieder der CNT und drei Arbeitsrechtler der CNT; darunter so wichtige Persönlichkeiten wie Salvador Seguí (auch El noi del sucre/ Der Zuckerjunge genannt; Generalsekretär der katalanischen CNT), Francesc Layret (Politiker der links-katalanistischen Partit Republicà Català und Anwalt, der viele CNT-Mitglieder vertrat) und Pau Sabater (Vorsitzender der Färber-Gewerkschaft, dem wichtigsten Zweig der CNT innerhalb der Textilindustrie). Dabei richtete sich die Repression und die Morde nicht unbedingt gegen die Gruppen der CNT, die die direkte Aktion — also Attentate — verteidigten, sondern gegen den anarcho-syndikalistischen Flügel (Seguí, Layret, etc.), der sich immer gegen gezielte Morde ausgesprochen hatte und dabei war, mit seinen Arbeiterkämpfen und neuen syndikalistischen Methoden, das kapitalistische System in Katalonien enorm ins Wanken zu bringen. Für den Arbeitgeberverband war dieses Umdenken in der Arbeiterklasse sehr viel gefährlicher und unberechenbarer als ein paar unkontrollierte Pistoleros.

Die anarchistischen Pistoleros ermordeten ihrerseits ca. 40 Auftragsmörder der Sindicatos Libres, ca. 70 Arbeitgeber und Geschäftsführer und dutzende Persönlichkeiten des konservativen/bürgerlichen und kirchlichen Lagers, darunter u.a. Manuel Bravo Portillo (Polizeichef und Kommandeur einer Gruppe von Auftragsmörder; verantwortlich für unzählige illegale Hinrichtungen, u.a. auch für die Ermordung von Sabater), Francisco Maestre Laborde-Boix und Eduardo Dato (Ministerpräsident Spaniens).


Am 16. November 1918 wurden Josep Puig i Cadafalch (eigentlich bekannt als Architekt des Modernisme; neuer Präsident der Mancomunitat) die Abstimmungsergebnisse des Plebiszits übergeben: Nahezu alle katalanischen Gemeinden hatten für die Autonomie gestimmt (repräsentierten 98% der katalanischen Bevölkerung). Aufgrund dieses überwältigenden Ergebnisses, beschloss Puig i Cadafalch, eine Kommission einzuberufen, die einen ersten Entwurf für das Autonomiestatut (Projecte de Bases) verfassen sollte, um ihn der spanischen Regierung vorzulegen. Von der CNT wurden die Autonomiebestrebungen nicht direkt unterstützt – schließlich wurden sie von der bürgerlichen Lliga Regionalista angeführt – jedoch gab sie bekannt, dass sie die Proteste unterstützt und man sich anschließen würde, sobald sie sich zu einer Revolution entwickelten. Auch Francesc Macià i Llussà – ein ehemaliger Oberstleutnant, der das Militär wegen der dort vorherrschenden anti-katalanischen Haltung im Jahr 1905 verlassen hatte – der zwar zunächst eine föderale Lösung für Spaniens Territorialproblem bevorzugte, aber mit der Zeit und der fehlenden Kompromissbereitschaft des Staates seine Ansichten radikalisiert hatte und zum Separatismus übergetreten war, unterstützte das Projekt nicht mehr. Macià war 1907 Abgeordneter der Solidaritat Catalana gewesen und saß seit 1910 ohne Unterbrechung als gewählter, parteiloser Abgeordneter im spanischen Kongress (1910/ 14/ 16/ 18/ 19/ 20 und 1923). Für ihn war die Unabhängigkeit mittlerweile die einzige Lösung, weshalb er auch aus der Kommission, die den Entwurf ausarbeiten sollte, austrat.

Der Entwurf war maximalistisch, d.h. er erwähnte nur die staatlichen Kompetenzen, die restlichen sollten an Katalonien gehen. Allerdings wurde bei der Übergabe ausdrücklich erwähnt, dass es nur ein erster Entwurf wäre, den die Zentralregierung als Grundlage nutzen solle. Doch die Regierung zerbrach, weil ein Teil dafür war, zu verhandeln, und ein anderer dagegen. Der König löste die Regierung auf und ernannte eine neue liberale Regierung, mit dem verhandlungsbereiteren De Romanones an der Spitze. Allein die Möglichkeit, dass Katalonien ein Autonomiestatut bekommen könnte, erzürnte jedoch den spanischen Nationalismus. Die gesamte Hauptstadtpresse begann eine antikatalanische Kampagne, die voll war mit Vorurteilen und Klischees. Außerdem rief sie die Menschen auf, gegen das Statut zu demonstrieren. Zehntausende folgten den Aufrufen. Neun kastilische Provinzverwaltungen (Diputaciones) veröffentlichten ein Manifest, den Mensaje de Castilla, in dem sie die „nationale Einheit“ und die „spanische Nation“ verteidigten, jegliche Autonomiebestrebungen ablehnten und zum Boykott katalanischer Produkte aufriefen. Sie widersetzten sich zudem dem Vorhaben, dem Katalanischen einen offiziellen Status zu gewähren, schließlich war das doch nur ein „regionaler Dialekt“. Die andalusischen Provinzverwaltungen veröffentlichten auch ähnliche Manifeste. Als die kastilischen Gouverneure dem König das Manifest überreichten, lobte er „den Patriotismus Kastiliens“ und forderte sie auf, so weiterzumachen. Wenige Wochen, nachdem er Cambó dazu aufgefordert hatte, das Autonomiestatut voranzutreiben.

Am 09. Dezember 1918, einen Tag vor der Parlamentsdebatte, demonstrierten über 100.000 Menschen in Madrid gegen die katalanischen Autonomiebestrebungen. Die einzigen Unterstützungsbekundungen für die Autonomie kamen aus den baskischen Provinzen, vom Bloque Regionalista Castellano (kastilische Regionalisten) und von Blas Infante, dem Vater des andalusischen Nationalismus/Föderalismus (Andalucismo) und erklärter „Vater der andalusischen Heimat“ (von der andalusischen Regionalregierung und dem spanischen Kongress heute so bezeichnet). Nach einer intensiven Parlamentsdebatte, bei der Cambó das Statut verteidigte und versicherte, dass es der einzige Weg sei, um „Spaniens Größe wiederherzustellen“, jedoch nur die Unterstützung der Republikaner und Sozialisten (klare Minderheit) erhielt, entschieden die katalanischen Abgeordneten aus dem spanischen Parlament auszutreten. Cambó war wahrlich kein Separatist, obwohl der Staatsnationalismus es ihm vorwarf; er war ein konservativer Monarchist — er gehörte dem katalanischen Großbürgertum an — der mit allen Kräften versucht hatte, den Katalanen endlich ein Mitspracherecht zu verschaffen. Dementsprechend enttäuscht und traurig fiel sein Brief aus, in dem er den Abzug der katalanischen Abgeordneten begründete (sein letzter Satz war „Glauben Sie mir, während ich Ihnen diese Zeilen schreibe, durchlebe ich den bittersten Moment meines Lebens“).

In Barcelona kam es zu großen Demonstrationen für die Autonomie, die jedoch von der Polizei brutal niedergeschlagen wurden. Später wurden proautonomistische Demonstrationen vom Gouverneur sogar ganz verboten. Als die katalanischen Parlamentarier in Barcelona ankamen, wurden sie von einer jubelnden Menschenmenge empfangen. In den darauffolgenden Tagen gab es immer wieder Proteste und Versammlungen, die aber alle von der Polizei niedergeschossen worden. Drei Menschen wurden getötet. Bei einer Demo erschienen spanische Nationalisten, und zwangen die Menschen, die vorher „Visca Catalunya lliure“ (Es lebe das freie Katalonien) gerufen hatten, nun „Viva España“ zu rufen; während sie mit Pistolen auf sie zielten. Die Polizei tat nichts. Mehrfach attackierten Gruppen spanischer Nationalisten die Demonstrationen mit Schlagstöcken, schossen auf die Menschen, etc.

Der spanische Kongress entschied, eine außerparlamentarische Kommission damit zu beauftragen, ein Autonomiestatut für Katalonien auszuarbeiten. Die katalanischen Abgeordneten nahmen nicht teil, weil für sie „diese Kommission bereits tot geboren wurde“ (die Gegner der Autonomie hatten die Mehrheit im Kongress). Und so war es: von den 33 ernannten Kommissionsmitglieder erschienen nur 14 zur Sitzung. Ihr Entwurf sah nur eine administrative Dezentralisierung vor, und unterstellte die katalanischen Institutionen einem von der Zentralregierung ernannten Gouverneur (wie bisher), der die Regionalverwaltung auflösen, ihre Anordnungen verbieten, und Neuwahlen ausrufen konnte. Außerdem unterstanden ihm die Sicherheitskräfte, die Genehmigungen für Druckereien, Vereinigungen, Versammlungen, etc. Im Vergleich zum Status der Mancomunitat, die nahezu keinen Kontakt zum Gouverneur hatte, war der Entwurf ein klarer Rückschritt.

Der Consell (Rat) der Mancomunitat erarbeitete seinerseits einen eigenen Entwurf, der dieses Mal alle Kritikpunkte (u.a. die Möglichkeit, dass sich andere Regionen an Katalonien anschließen könnten, sollten sie es wollen) ausließ, und die Kompetenzen Kataloniens klar benannte. So sollte Katalonien die Kompetenzen für Bildung, Gesundheit, Territorialgliederung, das katalanische Zivilrecht, ein eigenes Oberlandesgericht, ein eigenes Finanzamt, Land- und Forstwirtschaft und die öffentliche Sicherheit erhalten. Es wurde sogar auf eine gemeinsame/gemischte Kommission verzichtet, die in Kompetenzfragen vermitteln sollte; dies wurde allein dem spanischen Kongress überlassen, der somit gleichzeitig Kläger und Richter gewesen wäre. Auch wurde die Figur des Gouverneurs beibehalten, ohne dass diesem jedoch die Sicherheitskräfte unterstanden. Alles in allem hatte man sehr viele Zugeständnisse gemacht, damit er angenommen wird (u.a. wurde Katalonien weder als autonome Region oder Nationalität bezeichnet, noch das Katalanische zur Amtssprache erhoben). Am 25. Januar 1919 wurde der Entwurf von allen katalanischen Abgeordneten angenommen, selbst von denen, die den monarchistischen Staatsparteien angehörten. Selbst Macià stimmte zu; es wäre „kein gutes Statut, aber das beste was gerade möglich ist“. Am 26. Januar überreichten die Gemeinden Kataloniens ihre Abstimmungsergebnisse: 1.046 der 1.072 Gemeinden, die 99% der katalanischen Bevölkerung vertraten, stimmten für dieses Autonomiestatut.

Währenddessen hörte die Gewalt auf den Straßen nicht auf. Spanische Nationalisten hatten sich in der Liga Patriótica Española zusammengetan, und griffen immer wieder die katalanistischen Demonstranten an. Auch die Polizei und das Militär machten mit; so stürmten mehrere Soldaten, die zur Liga Patriótica gehörten, eine Theateraufführung, während die Besucher die katalanische Nationalhymne sangen, und fingen an, auf die Besucher zu schießen. Es wurden auch Menschen angegriffen, die Schleifen mit der katalanischen Flagge an der Kleidung trugen. Die spanische Regierung setzte die verfassungsrechtlichen Garantien aus, verbot mehrere Zeitungen, das Hissen der katalanischen Fahne und die Schleifen an der Kleidung.

Cambó versuchte im spanischen Kongress den Entwurf der Mancomunitat zu verteidigen, stieß aber auf großen Widerstand: die spanischen Abgeordneten brüllten ihn an und beleidigten ihn. Auch sein Vorschlag, in Katalonien ein Referendum durchzuführen, um herauszufinden, ob das katalanische Volk ein Autonomiestatut wollte, wurde abgeschmettert. Am Tag, als über das Referendum abgestimmt werden sollte, ließ De Romanones dann den Kongress schließen; mit der Ausrede, dass das soziale Klima zu angespannt sei (in Barcelona fand gerade der Generalstreik Vaga de la Canadenca statt). Die Lliga Regionalista erklärte die Autonomie-Kampagne für beendet, gab der CNT die Schuld (die zum Streik aufgerufen hatte) und durchzog daraufhin einen starken Rechtsruck.

Vier Jahre später, im Jahr 1923, kam es dann zum Militärputsch von Miguel Primo de Rivera, um in „Spanien die Ordnung wiederherzustellen“. Die Lliga Regionalista – allen voran Francesc Cambó – die katalanische Oberschicht und das katalanische Bürgertum feierten ihn zunächst, da sie angesichts des Arbeiterkampfes in eine Hysterie verfallen waren und Primo de Rivera sich ziemlich katalonienfreundlich gezeigt hatte. Dies sollte sich aber ändern, als er kurz nach seiner Machtübernahme den Katalanismus zum Staatsfeind Nummer 1 erklärte. Er löste die Mancomunitat auf und ließ alle katalanischen Symbole, die katalanische Sprache in der Öffentlichkeit und katalanistische Vereinigungen, Parteien, Zeitungen, etc. verbieten. Er befahl der Kirche auch, die Messe auf Spanisch zu halten. Doch die Bischöfe von Barcelona und Tarragona weigerten sich, ihren Priestern zu verbieten, auf Katalanisch zu predigen. Jahrelang versuchte der Diktator, die Bischöfe dazu zu zwingen. Ohne Erfolg. Am Ende war es der Vatikan selbst, der Ende 1929 auf Druck der katholischen Diktatur nachgab, und den Bischöfen in Katalonien befahl, die Messen auf Spanisch zu halten. Damit wurde der Antiklerikalismus, der sich seit dem 19. Jhd. besonders in der Arbeiterschicht ausgebreitet hatte, erneut angefeuert. Denn die Kirche und der Klerus, die immer so auf Moral und Gerechtigkeit pochten, hatten sich nie davor gescheut, mit den Unterdrückern zu kooperieren, um sich selbst zu schützen. Aufgrund des harten Vorgehens gegen die katalanische Sprache, kam es zu etwas, was man in der gesamten Geschichte Spaniens noch nicht gesehen hatte: über 100 kastilische Intellektuelle veröffentlichten ein Manifest, in dem sie die katalanische Sprache verteidigten. Allerdings führte das zu keinerlei Besserung.

Was sonst noch während der Diktatur von Primo de Rivera, der 2. Spanischen Republik und dem Spanischen Bürgerkrieg passierte, habe ich im Beitrag über Katalonien genauer beschrieben. Festzuhalten sind die beiden Unabhängigkeitserklärungen vor dem Spanischen Bürgerkrieg: Im Jahr 1931 und 1934.

Francesc Macià, der 1922 die politische und paramilitärische Organisation Estat Català gegründet hatte, floh nach dem Militärputsch von Primo de Rivera nach Perpinyà (Nordkatalonien/Frankreich). Estat Català war ganz klar vom irischen Osteraufstand (1916; führte 1922 zur Unabhängigkeit Irlands) und Sinn Féin geprägt, sodass es zwar einerseits eine politische Partei war (links-nationalistisch, separatistisch), aber andererseits auch paramilitärisch und hierarchisch organisiert war (mit so genannten Escamots, bewaffneten Milizen, wie sie nahezu jede Partei damals hatte). Finanziert wurde die Organisation die u.a. versuchte, den spanischen König zu töten (Complot de Garraf, 1925) vor allem von Kuba-Katalanen (besonders vom Centre Català de l’Havana). Aus dem Exil in Perpinyà plante Macià 1926 sogar eine militärische Invasion (Fets de Prats de Molló), um Katalonien aus der Diktatur und der Monarchie zu befreien. Doch einer der Freiwilligen, Ricciotti Garibaldi, war ein Spion von Mussolini und informierte die spanischen und französischen Behörden. Macià wurde zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt und zunächst nach Belgien verbannt.

1930 unterschrieben republikanische und katalanistische Kräfte mit der Zustimmung des Königs den Pacto de San Sebastián (u.a. Partido Republicano Radical, Derecha Liberal Republicana, Acció Catalana, Estat Català, Acció Republicana de Catalunya, Organización Republicana Gallega Autónoma), um der Diktatur ein Ende zu setzen und den katalanischen Forderungen nach mehr Eigenstaatlichkeit nachzukommen. Der König unterstützte das Vorhaben zunächst, ohne allerdings genau zu wissen, was dort entschieden wurde. Für April 1931 wurden Kommunalwahlen anberaumt, die dann aber gleichzeitig zu einem Plebiszit wurden, das darüber entscheiden sollte, ob Spanien eine Monarchie bleiben oder eine Republik werden sollte. Wie viele Stimmen genau an jede Partei gingen ist umstritten, da mehrere Historiker höchst unterschiedliche Zahlen veröffentlicht haben. Manche sagen, dass die Republikaner knapp verloren, andere, dass sie haushoch gewannen. Im Anuario Estadístico de España von 1931 (vom Spanischen Statistikinstitut INE veröffentlicht; also offizielle Zahlen) steht folgendes Ergebnis: die Republikaner stellten ca. 48% der Gemeindevertreter, die Monarchisten nur ca. 23%. Ca. 18% gingen an „Andere“ (u.a. Carlisten/ Traditionalisten/ Integristen, Zentristen, baskische Nationalisten, etc.; die aber nicht eindeutig einem der beiden Lager zugeordnet werden können, da z.B. die republikfeindlichen Carlisten einen anderen König wollten und die baskischen Nationalisten vom PNV sofort die Republik anerkannten). Klar ist aber, dass die Republikaner in 41 von 50 Provinzhauptstädten gewannen. In Madrid erhielten sie dreimal so viele Stimmen wie die Monarchisten, in Barcelona sogar fast viermal so viele. Der König Alfonso XIII. interpretierte dies als Vertrauensverlust, und floh kurz darauf aus Spanien.

Zwei Tage später, am 14. April 1931, rief Francesc Macià — der mit seiner erst drei Wochen vor den Wahlen gegründeten links-republikanischen Esquerra Republicana de Catalunya/ERC (Zusammenschluss von Estat Català und anderen links-katalanistischen Republikanern) in Katalonien fast 70% der Stimmen gewonnen hatte (die Lliga nur 20%) — die „katalanische Republik“ aus, „die man mit aller Herzlichkeit in die Föderation iberischer Republiken integrieren wollte“. Die Massen auf der Plaça Sant Jaume schrien «Visca Macià i mori Cambó!» (Es lebe Macià und es sterbe Cambó!; Cambó war besonders in linken Kreisen in Ungnade gefallen, weil er die Militärdiktatur unterstützt hatte). Mit der Proklamation der katalanischen Republik schuf Macià allerdings ein juristisches Problem, denn die spanische Republik wurde erst einige Stunden später in Madrid ausgerufen. Macià hatte Katalonien zu einer unabhängigen Republik ausgerufen, ohne dass es eine spanische Republik gab, in die man Katalonien hätte integrieren können. Und das war auch der Plan: man wollte Madrid zuvor kommen, um so die Republikaner in Madrid endlich dazu zu bringen die Republik auszurufen und sie zur Einhaltung ihres Versprechens zu zwingen (Autonomiestatut für Katalonien). Für Macià konnte das nur durch eine bilaterale Verhandlung zwischen zwei gleichrangige Regierungen garantiert werden. Nachdem die Republik in Madrid ausgerufen worden war, ging Macià wieder auf den Balkon der Generalitat und rief dieses Mal die „katalanische Republik als Teilstaat der Iberischen Föderation“ aus. Doch auch diese Föderation war eigentlich inexistent, denn die spanische Republik war nicht definiert worden.

Die Gefahr eines Militärputsches war groß und Madrid warnte durchgehend vor einem Bürgerkrieg; niemand wusste genau, was passieren würde. Allerdings half es, dass die neue provisorische Regierung in Katalonien einen Verteidigungsminister hatte (Joan Casanovas i Maristany), der von großen Teilen des Militärs in Katalonien und vom neuen Generalkapitän López Ochoa unterstützt wurde. So zwang man die provisorische Regierung in Madrid zum Handeln. Wenige Tage später reisten einige Minister aus Madrid nach Barcelona und nach langen Verhandlungen einigte man sich dann darauf, Katalonien ein  weitreichendes Autonomiestatut innerhalb der 2. Spanischen Republik zu gewähren. Im Gegenzug musste Macià auf die Unabhängigkeit, die Konföderation und auf die katalanische Republik verzichten.

Die Diputació Provisional (provisorische Regionalregierung) erarbeite ein Autonomiestatut: das Estatut de Núria (benannt nach dem Kloster, wo die Kommission es erarbeitet hatte). Es war ambitioniert: Es definierte Spanien als föderale Bundesrepublik und Katalonien als autonomen Staat innerhalb dieser Republik; es etablierte eine Art katalanische Staatsbürgerschaft mit verschiedenen Rechten und Pflichten; setzte das Katalanische als einzige Amtssprache fest und ließ die Möglichkeit offen, dass sich andere Regionen Katalonien anschließen könnten (besonders im Hinblick auf die anderen katalanischsprachigen Regionen Spaniens: Valencia und die Balearen). Außerdem sollte Katalonien ein eigenes Oberlandesgericht bekommen, selbst die Steuern eintreiben und verwalten, und u.a. die Kompetenzen in Bildung und Gesundheit bekommen.

Im August 1931 wurde ein Referendum in Katalonien abgehalten: 99% der Wähler stimmten für das Statut, bei einer Wahlbeteiligung von 76% (wahlberechtigt war die männliche Bevölkerung über 25 Jahren). Die Frauen durften zwar noch nicht wählen, aber über 400.000 reichten ihre Zustimmung mittels einer Unterschriftenaktion ein. Auch über 100.000 im Ausland lebende Katalanen schickten ihre Zustimmung per Post. Noch nie war ein politisches Vorhaben so von der katalanischen Bevölkerung demokratisch legitimiert worden.

Doch in Madrid wollte man keine Bundesrepublik, sondern einen Zentralstaat; der zwar administrativ dezentralisiert sein konnte, aber einen Zentralstaat. Vier Monate wurde über das Statut debattiert, die Straßen kochten. Sowohl die Carlisten der Comunión Tradicionalista, als auch andere konservative und rechte Parteien, Arbeitgeberverbände und Zeitungen organisierten Massendemonstrationen gegen das Autonomiestatut, das sie als separatistisch bezeichneten. Mal wieder wurde zum Boykott katalanischer Produkte aufgerufen. Das Statut wurde ausgehöhlt, doch im Kongress wollte sich trotzdem niemand einigen. Erst der missglückte Militärputsch des Generals Sanjurjo (auch am Putsch 1936 beteiligt) beschleunigte die Debatte und führte letztendlich zur Annahme eines Autonomiestatuts im September 1932; was Katalonien zur ersten und zunächst einzigen Region Spaniens machte, die ein Autonomiestatut hatte.

Das Baskenland bekam sein Autonomiestatut erst 1936, mitten im Bürgerkrieg (nach einem Referendum im Jahr 1933; bei einer Wahlbeteiligung von 93% stimmten 97% für das Statut); in Galicien fand 1936 zwar auch ein Referendum statt, bei dem das Statut auch haushoch gewann (99,3% Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 75%), allerdings trat das Statut nie in Kraft, da Galicien direkt nach dem Putsch (3 Wochen nach dem Referendum) von den Faschisten besetzt wurde.

Von den ursprünglich 52 Artikeln waren 18 übrig geblieben: Katalonien wurde nicht mehr als „autonomer Staat“, sondern als „autonome Region“ bezeichnet; das Spanische und Katalanische wurden zu kooffiziellen Amtssprachen; jede Erwähnung des Selbstbestimmungsrechts wurde gestrichen; die direkten Steuern durften nicht von Katalonien erhoben werden und das Sozialwesen blieb eine staatliche Kompetenz. Auch der Satz „El poder de Cataluña emana del pueblo“ (Alle Staatsgewalt Kataloniens geht vom Volke aus) wurde gestrichen. Aber Katalonien erlangte seine Institutionen (u.a. die Generalitat, das Parlament, etc.) zurück, erhielt die exklusiven Kompetenzen für Grund- und Sekundarschulen, öffentliche Sicherheit, öffentliche Bauvorhaben, das Zivilrecht, etc., und konnte das Katalanische endlich auch als Unterrichtssprache ins öffentliche Schulsystem einführen. Niemand war wirklich damit zufrieden, weil das katalanische Volk ein anderes Statut gewählt hatte; aber es war besser als alles andere, was es bisher gegeben hatte. Zum ersten Mal seit 1714 hatte Katalonien einen Teil seiner Eigenständigkeit wiedererlangt. Bei den folgenden Parlamentswahlen in Katalonien gewann ERC wieder haushoch, mit 67 Sitzen (47% der Stimmen), vor der Lliga Regionalista, die nur 17 Sitze (29%) erhielt. Macià wurde zum ersten Präsidenten der Generalitat seit über 200 Jahren.

Die Beziehungen zu Madrid waren aber weiterhin angespannt, weil es immer wieder zu Komepetenzstreitigkeiten kam. Ein Jahr später starb Macià, der vom Volk liebevoll l’Avi (Großvater) genannt wurde; über 1 Mio. Menschen kamen zu seiner Beerdigung. Daraufhin wurde Lluís Companys zum neuen Präsidenten Kataloniens ernannt. Nachdem die rechtsextreme und anti-republikanische CEDA (Spanische Konföderation der Autonomen Rechten) am 4. Oktober 1934 in Madrid in die Regierung eingetreten war und offen damit drohte, das Parlament von innen heraus abzuschaffen (nach ihrem Vorbild, der „Selbstausschaltung des Parlaments“ der Faschisten in Österreich), wurde am 5. Oktober in ganz Spanien der revolutionäre Generalstreik ausgerufen und es begann die sozialistische Oktoberrevolution. Besonders erfolgreich war sie in den Bergbauregionen Asturiens – dort auch Revolución d’Ochobre/Revolución Asturiana genannt – da die dortige CNT am Generalstreik teilnahm. Doch die Revolution dauerte nur knapp 20 Tage, weil die Zentralregierung sofort den Kriegszustand ausrief und das Militär schickte, um die Aufständischen niederzuschießen. Die Repression war brutal: über 1.500 Bergarbeiter wurden getötet (auch ca. 230 Soldaten und Polizisten), es kam zu Massenhinrichtungen, Folter, Vergewaltigungen und über 30.000 Menschen wurden inhaftiert. Die Soldaten, die vor allem Marokkaner der gefürchteten spanischen Afrika-Armee (Ejército de África) waren, wurden von Francisco Franco angeführt.

Parallel dazu brodelte es in Katalonien: mehrere Gewerkschaften und separatistische Parteien (vor allem Estat Català) hatten zum Generalstreik gegen den Faschismus aufgerufen und die Generalitat fing an, die eigenen Polizeikräfte (Mossos d’Esquadra und Guàrdies d’Assalt) zu mobilisieren, um zum einen die Streikenden und zum anderen die Institutionen zu beschützen. Denn man wollte sich dem Einfluss der Rechten in Madrid entziehen und man wusste nicht genau, wie die Zentralregierung reagieren würde. Zusätzlich mobilisierten sich die JEREC (Jugendorganisation von ERC und Estat Català) und die Escamots d’Estat Català (schlecht bewaffnete Milizen), patrouillierten durch die Stadt und forderten die Unabhängigkeit. Am Abend des 6. Oktobers 1934, nach einer friedlichen Demonstration, bei der Waffen für die Bevölkerung und die katalanische Republik gefordert wurden, trat der Präsident Lluís Companys dann vor die Menge und rief „den Katalanischen Staat der föderalen Republik Spaniens“ aus, und lud alle linken und demokratische Republikaner Spaniens ein, in Barcelona eine provisorische Regierung zu bilden, um so den Faschisten aus dem Weg zu gehen. Das war keine tatsächliche Unabhängigkeitserklärung – Companys war kein Separatist, sondern überzeugter Verfechter einer spanischen Bundesrepublik (er war zwar ERC-Mitglied, kam aber aus der Partei Partit Republicà Català und der Landarbeitergewerkschaft Unió de Rabassaires) – sondern ein Aufruf an alle Demokraten, sich dem Faschismus entgegenzustellen. Doch nur eine Stunde später rief die rechte Zentralregierung den Kriegszustand aus, ließ die Armee Barcelona militärisch besetzen und die gesamte katalanische Regierung verhaften. Vereinzelnd kam es zu Gefechten zwischen den Escamots und dem spanischen Militär. 74 Menschen wurden dabei getötet, über 250 verletzt, und über 3.400 wurden als politische Gefangene auf Gefängnisschiffe gebracht, die vor Barcelona und Tarragona lagen. Alle Angehörigen der katalanischen Regierung und dutzende Bürgermeister und Stadträte wurden zu 30 Jahren Haft verurteilt (wegen militärischer Rebellion). Außerdem wurde die katalanische Autonomie suspendiert und Katalonien erstmal von einer Militärregierung regiert.

Lluís Companys und alle anderen politischen Gefangenen wurden jedoch im Februar 1936 von der neuen linken republikanischen Regierung wieder freigelassen. Auch das Autonomiestatut wurde wiederhergestellt und Companys konnte als Präsident der Generalitat nach Katalonien zurückkehren. Bei seiner Rede vom Balkon des Regierungspalastes der Generalitat, in der er u.a. dazu aufrief, weiterhin für die Gerechtigkeit zu kämpfen – jedoch ohne Rachegelüste – sagte er auch einen seiner bekanntesten Sätze: «Tornarem a sofrir, tornarem a lluitar, tornarem a vèncer!» (Wir werden wieder leiden, wir werden wieder kämpfen, wir werden wieder gewinnen!). Knapp ein halbes Jahr später kam es zum faschistischen Militärputsch, der auch der Auslöser des Spanischen Bürgerkriegs war (1936 – 1939). Companys musste 1939 nach Frankreich flüchten, als Franco in Katalonien einmarschierte. Doch kurz darauf wurde Frankreich von den Deutschen eingenommen und Lluís Companys an Franco ausgeliefert. Nachdem er in Madrid eine Woche lange gefoltert worden war, wurde er nach Barcelona gebracht und am 15. Oktober 1940 auf dem Montjuïc hingerichtet. Seine letzten Worte – während sie schon die Gewehre auf ihn richteten – waren: «Assassineu un home honrat. Per Catalunya!» (Ihr ermordet einen ehrenhaften Mann. Für Katalonien!).

Hunderttausende Menschen flüchteten vor Francos Truppen — von denen ein Großteil (die berüchtigten Mauren der spanischen Afrika-Armee; ca. 75.000) dank Hitlers Flugzeugen von Spanisch-Marokko aus aufs Festland gekommen waren und die von Hitlers Luftwaffe (Legion Condor, etwa 20.000 deutsche Soldaten) unterstützt wurden — denn die systematische Repression in der Retaguardia (Nachhut/Hinterland) war für Sympathisanten der Republik grausam. Seit Anfang des Krieges wusste jeder, was dort passierte; schließlich benutzten die Faschisten das Radio, um die grausamen Geschehnisse zu erzählen und sich darüber lustig zu machen. Wichtig in diesem Kontext ist ein dreisprachiger Radio-Aufruf von Pau Casals i Defilló –  weltberühmter Cellist und Verfechter des Friedens, der Demokratie und der katalanischen Sprache – an die Weltöffentlichkeit im Jahr 1938: „Machen Sie sich nicht des Verbrechens schuldig, dem Mord an der Spanischen Republik tatenlos zuzusehen. Wenn Sie es zulassen, dass Hitler in Spanien siegt, werden Sie die nächsten sein, die seinem Wahnsinn zum Opfer fallen werden. Der Krieg wird ganz Europa, wird die ganze Welt erfassen. Kommen Sie unserem Volk zu Hilfe!“. Doch niemand kam. England und Frankreich hatten mit Hitler und Mussolini (und anderen Staaten) im Rahmen der Beschwichtigungspolitik einen Nichteinmischungspakt unterschrieben; an das sich aber weder Hitler noch Mussolini hielten. Die darauffolgende faschistische und national-katholische Diktatur, die ihre Existenz auf dem Motto „España: Una. Grande. Libre“ (eins = unteilbar, groß = imperialistisch, frei = ohne Einfluss ausländischer/ kommunistischer/ jüdischer/ freimaurerischer Mächte) begründete und jegliche demokratische Opposition und nicht-kastilische Identität gnadenlos unterdrückte, dauerte von 1939 – 1977 (zwar starb Franco im Jahr 1975, aber erst 1977 fanden die ersten demokratischen Wahlen statt).



Der Franquismus

Die Diktatur wird meist in zwei Etappen eingeteilt: der erste Franquismus von 1939 – 1959 und der zweite Franquismus von 1959 – 1975. Dabei war die erste Etappe von einer extremen Repression, wirtschaftlicher Autarkie (u.a. Versuch der Planwirtschaft) und einer gelähmten – vom Krieg schockierten – Bevölkerung geprägt. In Katalonien war die Gesellschaft vor allem dreigeteilt: auf der einen Seite diejenigen, die weiterhin der Republik treu geblieben waren und die sich jetzt verstecken mussten, auf der anderen Seite die Franquisten, die sich jahrelang versteckt hatten und nun auf die Straße strömten, und dazwischen die breite Bevölkerung, die zwar mit der Republik sympathisiert hatte, aber jetzt kriegsmüde, ausgehungert und von beiden Seiten schockiert war.


Dazu muss man wissen, dass in Katalonien (im Rest Spaniens vor allem in Andalusien, Aragón und Teilen Valencias) direkt nach dem Putsch die soziale Revolution begonnen hatte. Die Tatsache, dass der Putsch in Barcelona fehlgeschlagen war, hatte man vor allem den Anarchisten der CNT-FAI zu verdanken, die zu zehntausenden das aufständische Militär bekämpft und innerhalb eines Tages besiegt hatten. Deshalb übertrug ihnen die Generalitat mit der Gründung des Comitè Central de Milícies Antifeixistes (Zentralkomitee der antifaschistischen Milizen) die öffentliche Ordnung in Katalonien. Diesem Zentralkomitee gehörten neben CNT-FAI auch der POUM (anti-stalinistische Marxisten), UGT (sozialistische Gewerkschaft), ERC, der PSUC (Bündnis von Sozialisten und stalintreuer Kommunisten) und die Unió de Rabassaires (Gewerkschaft der Wein- und Kleinbauern) an. Die Revolution wurde aber in Katalonien von den Anarcho-Syndikalisten angeführt: über 75% der katalanischen Industrie wurden kollektiviert und in Arbeitnehmerhand übergeben (alle Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitern und diejenigen mit 50 – 100 Arbeitern, bei denen 2/3 der Arbeiter die Kollektivierung forderten); Kleinunternehmer taten sich in Kooperativen zusammen; die Landwirtschaft — vor allem in der Provinz Tarragona — wurde kollektiviert und modernisiert; an manchen Orten verschwand das Geld vollkommen und wurde durch Tauschhandel ersetzt. Außerdem gründete man den CENU (Consell de l’Escola Nova Unificada; Rat der vereinten Neuen Schule), der für alle Kinder in Katalonien eine moderne Bildung garantierte; frei von religiösen oder politischen Dogmen, und auf Katalanisch. Der Direktor des CENU Joan Puig Elias sagte: „Während die Kirche die Kinder zu Katholiken und die Sozialisten die Kinder zu Sozialisten erziehen wollen, wollen wir Anarchisten sie zu freien Menschen erziehen“.

Die Revolution wurde allein in Katalonien von mehr als 1,5 Mio. Menschen aktiv mitgetragen (über 53% der katalanischen Bevölkerung; insgesamt im republikanischen Teil Spaniens ca. 3 Mio.). Man plädierte für die „freie Liebe“ (= man musste nicht heiraten, um ein Paar sein zu können), organisierte Kurse zur sexuellen Aufklärung und Verhütung, legalisierte Abtreibungen bis zur 12. Woche (Dezember 1936; eines der ersten Länder der Welt) und legte sehr viel Wert auf die kulturelle Erziehung der Arbeiterklasse (u.a. in den Kulturhäusern – Ateneus – wo über alle wichtigen sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Themen diskutiert wurde). Die Wirtschaft florierte: durch neue Maschinen und besserer Land- und Arbeitsverteilung schoss die landwirtschaftliche Produktion in die Höhe, das Straßenbahnnetz wurde verbessert und viele Unternehmen fuhren höhere Renditen ein als vor dem Krieg. Besonders produktiv waren natürlich die Metallfabriken, die sich jetzt der Kriegsindustrie widmeten.

Doch natürlich machten sich die Anarchisten dadurch auch Feinde: vor allem das Großbürgertum, das enteignet worden war. Dieses war bereits nach dem missglückten Putschversuch in die von Franco kontrollierten Gebiete geflohen, was die Revolution überhaupt ermöglicht hatte: Da viele Arbeiter nach dem Putsch vor Fabriken standen, die von ihren Besitzern verlassen worden waren, übernahmen sie die Kontrolle. Aber es gab auch einige Kleinbauern, die sich der CNT-FAI entgegenstellten: obwohl sie nämlich eigentlich von der Enteignung ausgeschlossen waren (in Katalonien gab es — anders als in Andalusien und Kastilien — eigentlich keine Großgrundbesitzer, sondern hauptsächlich Kleinbauern), wurden sie trotzdem oft zum Opfer von unkontrollierten Milizen, die ihr Land besetzten.

Die Generalitat und die republikanische Zentralregierung hatten ihre Macht in Katalonien komplett verloren; zwar wurden sie nicht gestürzt, aber man ignorierte sie gekonnt. Die Arbeitslosenquote sank, die Löhne stiegen; ein Leben ohne Staat war möglich. Diese unkontrollierte Situation endete dann drei Monate später (Ende September 1936), als die Generalitat sich neu aufstellte und die CNT-FAI, den POUM, den PSUC und Acció Catalana in die Regierung integrierte.

Als die stalinistischen Kommunisten des PCE (Partido Comunista Español; Teil der Zentralregierung) und des PSUC (nun Teil der katalanischen Regierung) angesichts der Moskauer Prozesse und der Stalinistischen Säuberung (Großer Terror; ca. 700.000 Hingerichtete) zunehmend anti-anarchistisch und anti-trotzkistisch wurden, und versuchten, den Einfluss der Gewerkschaften zu beseitigen (es durfte keine Revolution stattfinden, die nicht von Moskau kontrolliert wurde), erhielten PCE-PSUC einen – für sie – unerwarteten Verbündeten: das Großbürgertum. Die Stalinisten fingen an, den POUM als trotzkistische Verräter und Spione Francos zu bezeichnen, die den Sieg der Republik verhindern wollten. Dank der Unterstützung der UdSSR (Geld, Waffen und Personal) begannen PCE-PSUC eine richtige Hetzkampagne gegen den POUM (man attackierte den POUM, weil es eine relativ kleine Partei mit ca. 30.000 Mitgliedern war; mit der CNT, dem eigentlichen Feind, trauten man sich nicht, denn sie hatte über 1,5 Mio. Mitglieder; der PSUC hatte höchstens 60.000). Stalin duldete es nicht, dass es kommunistische Parteien gab, die sich ihm oder der Komintern entgegen stellten. Anzumerken ist allerdings, dass PCE-PSUC anscheinend tatsächlich von den Verleumdungen überzeugt waren, die ihnen die sowjetischen Berater auftischten.

Im Mai 1937 kam es dann in Barcelona zum „Bürgerkrieg im Bürgerkrieg“ (Fets de Maig – ‘Mai-Ereignisse’), als die Polizei – unter stalinistisch-kommunistischer Führung – die Anarchisten der CNT-FAI und die Marxisten des POUM angriff. Der darauffolgende Straßenkampf zwischen CNT-FAI/POUM/Arbeitern auf der einen Seite, und PCE-PSUC/ERC/Estat Català/republikanischer Polizei auf der anderen Seite  dauerte nur ein paar Tage und wurde letztendlich von den republikanischen Kräften gewonnen. Doch zwischen 500 und 1000 Menschen starben (darunter z.B. der italienische Anarchist Camillo Berneri, der von Stalinisten aus seiner Wohnung entführt und erschossen wurde), über 1.500 wurden verletzt. Die Generalitat und die Zentralregierung erlangten die Kontrolle zurück. Doch das hatte einen Preis: der Einfluss Stalins innerhalb des kommunistischen Lagers und damit in der republikanischen Führung stieg stetig (obwohl der PCE nur 17 der 473 Parlamentsmandate stellte, war seine Mitgliederzahl mit dem Bürgerkrieg von ca. 30.000 auf über 400.000 gestiegen); und die soziale Revolution wurde abrupt beendet.

Auf Druck des PCE wurde der POUM später verboten und seine Anhänger verfolgt. Hunderte, wenn nicht tausende, Anhänger des POUM wurden daraufhin verhaftet, vom sowjetischen Geheimdienst gefoltert, zu langen Gefängnisstrafen verurteilt oder ermordet. Der aufsehenerregendste Fall war der des Generalsekretärs des POUM, Andreu Nin. Er war aktiv bei der russischen Oktoberrevolution dabei gewesen, musste dann aber die UdSSR wieder verlassen, weil er Trotzki unterstützte, und nicht Stalin. Doch bereits 1934 hatte er sich auch von Trotzki abgewandt. Nach den Mai-Ereignissen 1937 wurde er von der Polizei verhaftet und nach Alcalá de Henares (Madrid) gebracht. Er sollte wegen Hochverrat angeklagt werden, weil die Sowjets ihm vorwarfen, ein Spion der Nazis zu sein. Doch eines Nachts verschwand er aus dem Polizeirevier. Niemand wusste, was passiert war. Der PCE ließ verbreiten, dass ihn die Nazis befreit hätten. Barcelonas Hauswände füllten sich mit den Schriftzügen „Gobierno Negrín. Dónde está Nin?“ (Regierung Negrín, wo ist Nin?), und Anhänger des PSUC schrieben darunter: „En Salamanca o Berlín“ (In Salamanca – Sitz des Propaganda-Büros der Deutschen – oder Berlin). Jahrelang wusste man nicht, was mit Andreu Nin passiert war. Erst als Russland in den 90ern die Archive der Komintern öffnete, wurde klar, dass das alles ein riesiger Komplott Stalins gewesen war. Stalins Kontaktmänner in Madrid – u.a. die Agenten Orlow (Verbindungsmann im republikanischen Innenministerium), Juzik/José Escoy (Josef Grigulewitsch; verfasste die gefälschten Dokumente) und der Ungar Ernő Gerő/Pedro (Ernő Singer; Berater des PSUC) – hatten Dokumente gefälscht, um Nins „Schuld“ zu beweisen und die Diffamierungskampagnen geplant. Doch als man sah, dass er wahrscheinlich nicht angeklagt werden würde, entführten ihn drei spanische Kommunisten und zwei Agenten der GPU/NKWD (sowjetischer Geheimdienst; Orlow und Juzik), brachten ihn in eine Checa (Foltergefängnis), wo sie ihn tagelang folterten, und am Ende an einer Landstraße zwischen Alcalá de Henares und Perales de Tajuña (Madrid) hinrichteten. Wo genau seine Reste liegen, weiß man bis heute nicht. Zwar ist nicht ganz geklärt, ob die republikanische Regierung davon wusste (der Ministerpräsident Negrín, vom PSOE, verurteilte das Verschwinden von Nin scharf), aber alles spricht dafür, dass man Moskau einfach machen ließ und wegguckte, um die wertvollen sowjetischen Waffenlieferungen nicht zu gefährden (schließlich hatte sich von allen Mächten nur Moskau bereiterklärt, die Republik aktiv zu unterstützten). Nachdem die Generalitat und die Zentralregierung wieder die Kontrolle übernommen hatten, normalisierte sich die Situation wieder, doch die Revolution wurde damit beendet und das republikanische Lager dadurch extrem geschwächt.

Der wachsende Einfluss Stalins hatte auch Auswirkungen auf die Rolle der Frau im Widerstand: direkt nach dem Putsch hatten sich tausende Frauen in antifaschistischen Milizen organisiert (z.B. die anarchistische Mujeres Libres oder die kommunistische-sozialistische Mujeres Antifascistas); die CNT-FAI, aber auch der PCE-PSUC, nutzten das für die Propaganda, denn kämpfende Frauen mobilisierten auch mehr Männer. Überall hingen Plakate mit Milicianes (Milizionärinnen). Sie waren fast alle unter 25 Jahre alt, und überzeugt davon, dass sie ihre Ideale gegen die Faschisten verteidigen könnten. Ein Zitat von Marina Ginestà i Coloma – einer erst 17-jährigen katalanischen Journalistin, deren Gesicht damals jeder kannte, da ein Foto von ihr um die Welt ging – ist bezeichnend für viele Republikaner: «Creia que si resistíem guanyàvem. Teníem la sensació que la raó estava amb nosaltres i que acabaríem guanyant la guerra, mai no vam pensar que acabaríem les nostres vides a l’estranger» (‘Ich dachte, dass wir gewinnen würden, wenn wir Widerstand leisteten. Wir dachten, dass die Vernunft/das Recht auf unserer Seite war und dass wir deshalb am Ende den Krieg gewinnen würden, niemand hatte jemals daran gedacht, dass wir unser restliches Leben im Ausland verbringen müssten’). Die Frauenmilizen kämpften an der Front, mussten sich dann nebenbei aber noch um die „Frauenarbeit“ (kochen, waschen, Verletzte behandeln) kümmern, was viele dazu veranlasste, die Front wieder zu verlassen. Doch auch in der Nachhut waren sie unentbehrlich: sie brachten die feministischen Ideale in die Bevölkerung und unterstützten die Frauen bei der Emanzipation. Fiel eine Frau in die Hände der Putschisten, musste sie mit der Hölle auf Erden rechnen, denn das nationalistische Lager führte die systematische Gewalt gegen Frauen ein: weil sie Rote und Frauen waren. Viele wählten daher vorher den Freitod. Einige der wichtigsten und bekanntesten Frauen dieser Zeit waren die Katalaninnen Marina Ginestà (starb im französischen Exil), Maria Josefa/Pepa Colomer i Luque (erste Pilotin Spaniens; starb im englischen Exil), Lina Ódena (erschoss sich, als sie aus Versehen in eine Straßenkontrolle der Falange geriet), Dolors Vives Rodón (Pilotin, führte Aufklärungsflüge durch) und Federica Montseny i Mañé (CNT-FAI; erste Ministerin Spaniens im Jahr 1936; ging ins französischen Exil, kehrte nach dem Ende der Diktatur zurück und nahm die Arbeit in der katalanischen CNT wieder auf; starb aber 1994 im französischen Toulouse); neben natürlich anderen wichtigen Frauen wie der Madrilenin Clara Campoamor (u.a. größte Verfechterin des Frauenwahlrechts; starb im Schweizer Exil) und der Baskin Dolores Ibárruri/ La Pasionaria (bekannteste Kommunistin Spaniens; ihr wird der Satz „No pasarán!“ zugeschrieben, der seitdem das Motto des antifaschistischen Kampfes ist; sie ging ins sowietische Exil, war ab Ende der 60er Vorreiterin des Eurokommunismus und kehrte nach dem Ende der Diktatur, im Alter von 80 Jahren, nach Spanien zurück). Doch ab 1937 änderte sich ihre Situation. Stalin und die republikanische Führung hatten entschieden, dass zuerst der Krieg gewonnen werden musste, und dass erst dann die Revolution stattfinden könnte. Um die Frauen von der Front wegzubekommen, ließen die Stalinisten Propaganda verbreiten: die Frauen wurden plötzlich als Prostituierte und Nymphomaninnen dargestellt, die Geschlechtskrankheiten übertrugen. Die Plakate propagierten Sprüche wie „Die Frauen sind so gefährlich wie feindliche Kugeln“. Einige Anarchistinnen kämpften weiter, aber der Großteil der Frauen zog sich daraufhin zurück.

Die POUM-Mitglieder, die sich verstecken konnten, arbeiteten aus dem Untergrund weiter. So wurde der POUM zur einzigen Partei, die aus dem republikanischen Untergrund direkt in den franquistischen Untergrund übertrat. Dieses innere Zerwürfnis der antifaschistischen Kräfte; die Gräueltaten (erst ja gegen Unterstützer des Putsches, aber dann von den Kommunisten auch gegen die linke Opposition); die Tatsache, dass ein Jahr vor Kriegsende ca. 30.000 Jugendliche (hauptsächlich Katalanen, die meisten waren gerade 17 Jahre alt; deshalb auch Quinta del Biberó ‘Babyflaschen-Einberufung’ genannt) zwangsrekrutiert und an die Front geschickt wurden, von denen nur ein Bruchteil  (wenige Hundert) wieder nach Hause zurückkehrte; die tausenden Bombenangriffe auf Tarragona und Barcelona (in den zwei Tagen vor dem Einmarsch Francos über 40 Mal), und vor allem die unmenschlichen Bombenangriffe auf hunderttausende flüchtende Menschen in Manresa, Vic, Granollers, Girona, Figueres, Campdevànol, La Bisbal d’Empordà, Palamós, Roses, Ripoll, etc., bei denen u.a. hunderte Frauen und Kinder getötet worden waren, hatten die Bevölkerung Kataloniens stark entmutigt. Der glücklichste Tag vieler Barceloniner war der 25. Januar 1939, als sich die republikanischen Truppen bereits zurückgezogen hatten, und die franquistischen Soldaten noch nicht einmarschiert waren.


Die zweite Etappe des Franquismus war dagegen von der wirtschaftlichen Öffnung und dem damit verbundenen „spanischen Wirtschaftswunder“ bestimmt, was jedoch in keiner Weise einen positiven Effekt auf die politische Freiheit der Menschen hatte. Mehr noch, als sich die Bevölkerung in den letzten Jahren der Diktatur immer mehr mobilisierte, wurden die Demonstrationen und die Opposition noch stärker unterdrückt.

Erster Franquismus

Nach dem Ende des Bürgerkriegs saßen über 400.000 Menschen als Kriegsgefangene und politische Gefangene im Gefängnis oder in einem der über 180 Konzentrationslagern (bis 1942 waren über 500.000 in Konzentrationslagern eingesperrt, knapp 190.000 von ihnen wurden hingerichtet). Zehntausende dieser Gefangenen wurden später von Franco als Zwangsarbeiter rekrutiert, die unter unmenschlichen Bedingungen u.a. das Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen; 20.000 Zwangsarbeiter) bauen mussten: eine monumentale Gedenkstätte für Franco und seine gefallenen Soldaten. Sie besteht u.a. aus einer riesigen unterirdischen Basilika (263 Meter lang, die Kuppel ist 52 Meter hoch), einem riesigen Aufmarschplatz (über 30.000 m²), einer Abtei und dem höchsten freistehenden Kreuz der Welt (155 Meter hoch). Heute sind dort Franco und José Antonio Primo de Rivera (Sohn des Diktators Primo de Rivera und Gründer der Falange) begraben; ein riesiges faschistisches Mausoleum. Ihre Gräber erwachen jeden Tag mit frischen Blumen, die die Mönche der Abtei dort ablegen und auch nach der Diktatur ist es ein Pilgerort für alle Alt-Franquisten und Neofaschisten. In den Nebenräumen und in den Gemäuern befinden sich die Gebeine von ca. 20.000 identifizierten franquistischen und ca. 10.000 nicht identifizierten republikanischen Soldaten (die ohne Erlaubnis aus Massengräbern, besonders aus Katalonien und Valencia, dorthin geschafft wurden). Andere Zwangsarbeiter wurden an Unternehmen „vergeben“, für die sie dann – für einen geringeren Lohn als freie Arbeiter – Kanäle, Straßen und Stauseen bauen mussten.

Nachtrag 2018: Eigentlich wollte ich zum Valle de los Caídos gar nichts weiter schreiben, aber die Ereignisse im Juli 2018 haben meine Meinung geändert. Die neue spanische Regierung kündigte an, Franco endlich zu exhumieren und woanders zu beerdigen, damit dieser Ort zu einem Mahnmal wird und aufhört ein faschistisches Denkmal zu sein. Diese Ankündigung löste aber einen großen Aufschrei aus. Seitdem besuchen immer mehr Menschen den Ort, die Besucherzahl ist um 103% gestiegen (schon in „normalen“ Jahren besuchen ca. 250.000 Menschen das Mausoleum). Sie wollen sich von Franco verabschieden. In Madrid tauchten Plakate auf, die forderten, das Grab Francos in Ruhe zu lassen und mehrere Parteizentralen erwachten zugeklebt mit Plakaten, auf denen stand: „Das Valle de los Caídos wird nicht angefasst“. Und im Juli 2018 fand dann die große Demonstration am Grabmahl statt, bei der tausenden Franquisten und Neofaschisten die Messe besuchten, „Franco, Franco, Franco“ skandierten, die „Cara al sol“ sangen, der Familie Francos (u.a. seinem Urenkel Luís Alfonso de Borbón) um den Hals fielen und den „Hitlergruß“ (Saludo fascista/íbero/romano) machten. Erst vor ein paar Tagen wurden drei FEMEN-Aktivistinnen von Franco-Anhängern angegriffen, getreten, begrabscht und bespuckt (hatten sich „Legaler Faschismus = nationale Schande“ auf den Körper geschrieben), weil sie ihren „Gedenkmarsch“ störten (hier). Einfach nur erschreckend. Das kommt davon, wenn man jahrzehntelang so tut, als hätte man die Vergangenheit verarbeitet; sich vor Angst aber noch nicht einmal getraut hat, den Diktator in ein normales Grab zu stecken (im Oktober 2019 wurde Franco endlich exhumiert).

Ca. 200.000 Soldaten waren im Krieg gefallen (sowohl Republikaner als auch Franquisten), in Katalonien waren über 10.000 Zivilisten den Bombenangriffen der Italiener und Deutschen zum Opfer gefallen (allein Barcelona wurde während des Krieges fast 200 Mal bombardiert). Hinrichtungen waren an der Tagesordnung; allein zwischen 1936 und 1944 wurden über 300.000 „Rote“ hingerichtet (Linke, Kommunisten, Marxisten, Gewerkschaftler, Anarchisten, Republikaner, Liberale, Atheisten, Separatisten, Freimaurer, Homosexuelle, und Leute, denen Verbindungen zu ihnen nachgesagt wurden) und zumeist in anonymen Massengräbern verscharrt (noch heute liegen dort noch über 140.000 Tote, was Spanien – nach Kambodscha – zu dem Land der Welt macht, in dem es am meisten Verschwundene gibt). Doch die Opferzahlen werden immer wieder nach oben korrigiert, weil in vielen Provinzen noch keine Daten erhoben wurden und die Franquisten oft versuchten, die Morde zu vertuschen (z.B. indem man die Bücher, in denen die Kirche die Toten auflistete, klaute oder verbrannte). Neben „außergerichtlichen“ Hinrichtungen gab es aber auch gerichtlich angeordnete Todesurteile, ca. 50.000. Noch bis 1975 wurden Oppositionelle zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Die Familienangehörigen wurden diskriminiert und geächtet (u.a. bekamen sie weniger Lebensmittel zugeteilt), vielen Frauen von „Roten“ wurden die Haare abgeschoren und missbraucht. Besonders berüchtigt waren die „Schaugänge“, bei denen die kahlgeschorenen Frauen zur Einnahme von großen Mengen an Rizinusöl gezwungen (wirkt stark abführend), und anschließend durch das Dorf geführt wurden, damit sich die franquistische Bevölkerung über sie lustig machen konnte. Kinder von „Roten“ wurden oft ihren Eltern entzogen, in Klöster gebracht, umbenannt, umerzogen und an regimetreue Familien verkauft. Über 30.000 Kinder wurden so entführt. Neuere Studien sprechen von bis zu 300.000 „geraubten“ Kindern zwischen 1936 und 1990 (nach dem Ende der Diktatur soll die Kirche nämlich weiter gemacht haben). In einem Interview von 1936 soll Franco gesagt haben, dass er nicht zögern wird, die Hälfte der Bevölkerung zu töten, wenn er so den Kommunismus beseitigen kann (heute wird von rechten Kreisen behauptet, dass das Interview im News Chronicle erfunden ist). Allerdings liegen die Historiker und Menschenrechtler, die Franco und den Putschisten Völkermord vorwerfen, gewiss nicht ganz daneben; denn von der vorherigen progressiv eingestellten Bevölkerung war nach dem Krieg fast nichts mehr übrig. Die Aktivisten und Politiker der Republik, aber auch tausende Ärzte, Lehrer, Schriftsteller, Journalisten und Wissenschaftler waren entweder tot oder im Exil, und die republiktreuen Familien, die in Spanien geblieben waren, versuchten alles, um nicht auch getötet zu werden. Dazu gehörte u.a. sich jahrelang im Haus zu verstecken (hinter Hohlwänden, auf Dachböden, in Schränken, in Ställen, in Gruben, in versteckten Zimmern), in die Berge zu flüchten oder nach außen hin so zu tun, als wäre man auch faschistisch. Letzteres war aber natürlich nur denjenigen möglich, die während der Republik kein Amt inne gehabt hatten, und nicht als Sympathisanten der Republik aufgefallen waren, da sie ansonsten von ihren franquistischen Nachbarn denunziert wurden. Diejenigen, die sich Zuhause versteckten, nennt man auch „topos“ (Maulwürfe). Man weiß nicht, wie viele es waren, hunderte, vielleicht tausende, aber der bekannteste Fall ist wohl der von Manuel Cortés, der während der Republik Bürgermeister von Mijas (Málaga) gewesen war: er versteckte sich 30 Jahre — bis 1969, als Franco ein Gesetz erließ, nachdem alle „Straftaten“ der Vorkriegszeit verjährt waren — hinter einen falschen Wand in seinem Haus. Andere, wie z.B. Protasio Montalvo (ehemaliger Bürgermeister in einem Dorf bei Madrid) kamen erst nach Francos Tod aus ihrem Versteck (Montalvo im Jahr 1977).

Die Repression in der republikanischen Nachhut (also in den Gebieten, die nach dem Putsch noch von der Republik kontrolliert wurden; z.B. Madrid, Katalonien, Valencia und Teile Andalusiens) war zwar auch brutal, doch sie erreichte nie das Ausmaß – weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht – des nationalistischen Lagers. Sie war keinesfalls systematisch und kontrolliert, sondern größtenteils das Ergebnis von unkontrollierten Milizen, die in den ersten Monaten nach dem Putsch nach Leuten suchten, die verdächtigt wurden, den Putsch zu unterstützen. Weiter angefacht wurde diese Situation durch die Radio-Diskurse von aufständischen Generälen, wie z.B. General Mola, Yagüe oder Varela, die ihre Gräueltaten detailliert beschrieben (z.B. ließ General Yagüe im August 1936 über 4.000 Zivilisten in der Stierkampfarena von Badajoz erschießen), sich über die Opfer und ihre Familien lustig machten, davon berichteten, was sie den anderen Anhängern der Republik antun würden und immer wieder davon sprachen, dass sich auf republikanischem Gebiet immer noch die „Fünfte Kolonne“ (Quinta Columna) befand – also versteckte Unterstützer des Putsches – die im richtigen Moment zuschlagen würde. Dieses Klima des Chaos, des Misstrauens und der Angst ließ u.a. auch alte Fehden mit verhassten Nachbarn, etc. wieder entfachen. Insgesamt gab es ca. 40.000 Opfer der republikanischen Repression, vor allem aufständische Soldaten und Generäle, Mitglieder des Klerus (insgesamt ca. 8.000), desertierte oder zu den Putschisten übergetretene Soldaten, Rechte, Falangisten, Carlisten, Großgrundbesitzer und in Katalonien Angehörige der Lliga, die mal wieder offen für den Putsch geworben hatten. Francesc Cambó selbst – der die Ablehnung, die ihm im damaligen Katalonien entgegengebracht wurde, nie überwunden hatte – unterstützte vom Ausland aus Francos Truppen, indem er „Klinken putzte“ und so über 400 Mio. Peseten zusammenbekam (neben Deutschland, Portugal und Italien, waren es vor allem Banken, US-amerikanische Unternehmen und reiche Privatpersonen, die den Putsch und die Faschisten finanzierten). Von den etwa 8.000 Opfern der republikanischen Repression in Katalonien, wurden über die Hälfte in den ersten drei Monaten nach dem Putsch getötet (zwischen Juli und September 1936; darunter ca. 2.400 Geistliche, über 2.000 Carlisten, ca. 300 Mitglieder der Lliga, über 200 Mitglieder der CEDA und über 100 Falangisten).

Die gesamte republikanische Elite (sowohl politisch als auch intellektuell) war ins Ausland geflohen, hunderttausende Sympathisanten der Republik gingen ins Exil. Beispielsweise verließen 85% der katalanischen Journalisten das Land. Im Jahr 1937 waren bereits über 200.000 Menschen aus dem Baskenland/ Kantabrien nach Frankreich geflohen; als Barcelona im Januar 1939 von den Putschisten eingenommen wurde, verursachte dies den nächsten Exodus, auch La Retirada genannt: fast 500.000 Menschen flohen in wenigen Tagen über die katalanisch-französische Grenze, um der Repression und den Bombenangriffen zu entkommen (sowohl Katalanen als auch spanische Flüchtlinge, die vorher nach Katalonien geflohen waren). Denn allein die Tatsache, den Putsch nicht aktiv unterstützt zu haben oder republikanische Freunde gehabt zu haben, reichte aus, um wegen Rebellion vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Wenn überhaupt, denn oft wurden die Leute einfach direkt nach der Festnahme erschossen.

Frankreich hielt die Grenze lange Zeit geschlossen, weshalb sich vor den Grenzübergängen Zehntausende schutzsuchende Menschen versammelten. Erst am 28. Januar 1939 öffnete Frankreich die Grenze und nur 4 Tage später hatten schon über 200.000 Menschen die Grenze überquert. Sie nahmen alles mit, was sie hatten: über 12.000 Pferde und Maultiere und über 40.000 Schafe überquerten mit den Flüchtlingen die Grenze. Die Flüchtlinge wurden in provisorische Internierungslager im französischen Nordkatalonien/Département Pyrénées-Orientales gepfercht; allein im Lager am Strand von Argelès-sur-Mer/ Argelers befanden sich monatelang über 100.000 republikanische Flüchtlinge…von Stacheldrahtzäunen umschlossen und von senegalesischen Soldaten bewacht, die jeden erschossen, der versuchte zu fliehen. Viele — über 100.000 — kehrten nach Kriegsende freiwillig zurück, weil Franco versprach, dass diejenigen, die „kein Blut an den Händen“ hatten, nichts zu befürchten hatten (ca. 70.000 wurden allerdings vom Vichy-Regime nach Spanien ausgeliefert). Doch zehntausende Rückkehrer wurden bei ihrer Ankunft direkt inhaftiert und entweder zu langen Gefängnisstrafen verurteilt oder hingerichtet. Tausende starben in den französischen Auffanglager (vor Hunger, Kälte, Durst oder Folter), andere starben in deutschen KZs (über 7.000 allein im KZ Mauthausen). Aber über 220.000 Menschen sollten nie wieder in ihre Heimat zurückkehren und ihr Glück in Frankreich, Mexiko, Argentinien, der UdSSR, Chile, etc. suchen.

Außerdem führte Franco eine „Säuberung“ der Institutionen durch: über 200.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes und Beamte wurden entlassen oder bestraft. Besonders hart ging man mit den Lehrern um, denn sie verkörperten für Franco das Böse, das „Unspanische“. Die Republik hatte u.a. die Koedukation eingeführt (d.h. gemeinsamer Unterricht für Jungen und Mädchen), Religion als Pflichtfach abgeschafft und religiöse Schulen geschlossen. Außerdem hatte sie tausende Schulen bauen lassen, die Misiones Pedagógicas (Pädagogische Missionen) gegründet — d.h. über 600 „Missionare“, die in die entlegensten Dörfer gingen, den Leuten lesen und schreiben beibrachten, Bibliotheken errichteten (mit insgesamt 600.000 Büchern) und die Landbevölkerung an die Kultur (klassische Musik, Künste, Theater, Film) heranführten — und eine moderne, laizistische Pädagogik eingeführt, deren Ziel es war, die Kinder zu freien Menschen – frei von politischen und religiösen Dogmen – zu erziehen. Das musste rückgängig gemacht werden, denn das ging für Franco und seine Anhänger gegen das „wahrhaftige Spanien“. Nicht umsonst nannten er und die katholische Kirche den Bürgerkrieg auch Kreuzzug oder Heiligen Krieg.

Mehr als ein Drittel der Lehrer wurden entlassen, tausende wurden in andere Landesteile zwangsversetzt. Das Schulsystem wurde wieder in die Hände der Kirche gegeben, Jungs und Mädchen wieder getrennt unterrichtet und es wurde die körperliche Bestrafung wieder eingeführt. Die ideologische Bildung, z.B. in Form des Pflichtfachs „Formación del espíritu nacional“ (Bildung des Nationalgeistes), wurde der faschistischen Falange überlassen. Die wichtigsten Bestandteile der neuen Schule waren der Katholizismus (Kreuze und Marienbilder in jedem Klassenzimmer, tägliche Gebete), ein extremer spanischer Nationalismus (tägliches Hissen der Flagge, Geschichtsrevisionismus, Verherrlichung der Katholischen Könige und des Kolonialimperiums), die Glorifizierung Francos („Führer von Gottes Gnaden“) und der Sieger, und anfänglich der Faschismus (z.B. das Singen der Falange-Hymne, obligatorisches Heben der rechten Hand, etc.).

Des Weiteren wurde die gesamte Justiz ausgewechselt, und durch regimetreue Richter, Staatsanwälte und Anwälte ersetzt. Sie waren nun allesamt Militärs, die keine juristische Ausbildung mitbringen mussten; selbst die Anwälte, die die Angeklagten „verteidigen“ sollten. Zudem wurden über 250.000 Zivilpersonen enteignet, weil sie oder ihre Angehörigen die Republik unterstützt hatten (‘Gesetz der politischen Verantwortung’; über 3 Milliarden Peseten wurden allein aus den Bankkonten geklaut, von den zehntausenden Häusern, etc. mal abgesehen).

Die ersten Jahren waren vor allem vom Faschismus geprägt. Die 1933 von José Antonio Primo de Rivera (Sohn des Diktators Primo de Rivera) gegründete Falange Española (FE) und die Juntas de Ofensiva Nacional-Sindicalista (kurz JONS; Vereinigungen der national-syndikalistischen Offensive) hatten sich bereits 1934 zur FE de las JONS zusammengetan und widmeten sich seitdem dem bewaffneten Straßenkampf gegen Linke, Gewerkschaftler, etc.; beide Organisationen waren vom italienischen (Falange) und deutschen/österreichischen Faschismus (JONS) inspiriert, wollten einen totalitären Nationalstaat, dem sich alle Individuen unterzuordnen hatten. Dies hieß auch, den Arbeiterkampf aufzugeben, zum Wohle der Nation und des Staates. Was für die Nazis das arische Blut war, war für die Falangisten der Katholizismus. Da sie antidemokratisch und antiparlamentarisch waren, war Gewalt für sie das einzige Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen (vor allem durch bewaffnete Milizen mit blauer Uniform). Zwar gaben sie sich auch antikapitalistisch, aber angesichts der Tatsache, dass sie fast ausschließlich vom Großkapital und vom Finanzsektor finanziert wurden, war das pure Demagogie.

Bei den Wahlen 1936 (vor dem Krieg) hatte die FE de las JONS spanienweit nur ca. 46.000 Stimmen erhalten. Nachdem José Antonio Primo de Rivera Ende 1936 in Alicante (republikanische Zone) wegen seiner Mithilfe beim Putsch zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war, gründete Franco 1937 die Einheitspartei FET de las JONS (Falange Española Tradicionalista de las JONS)  d.h. den erzwungenen Zusammenschluss der faschistischen, revolutionären, anti-monarchischen FE de las JONS mit den monarchistischen, ultra-konservativen, ultra-katholischen Carlisten/Traditionalisten der Comunión Tradicionalista um innerparteiliche Machtkämpfe im Keim zu ersticken. Außerdem ernannte er sich selbst zum Anführer der Partei. Die FET de las JONS  als politischer Arm des Movimiento Nacional, der Nationalen Bewegung war die einzige Partei, die im franquistischen Spanien erlaubt war; sie war der einzige Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe. Zwar gab es Falangisten und Carlisten, die der FET de las JONS nicht beitraten (ihre Ideologien waren einfach zu unterschiedlich), doch diese wurden relativ schnell ausm Weg geschafft.

Die FET de las JONS war das Sammelbecken aller spanisch-nationalistischen, monarchistischen, traditionalistischen, erzkatholischen, militärischen und rechten Kräfte des Landes, die sich dem Putsch angeschlossen hatten. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht gut, sich an das Wahlergebnis von 1936 zu erinnern, das u.a. zum Putsch geführt hatte: 4,65 Mio. Spanier hatten das Links-Bündnis Frente Popular gewählt (48% der Stimmen und 59% der Sitze), und 4,5 Mio. das Rechts-Bündnis Frente Nacional (46,5% der Stimmen und 41% der Sitze). Das heißt, die Bevölkerung war schon gespalten (in Katalonien sah es allerdings anders aus, dort gewann das Links-Bündnis Front d’Esquerres mit 60% der Stimmen und 76% der Sitze). Es ist das berühmte Problem der „Zwei Spanien“ (Las Dos Españas), mit dem sich die Intellektuellen schon seit dem 19. Jhd. beschäftigen. Antonio Machado schrieb dazu 1912 (1939 starb er im französischen Exil):

«Ya hay un español que quiere
vivir y a vivir empieza,
entre una España que muere
y otra España que bosteza.
Españolito que vienes
al mundo, te guarde Dios.
Una de las dos Españas
ha de helarte el corazón.»

Es gibt schon einen Spanier,
der leben will und zu leben beginnt.
Zwischen einem Spanien, das stirbt,
und einem Spanien das gähnt.
Kleiner Spanier, der du zur Welt kommst,
möge Gott dich schützen.
Eines der beiden Spanien
wird dir das Herz gefrieren lassen.

Da die rechten Kräfte jedoch ideologisch teilweise antagonistisch waren, war ihr einziger gemeinsamer Nenner der Katholizismus und die Figur des Caudillo – des Heerführers – Francisco Franco Bahamonde. Um ihn entstand ein richtiger Führerkult. Und dies war von ihm auch so gewollt: um seine Macht zu zementieren, spielte er seine Anhänger immer wieder gegeneinander aus, verteilte Machtpositionen immer an Vertrauenspersonen und sicherte sich so die Loyalität. Es entstand eine institutionalisierte Korruption und die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, Regime-Gegner zu denunzieren. Sein Ziel war es, so viele Menschen wie möglich in diesem System zu verstricken. Das artete zum Teil so aus, dass Franco damit drohen musste, falsche Denunziationen zu verfolgen (teilweise wurden Menschen von ihren Nachbarn als Regime-Gegner denunziert, weil sie nicht jeden Sonntag zur Kirche gingen, etc.). Um die verschiedenen rechtsextremen Strömungen zufrieden zu stellen, gab es auch drei offizielle Nationalhymnen: die Cara al Sol (Falange), die Marcha de Oriamendi (Carlisten/Traditionalisten) und die Marcha Real (Nationalhymne Spaniens seit dem 18./19. Jhd.). Jede offizielle Versammlung fand unter einer spanischen Flagge statt (allerdings mit dem Adler in der Mitte), rechts und links daneben: die Flagge der Falange und die Flagge der Carlisten (das Burgunderkreuz – Cruz de Borgoña). Obwohl Franco und die Falange keinen Regionalismus akzeptieren wollten, billigte er Navarra und Álava (Baskenland) gewisse Rechte zu – dort war der Putsch ohne Widerstand geglückt – um die Carlisten zufrieden zu stellen, die stark auf den mittelalterlichen Sonderrechten (fueros) beharrten. Auch die neue Uniform der Parteianhänger und Milizen wurden angepasst: neben der blauen Uniform der Falange, trugen sie jetzt auch die roten Baskenmützen (boinas rojas) der Requetés (carlistische paramilitärische Milizen; etwa 60.000 hatten im Krieg für Franco gekämpft, die meisten aus Navarra und Álava).

Bis 1942 stieg die Zahl der Mitglieder der FET de las JONS auf fast 1 Mio. Auch wenn der ursprüngliche Plan der Falange von Franco ignoriert wurde, so führte er doch bestimmte faschistische Strukturen ein, um sie zufrieden zu stellen. Eine dieser Strukturen war das Sindicato Vertical bzw. Organización Sindical Española (Vertikales Syndikat). Es war die einzige erlaubte Gewerkschaft des Landes und wurde von der FET de las JONS kontrolliert. Jeder Arbeiter und jeder Arbeitgeber musste per Gesetz Mitglied des Sindicato Vertical sein, wobei die franquistische Gesetzgebung die Interessen der Arbeitgeber – und besonders die der Großgrundbesitzer – stärkte (als Dank für die finanzielle Unterstützung). Weitere Bestandteile des Movimiento Nacional waren die Sección Feminina (die Frauenorganisation; zuständig für die richtige Erziehung – wie wird man eine gute Patriotin, Christin und Ehefrau –  und Sozialhilfe), der Frente de Juventudes (Jugend-Front; politische und militärische Erziehung der 10- bis 20-Jährigen), der Servicio de Prensa y Propaganda (das Presse- und Propagandaorgan; kontrollierte alle Zeitungen und Radio- bzw. später Fernsehsender) und der Servicio de Información (der Geheimdienst, der die Opposition ausspionierte).

Neben den Milizen der Falange, waren es vor allem auch die Guardia Civil und die Policía Armada (auch Los Grises – ‘die Grauen’, wegen ihrer grauen Uniform; bestand hauptsächlich aus Ex-Kämpfern des nationalistischen Lagers), die Terror auf den Straßen verbreiteten: Sie verfolgten, inhaftierten, folterten und ermordeten politische Gegner und schlugen jede Art von Protest mit Gewalt nieder. Sie waren für die „öffentliche Ordnung“ zuständig und verhinderten jegliche Menschenansammlung: sobald mehr als drei Personen nebeneinander gingen, sich unterhielten oder irgendwo anstanden, hörte man ein lautes „¡Circulen!“ (Weitergehen!) oder „¡Disuélvanse!“ (Lösen Sie sich auf!). Gehorchte man nicht innerhalb weniger Sekunden, hagelte es Knüppelschläge. Und nicht zu vergessen: die Brigada Político-Social, die Geheimpolizei des Regimes, die ohne richterliche Beschlüsse Leute beschatten, ihre Telefone abhören, Wohnungen durchsuchen, verhören und foltern konnte; denn das „Verhindern von Verbrechen“ war wichtiger als alles andere.

Dies führte dazu, dass sich die antifaschistische Opposition nur sehr langsam organisieren konnte. Die ersten waren die anarcho-syndikalistische CNT und die Kommunisten des PCE (in Katalonien PSUC), da sie ja schon Erfahrung als Untergrundbewegungen hatten (während der Diktatur von Primo de Rivera). Allerdings war ihre Opposition vorerst darauf begrenzt, ihre Mitglieder und deren Angehörigen zu versorgen und Mitglieder aus den Konzentrationslagern zu befreien. Die CNT wurde vom Katalanen Esteve Pallarols i Xirgu reorganisiert (April 1939), doch kurz darauf wurde er festgenommen (November 1939), gefoltert und zu 18 Jahren Haft verurteilt. Später wurde er erneut angeklagt, zum Tode verurteilt und 1943 schließlich hingerichtet. In Katalonien formierte sich 1940 u.a. der Front Nacional de Catalunya, der aufgrund fehlenden Kapitals zunächst „nur“ die mittlerweile verbotene katalanische Flagge (Senyera) an öffentlichen Orten aufhängte (z.B. an der Sagrada Família, im Stadion von Montjuïc, Universitäten). Später begann der bewaffnete Kampf (Lluita armada), während dem sie u.a. Francos Siegesmonument (Monumento de la Victoria) in die Luft sprengten. Auch die meisten ihrer Mitglieder wurden verhaftet.

Innerhalb des Regimes gab es ebenfalls etwas Ähnliches wie Opposition, denn vor allem das Militär und die Monarchisten wollten, dass Franco die Monarchie wiedereinführt. Dies widersprach aber dem Willen der Falange und Francos. Außerdem waren sich die Monarchisten selbst noch nicht einmal einig darüber, wer denn überhaupt König sein sollte. Die einen wollten Juan de Borbón (Sohn von Alfonso XIII.), andere Javier de Borbón Parma und wiederum andere favorisierten Carlos Pío Habsburgo-Borbón (die letzteren von verschiedenen carlistischen Strömungen favorisiert). Nachdem Franco diese Forderungen lange ignoriert hatte und die königlichen Familien des Landes verwiesen hatte, ließ er 1947 über sein „Nachfolge-Gesetz“ abstimmen: demnach stimmten 93% der Spanier (bei einer Wahlbeteiligung von 88%; es gab eine Wahlpflicht) dafür, dass Spanien zwar wieder zu einem Königreich wird, aber dass Franco Staatsoberhaupt bleibt und nur er einen Nachfolger ernennen darf, wenn er dies für nötig erachtet. Damit antwortete Franco Juan de Borbón, der kurz vorher ein Manifest veröffentlicht hatte, in dem er die Diktatur kritisierte. Im Jahr 1948 beschloss Franco, dass der 10-jährige Juan Carlos de Borbón, Sohn von Juan de Borbón, in Spanien erzogen wird; er sollte in den Werten des Movimiento Nacional erzogen werden, bei Franco persönlich aufwachsen und überwacht werden.

Franco ließ während der Diktatur mehrere Volksabstimmungen durchführen — die aber natürlich in keiner Weise demokratisch waren — um seine Macht vor der Weltgemeinschaft zu legitimieren. Die Einhaltung der Wahlpflicht wurde von Geheimagenten und der Polizei überwacht; wer nicht abstimmte, musste mit hohen Geldstrafen rechnen; nicht jeder durfte abstimmen, da viele Häftlinge und Ex-Häftlinge ihr Wahlrecht verloren hatten; und es gab natürlich nur Werbung — allgegenwärtige Propaganda (Zeitungen, Radio, Flugblätter, an den Arbeitsstellen, in der Kirche, etc.) — für die gewünschte Antwort (oft mit der Drohung, dass man in den Bürgerkrieg zurückkehren würde, wenn das Referendum „falsch“ ausfiel). Weniger stark durchgegriffen wurde dagegen bei den Kommunalwahlen, bei denen sowieso nur Franquisten von Franquisten gewählt werden konnten, weil niemand in der Welt zuschaute; dementsprechend hoch war dort auch die Enthaltung (meist zwischen 50 und 70%).

Aufgrund der Nähe von Franco zu Hitler und Mussolini (ihre Unterstützung mit Kampfflugzeugen und Waffen war für den Sieg der Putschisten ausschlaggebend; außerdem kämpften ca. 50.000 Franquisten in der „División Azul / Blauen Division“ für Hitler in Russland), und Francos Antikommunismus, war Spanien bis nach dem 2. Weltkrieg von der restlichen Welt isoliert. Franco wollte ein autarkes Spanien, doch es war ein Desaster: bis 1952 — also mind. 13 Jahre lang (Vergleich: im Nachkriegsdeutschland nur 3 Jahre) — wurden die Grundnahrungsmittel extrem rationiert (der Durchschnittsspanier kam wegen der Rationierung nur auf ca. 60% der notwendigen Kalorien); die landwirtschaftliche Produktion sank um über 30% und es entstand ein Lebensmittel-Schwarzmarkt (Estraperlo), wo vor allem Großgrundbesitzer ihre Produkte teurer verkauften (teilweise 800% teurer). Zum besseren Verständnis: das Durchschnittseinkommen in der Industrie lag 1945 bei 12,3 Peseten/Tag (7 Cent/Tag), aber allein 1 Liter Milch kostete 1,4 Peseten, ein Dutzend Eier 5 Peseten, 1 Liter Öl 4 Peseten. Auf dem Schwarzmarkt kostete 1l Öl 30 Peseten, ein Dutzend Eier bis zu 200. Da die Großgrundbesitzer auf dem Schwarzmarkt natürlich sehr viel mehr Geld verdienen konnten, hielten sie große Teile der Produktion zurück, um sie schwarz zu verkaufen. Damit fehlten sie aber eben auf dem offiziellen Markt, wo die unteren Schichten und die — mittlerweile so gut wie verschwundene — Mittelschicht einkaufen mussten. Außerdem hatten Reiche Anrecht auf mehr Nahrungsmittel als Arme.

Aber auch die Armen mussten auf dem Schwarzmarkt ein- und verkaufen. Denn dass man theoretisch Anrecht auf z.B. wöchentlich 100gr Fleisch und 50gr Kartoffeln hatte, hieß noch lange nicht, dass man sie auch bekam. In der einen Woche gab es z.B. Kartoffeln, Kaffee und Öl, in der anderen dann aber nur Schwarzbrot (oft mit Sägemehl gestreckt), Seife und Linsen. Wer dann z.B. zu viel Seife, aber nicht genug Brot hatte, verkaufte die Seife auf dem Schwarzmarkt, um sich dann mit dem Geld Brot auf dem Schwarzmarkt kaufen zu können. Auch wer das Glück hatte, über einen Garten o. Ä. zu verfügen und selbst Gemüse anbauen konnte, verkaufte einen Teil der Ernte auf dem Schwarzmarkt, um sich z.B. mal Früchte oder Fleisch kaufen zu können.  Die Zeit war demnach vor allem von Hunger geprägt; selbst in den Städten — wo die Industrieproduktion zwar auch gesunken war, aber vom Staat subventioniert wurde — hatten die Menschen Probleme, genug Nahrung zu bekommen. Über 200.000 Menschen verhungerten während der Nachkriegszeit (vor allem im Süden). Hunderttausende starben an Tuberkulose (zwischen 1940 und 1947 ca. 260.000). Doch dadurch, dass das franquistische Regime die Presse zensierte und niemand genau wusste, was im Land los war, wissen selbst heute die meisten Spanier nichts davon. Mein Großvater ist bis heute felsenfest davon überzeugt, dass in Spanien noch nie jemand an Hunger gestorben ist.

Als das Ende des 2. Weltkriegs nahte, schöpfte die Opposition wieder neue Kraft. Die Hoffnung war groß, dass die Alliierten auch die faschistische Diktatur in Spanien beenden würden. Besonders stark war dies bei den spanischen Soldaten zu spüren, die im 2. Weltkrieg für die Alliierten kämpften (rekrutiert aus den französischen Auffanglagern); so bestand z.B. die 9. Kompanie (La Nueve) der 2. Panzerdivision Frankreichs fast ausschließlich aus spanischen Republikanern. Was in der Geschichtsschreibung oft vergessen wird ist, dass La Nueve bei der Befreiung von Paris die Truppen anführte: sie waren die ersten, die die Stadt betraten; mit der republikanischen Flagge Spaniens wedelnd. Ihr Schlachtruf war: «Paris, Berlín, Barcelona, Madrid». Ihre Hoffnung, nach Paris und Berlin auch Barcelona und Madrid zu befreien, sollte jedoch enttäuscht werden.

Viele Menschen, die sich während und nach dem Krieg in den Bergen versteckt hatten (“echarse al monte” – in den Untergrund/in die Berge gehen), fingen an, sich in Widerstandsgruppen zu organisieren. Die erste Guerrilla-Gruppierung war die Federación de Guerrillas de León-Galicia (1942 gegründet) in den Bergregionen von León, Asturien und dem Westen Galiciens. Später gründete der PCE verschiedene kommunistische Guerrillas, wie z.B. die Agrupación Guerrillera de Levante y Aragón (vor allem aktiv in Castellón, Valencia, Cuenca und Teruel). Ihre Aktivitäten beschränkten sich vor allem auf die Sabotage von regimetreuen Unternehmen und Infrastrukturen (z.B. Sprengung von Bahngleisen, Zerstören von Stromleitungen, Polizeiwagen), Banküberfällen und gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Guardia Civil.

Im Jahr 1944 planten einige republikanische Kämpfer in Frankreich (insgesamt hatten sich etwa 60.000 der französischen Résistance angeschlossen, nachdem sie aus den französischen Arbeitslagern geflüchtet waren), in Spanien „einzufallen“, um das Land „zurück zu erobern“. Der Plan war, durch den Einmarsch von insgesamt ca. 7.000 Kämpfern entlang der Pyrenäen einen Volksaufstand gegen die Diktatur zu provozieren. Hauptziel der Operation war das Aran-Tal (Katalonien), das von etwa 3.000 Mann erobert werden sollte. Doch die Invasión del Valle de Aran war ein totales Fiasko: Franco hatte bereits über 50.000 Männer an der Grenze stationiert, weil er befürchtete, dass die Alliierten in Spanien einmarschieren könnten, und so standen den 7.000 Guerrilla-Kämpfern über 50.000 schwer bewaffnete Guardias Civiles und Soldaten gegenüber. Zwar schafften sie im Aran-Tal Dörfer wie Bausen, Canejan, Bussòst, Les, Era Bordeta oder Es Bòrdes für einige Tage zu besetzen, doch am Ende mussten sie sich zurückziehen, ohne die Provinzhauptstadt Vielha erobern zu können. 130 Guerrilleros wurden getötet, über 500 verletzt und über 200 inhaftiert (und später zum Tode verurteilt). Auf franquistischer Seite wurden 32 Guardias Civiles getötet, und ca. 200 weitere verletzt. Hunderte Maquis, wie die Guerrilleros — besonders die, die in Frankreich gekämpft hatten — genannt wurden, schafften es allerdings, weiter in Spanien einzudringen und sich dort anderen Gruppen anzuschließen. Franco selbst ließ die Geschehnisse etwa eine Woche lang verheimlichen, und verbreitete dann überall die Nachricht, dass „Spanien die Invasion der Roten hatte stoppen können“. Damit festigte er zum einen den Hass, den ein großer Teil der übrig gebliebenen spanischen Bevölkerung auf die „Roten“ hatte, und zum anderen brachte er so den Zusammenhalt zurück zum Militär, das zeitweise ziemlich gespalten gewesen war, und in dem gewissen Teile sogar mit einem Putsch gegen Franco geliebäugelt hatten.

Die Aktivität der Maquis intensivierte sich in den nächsten Jahren, besonders als die Kommunisten und der anarchistische Movimiento Libertario (CNT, FAI) städtische Guerrilla-Gruppen gründeten (Guerrillas urbanas), um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen (vorher passierte alles ja nur in den Bergen und drang kaum zur großen Masse der Menschen durch). Besonders aktiv waren sie in Madrid (bis 1947) und in Barcelona (bis 1960). Aber da der Großteil der Mitglieder entweder getötet oder inhaftiert wurde, lösten sich viele Gruppierungen schnell wieder auf. Als Stalin dann im Jahr 1947 dem PCE befahl, den bewaffneten Widerstand zu beenden, verschwanden die Maquis nahezu vollständig.

Es wurde immer klarer, dass die Alliierten nicht vor hatten, in Spanien zu intervenieren. Der bewaffnete Widerstand verschwand, die politische Opposition war nahezu ausgelöscht und die Bevölkerung verfiel in eine Phase der Lethargie. Es ging ums Überleben; und dafür durfte man nicht auffallen. Trotzdem wurden über 20.000 Menschen in den wenigen Jahren der Maquis-Aktivitäten (1943 – 1947) verurteilt, weil sie den Maquis geholfen hatten (vor allem mit Unterkunft und Verpflegung). Die bekanntesten Maquis Kataloniens waren Quico Sabaté Llopart (1960 erschossen), Josep Lluís Facerías (1957 erschossen), Ramon Vila Capdevila (Caracremada, ’verbranntes Gesicht‘, genannt; 1963 erschossen) und Marcel⋅lí Massana Balcells (starb 1981 im französischen Exil). Neben den Maquis und der urbanen Guerilla hatte die CNT in Katalonien aber immer noch eine gewisse Präsenz. Sie war zwar verboten und ihre Mitglieder wurden verfolgt, aber immer wieder schaffte sie es, kleinere Streiks zu organisieren, die allerdings allesamt brutal unterdrückt wurden. Das bezeugt auch der Anteil von CNT-Mitgliedern unter den Hingerichtet: von den zwischen 1939 und 1953 hingerichteten Menschen, gehörten in Barcelona 66,5% der CNT an, in Terrassa 75,3%, in Mataró 75,7% und im Landkreis Baix Llobregat 67%.

Ab dem Jahr 1947 änderte sich die Haltung der Welt gegenüber der Diktatur. Der Kalte Krieg hatte begonnen, US-amerikanische Banken fingen an, Kredite an Franco zu geben und die UNO nahm ihre anfängliche Verurteilung der Diktatur auf Druck der USA — und mit der Enthaltung von Frankreich und Großbritannien — zurück. Bereits 1953 unterschrieben Spanien und die USA einen Vertrag, der den Amerikanern erlaubte, Stützpunkte in Spanien zu errichten. Im Gegenzug erhielt Spanien Kredite. Außerdem erneuerte Spanien im selben Jahr das Konkordat (Staatskirchenvertrag) mit dem Vatikan, sodass das Regime nun auch von der katholischen Kirche offiziell anerkannt wurde. Mit dem neuen Konkordat wurde der Katholizismus wieder als Staatsreligion bestätigt, die Kirche wurde von den Steuern befreit und erhielt großzügige Subventionen für Neubauten, etc. (insgesamt über 300 Milliarden Peseten); die Kirche erhielt zudem das Monopol für die moralische Zensur von Büchern, Zeitungen, Radio, TV und Kino. Alles, was nicht ihren moralischen Ansprüchen entsprach, wurde zensiert (so z.B. das Händchenhalten, zu leidenschaftliche Küsse oder halbnackte Körper in Filmen, Dekolletés, „obszöne“ Musik, etc.). Da ab 1941 die Synchronisation von ausländischen Filmen verpflichtend war, konnte man so zudem „gefährliche“ Dialoge verändern (gefährlich im Sinne von „gegen die traditionellen Werte Spaniens“). Ein besonders merkwürdiges Beispiel dieser Zensur war der Film Mogambo, wo aus den Ehepartnern Donald und Linda plötzlich Geschwister wurden, um Lindas Ehebruch zu verheimlichen. Dass sich jetzt aber das Publikum perplex fragen würde, warum sich Bruder und Schwester andauernd auf den Mund küssten und dem Inzest nahe waren, muss den Verantwortlichen wohl entgangen sein.

Dazu muss man wissen, dass Ehebruch (Adulterio) und nicht-eheliche Lebenspartnerschaften (Amancebamiento) verboten waren. Bis zu 6 Jahre Haft standen auf Ehebruch. Da es auch nicht erlaubt war, sich scheiden zu lassen, konnte eine Frau selbst dann von ihrem Ehemann (eigentlich Exmann) angezeigt werden, wenn sie getrennt waren und in verschiedenen Städten wohnten. Bis 1963 war es dem Mann sogar erlaubt, seine ehebrechende Frau zu töten (das sogenannte „Privileg der Blutrache“, das Franco hatte wiedereinführen lassen). Andersrum galt es natürlich nicht. Es waren auch nur die verheiratete Frau (und ihr Geliebter), die Ehebruch begehen konnten; der Ehemann konnte nur den Amancebamiento begehen. Der Unterschied? Für Ehebruch reichte ein einmaliger sexueller Akt, für Amancebamiento musste es eine richtige Beziehung zwischen dem Ehemann und der Geliebten geben, die zudem öffentlich und „unverfroren“ war (z.B. indem er die Geliebte mit nach Hause brachte, bei sich Zuhause wohnen ließ oder ihr ein Haus kaufte). In beiden Fällen (Ehebruch und Amancebamiento) war die Frau die, die am härtesten bestraft wurde: während der Mann sich als Geliebter rausreden konnte, wenn er aussagte, dass er nicht wusste, dass die Frau verheiratet war, war die Frau immer schuldig: als ehebrechende Ehefrau und als Geliebte eines ehebrechenden Ehemannes (im letzten Fall konnte sie sogar verbannt werden). Beide Straftatbestände wurden erst 1978 — nach jahrelangen Protesten der Frauen — abgeschafft.

Die Kirche erlangte mit dem Konkordat wieder sehr viel Macht in Spanien, allerdings behielt sich Franco das Recht vor, die Bischöfe selbst zu ernennen. Ab diesem Zeitpunkt wandelt sich das System vom faschistischen Nationalsyndikalismus der Falange zum fundamentalistischen Nationalkatholizismus (was z.B. daran deutlich wurde, dass der Hitlergruß nicht mehr Pflicht war). Allerdings bedeutete das nicht, dass der Faschismus verschwand: man wollte nur die ausländischen Partner etwas beruhigen, die es wohl trotz ihrer Machtinteressen etwas komisch fanden, dass – acht Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs – die Menschen in einem europäischen Land immer noch mit dem gehobenen rechten Arm durch die Straßen marschierten. Das Konkordat erleichterte dem Regime zudem die internationale Anerkennung: So wurde Spanien 1955 in die UNO und 1961 in die OECD aufgenommen.

In Katalonien — aber auch im Baskenland und in Galicien — richtete sich die Repression zudem gegen die eigenen Kulturen, Sprachen und Autonomiebestrebungen. Viele sprechen von einem versuchten Ethnozid/ kulturellen Genozid. Ethnozid, weil Franco die kulturelle und sprachliche Identität der nicht-kastilischen Völker auslöschen wollte, ohne allerdings die Menschen zu töten. Stattdessen wurde ihnen eine neue spanisch-kastilische Identität aufoktroyiert. „Versuchter Ethnozid“, weil er es trotz allem nicht geschafft hat, sie auszulöschen.

Die Autonomiestatute wurden abgeschafft, nationalistische/ regionalistische/ separatistische Parteien illegalisiert. Franco wollte eine „absolute nationale Einheit“; „mit einer Sprache, dem Kastilischen, und einer Persönlichkeit, der Spanischen“. Schon während des Bürgerkrieges bezeichnete der General Millán Astray Katalonien und das Baskenland als „zwei Krebsgeschwüre im Körper der Nation. Der Faschismus, die Heilung Spaniens, würde sie auslöschen“. Über die Soldaten, die nach der Eroberung von Barcelona in der Stadt aufmarschieren durften, sagte Franco, dass „sie diese Ehre nicht erhalten hatten, weil sie am besten gekämpft hatten, sondern weil sie diejenigen waren, die Katalonien am meisten hassten”. Kurz nach dem Fall Barcelonas plünderten Francos Truppen z.B. das Haus von Pompeu Fabra (er selbst war mittlerweile nach Frankreich geflohen), verbrannten alle katalanischsprachigen Bücher seiner umfangreichen Hausbibliothek auf offener Straße und zerstörten alle Original-Druckplatten für das Wörterbuch Diccionari General de la Llengua Catalana. Vielen Privatbibliotheken und Verlagen ereilte ein ähnliches Schicksal: entweder die katalansichsprachigen Bücher wurden verbrannt, oder später zu Papiermasse verarbeitet. Das Katalanische wurde in der Öffentlichkeit verboten: in den Schulen, Verwaltungen, öffentlichen Veranstaltungen, Messen, etc. durfte nur noch Spanisch gesprochen werden. Auch die Häftlinge durften nur Spanisch sprechen. Überall wurden Plakate mit der Aufschrift „Wenn du Patriot bist, sprich Spanisch“, „Sprich die Sprache des Imperiums“ oder „Wenn du Spanier bist, sprich Spanisch“ aufgehängt. Auch in den Fabriken durfte das Katalanische nicht benutzt werden.

Alle katalanischen Symbole wurden verboten: wer die Senyera hisste, Els Segadors sang oder eine Sardana tanzte, konnte sofort verhaftet werden. Lehrer, die Katalanisch im Unterricht sprachen, konnten entweder entlassen oder in spanischsprachige Regionen zwangsversetzt werden; dafür reichte es, dass sich jemand deswegen beschwerte, denn das Dekret besagte wörtlich, dass „die Ermittlungen nicht wegen Mangel an Beweisen eingestellt werden, Indizien reichen aus“. Tausende Lehrer aus dem Rest Spaniens wurden ins ländliche Katalonien versetzt, um den Kindern dort Spanisch beizubringen. Katalanischsprachige Bücher durften nicht in der Schule benutzt und offiziell auch nicht veröffentlicht werden. Besonders stark war die Zensur bei Kinder- und Jugendbüchern, damit die Kinder das Katalanische nicht lesen und schreiben lernten. Manche Werke konnten jedoch aus dem Untergrund veröffentlicht werden. So ließ z.B. Carles Riba 1943 sein Buch Elegies de Bierville in Barcelona drucken und verlegen, aber als Verlagsort stand im Buch „Buenos Aires“, als Veröffentlichungsjahr 1942. Der ins Exil gegangene Katalanist konnte 1943 nach Spanien zurückkehren, weil Luys de Santa Marina — ein Falangist, der 1936 von einem republikanischen Kriegsgericht wegen seiner Beteiligung am Putsch zum Tode verurteilt worden war, und für dessen Begnadigung Riba sich eingesetzt hatte — eine Bürgschaft für ihn unterschrieb; als Dank dafür, sein eigenes Begnadigungsgesuch unterschrieben zu haben, wohl wissend, dass er zur Falange gehörte. Die 75 gedruckten Exemplare verschenkte Carles Riba dann an Freunde und Bekannte. So ähnlich lief die gesamte katalanischsprachige Literaturproduktion zu der Zeit; selbst so bedeutende Schriftsteller wie Salvador Espriu mussten aus dem Untergrund veröffentlichen. Wurde ein Verlag oder eine Druckerei erwischt, musste sie mit Bußgelder von mindestens 10.000 Peseten rechnen. Studiengänge und Schulfächer wie Katalanische Sprachwissenschaften, Neuere Geschichte Kataloniens, Geografie Kataloniens, Mittelalterliche Kunstgeschichte Kataloniens und Katalanisches Zivilrecht waren untersagt; genauso wie das Institut d’Estudis Catalans, das geschlossen wurde und das daraufhin seine Arbeit aus dem Untergrund weiterführte. Es wurden auch verschiedene Chorverbände verboten, wie z.B. die Federació de Cors de Clavé (Verband von über 200 Clavé-Chören; diese wurden 1850 von Josep Anselm Clavé i Camps gegründet, um der Arbeiterschicht einen Zugang zur Kultur zu ermöglichen) oder das Orfeó Català (bedeutendster Volkschor Kataloniens; führende Rolle in der Pflege der katalanischen Sprache und der musikalischen Entwicklung Kataloniens Anfang des 20. Jhd.). Im Jahr 1946 erlaubte man dem Orfeó Català wieder zu singen, aber nur, wenn sie auf Spanisch sangen. Ihr Konzertsaal, das Palau de la Música Catalana, wurde in Palacio de la Música unbenannt.

Generell wurden alle Namen „kastilisiert“: alle Straßen- und Ortsnamen wurden ins Spanische übersetzt oder ganz geändert (z.B. Gerona statt Girona, Lérida statt Lleida, San Quirico statt Sant Quirze, Avenida José Antonio Primo de Rivera statt Gran Via de les Corts Catalanes, Calle de la Nación statt Carrer La Internacional oder der exemplarische Wechsel von Carrer de la Democràcia in Calle del Movimiento Nacional). Darunter waren auch lächerliche Falsch-Übersetzungen und Adaptationen wie Fogás de Monclús (hieß eigentlich Fogars de Montclús; fogars wäre im Spanischen aber hogares/fogones), Pico de los Muy Felices („Gipfel der Sehr Glücklichen“; eigentlich Pic dels Tres Hereus, auf Spanisch wäre es ‘Pico de los Tres Herederos’ – “Gipfel der Drei Erben”; wahrscheinlich dachten die Franquisten es wäre Französisch und verwechselten es mit très heureux – ‘sehr glücklich’) oder Calle de los Ases („Straße der Asse“; aber eigentlich hieß die Straße Carrer dels Ases, was „Straße der Esel“ bedeutet; Ases – ‘Esel’ wäre auf Spanisch Asnos). Außerdem mussten alle Ladenschilder und Geschäftsnamen auf Spanisch sein, und im Melderegister durften nur spanische Namen eingetragen werden. Auch die Grabinschriften mussten auf Spanisch sein. Wer sich nicht daran hielt, musste mit Geldstrafen von zwischen 100 und 1.000 Peseten rechnen (bei einem Durchschnittslohn von ca. 360 Peseten/Monat). Ein weiteres Symbol der kulturellen Repression war, dass kurz nach dem Fall Barcelonas die Statue von Rafael Casanova entfernt und das Feiern der Diada strikt verboten wurde. In der Nacht nach der Entfernung der Statue füllten die Anwohner den Platz mit Blumen und stellten ein kleines Replikat der Statue auf, auf dem stand: „Ja creixeràs“ (Du wirst schon noch wachsen). Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass die Polizei den Platz am nächsten Tag räumte, alles entsorgte und von da an, den Platz bewachte. Anders als andere Statuen (es wurden unzählige Statuen und Monumente entfernt, so z.B. die von Pau Claris, Pi i Margall, Bartomeu Robert, Francesc Layret, Enric Prat de la Riba, etc.), wurde die Statue von Rafael Casanova jedoch nicht eingeschmolzen, sondern von irgendjemandem in einem Hinterzimmer eines kommunalen Lagerraums versteckt und eingemauert, sodass sie nach dem Ende der Diktatur per Zufall wiederentdeckt und wieder aufgestellt werden konnte.

Die Lebensmittelknappheit, der Hunger, die unmenschlichen Lebensbedingungen und die institutionalisierte Korruption schufen ein soziales Klima, das in jedem Moment explodieren konnte. Als dann Ende 1950 der Fahrpreis für die Straßenbahn — das Transportmittel der Arbeiterklasse — in Barcelona von 0,50 auf 0,70 Peseten erhöht wurde (eine Erhöhung von 40%), brachte es die angespannte Ruhe zum bersten. Bei einem Wochenlohn in der Textilindustrie von etwa 60 Peseten, und einer Zeit, wo ein Dutzend Eier allein 30 Peseten kosteten, verstand niemand diese Erhöhung; und erst recht nicht, dass die Preise in Madrid gerade auf 0,40 Peseten festgelegt worden waren. Warum musste man in Barcelona jetzt fast doppelt so viel bezahlen, um zum Arbeitsplatz zu kommen? Noch dazu für die verhasste Straßenbahn, die allein im Jahr 1950 21 Menschen getötet, und über 400 verletzt hatte? Der Widerstand kam von unten: überall in Barcelona erhielten die Menschen anonyme Zettel und Schmähschriften, in denen dazu aufgerufen wurde, die Straßenbahn zu boykottieren. Ein Satz war z.B. „La única solución: 0’40 o peatón“ (Die einzige Lösung: 0,40 oder wir gehen zu Fuß). Diese Zettel sollte jeder an vier Bekannte verteilen. Es begann der mythische Straßenbahn-Streik (Vaga de Tramvies), der zwar mit einem Boykott begann, aber sich später zum Generalstreik entwickelte. Im Februar 1951 kam es vermehrt zu spontanen Studentendemonstrationen in der Innenstadt und Steinwürfen gegen die Straßenbahnen in den Außenbezirken (über 3.000 kaputte Scheiben). Außerdem kam es zu einer Demo vor dem Rathaus, bei der sich die Menschen u.a. über den Gouverneur lustig machten. Ihm wurde eine außereheliche Beziehung zur Vedette Carmen de Lirio nachgesagt, und so hielten die Demonstranten in der einen Hand eine Flasche Agua del Carmen (Karmelitergeist) und in der anderen eine Lilie (Lirio). Es fehlten aber natürlich nicht die Polizeieinsätze, um die Demo wieder aufzulösen. Und am 1. März begann der vollständige Boykott: Die Bewohner der Stadt weigerten sich massiv, in die Straßenbahn einzusteigen und gingen stattdessen zu Fuß. Riesige Menschenströme durchquerten die Stadt, um zur Arbeit zu kommen. Zwischen dem 1. und 6. März benutzten nur 0,1 – 3% der üblichen Fahrgäste die Straßenbahn. Selbst das Bürgertum, katholische Arbeitervereine (z.B. die Hermandad Obrera de Acción Católica) und Teile der Falange beteiligten sich an dem Boykott. Kennzeichnend für die Boykott-Bewegung war auch der 4. März, als zehntausende Fußballfans bei strömendem Regen aus dem Stadion Camp de Les Corts kamen (Barça hatte 2:1 gegen Racing Santander gewonnen), und am Eingang die Straßenbahnen warteten. Aber niemand stieg ein. Diese Art des Protestes war völlig neu und in diesem Kontext auch besonders effektiv: man konnte die Leute ja nicht zwingen, mit der Straßenbahn zu fahren. Am 6. März wurde die Preiserhöhung wieder zurückgenommen und u.a. der Gouverneur von Barcelona entlassen. Zwei Tage später erreichten dann die Fahrgastzahlen wieder das Niveau von vor dem Boykott. Der am 12. März beginnende Generalstreik — getragen von der Euphorie der Vortage —  war ein voller Erfolg: zwischen 300.000 und 500.000 Arbeiter beteiligten sich daran, selbst Ladenbesitzer ließen ihre Geschäfte geschlossen. Besonders aktiv waren z.B. auch die hunderten Frauen der Jute-Fabrik El Cànem, die u.a. in die Metallfabrik Can Girona (MACOSA) eindrangen, einen Ingenieur ohrfeigten, der sie daran hindern wollte, und die dortigen Arbeiter unter Beschimpfungen wie „No teniu pebrots“ (Ihr habt keine Eier), „Gallinetes“ (Hühner), „Covards“ (Feiglinge) und „Esquirols“ (Streikbrecher) dazu brachten, sich dem Streik anzuschließen. Die zahlreichen Demonstrationen wurden aber immer nach wenigen Minuten von berittenen Polizisten niedergeschlagen. Teilweise wurde auch auf die Demonstranten geschossen: 3 – 5 Menschen sollen getötet und unzählige verletzt worden sein. Nach zwei Tagen endete der Streik, breitete sich aber schnell in andere Industriestädte wie Manresa, Mataró, Badalona und Terrassa — später auch im Baskenland und Navarra — aus. Für manche Historiker waren das die letzten Widerstände des Bürgerkriegs, für andere war der Streik der Beginn einer neuen Opposition. Vielleicht war’s beides.

Tatsache ist jedoch, dass Franco gezwungen war, etwas an der wirtschaftlichen Situation zu ändern, wenn er nicht wollte, dass sich die sozialen Spannungen endgültig entluden. Im Jahr 1957 wechselte er dann einige seiner Minister aus, und ersetzte sie durch die sogenannten Tecnócratas (Technokraten) des Opus Dei; gut ausgebildete, erzkatholische Ökonomen und Juristen, die zum einen die Wirtschaft öffneten, zum anderen aber auch den nationalkatholischen Charakter der Diktatur weiter zementierten. Durch den Opus Dei, der mit den Jahren immer mehr Ministerien erhielt und sich in allen Ebenen des Staates infiltrierte (noch heute, im Jahr 2019, sollen rund 30% der spanischen Richter/Staatsanwälte – in den hohen Instanzen ist der Anteil noch höher – dem Opus Dei angehören; 70% der staatlich subventionierten Privatschulen — Escuelas concertadas — gehören dem Opus), wurde der Einfluss der Katholischen Kirche immer stärker, während der Einfluss der Falange und des Militärs sukzessive abnahm. Im Jahr 1959 besuchte der US-amerikanische Präsident Eisenhower Spanien und die Technokraten beschlossen den „Stabilisierungsplan“ (Plan de Estabilización). Es beginnt der Zweite Franquismus.

Zweiter Franquismus

Zwar ging es Spanien wirtschaftlich immer besser – die ausländischen Investitionen stiegen rapide – aber es gab zu wenig Jobs, besonders in der Landwirtschaft.

Die Agrarpolitik der Diktatur war darauf ausgerichtet, dass viele Bäume angepflanzt werden, um Holz für die Industrie zu produzieren. Deshalb wurden nicht nur private Landbesitzer dazu gezwungen, ihr Land anders zu bewirtschaften, sondern auch kommunale Gemeinschaftsweiden und -wälder (montes y pastos comunales), etc. enteignet. Ziel war es, auf lange Sicht die Viehwirtschaft, die für die Technokraten nicht genug Gewinne erzielte und deshalb unnötig war, auszulöschen. Viele dieser Weiden und Berge wurden seit Jahrhunderten von den Bewohnern einer Gemeinde gemeinschaftlich genutzt (Ziegen/ Schafe, Holz- und Kohlegewinnung für den Eigenbedarf, Ernte von Wildfrüchten und angebautem Gemüse), und selbstverwaltet. Das war der Diktatur ein Dorn im Auge (für sie hatten diese Gemeinschaften „kommunistoide Züge“), weshalb sie einfach verstaatlicht wurden. Auf den Ländereien, die nun dem Staat gehörten, wurden viele neue Siedlungen gebaut, die sich ausschließlich einer vom Staat vordiktierten Art der Landwirtschaft widmeten (entweder intensive Holzwirtschaft oder Bewässerungslandwirtschaft; über 300 solcher Kolonien wurden gebaut). Den Menschen, die vorher das Land genutzt hatten, wurde die weitere Nutzung verboten. Unzähligen Landbewohnern wurde so die Lebensgrundlage entzogen. Hunderttausende mussten ihr Vieh verkaufen, weil sie es nicht mehr ernähren konnten, und verließen ihre Heimat. Auf der anderen Seite verdienten sich die Großgrundbesitzer in Kastilien und Andalusien dumm und dämlich, weil die franquistische Verwaltung ihnen Teile ihrer Ländereien — meist die unwirtschaftlichsten — zu horrenden Preisen abkaufte, um dort weitere Kolonien zu bauen.

So war die Gründung des Instituto Español de Emigración (Spanisches Auswanderungsinstitut) für Franco existentiell; es war sein wichtigstes Auslassventil. Zwischen 1960 und 1973 verließen über 2 Mio. Spanier das Land, um in Europa (vor allem Frankreich, Deutschland, Schweiz und Großbritannien) als Gastarbeiter zu arbeiten. Das Geld, das diese Auswanderer zurück nach Hause schickten (Remesas genannt; in dem Zeitraum ca. 6 Milliarden US-Dollar), kurbelten den Konsum an und verschaffte dem Staat Divisen. Hinzu kam der wachsende Tourismus: die Werbespots für billigen Strand-Urlaub am Mittelmeer und der Slogan „Spain is different“ müssen Eindruck geschindet haben, denn die Zahl der Touristen stieg von jährlich ca. 800.000 in den 1950er Jahren auf über 14 Mio. Besucher im Jahr 1965 und über 24 Mio. im Jahr 1970. Ohne die Divisen, die der Staat Dank der Auswanderer und Touristen erhielt, wäre er wohl bankrott gegangen.

Die 60er Jahre gelten als „Spanisches Wunder“ (Milagro Español): die Wirtschaft wuchs jedes Jahr um durchschnittlich 7% und plötzlich hatte sich Spanien vom Entwicklungsland zu einer der 10 stärksten Industrienationen entwickelt. Tatsächlich war es allerdings eine Zeit des weltweiten Aufschwungs (Nachkriegsboom), der in jedem Land seinen eigenen Namen erhielt (Wirtschaftswunder in Deutschland und Österreich, Miracolo economico italiano in Italien, etc.). Viele Nostalgiker sagen noch heute, dass das Franco zu verdanken war. Doch die Analyse sollte eine andere sein: das Wunder geschah trotz Franco. Das Pro-Kopf-Einkommen stieg rasant, von umgerechnet ca. 3.000 $/Jahr im Jahr 1960 auf ca. 6.500 $/Jahr im Jahr 1970 (Vergleich Deutschland: 1970 knapp 11.000 $/Jahr). Begleitet – und ermöglicht – wurde der Wirtschaftsboom von einer extremen Landflucht (Éxodo Rural): über 4 Mio. Spanier verließen ihre Heimatdörfer, um in den großen Städten nach Arbeit zu suchen. Die Provinz Barcelona verdoppelte bis 1970 ihre Einwohnerzahl von knapp 2 Mio. Einwohnern (1950) auf knapp 4 Mio.; 1981 waren es schon 4,6 Mio. Der Großteil der Einwanderer kam aus Andalusien, Extremadura und Murcia. Auch die Provinz Madrid gewann in den 30 Jahren über 2 Mio. Einwohner dazu, hauptsächlich aus den umliegenden kastilischen Provinzen. Allein die Provinz Soria verlor in der Zeit fast 40% der Bevölkerung. Allerdings hatte die spanischsprachige Einwanderung in Katalonien andere Folgen als im ohnehin schon spanischsprachigen Madrid, auf die ich später zurückkommen werde.

Die von Hunger, Geldnöten und vielen Entbehrungen gezeichnete Gesellschaft wandelte sich in wenigen Jahren zu einer westlichen Konsumgesellschaft. Das Statussymbol der neu entstandenen Mittelschicht war der Seat 600. Gab es 1946 in ganz Spanien nur 72.000 Privatautos, waren es 1966 schon über 1 Mio. Doch die Tatsache, dass die Auswanderer von ihren Erfahrungen im Ausland erzählten, von den Freiheiten, die sie dort genossen; und natürlich die Millionen von Touristen, die den Einheimischen jeden Sommer vor Augen führten, wie man im Rest Europas lebte, veränderten die Gesellschaft. Anfänglich griff die Guardia Civil noch ein, wenn sie händchenhaltende oder küssende Pärchen am Strand erwischte o.ä., doch spätestens in den 60ern ließ sie es einfach geschehen. Das hinterließ in der Gesellschaft, die zu einem puritanischen, erzkatholischen Leben gezwungen wurde und die durch die Pressezensur nur ein sehr verzerrtes Bild der Realität erhielt, einen bleibenden Eindruck.

Da konnte Franco noch so viele Flamenco-Tänzerinnen in die Gastarbeiter-Gemeinden in Europa schicken, um deren Heimatliebe aufrechtzuerhalten; es ging ein Riss durch die franquistische Gesellschaft. Am deutlichsten äußerte er sich an den Universitäten, wo die Nachkriegsgeneration — die Kinder von bekennenden Franquisten und Falangisten — anfing, für mehr politische Freiheiten zu demonstrieren. Aber auch junge Priester begannen vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65), in dem man sich für die Trennung von Staat und Kirche ausgesprochen hatte, die Rolle der Bischöfe und der Kirche im System zu kritisieren. Besonders in Katalonien und im Baskenland wurden viele Kirchengemeinden somit zu Zentren des versteckten Widerstands. In Katalonien kam hinzu, dass viele Priester, vor allem auf dem Land, weiterhin auf Katalanisch predigten, obwohl das eigentlich verboten war. Das festigte das Vertrauen zu ihnen, da sie sich ja auch auf gefährlichem Terrain bewegten. Von ca. 20.000 befragten Priestern, befürworteten 1967 ca. 80% die Trennung von Staat und Kirche. Infolge ihrer Unterstützung von Oppositionellen, saßen zwischen 1968 und 1973 etwa 100 Priester im Konkordatsgefängnis von Zamora.

Der Plan der Technokraten des Opus Dei war es, der Bevölkerung einen besseren materiellen Wohlstand zu verschaffen, um so die autoritäre Diktatur zu legitimieren. Besonders bei der neuen Mittelschicht schafften sie das: nicht selten hört man noch heute aus deren Kreisen, dass „man unter Franco besser gelebt hat“. Und wenn man das Leben der meisten Spanier in den 60ern betrachtet – der Großteil war apolitisch, hatte sich mit der Situation abgefunden und erfreute sich am einzigen, staatlich kontrollierten Fernsehsender und am Fußball/Stierkampf – dann kann das sogar stimmen. Ein normaler Arbeiter musste nur 4-5 Jahre arbeiten, um sich eine eigene Wohnung kaufen zu können. Heute muss er 30 Jahre lang eine Hypothek abbezahlen. Wer sich aus der Politik raus hielt — „denn Politik bringt nur schlechtes mit sich und hat uns in den Krieg geführt“ (einer der meistgehörten Sätze damals war „No te metas en política“ – Halt dich aus der Politik raus) — der hatte ein relativ ungestörtes Leben.

Doch wer mehr als das wollte, der lebte gefährlich. Zwar führte man einerseits ein Sozialsystem ein, zu dem immer mehr Menschen Zugang hatten, aber andererseits unterdrückte man immer noch die Opposition und stärkte sogar die Rolle der Ausnahmegerichte (Consejos de Guerra), die weiterhin für die Delikte der Rebellion, Terrorismus und Banditentum zuständig waren, zu denen z.B. Streiks, illegale Versammlungen und Sabotage zählten. Alles was die „nationale, spirituelle, politische oder soziale Einheit Spaniens gefährdete“ war eine Straftat. Im Jahr 1963 wurde das TOP gegründet (Tribunal de Orden Público/ Gericht der Öffentlichen Ordnung); vor allem, um die Weltöffentlichkeit zu beruhigen, die wegen des Militärprozesses und der Hinrichtung des Kommunisten Julián Grimau ziemlich aufgebracht war (Franco hatte über 800.000 Telegramme erhalten, die seine Begnadigung forderten). Fast 10.000 Menschen wurden vom TOP in ca. 4.000 Gerichtsverfahren verurteilt (von denen man weiß, weil die Akten einiger Jahre fehlen); darunter so absurde Strafen wie die von Timoteo Buendía (erster Fall des TOP), der zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er betrunken in einer Bar mehrmals „Ich scheiße auf Franco“ gesagt hatte, oder jahrelange Gefängnisstrafen für „illegale Propaganda“, „illegaler Vereinigung“, „Beleidigung der Regierungsform/des Staatschefs/der Minister“, etc. Die 10 führenden Mitglieder der verbotenen Gewerkschaft Comisiones Obreras (hatten sich in die Vertikale Gewerkschaft infiltriert) wurden z.B. zu 12 – 20 Jahren Gefängnis verurteilt (Proceso 1001).

Allerdings wurde 1966 ein neues Pressegesetz verabschiedet, das zwar die Pressefreiheit weiterhin einschränkte, aber immerhin die Vorzensur abschaffte. Die Zeitungsverlage mussten Kautionen hinterlegen, sich an die Gesetze des Movimiento Nacional halten und konnten bestraft und konfisziert werden, aber nun konnten sie gegen die Strafen Einspruch einlegen. Dieses Gesetz – noch weit von der Pressefreiheit entfernt – erlaubte es einigen Zeitungen endlich auch etwas kritischer mit dem Regime ins Gericht zu gehen (natürlich aber nur oberflächlich; so wurde z.B. die Zeitung Diario Madrid geschlossen, weil sie zu ausführlich über den Prager Frühling und den Pariser Mai berichtet hatte). Im Jahr 1969 ernannte Franco Juan Carlos de Borbón zum Prinzen Spaniens und zu seinem Nachfolger als Staatsoberhaupt. In seiner Rede schwor er Franco ewige Treue, bekannte sich zu den Prinzipien des Movimiento Nacional und seinen Gesetzen und erklärte, dass er seine Legitimität aus dem Militärputsch am 18. Juli 1936 bezieht. Ab dem Zeitpunkt übernimmt auch Carrero BlancoFrancos rechte Hand, bekennender Antisemit, Hauptgönner des Opus Dei, Bewunderer Hitlers und der festen Überzeugung, dass sich die Welt gegen Spanien verschworen hatte — die Regierungsarbeit, denn der Caudillo litt an Parkinson und zog sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück.

Die Opposition hatte sich wieder organisiert und wurde immer präsenter. Neben Gewerkschaftlern, Studenten und der traditionellen Linken, äußerte sie sich in Katalonien und dem Baskenland durch nationalistische/separatistische Vereinigungen.

So gründeten baskische Studenten und unzufriedene Mitglieder der Euzko Gaztedi Indarra (der Jugendorganisation der bürgerlichen baskisch-nationalistischen PNV-EAJ) im Jahr 1959 die marxistisch geprägte ETA (‘Euskadi Ta Askatasuna’ – Baskenland und Freiheit) und begingen im Jahr 1961 ihren ersten Sabotageakt (missglückter Versuch, einen Zug, in dem Veteranen der Falange saßen, entgleisen zu lassen). Ihre Arbeit beschränkte sich in den Anfangsjahren allerdings auf Kulturarbeit, Baskisch-Unterricht und vereinzelten Sabotageakten an der staatlichen Infrastruktur (vor allem auch das Aufhängen der Ikurriña, der baskischen Flagge, oder Graffitis mit dem Schriftzug „Gora Euskadi“ – Es lebe das Baskenland). 1968 wurde ein Guardia Civil bei einem Feuergefecht getötet, was ihn zum ersten Opfer der ETA machte. Der erste geplante Mord kam dann noch im selben Jahr. Das Opfer: Melitón Manzanas, Polizeiinspektor in Irún, bekannt als Torturador de Irún (Folterer von Irún), da er über 40 Menschen brutal gefoltert hatte (von 40 sind die Namen bekannt, die Liste ist länger). Außerdem nahm er die Schreie seiner Opfer auf, um sie später deren Frauen oder Schwestern vorzuspielen, wenn er nicht die Information erhalten hatte, die er suchte. Bereits ein Jahr später saßen über 2.000 Basken im Gefängnis, denen man vorwarf, Separatisten oder Mitglieder der ETA zu sein; mehr als 72% von ihnen wurden misshandelt oder gefoltert, „nur“ ca. 140 wurden später auch verurteilt. Da die Repression im Baskenland noch willkürlicher und brutaler wurde, stieg der Rückhalt der ETA innerhalb der baskischen Gesellschaft an (ETA war anfangs eben nur eine Widerstandsgruppe und verlor erst ab den 80ern ihre Legitimation) und auch ihre Aktivität nahmen zu.

In Barcelona fand 1959 ein Zeitungsboykott statt, der heute als Afer Galinsoga bezeichnet wird. Luis Martínez de Galinsoga – überzeugter Franquist und Anti-Katalanist – war seit 1939 der Direktor von La Vanguardia Española, der größten Zeitung Kataloniens (das „Española“ im Namen trug sie nur während der Diktatur). Wie alle Zeitungsdirektoren wurde auch er von Franco ernannt. Im Juni 1959 besuchte er die Messe in der Kirche Sant Ildefons in Barcelona und es traf ihn der Schlag: der Priester, der die gesamte Messe auf Latein gelesen hatte, hielt die Predigt auf Katalanisch. Galinsoga stand entrüstet auf, beschwerte sich lauthals in der Sakristei und verließ die Kirche mit einem lauten „Todos los catalanes son una mierda“ (Alle Katalanen sind Dreck/Scheiße). Daraufhin begann eine Gruppe junger Mitglieder der Cristians Catalans (katalanische Christen), mit Jordi Pujol i Soley an der Spitze, eine Boykott-Kampagne gegen La Vanguardia. Sie verteilten zusammen mit anderen Gruppen Flugblätter mit der Überschrift „Dignitat contra xuleria“ (Würde gegen Prahlerei) in der Stadt, in denen sie den Vorfall schilderten; und zerrissen öffentlich Zeitungen. Ein paar Wochen später wurden die Fenster des Zeitungsverlags eingeschlagen. Galinsoga versuchte zwar mit einem Leitartikel, in dem er sich als „Freund von Cambó“ bezeichnete, die Wogen zu glätten, erreichte aber nur das Gegenteil. Die Zeitung verlor in wenigen Wochen über 20.000 Abonnenten, wichtige Werbekunden sprangen ab und die Auflage sank um über 30.000 Exemplare. Das führte dazu, dass der Ministerrat von Franco die Bitten des Grafen von Godó (Carlos Godó Valls; Inhaber der Zeitung) erhörte, und Galinsoga durch den Falangisten – und ehemaligen baskischen Nationalisten – Manuel Aznar Zubigaray ersetzte (Großvater des späteren spanischen Präsidenten José María Aznar).

Im Mai 1960 kam es dann in Barcelona zu den „Ereignissen vom Palau de la Música“ (Fets del Palau de la Música): Zum 100. Geburtstag des katalanischen Dichters Joan Maragall gab das Orfeó Català im Palau de la Música ein Konzert, zu dem auch einige Minister Francos kamen. Das Schlusslied — der Cant de la Senyera — das von Maragall selbst als Hymne für das Orfeó geschrieben worden war, wurde aber wenige Stunden vorher verboten, weil es „zu katalanistisch“ war (z.B. der Refrain «Al damunt dels nostres cants, aixequem una senyera, que els farà més triomfants» – ‘Lasst uns die katalanische Flagge über unseren Gesängen erheben, denn sie wird sie erfolgreicher machen’). Kurz nach Beginn des Konzertes, erhoben sich Teile des Publikums und sangen den Cant de la Senyera, während Aktivisten der Cristians Catalans die von Jordi Pujol geschriebenen FlugblätterUs presentem el General Franco“ (Wir stellen euch den General Franco vor) von den Logen warfen. Am Ende stand dort: «[…] el Règim procura que tothom estigui enfangat, tothom compromès. L’home que aviat vindrà a Barcelona, a més d’UN OPRESSOR, ÉS UN CORRUPTOR.» ([…] Das Regime will, dass jeder beschmutzt ist, jeder darin verwickelt ist. Der Mann, der bald nach Barcelona kommt, ist ein Unterdrücker und noch dazu ein Korrumpator). Dutzende Teilnehmer wurden verhaftet; Jordi Pujol, der selbst nicht anwesend war, wurde verhaftet, von der Polizei gefoltert und wegen militärischer Rebellion zu 7 Jahren Haft verurteilt (genauso wie Francesc Pizón, der die Flugblätter gedruckt hatte). Diese Ereignisse gelten als Wiedergeburt des politischen Katalanismus.

Ein Jahr später, im Jahr 1961, wurde die Kulturorganisation Òmnium Cultural gegründet, die sich vor allem dem Erhalt der katalanischen Sprache und Kultur widmet. Sie erhielt sehr viel Zulauf, weshalb sie 1963 wieder verboten wurde. In den folgenden Jahren arbeitete man aus dem Untergrund weiter und schaffte es dann 1967 offiziell zugelassen zu werden. Am 11. September 1964 schaffte es das Comitè de l’Onze de Setembre (bestehend aus acht Personen) über 3.000 Menschen in Barcelona zu versammeln, um den Nationalfeiertag Kataloniens (Diada) zu feiern. Nach wenigen Minuten wurde die Veranstaltung von der Polizei jedoch wieder gewaltsam aufgelöst. Anfang März 1966 fand die sogenannte Caputxinada statt: über 450 Studenten und einige Intellektuelle schlossen sich drei Tage lang im Kapuzinerkloster von Sarrià (Barcelona) ein, um die Studenten-Gewerkschaft SDEUB (Sindicat Democràtic d’Estudiants de la Universitat de Barcelona) zu gründen. Sie wurden tagelang von der Polizei belagert, die dann am 3. Tag das Kloster stürmte und die Anwesenden verhaftete.

Als wenige Wochen später bekannt wurde, dass Joaquim Boix i Lluch – ein kommunistischer Student und Gewerkschaftsführer der SDEUB – seit Tagen im Polizeirevier an der Via Laietana (das berüchtigste Revier Barcelonas) festgehalten und gefoltert wurde, organisierten sich einige Priester, um dagegen zu demonstrieren. Sowas hatte es vorher noch nie gegeben: 130 Priester, mit ihreren Soutanen bekleidet, versammelten sich vor dem Polizeirevier, um dort ein Manifest abzugeben. Die Polizei antwortete mit brutalen Knüppelschlägen und Hetzjagden durch die Stadt. Am Ende wurden die Organisatoren – darunter Mossèn (Anrede für Priester) Josep Dalmau i Olivé, Mossèn Ricard Pedrals i Blanxart und der Kapuzinermönch Jordi Llimona i Barret – zu einem Jahr Gefängnis und Geldstrafen von 100.000 Peseten verurteilt (in einer Zeit, wo Ingenieure 6.000 Peseten/Monat und Arbeiter 3.000/Monat verdienten). Im Jahr 1967 beteiligte sich auch die neue — zwar illegale, aber trotzdem sehr präsente — Gewerkschaft Comisiones Obreras und der PSUC an der Diada, was zur Folge hatte, dass auch Tausende Arbeiter südspanischer Herkunft, die größtenteils dieser Gewerkschaft angehörten, an der Diada teilnahmen. Für den PSUC und Comisiones Obreras war der Arbeiterkampf und der Kampf um politische Freiheit untrennbar von den katalanistischen Forderungen nach Freiheit und Selbstbestimmung verbunden.

Die 60er waren zudem die Zeit der Nova Cançó Catalana, einer musikalischen Protestbewegung, die stark vom französischen Chanson inspiriert war. Als Grundstein der Bewegung gilt gemeinhin der Artikel „Ens calen cançons d’ara“ (Wir brauchen Lieder von Heute) von Lluís Serrahima, der 1959 in der Zeitschrift Germinàbit (vom Kloster Montserrat verlegt) erschien. Daraufhin versammelten sich Hobby-Musiker mit einem starken politischen Bewusstsein und fingen an, Lieder zu komponieren, EPs zu veröffentlichen und Konzerte zu geben. 1961 entstand die Gruppe Els Setze Jutges (Die sechzehn Richter; in Anlehnung an einen katalanischen Zungenbrecher), der u.a. Miquel Porter i Moix, Remei Margarit i Tayà, Josep Maria Espinàs i Massip, Francesc Pi de la Serra und Maria del Carme Girau angehörten. Später traten auch Joan Manuel Serrat, Lluís Llach, Maria del Mar Bonet und Rafael Subirachs ein. Die Diktatur ließ sie machen, denn anfänglich hatten sie nur ein sehr begrenztes Publikum, das hauptsächlich aus der katalanischen Bourgeoisie bestand. Doch spätestens mit der Ankunft des Valencianers Raimon und des Arbeiterkindes Joan Manuel Serrat änderte sich das, da diese auch von der Arbeiterklasse gefeiert wurden.

Die Diktatur hatte ihre Verbote gelockert, es wurde nicht mehr grundsätzlich alles zensiert, was auf Katalanisch war: Folklore war erlaubt, politische Themen nicht. Um ein Lied veröffentlichen zu können, musste man es erst bei der Zensurbehörde einreichen, die es dann erlaubte, veränderte oder verbot. Doch um ein Lied z.B. auf einem Konzet spielen zu dürfen, musste erst das Konzert von der Provinz-Verwaltung erlaubt werden, und jedes geplante Lied erneut die Zensur durchlaufen. So entstanden groteske Situationen, wo z.B. die Lieder zwar erlaubt, das Konzert aber verboten wurde, oder wo das Konzert zwar stattfinden durfte, aber nur zwei, drei Lieder gesungen werden durften. Es gab auch Lieder, die in einer Provinz gesungen werden durften und in einer anderen nicht. Genauso lief das mit dem Radio. Aber die Sänger schafften es immer wieder die Zensur zu umgehen; viele Lieder wurden landesweit und manchmal darüber hinaus bekannt. Manche Konzerte erreichten Zuschauerzahlen von über 4.000 Menschen. Das war zur damaligen Zeit ein Großereignis, zumal man nie wusste, ob nicht gleich die Polizei kommen würde. Im Jahr 1963 durften Raimon und Salomé mit dem katalanischen Lied “Se’n va anar” am jährlich in Barcelona stattfindenden Festival de la Canción Mediterránea teilnehmen (das im TV und Radio übertragen wurde). Der zuständige Minister Manuel Fraga sagte dazu: „Es macht nichts, wenn ein Lied auf Katalanisch ist“. Vielleicht doch, denn sie gewannen das Zuschauer-Voting und belegten den 1. Platz. Danach wurden katalanischsprachige Lieder beim Festival verboten. Im Jahr 1967 geschah dann etwas noch nie da gewesenes: ein katalanischsprachiges Lied — Cançó de Matinada von Joan Manuel Serrat — war auf Platz 1. der spanischen „Charts“. 1968 sollte Joan Manuel Serrat zudem Spanien beim Eurovision Song Contest vertreten. Jedoch auf Spanisch. Er stimmte zunächst zu, musste aber sehr viel Kritik von seinen Kollegen der Setze Jutges einstecken, die sich ja der Einsprachigkeit (also nur Katalanisch) verschrieben hatte; als Zeichen des Protestes gegen die Diktatur. Am Ende forderte Serrat, das Lied auf Katalanisch singen zu dürfen, oder wenigstens eine Strophe; aber das wurde verboten und man ersetzte ihn durch Massiel, die dann den ESC gewann. Beim folgenden ESC in Spanien war Österreich das einzige Land, das sich einer Teilnahme verweigerte.

Ab 1968 löst sich der Kern der Setze Jutges auf, weil sie ihr Ziel, neuen begabten und engagierten Liedermachern eine Bühne zu geben, erreicht hatten. Zu den erfolgreichsten Liedermachern dieser neuen Zeit zählen ohne Zweifel Lluís Llach, Maria del Mar Bonet, Raimon und Rafael Subirachs. Manche Lieder entwickelten sich zu wahren Protest-Hymnen, wie z.B. L’Estaca (1970) von Lluís Llach, in dem er die Diktatur als einen Pfahl umschreibt, den man zum Fallen bringen kann, wenn jeder mit anpackt («Si estirem tots, ella caurà, i molt de temps no pot durar; segur que tomba, tomba, tomba; ben corcada deu ser ja. Si jo l’estiro fort per aquí, i tu l’estires fort per allà, segur que tomba, tomba, tomba, i ens podrem alliberar» – ‘Wenn wir alle dran ziehen, wird er fallen, und lange wird er nicht halten; er wird fallen, fallen, fallen, denn er ist schon ganz morsch. Wenn ich hier stark ziehe, und du dort stark ziehst, dann fällt er bestimmt, dann fällt er, dann fällt er, und wir können uns befreien’). Dieses Lied wurde zunächst erlaubt, weil man der Meinung war, dass es sich gegen alle Ungerechtigkeiten der Welt richtete. Doch es wurde immer bekannter, sodass es später doch verboten wurde. Auf den Konzerten forderten die Menschen jedoch, dass das Lied gesungen wird, und so umging man die Zensur, indem man einfach die Melodie spielte und das Publikum den Text singen ließ. L’Estaca wurde zum internationalen Protest-Lied, dass in unzählige Sprachen übersetzt wurde (u.a. Okzitanisch, Baskisch, Französisch, Korsisch, Arabisch, Polnisch, Deutsch, Russisch, Spanisch, Griechisch). Ein anderes Lied ist Què volen aquesta gent (1968) von der Mallorquinerin Maria del Mar Bonet, das den Tod des Studenten Rafael Guijarro beschreibt, der bei einer polizeilichen Hausuntersuchung aus dem Fenster „fiel“ («Què volen aquesta gent que truquen de matinada? […] La mare ben poc en sap, de totes les esperances, del seu fill estudiant, que ben compromès n’estava. […] Dies fa que parla poc, i cada nit s’agitava, li venia un tremolor, tement un truc a trenc d’alba. […] Ara l’estudiant és mort, n’és mort d’un truc a trenc d’alba» – ‘Was wollen diese Leute, die bei Tagesanbruch an die Tür klopfen? […] Die Mutter weiß wenig von den ganzen Hoffnungen ihres studierenden Sohnes, der so engagiert war. […] Seit Tagen sprach er wenig und jede Nacht war er aufgeregt, er zitterte, weil er ein morgendliches Klopfen befürchtete. […] Jetzt ist der Student tot, tot aufgrund eines Klopfens im Morgengrauen). Sie selbst wurde öfter verhaftet, und das Lied – zunächst erlaubt – wurde nach dem großen Erfolg wieder verboten und durfte weder auf Konzerten noch im Radio gespielt werden.

Auch das franquistische Lager fing an, sich zu spalten, ohne dass das jedoch irgendwelche unmittelbaren Folgen gehabt hätte. Einige waren der Meinung, man müsse das Land etwas modernisieren und der Bevölkerung mehr Mitspracherechte einräumen; aber immer innerhalb der schon vorhandenen Strukturen des Movimiento Nacional. Sie nennt man „Aperturistas“ (Verfechter eine Öffnung). Diesen standen die „Inmovilistas“ (Unbewegliche) bzw. der Búnker gegenüber, dem Franco, Carrero Blanco und eigentlich der Großteil des Movimiento Nacional angehörten. Auf den Straßen fingen rechtsradikale Gruppierungen wie die Guerrilleros de Cristo Rey oder Fuerza Nueva an, Studenten, Linke und Gewerkschaftler anzugreifen. Denn der Widerstand gegen die Diktatur wurde spürbar stärker: überall demonstrierten Studenten, was zur Folge hatte, dass immer wieder Universitäten zeitweise geschlossen gehalten wurden und der Ausnahmezustand ausgerufen wurde (1969 wurde er erstmals in ganz Spanien ausgerufen, vorher immer nur in einzelnen Provinzen, vor allem im Baskenland).

Die letzten Jahre des Franquismus (1969 – 1975) werden auch Tardofranquismo (Spät-Franquismus) bezeichnet und waren von einer wachsenden Opposition auf der einen Seite, und einer verstärkten Repression auf der anderen Seite, geprägt. Allein 1970 gab es über 1.500 Streiks, und tausende Festnahmen; bei der Eröffnungsfeier der Pelota-Weltmeisterschaft in Donostia/San Sebastián – bei der Franco anwesend war – zündete sich der baskische Nationalist Joseba Elosegi Odriozola selbst an, warf sich vor Franco und rief dabei „Gora Euskadi askatuta!“ (Es lebe das freie Baskenland). Er überlebte nur knapp und wurde zu 7 Jahren Haft verurteilt. Alle Demonstrationen wurden gewaltsam niedergeknüppelt (8 Arbeiter starben) und die Regierung war der Meinung, dass man exemplarische Strafen anwenden müsste, um den Widerstand wieder in den Griff zu bekommen:

Ende 1970 wurde deshalb entschieden, 16 Basken – darunter drei Frauen und zwei Priester – denen man u.a. Mitgliedschaft in der ETA und den Mord am Polizeiinspektor Manzanas vorwarf, vor das Kriegsgericht in Burgos zu stellen. Die Staatsanwaltschaft forderte sechs Todesstrafen und insgesamt über 700 Jahre Haft. In ihrem Bestreben, ein Exempel zu statuieren, ließ die Franco-Regierung ausführlich über den Prozess von Burgos berichten. Doch das hatte zur Folge, dass sich Teile der Bevölkerung — besonders im Baskenland und Katalonien, aber auch im Rest Spaniens — mit den Angeklagten solidarisierten und die Opposition noch mehr Aufwind bekam. Zwar wurde versucht, den Prozess hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, aber schließlich musste man dem Druck, nicht zuletzt des Vatikans, nachgeben, sodass auch ausländische Journalisten kamen, und den Fall im Ausland bekannt machten. Im Baskenland beteiligten sich über 200.000 Menschen an den Generalstreiks;  überall in Spanien gab es Demonstrationen, die ETA entführte zwischenzeitlich den deutschen Honorarkonsul Eugen Beihl, um die Todesstrafe zu verhindern (23 Tage später ließen sie ihn wieder frei, weil von deutscher Seite versichert wurde, dass das Kriegsgericht Milde walten lassen würde) und in Katalonien schlossen sich ca. 300 Intellektuelle — darunter Joan Miró, Antoni Tàpies, Joan Manuel Serrat, Raimon, und andere Schriftsteller, Künstler, Gewerkschaftler und Aktivisten aus dem Umfeld des PSUC — im Kloster von Montserrat ein (Tancada d’Intel·lectuals a Montserrat), um gegen das Regime und die Todesstrafe zu protestieren, und sich mit dem baskischen Volk und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu solidarisieren. Auch im Ausland kam es zu großen Solidaritätsbekundungen: in Frankreich, Deutschland, Schweiz, etc. versammelten sich tausende vor den spanischen Botschaften, mehrere Botschaften wurden angegriffen und die internationale Presse verwandelte den „Basken-Prozess“ in einen Prozess gegen die Diktatur. Nicht zuletzt Dank der Aussagen der Angeklagten, die endlich in einem öffentlichen Prozess über die Folter und Repression berichten konnten. Auch, dass sie „Gora Euskadi askatuta“ gerufen hatten und daraufhin gewaltsam abgeführt wurden, während sie gemeinsam unter Schlägen die Eusko Gudariak sangen, fand überall in der Welt Gehör. Die Eusko Gudariak war die antifaschistische Hymne der baskischen Armee (Eusko Gudarostea) während des Bürgerkriegs: «Eusko gudariak gera, Euskadi askatzeko, gerturik daukagu odola, bere aldez emateko. Irrintzi bat entzun da, mendi tontorrean. Goazen gudari danok Ikurriñan atzean. Faxistak datoz eta Euskadira sartzen. Goazen gudari danok gure aberria zaintzen!» – ‘Wir sind die baskischen Soldaten, für die Freiheit des Baskenlands sind wir bereit, unser Blut zu geben. Es ertönt ein Irrintzitraditioneller baskischer Ruf — von den Berggipfeln. Los, Soldaten, versammeln wir uns hinter der baskischen Flagge. Die Faschisten kommen und wollen ins Baskenland einfallen. Lasst uns alle aufbrechen, Soldaten, um unsere Heimat zu retten!’). Heute ist die Eusko Gudariak vor allem die inoffizielle Hymne der linken Unabhängigkeitsbewegung (z.B. hier beim Parteitag von EH Bildu, oder hier bei Amaiur; die Rufe im Hintergrund sind die Irrintziak). Über den Gerichtsprozess an sich muss man nicht viel sagen, er war eine einzige Farce; Zeugen und Gutachten wurden nicht zugelassen, den Anwälten wurde die Verteidigung unmöglich gemacht und die einzigen „Beweise“ waren Polizeiberichte und Aussagen, die unter Folter gemacht wurden. Das einzige, was man beweisen konnte, war, dass sie ETA-Mitglieder waren; und das auch nur, weil sie sich offen dazu bekannten. Um seine Stärke zu zeigen, ließ der Movimiento Nacional am 17. Dezember seine Anhänger aufmarschieren: ca. 200.000 Franco-Anhänger (die Staatsmedien sprachen von 500.000) versammelten sich in Madrid, um für Franco und gegen die ETA und die „Einmischung ausländischer Mächte“ zu demonstrieren. Am Ende gingen die „Richter“ (allesamt Militärs) sogar noch weiter als die Staatsanwaltschaft und verkündeten am 28. Dezember 1970 das Urteil: es gab 9 Todesstrafen (für 3 Angeklagte gleich zwei) und insgesamt über 500 Jahre Haft für 15 der Angeklagten (zwischen 12 und 70 Jahren pro Person). Das führte dazu, dass sich die Proteste wieder intensivierten, trotz des Ausnahmezustands. Selbst in Australien und den USA kam es zu Demonstrationen. Nachdem viele Länder, darunter Frankreich, die BRD, Irland, Großbritannien, Italien und Chile, aber auch der Papst selbst, Druck auf Franco ausübten, ließ er die zum Tode verurteilten Angeklagten begnadigen. Sie mussten jetzt „nur“ 30 Jahre ins Gefängnis. Alles deutete darauf hin, dass die Diktatur sich dem Ende neigte; Franco war mittlerweile fast 80 Jahre alt, schwer an Parkinson erkrankt und ließ sich kaum mehr blicken; und die Opposition schöpfte aus den Ereignissen und dem neuen Rückhalt in Europa mehr Kraft. Doch es sollten noch ein paar lange Jahre vergehen.

Nach den Ereignissen der Caputxinada, war in Barcelona im Jahr 1966 die Taula Rodona (Runder Tisch) gegründet worden; die erste einheitliche und übergreifende Plattform der antifranquistischen Opposition überhaupt, der u.a. die linken Separatisten des FNC (Front Nacional de Catalunya), die Sozialisten des MSC (Moviment Socialista de Catalunya), die Christdemokraten der UDC (Unió Democràtica de Catalunya), die Links-Nationalisten von ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) und erstmalig die Kommunisten des PSUC (Partit Socialista Unificat de Catalunya), die damals wichtigste Oppostionspartei, angehörten. Ihre Versammlungen waren geheim und fanden größtenteils in den Privatwohnungen oder Büros der Mitglieder statt. Ihr wichtigster Erfolg war die Gründung der Comissió Coordinadora de Forces Polítiques de Catalunya (CCFPC; ab 1975 Consell de Forces Polítiques de Catalunya) im Jahr 1969; einer Art Komitee, das die verschiedenen politischen Kräfte Kataloniens koordinieren und zusammenbringen sollte. Denn Dank der CCFPC wurde 1971 die Assemblea de Catalunya (Versammlung Kataloniens) gegründet: die erste parteiübergreifende, antifranquistische Plattform in ganz Spanien, die nicht nur die verschiedenen antifranquistischen Parteien — u.a. UDC, FNC, PSAN (linksradikale Separatisten), ERC, Partit Carlí de Catalunya, PSUC, MSC und ab 1975 auch die neugegründete CDC (Convergència Democràtica de Catalunya; liberal, aber mit vielen Parteiflügeln) von Jordi Pujol — sondern auch die Gewerkschaften (Comisiones Obreras, UGT), laizistische Christen-Verbände, Berufskammern, Anwaltsverbände, Vertreter der Studentenbewegung, Kulturzentren, Wandervereinigungen (Excursionistes) und Nachbarschaftsvereine zusammenbrachte. Auch progressistische Priester und viele Intellektuelle schlossen sich der Assemblea an. In ihrem Gründungsdokument erscheinen die vier grundlegenden Forderungen:

  • Bürgerrechte und politische Freiheit
  • Amnestie für die politischen Gefangenen der Diktatur
  • Koordination und Solidarität mit allen Völkern Spaniens
  • Wiedereinführung des Autonomiestatuts von 1932, als erster Schritt in Richtung einer zukünftigen Selbstbestimmung

Diese Forderungen spiegelten sich vor allem im Motto «Llibertat, Amnistia, Estatut d’Autonomia» wieder, das bei all ihren Veranstaltungen ertönte. Die Assemblea war nicht nur wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stärkung der Opposition aufgrund der Bündelung, sondern auch, weil dadurch den wenigen bewaffneten Befreiungs- und Widerstandsgruppen in Katalonien (z.B. Front d’Alliberament de Catalunya, Exèrcit Popular Català) der soziale Rückhalt entzogen werden konnte. Außerdem war sie wie eine Demokratie-Schule für ihre Anhänger, die zu großen Teilen unter 30 Jahre alt waren. Diese jungen Menschen kannten zwar nur die Diktatur, hatten aber weder den Bürgerkrieg noch die grausame Nachkriegszeit bewusst miterlebt, weshalb sie weniger von der lähmenden Angst betroffen waren als die älteren Generationen. Tatsächlich kann man sagen, dass die Assemblea de Catalunya die verspätete katalanische Ausprägung der 68er-Bewegung war, die im Refrain von Raimons Lied „Diguem No“ (Wir sagen Nein) ihren Leitgedanken fand: «No, jo dic no, diguem no. Nosaltres no som d’eixe món» (Nein, ich sage nein, wir sagen nein. Wir gehören nicht zu jener Welt). 1973 erlitt die Assemblea einen schweren Schlag, als 113 Führungsmitglieder bei einer Versammlung in der Kirche Santa Maria Mitjancera verhaftet wurden (Detenció/Caiguda dels 113 genannt). Im Jahr darauf wurden weitere 67 Führungsmitglieder verhaftet. Daraufhin kam es zu mehr oder weniger großen Demonstrationen, die die Freiheit der Inhaftierten forderten (durchschnittlich 15.000 Demonstranten). Allesamt wurden gewaltsam niedergeschlagen. Allerdings schaffte man es, sich relativ schnell wieder neu zu organisieren.

Ende 1973 starb Carrero Blanco, der kurz zuvor von Franco zum Regierungspräsidenten ernannt worden war: die ETA versteckte eine Bombe unter dem Asphalt, die explodierte, als sein Auto darüber fuhr. Das Auto flog über ein fünfstöckiges Gebäude und landete dann auf einer Terrasse im 2. Stock. Damit war die Person, die den Franquismus über den Tod von Franco hinaus garantieren sollte, tot und der Franquismus verfiel in eine schwere Krise. Auch wenn das für viele Oppositionelle eine Erleichterung war (man weiß, dass viele mit Sekt anstießen, weil der Tyrann weg war) — da sie hofften, dass sich dadurch die Reformisten innerhalb des Movimiento Nacional durchsetzen könnten — hatte das Attentat schlimme Folgen für einen konkreten politischen Gefangen: der 25-jährige katalanische Anarchist Salvador Puig i Antich, Mitglied des MIL (Movimiento Ibérico de Liberación), wurde wenige Tage später von einem Militärgericht wegen des Todes eines Polizisten zum Tode verurteilt (obwohl die Indizien nicht bewiesen, dass der tödliche Schuss aus seiner Waffe kam und wichtige Entlastungsbeweise einfach unterschlagen wurden). Es war ein klarer Fall von politischer Rache. Trotz internationaler Proteste, Anrufe des Papstes, etc, wurde er im März 1974 hingerichtet. Damit war er die letzte Person, die in Spanien durch die Garrote Vil getötet wurde. In den Zeitungen erschien sein Foto zusammen mit einem anderen Häftling, dem DDR-Flüchtling Georg Michael Welzel, der auch an dem Tag wegen der Tötung eines Guardia Civil und versuchten Mordes an einem anderen Guardia Civil hingerichtet worden war. Damit wollte man der Hinrichtung von Puig Antich die politische Dimension nehmen und ihn als gewöhnlichen Kriminellen hinstellen. Auch die Art der Hinrichtung, die grausame Garrote Vil – bei der der Tod meist erst nach über 20 Minuten eintrat (so auch bei Puig Antich und Welzel) – diente dazu: Denn nur „gewöhnliche Kriminelle“ (presos comunes) und Anarchisten wurden so umgebracht. Für die politischen Gefangenen benutzte normalerweise die Erschießung (fusilamiento). 1975 wurden zwar noch fünf weitere Personen (2 ETA-Mitglieder und 3 FRAP-Mitglieder) hingerichtet; diese wurden aber von einem Erschießungskommando erschossen.

Franco ernannte Arias Navarro zum neuen Regierungschef, der ein ähnlicher Hardliner war wie Carrero Blanco. Allerdings erhielten zwei Reformisten ein Ministerium, u.a. das Informationsministerium, was zur Folge hatte, dass die Pressezensur etwas aufgeweicht wurde. Arias Navarro kündigte eine gewisse Öffnung an; so sollten z.B. von den 100 Kongressmitgliedern nun 35 vom Volk gewählt werden (nur männliche Familienoberhäupter und verheiratete/verwitwete Frauen waren wahlberechtigt) und nicht nur wie bisher 17. Einige Militärchefs traten daraufhin aus Protest zurück. Doch das Regime wackelte, nicht zuletzt weil zeitgleich die befreundeten Diktaturen in Griechenland und Portugal (die längste Europas, von 1926 bis 1974) gestürzt wurden. Nur ein halbes Jahr nach dem Regierungswechsel wurden die Reformpläne wieder verworfen: in Madrid hatte es ein Bombenattentat gegeben, bei dem 12 Menschen getötet und 71 verletzt worden waren; fast alle waren Zivilisten. Zwar hat die ETA sich nie zu dem Attentat bekannt (was eigenartig ist, da sie sich immer zu ihren Attentaten bekannte hat), aber es gilt als sicher, dass sie es waren, auch wenn es wohl nicht so geplant war. Die Bombe befand sich in einem Café, das hauptsächlich von Polizisten besucht wurde. Doch die Polizisten hatte bereits Tage vorher den Befehl erhalten, den Ort zu meiden. Dies scheint die Theorie mancher Ex-Mitglieder der ETA zu bestätigen, dass es sich um einen Plan des infiltrierten spanischen Geheimagenten Mikel Lejarza Egia handelte, um die ETA zu schwächen. Denn ab diesem Zeitpunkt verlor sie viele Sympathien, die sie in manchen Kreisen gehabt hatte, obwohl man nicht immer mit ihren Methoden einverstanden war. Und im Endeffekt nützte das Attentat dem rechtsextremen Flügel (Búnker) des Movimiento Nacional, der jetzt Gründe hatte, um eine Öffnung der Diktatur zu verhindern („ohne Diktatur bricht das Chaos aus“) und die Repression gegen die Opposition weiter zu verschärfen.

Im Juli 1974, knapp drei Jahre nachdem die Assemblea de Catalunya gegründet worden war, entstand die erste spanienweite oppositionelle Plattform, die Junta Democrática. Allerdings gehörten ihr nur die kommunistischen und sozialistischen Kräfte an (u.a. die Carlisten vom Partido Carlista – hat nichts mehr mit den Carlisten der Comunión Tradicionalista gemeinsam – der PTE, Comisiones Obreras und einige Monarchisten; angeführt vom PCE). Der PSOE wollte nicht teilnehmen, weil die Junta Democrática einen absoluten Bruch mit dem Regime und ein Referendum über die Staatsform forderte, und der PSOE eher reformistisch eingestellt war und daher auch die Monarchie akzeptieren würde. Der PSOE gründete im Juni 1975 seine eigene Plattform, die Plataforma de Convergencia Democrática. Ihr gehörten auch die Christdemokraten, die baskischen Nationalisten vom PNV-EAJ, Sozialdemokraten, die UGT und einige Ex-Falangisten an.

Parallel kam es in Spanien aber zur bisher größten Mobilisierung der Zivilbevölkerung: die Ölpreiskrise von 1973 hatte in Spanien eine Wirtschaftskrise verursacht, die Inflation war gestiegen (ca. 17%), die Arbeitslosenquote stieg auf über 5% der aktiven Bevölkerung (offizielle Zahlen, wahrscheinlich war sie höher). Das und die zahlreichen Finanz- und Korruptionsskandale führten zu tausenden Streiks, Demonstrationen, etc. Zwar hatte die ETA 1974/75 über 30 Menschen getötet und die linksradikale FRAP 3 (fast ausschließlich Polizisten der Guardia Civil), aber die Hinrichtung ihrer Mitglieder empörte immer mehr Menschen. Außerdem verschlechterte sich die Beziehung zwischen Regime und Kirche immer mehr; nicht nur der Papst hatte die Hinrichtungen verurteilt, sondern auch im eigenen Land wendeten sich immer mehr Bischöfe vom  Regime ab. Um erneut seine Stärke – nach innen und nach außen – zu demonstrieren, organisierte das Regime am 1. Oktober 1975 eine riesige Demonstration in Madrid: zwischen 700.000 und 1 Mio. Menschen lauschten dem Diskurs von Franco, der von einer freimaurerischen-kommunistischen Verschwörung gegen Spanien sprach, und jubeltem ihm zu.

Es sollte sein letzter öffentlicher Auftritt sein. In den folgenden Wochen erlitt er vier Herzinfarkte, wurde mehrmals wegen eines Magengeschwürs operiert, hing an der Dialyse und erkrankte dann in Folge der Operationen an einer Bauchfellentzündung , die schließlich zu multiplem Organversagen führte. Am 19. November wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen abgeschaltet und im Morgengrauen des 20. Novembers stellten die Ärzte dann seinen Tod fest. Wahrscheinlich starb er kurz vor Mitternacht, aber man wollte, dass sein Todestag mit dem von José Antonio Primo de Rivera zusammenfällt. Um 10 Uhr des 20. Novembers gab Arias Navarro die berühmte Fernsehansprache, die er mit den — von vielen lang ersehnten und von anderen gefürchteten — Worten «Españoles, Franco ha muerto» (Spanier, Franco ist gestorben) begann. Es wurde eine 30-tägige Staatstrauer ausgerufen, vor dem Sarg formierten sich kilometerlange Menschenschlangen, die ihrem Führer die letzte Ehre erweisen wollten. Über 500.000 sollen es gewesen sein. Begraben wurde er dann, wie schon vorher erwähnt, im Valle de los Caídos, direkt neben José Antonio Primo de Rivera. Heute ist seine Grabstätte immer noch ein Pilgerort für Alt-Franquisten und Neo-Faschisten.

Die Transición: Der Übergang zur Demokratie

Zwei Tage später, am 22. November 1975, wurde Juan Carlos I. de Borbón dann zum König Spaniens ernannt. Nachdem er Gott, den Evangelien und den Prinzipien des Movimiento Nacional die Treue geschworen hatte, und der Interimspräsident Rodríguez de Valcárcel ihn mit einem lauten „in traurigem Gedenken an Franco, Es lebe der König! Es lebe Spanien!zum König ernannt hatte, hielt Juan Carlos I. noch seine Antrittsrede, in der er mit Tränen in den Augen Franco als Meilenstein in der Geschichte lobte, etc. Er behielt Arias Navarro als Regierungschef bei, besetzte aber viele Ministerposten mit franquistischen Reformisten wie Manuel Fraga Iribarne, Areiltza, Garrigues und „reformistischen“ Kirchen- und Falange-Mitglieder (z.B. Osorio und Adolfo Suárez). Der Plan war, die Weiterführung des Franquismus durch eine „Demokratie spanischer Art“ (Democracia a la española) zu garantieren. Man wollte das Aussehen des Regimes verändern, aber die bisherigen Machtstrukturen beibehalten und schützen. Als das deutlich wurde, organisierte die Junta Democrática Demonstrationen, bei denen sie „Freiheit und Amnestie“ forderten (anders als in Katalonien wurde im Rest Spaniens nie die Selbstverwaltung gefordert). Alle wurden brutal von der Polizei aufgelöst. Mehrere Menschen wurden von der Polizei bei Generalstreiks erschossen.

Einer der schrecklichsten Momente der Repression war der 3. März 1976 in Vitoria-Gasteiz (Álava/Baskenland): etwa 4.000 streikende Arbeiter hielten in einer Kirche eine Versammlung ab. Die Polizei warf Tränengas in die Kirche und schoss dann auf die rauslaufenden Menschen. 5 junge Männer wurden getötet (17-32 Jahre alt), über 150 Menschen wurden verletzt; es gab 60 Schwerstverletzte und 43 erlitten Schussverletzungen. Aufsehenerregend waren auch die Mitschnitte des Polizeifunks (natürlich erst vor kurzem veröffentlicht), mit Sätzen wie «Hier sind viele Menschen. Was machen wir? – Macht sie fertig!», «Wir haben schon über 2.000 Schüsse abgegeben, und ihr?», «Vielen Dank! Gute Arbeit» oder «Sag Salinas, dass wir zur größten Tracht Prügel der Geschichte beigetragen haben. Das hier war ein Massaker». Im gesamten Baskenland und Navarra wurde daraufhin ein Generalstreik ausgerufen. In Basauri (Baskenland) wurde ein weiterer Demonstrant erschossen und in Tarragona starb ein Student, weil er vom Dach fiel, während er vor der Polizei floh. In diesem Zusammenhang prägt der damals zuständige Minister Manuel Fraga den Satz „La calle es mía“ (Die Straße gehört mir).

Trotz allem wurde deutlich, dass die demokratische Opposition nicht groß genug war, um das Regime auf diese Art zu stürzen. Deshalb beschlossen die Junta Democrática und die Plataforma de Convergencia Democrática ihre Kräfte zu bündeln, und gründeten noch Ende März 1976 die gemeinsame Coordinadora Democrática, die auch kurz Platajunta genannt wurde. Zwei Monate später kam es zu den „Ereignissen von Montejurra“. Der Montejurra ist ein Berg in Navarra, der von den Carlisten als Wallfahrtsort genutzt wird, um den im Bürgerkrieg gefallenen Requetés zu gedenken. Der Carlismus selbst, der Franco zwar zum Sieg verholfen hatte, aber immer stärker von diesem ignoriert worden war (besonders als er Juan Carlos als Thronfolger festlegte), war gespalten: ein Teil gehörte dem Búnker an und wollte den traditionalistischen Sixto de Borbón Parma als König (Comunión Tradicionalista), der andere – zahlenmäßig größere – Teil hatte sich zum selbstverwalteten Sozialismus (Arbeiterselbstverwaltung) und Föderalismus entwickelt, und wollte den älteren Bruder von Sixto, Carlos Hugo Borbón Parma zum König (Partido Carlista). Aufgrund dieser Zerwürfnisse war der Rückhalt der Carlisten aber stark gesunken: pilgerten in den 60er Jahren noch 100.000 Menschen zum Montejurra, waren es in den 70ern nur noch höchstens 10.000. Um dem sozialistischen Wandel des Carlismus entgegenzuwirken, entwickelte der spanische Geheimdienst mit der Zustimmung von Fraga und Arias Navarro die „Operación Reconquista“. Teil des Plans war u.a., die Mitglieder des Partido Carlista, der sich der antifranquistischen Platajunta angeschlossen hatte, auf dem Montejurra anzugreifen. Die Pilger wurden von dutzenden rechtsextremen Traditionalisten, ca. 20 argentinischen und italienischen Neo-Faschisten (standen in Verbindung mit der Operation Gladio/Stay-Behind, die von der CIA und der NATO geleitet wurde) und Mitgliedern des Todesschwadrons Guerrilleros de Cristo Rey attackiert; erst mit Steinen und Schlagstöcken, später mit Pistolen und einem Maschinengewehr. Zwei Mitglieder des Partido Carlista wurden getötet, dutzende wurden verletzt. Die Guardia Civil, die das Areal „bewachte“, griff nicht ein.

Aufgrund dieses Chaos entließ der König, der sich jetzt öffentlich dem Übergang zur Demokratie verschrieben hatte (nur so konnte er König bleiben), Arias Navarro und ernannte am 3. Juli 1976 Adolfo Suárez zum neuen Regierungspräsidenten. Suárez hatte den Vorteil, dass er Falangist (reformista azul, blauer Reformist, in Anspielung auf die blaue Uniform der Falange) und bei der Bevölkerung relativ unbekannt war, und dass er zudem ein gutes Verhältnis zum Fernsehen (er war u.a. Direktor vom einzigen Fernsehsender TVE) und zum König hatte. Vom Búnker und den Reformisten wurde er gut angenommen – schließlich war auch Mitglied des Opus Dei – doch in der Opposition stieß seine Ernennung auf sehr viel Kritik und Unverständnis. Der Konflikt, der jetzt aufkam, war wie man zur Demokratie kommen sollte. Die Franquisten, Reformisten und Teile der – immer noch illegalen – Opposition (PSOE, PNV, UGT) waren für die Reforma pactada (verhandelte Reform), was einen nahtlosen Übergang von der franquistischen Gesetzgebung in eine demokratische Gesetzgebung — und somit den sozialen und wirtschaftlichen Frieden — garantieren sollte («de la ley a la ley a través de la ley» – ‘vom Gesetz zum Gesetz durch das Gesetz’). Der andere Teil der Opposition (PCE/PSUC, und vor allem große Teile der Bevölkerung in Katalonien und dem Baskenland) war für einen radikalen Bruch (Ruptura); mit einer neuen provisorischen Regierung, die sofort alle Parteien und Gewerkschaften legalisieren, die politischen Gefangenen freilassen, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit garantieren und einen verfassungsgebenden Prozess beginnen sollte.

Die ganze Diskussion fand in einem sehr angespannten Klima statt: immer wieder traten Generäle zurück, die nicht mit der Reform einverstanden waren, linksradikale und rechtsextreme Gruppen verübten immer wieder Attentate und niemand wusste, ob das Militär nicht bald putschen würde (das bekannte ‘Säbelrasseln’ – Ruido de Sables). Doch bereits am 14. Juli 1976 schaffte es Suárez, dass ein neues Strafgesetz vom franquistischen Parlament angenommen wurde, das alle Parteien entkriminalisierte; damit waren sie zwar noch nicht legalisiert, aber zumindest war ihre Existenz nicht mehr strafbar. Naja, alle bis auf die Kommunisten (PCE/PSUC) und alle Parteien links von ihnen (und die Parteien, die sich als „republikanisch“ bezeichneten); denn das war die Bedingung für die Zustimmung der Franquisten. Suárez, anfänglich viel kritisiert, erreichte durch sein charismatisches Auftreten im Fernsehen eine große Popularität. Die Hoffnung bei der Bevölkerung war groß, dass er den Übergang zur Demokratie schaffen würde, ohne, dass es wieder zum Bürgerkrieg kommt. Außerdem gewährte man am 30. Juli 1976 denjenigen eine Begnadigung, die wegen politischer Gründe im Gefängnis saßen (nur die, die wegen Meinungsdelikten und politischer Aktivität in Haft waren). Etwa 600 politische Gefangene wurden aus der Haft entlassen, ca. 200 wurden die Haftstrafen verkürzt.

Doch es wurde mehr als deutlich, dass man sich in Madrid und Barcelona die Zukunft unterschiedlich vorstellte. Am 1. und 8. Februar 1976 war es in Barcelona zu den bis dahin größten politischen Demonstrationen während der Diktatur gekommen. Die Assemblea rief die Menschen dazu auf, für die Freiheit und Amnestie auf die Straße zu gehen. Der “Verband der Nachbarschaftsvereine” (Federació d’Associacions de Veïns) beantragte beim Gouverneur die Genehmigung (da die Assemblea ja illegal war), doch die Demonstration wurde verboten. Trotzdem fand sie statt. Am 1. Februar gingen ca. 30.000 Menschen durch die Straßen, mit Senyeres (der katalanischen Flagge) und Plakaten. Immer wieder wurden sie von der Polizei, die vollkommen überfordert war, angegriffen. Eine genaue Zahl von Verletzten kennt man nicht, da fast niemand danach ins Krankenhaus ging, um dort nicht verhaftet zu werden. Aber das Bild von Polizisten, die u.a. auf einen wehrlosen Mann (der Pazifist Lluís Maria Xirinacs) einschlugen, ging um die Welt (in Spanien selbst wurde es erst zwei Monate später veröffentlicht). Am Sonntag drauf, am 8. Februar, waren zwischen 50.000 und 70.000 Menschen auf der Straße, die allerdings immer nur in kleineren Gruppen (mehrere Hundert Menschen) unterwegs waren, weil größere Gruppen sofort aufgelöst wurden. Statt 2.000 Polizisten waren es nun 8.000, die die Leute durch die Straßen jagten. Am Ende kam es sogar zu Straßenkämpfen, bei denen die Demonstranten die Polizisten mit Steinen bewarfen. Diese Ereignisse waren es – zusammen mit anderen Gründen (Ereignisse in Vitoria, Montejurra, Druck aus dem Ausland) – die Suárez und den König dazu veranlassten im Juli 1976 die Begnadigung für die etwa 600 politischen Häftlinge auszusprechen.

Anfang Juli desselben Jahres organisierten Pax Christi – eine katholische Organisation der Friedensbewegung (1945 entstanden, um Franzosen und Deutsche zu versöhnen) – und die Assemblea den Marxa de la Llibertat (Freiheitsmarsch) unter dem Motto „Poble català, posa’t a caminar“ (Katalanisches Volk, mach dich auf den Weg). Sechs Kolonnen von Marxaires (Wanderern) sollten in verschiedenen Orten Kataloniens starten, durch jedes Dorf der Route gehen und dort die wichtigsten Forderungen der Assemblea (Freiheit, Amnestie und Autonomiestatut) bekannt machen. Denn obwohl die Assemblea in Barcelona und den großen Städten Kataloniens sehr gut organisiert war, war sie in vielen ländlichen Gemeinden noch relativ unbekannt. Zielort des Marsches – wo alle Kolonnen am 11. September zusammentreffen sollten – war das Kloster von Poblet (Tarragona), wo 13 Könige der Krone Aragoniens und Grafen Barcelonas beerdigt sind. Es gab auch eine Kolonne, die im Süden Valencias startete, doch die Teilnahme war eher gering (vor allem wegen des „català“ im Motto). Auch in Nordkatalonien (Frankreich) gab es zwei Kolonnen.

Doch bereits in den ersten zwei Tagen des Marsches wurden über 150 Personen verhaftet. Der Regierungsminister Manuel Fraga hatte den Marsch verboten und angeordnet, ihn zu unterbinden. Dementsprechend hart ging die Polizei gegen die Teilnehmer vor; insgesamt wurden Bußgelder in Höhe von 6 Mio. Peseten verhängt und über 300 Personen verhaftet. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Musikfestival Sis hores de Cançó in Canet de Mar, das zwar schon seit 1971 jährlich stattfand (mit ca. 2.000 Besuchern), aber in diesem Jahr vollkommen überquoll. Bereits 1975, noch vor Francos Tod, kamen schon 30.000 Besucher zum Festival, das gleichzeitig zum Forum für politische Forderungen wurde. So umging z.B. der Sänger Rafael Subirachs die Zensur, indem er einfach die traditionelle Version der katalanischen Nationalhymne sang. Im Jahr 1976 gab es zwar Boykott-Versuche von Seiten der Polizei (u.a. sabotierten sie Stromleitungen), doch da die Marxaires dort empfangen werden sollten, war das den Besuchern egal: 60.000 Menschen feierten und übten sich in zivilem Ungehorsam.

Am Kloster von Poblet kamen nur wenige (ca. 100) der tausenden Teilnehmer an, weil die Polizei das Kloster bewachte und ein großer Teil der Teilnehmer in Montblanc festsaß (ca. 10km vor Poblet), wo die Polizei auf sie einschlug und am weitergehen hinderte. Viele von den 123 Verhafteten wurden auf der Polizeiwache gefoltert und mitten in der Nacht, barfuß und blutüberströmt, in den Bergen ausgesetzt. Trotz allem war der Marsch jedoch ein Riesenerfolg, denn in jedem Dorf, in jeder Kleinstadt, versammelten sich unzählige Menschen, um den Marxaires zuzuhören und den antifranquistischen Kampf — in vielen Dörfer nahezu inexistent — zu ihrem zu machen.


In diesem Zusammenhang möchte ich den Pazifisten, Priester und Philosophen Lluís Maria Xirinacs i Damians vorstellen. Er war eines der bekanntesten Gesichter des antifranquistischen Kampfes in Katalonien, der sich zudem dem gewaltfreien Widerstand Gandhis verschrieben hatte. Anfangs wurde er wegen seiner Hungerstreiks bekannt, u.a. auch einem 9-tägigen Hunger- und Durststreik, der ihn fast das Leben kostete. Weil er die Studenten-Gewerkschaft SDEUB unterstützt und bei der Caputxinada dabei gewesen war, wurde er 1966 nach Sant Jaume de Frontanyà, dem kleinsten Dorf Kataloniens (damals ca. 30 Einwohner), zwangsversetzt. Zwischen 1960 und 1970 machte er sechs Hungerstreiks, um gegen die Verbindung von Staat und Kirche zu demonstrieren, und weigerte sich – als erster Priester in ganz Spanien – das staatliche Priester-Gehalt zu beziehen. Wegen seiner antifranquistischen Propaganda wurde er mehrfach verhaftet und vors TOP gebracht; doch er weigerte sich auf Spanisch auszusagen. 1970 beteiligte er sich an der Tancada d’Intel·lectuals im Kloster von Montserrat, um gegen den Burgos-Prozess zu demonstrieren und trat erneut in einen Hungerstreik. Er war einer der Gründungsmitglieder der Assemblea und war einer der 113 festgenommenen Führungsmitglieder. Im Gefängnis trat er dann erneut in den Hungerstreik, dieses Mal 42 Tage lang. Drei Jahre lang saß er im Gefängnis, weil er regimekritische Propaganda verbreitet, Geldstrafen nicht bezahlt und immer nur auf Katalanisch geantwortet hatte. Kurz vor Francos Tod wurde er dann freigelassen und begann im Dezember 1975 eine Standwache vor dem Gefängnis La Model in Barcelona, um die Amnestie zu fordern: jeden Tag von 9 – 21 Uhr stand er vor dem Gefängnis, 1 Jahr und 9 Monate lang; bis im Oktober 1977 das Amnestie-Gesetz verabschiedet wurde. Außerdem beteiligte er sich an der Planung der Marxa de la Llibertat. In diesem Kontext entstand dann auch das Foto oben, als er von der Polizei verprügelt wurde. 1975, 1976 und 1977 wurde er für den Friedensnobelpreis nominiert, erhielt den Preis aber nie. Als er 1977 zum Senator gewählt wurde (meistgewählter unabhängiger Kandidat ganz Spaniens), musste er seine Standwache vor dem Gefängnis zeitweise unterbrechen, und stand stattdessen im Senat; während alle saßen, stand er dort durchgehend und forderte schweigend die Amnestie, die drei Monate später kam. Nach diesem kurzen Ausflug in die Politik – den er in seinem  Buch La traïció dels líders (Der Verrat der Anführer) verarbeitete – widmete er sich ab den 80er Jahren zusammen mit Agustí Chalaux i de Subirà der Entwicklung eines neuen Sozial- und Wirtschaftssystems, das den traditionellen Kapitalismus und Kommunismus ersetzen sollte (universelles Grundeinkommen, telematisches Geld, um Korruption zu verhindern, etc.). Mit 65 Jahren beendete er seine Promotion in Philosophie; mit Auszeichnung. Ab dem Jahr 2000 kehrte er dann in die Öffentlichkeit zurück, und forderte mit Standwachen und Hungerstreiks die Unabhängigkeit der katalanischsprachigen Länder. Doch er – und alles wofür er gekämpft hatte – war unter die Räder der Transición gekommen. 2002 hielt er eine öffentliche Rede, bei der er sich – obwohl er sein Leben dem gewaltfreien Widerstand gewidmete hatte – als Freund der ETA und Feind des Staates bezeichnete. Dafür zitierte er Gandhi, der gesagt hatte, dass der Gewaltlose in einem Konflikt immer auf der Seite des Unterdrückten sein müsse, selbst wenn sich der Unterdrückte der Gewalt bedient. ETA sei im Krieg, und tötet. Aber sie zögen niemandem die Fingernägel raus. Er hätte im Gefängnis neben ETA-Mitgliedern gesessen, denen die Polizei die Fingernägel ausgerissen hatte. ETA töte zwar, foltere aber nicht. Wenn die ETA eine Bombe legte, sagte sie vorher immer Bescheid, damit die Zivilisten evakuiert werden konnten. Für diesen Diskurs wurde er in den Medien zerrissen und zwei Jahre später sogar von der Audiencia Nacional (direkter Nachfolger des franquistischen TOP; 10 der 16 Richter des TOP wurden Richter der Audiencia Nacional) zu zwei Jahren Gefängnis und vier Jahren Berufsverbot wegen Terrorismus-Verherrlichung verurteilt. Obwohl er nicht zum Gerichtstermin erschien und weiterhin sein normales Leben weiterführte, wurde er aber nicht verhaftet. Erst 2005 verhaftete ihn die Polizei – ein Jahr nach der Urteilsverkündung – als er seinen Personalausweis erneuern wollte. Allerdings wurde er ein paar Tage später wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustands wieder freigelassen. Seinen letzten Akt der Souveränität beging er dann am 6. August 2007, seinem 75. Geburtstag: Er ließ sich zu seinem Lieblingsort in den katalanischen Pyrenäen bringen (bei Ogassa, Ripollès), und starb nach einem Sterbefasten einen selbstbestimmten Freitod. In seinem Testament schrieb er: „Ich habe 75 Jahre lang als Sklave in den katalanischen Ländern (Països Catalans) gelebt, die seit Jahrhunderten von Spanien, Frankreich und Italien besetzt werden. […] Freunde, akzeptiert diesen glorreichen Schluss meiner Schlacht, um ihn der Feigheit unserer Anführer entgegenzusetzen. Heute wird meine Nation in mir vollständig unabhängig. Sie verlieren einen Sklaven, und meine Nation wird ein bisschen freier, denn ich bin in euch, meine Freunde“. Zu seiner Beerdigung kamen ca. 3.000 Menschen; Ende der 70er wären es wohl hunderttausende gewesen.


Am 11. September 1976 fand die erste legale Diada seit 1938 statt. Nach langen Verhandlungen hatte Suárez erlaubt, dass sie stattfinden darf; allerdings nicht wie geplant in Barcelona, sondern in Sant Boi de Llobregat (wie die Stadt seit wenigen Tagen wieder offiziell hieß; während der Diktatur hieß sie San Baudilio). 100.000 Menschen füllten die Straßen mit Senyeres, Estelades (Unabhängigkeitsflaggen) und Flaggen der spanischen Republik (La Tricolor). An dem Tag gab es zwei Sätze vom Vertreter der Assemblea, Jordi Carbonell, die in die kollektive Erinnerung übergegangen sind: «Sou molt més catalans vosaltres, que parleu una altra llengua, però que davant la negativa de l’Ajuntament de Barcelona […] us heu rebel·lat als barris, heu pres el problema com a propi. Molt més catalans que no pas els regidors botiflers de cognoms catalaníssims […]» (Ihr [die Einwanderer] seid sehr viel katalanischer, denn, obwohl ihr eine andere Sprache sprecht, habt ihr nach der Verweigerung des Stadtrates von Barcelona [den Katalanisch-Unterricht finanziell zu fördern] in den Außenbezirken rebelliert; ihr habt das Problem zu eurem gemacht. Ihr seid sehr viel katalanischer als die verräterischen Stadträte mit super katalanischen Nachnamen). Und: «Que la prudència no ens faci traïdors» (Dass uns die Vorsicht nicht zu Verrätern werden lässt), in Bezug darauf, dass man jetzt nur die Wiederherstellung des Autonomiestatuts von 1932 forderte und nicht das Selbstbestimmungsrecht der Völker, um die rechtsextremen und militärischen Kreise nicht noch stärker zu beunruhigen. Aber auch, dass man trotz all der Vorsicht nicht vergisst, worum es geht. Denn Teile der Opposition waren schon dabei, die Vergangenheit einfach „zu vergessen“, um so schnell wie möglich zu einer — wenn auch unvollständigen — Demokratie zu kommen; d.h. so schnell wie möglich an die Macht zu kommen. Hier sieht man wieder den Pactisme: das vorübergehende Herunterschrauben der eigenen Ambitionen (Autonomiestatut statt Selbstbestimmungsrecht der Völker), um nicht den gesamten Demokratisierungsprozess zu gefährden; ohne allerdings das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren.


El Congrés de Cultura Catalana

Das Plakat des Kongresses, von Joan Miró erstellt

Parallel zu den Aktivitäten der Assemblea de Catalunya, veröffentlichte die Anwaltskammer von Barcelona (Il·lustre Col·legi d’Advocats de Barcelona) im Jahr 1975 ein Manifest, in dem sie die Schulinspekteure dazu aufforderte, das neue Dekret, das es erlaubte, Katalanisch innerhalb des normalen Lehrplans zu unterrichten, umzusetzen; außerdem rief man zu einem Kongress zur Verteidigung der katalanischen Kultur auf. Innerhalb von sehr kurzer Zeit hatten sich bereits 15.000 Unterstützer und über 1.500 Vereine gemeldet. Schließlich wurde dann Ende 1975 eine permanente Kommission eingerichtet, der u.a. 85 Vereinigungen und Organisationen aus allen katalanischsprachigen Ländern angehörten (z.B. die Ingenieur-, Ärzte- und Architektenkammern Barcelonas, Universitäten, Fakultäten, das Orfeó Català, das Institut d’Estudis Catalans, Òmnium Cultural, Nachbarschaft- und Wandervereine, etc.), und jeweils ein Ehren-Vizepräsident für jede Region der katalanischsprachigen Länder: für Katalonien Joan Miró i Ferrà (weltbekannter Maler), für Valencia Joan Fuster i Ortells (Schriftsteller), für die Balearen der Menorquiner Francesc de Borja Moll i Casasnovas (Sprachwissenschaftler/ Autor), für Andorra Joan Martí i Alanis (Bischof und Kofürst von Andorra) und für Nordkatalonien Pere Ponsich i Rondes (Historiker und Archäologe). Ziel des Kongresses war, die kulturelle Situation – im weitesten Sinne des Wortes – der Països Catalans von 1936-1975 zu dokumentieren, die Probleme zu entdecken, Lösungen herauszuarbeiten und zu veröffentlichen. Es ging darum, sich jetzt, wo sich die Diktatur endlich dem Ende neigte, ein neues Land vorzustellen (Imaginar un país).

Hauptziel war dabei vor allem die „sprachliche Normalisierung“, d.h. die jahrzehntelange Marginalisierung des Katalanischen rückgängig zu machen und das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Katalanen, Valencianern, Nordkatalanen, Andorranern und Balearern zu fördern. Deshalb wurde der Kongress auch nicht nur in Barcelona, sondern auch in València, Perpinyà, Palma de Mallorca und Andorra la Vella vorgestellt. Es gab aber auch Delegationen, die den Kongress im Baskenland, Madrid und Paris vorstellten. Über 12.400 Menschen nahmen an dem Kongress teil, darunter vor allem Wissenschaftler und Experten, aber eben auch viele neugierige Bürger. Die Komission bestimmte 25 Teilbereiche der katalanischen Kultur (u.a. Sprache, Bildungssystem, Forschung, Geschichte, Wirtschaft, territoriale Gliederung, Umweltschutz, Gesundheitswesen, Tourismus, Gesellschaft, Kino, Musik, Folklore, Künste, Institutionen, etc.), in denen jeder mitarbeiten konnte, der etwas beizutragen hatte. Die Ergebnisse der Arbeit in jedem Bereich wurden dann im Laufe des Jahres 1977 in verschiedenen Städten entlang des katalanischen Sprachgebiets vorgestellt (z.B. Anthropologie und Folklore in Perpinyà, Gesundheitswesen in Terrassa, Tourismus in Lloret de Mar, Literaturproduktion in Palma, Wirtschaft in València, etc.) und am Ende in drei Büchern veröffentlicht. Bei jeder Vorstellung organisierte man zudem Konzerte, Diskussionsrunden, Feste, etc., um auch die lokale Bevölkerung zu integrieren. Besonders hilfreich war dabei die Assemblea, die durch die jahrelange Arbeit viel Mobilisierungspotential hatte.

Außerdem organisierte man verschiedene Kampagnen, um die Bevölkerung für bestimmte Themen zu sensibilisieren. Dazu gehörte z.B. die Kampagne Ús oficial del català (Katalanisch als offizielle Amtssprache), die über 400.000 Unterschriften erhielt. Der Schlussakt der Kampagne fand während des Aplec del Puig (einem alljährlichen Festakt der Valencianisten) in El Puig (València) statt, mit mehr als 8.000 Besuchern. Für die Kampagne Salvaguardar el Patrimoni Natural (das Naturerbe bewahren) wurden drei Dokumentarfilme gedreht und über 300 Veranstaltungen in 50 Orten abgehalten. Die Kampagne Identificació del Territori (Landeskunde) war anfänglich dazu gedacht, den apolitischen Menschen wieder bewusst zu machen, dass sie in einer kulturell katalanischen Region leben, und dass es Landkreise (Comarques) gibt bzw. geben sollte (wurden von Franco abgeschafft), die auf historischen, sozialen und kulturellen Gemeinsamkeiten basieren. Doch die Kampagne veränderte sich und man begann unter dem Motto El català al carrer (Das Katalanische auf der Straße), die spanischen Straßennamen mit den katalanischen zu überkleben, Ladenbesitzer, etc. dazu zu überreden, auch mit den Kunden auf Katalanisch zu sprechen und verschiedene Stadträte dazu aufzufordern, die Namen im Melderegister wieder auf Katalanisch einzutragen. Aber die wohl erfolgreichste Kampagne war die zur Wiederbelebung des Folklores. Der Schlussakt fand am 12. Juni 1977 auf dem Passeig de Gràcia in Barcelona statt und bestand aus einem massiven Sardana-Tanz: 40.000 Menschen füllten die Prachtstraße der katalanischen Hauptstadt und tanzten die Sardana. Es gab einen Moment, wo Madrid sogar mit einsteigen wollte und man bot den Organisatoren 10 Mio. Peseten an, um an der Organisation teilhaben zu können. Doch um unabhängig zu bleiben, lehnte man das Angebot ab und konzentrierte sich auf die Spenden aus der Zivilbevölkerung (u.a. bezahlte jeder der 12.400 Kongressteilnehmer einen Beitrag). Erstaunlicherweise arbeiteten auch viele Stadt- und Gemeinderäte mit (die ja immer noch nicht demokratisch gewählt worden waren), stellten Räume zur Verfügung, erlaubten Versammlungen etc.

Zu den Forderungen, die 1977 formuliert wurden, gehörten u.a. die Einführung des Katalanischen als Amts- und Unterrichtssprache in allen katalanischen Ländern; die Gründung eines Sprachbüros innerhalb der zukünftigen Regionalregierungen, das sich um die Normalisierung der Sprachsituation kümmert; die sofortige Wiedereinführung der Selbstverwaltung (Autogovern); die Abschaffung der Provinzen und Diputaciones (Provinzverwaltungen), um mit einer neuen territorialen Ordnung (Comarques und Vegueries) die territorialen Ungleichgewichte einzudämmen; ein staatliches, dezentralisiertes Schul- und Gesundheitswesen, das allen Menschen zugänglich ist; die Dezentralisierung der Forschung und die Investition von mindestens 2% des BIP in die Forschung (bis dahin investierte Spanien nur höchstens 0,3%). Wichtig waren auch die Ergebnisse im Bereich Wirtschaft und Finanzierung: es wurde – mal wieder – festgestellt, dass der Staat während der Diktatur viel zu wenig in Katalonien investiert hatte. Zwischen 60% und 78% der Steuern, die man an Madrid bezahlte, kamen nicht zurück (Beispiel 1956 in der Provinz Barcelona: 5,5 Mrd. an Steuereinnahmen, die direkt nach Madrid gingen, und nur 1,7 Mrd. die wieder in der Provinz investiert wurden). Der Congrés de Cultura Catalana schaffte es große Teile der Zivilbevölkerung – vor allem auch der Arbeiterbewegung – zu mobilisieren: noch heute erzählen die Teilnehmer voller Freude von der Hoffnung und dem Tatendrang dieser zwei Jahre. Die Idee der Països Catalans war nie lebendiger als damals, denn mit der neuen Verfassung wurde die Föderation zwischen Autonomen Gemeinschaften strickt untersagt (einzige Ausnahme: das Baskenland und Navarra, denen zugesprochen wurde, sich in einer einzigen Autonomen Gemeinschaft zu vereinen, was aber bis heute nicht in Anspruch genommen wurde). Dank der Arbeit des Kongresses wurden die Weichen für viele spätere Entwicklungen gelegt, und viele Forderungen und Vorschläge wurden von der zukünftigen Generalitat umgesetzt; z.B. Katalanisch als Amtssprache und Hauptunterrichtssprache; das Katalanische überall in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen; die Gründung des Sprachbüros der Generalitat und später des Consorci per la Normalització Lingüística; der Ausbau des Gesundheitswesens auf Grundlage der Pläne des Kongresses; die Gründung eines eigenen Statistik-Instituts (IDESCAT) und des Kartographie-Instituts (Institut Cartogràfic i Geològic de Catalunya), etc.


Ende 1976 stellte Adolfo Suárez sein ‘Gesetz zur politischen Reform’ (Ley para la Reforma Política) vor. Dieses sollte das letzte der franquistischen Grundgesetze (leyes fundamentales) sein, die franquistischen Institutionen auflösen und Neuwahlen im Jahr 1977 anberaumen. Alles fand – natürlich – unter Ausschluss der noch illegalen demokratischen Opposition statt. Erstaunlicherweise wurde das Gesetz von 80% des Ständeparlaments angenommen, was auch Harakiri/Selbstmord des franquistischen Ständeparlaments genannt wird. Warum? Währenddessen und noch in den nächsten Jahrzehnten wurde der Mythos verbreitet, dass die franquistischen Abgeordneten sich selbst opferten, um Spanien den Weg zur Demokratie zu ebnen. Es ist eben das, ein Mythos. Tatsächlich hatte Suárez alle Hände voll zu tun, damit die Abstimmung zu seinem Gunsten ausfiel: er wechselte kritische Abgeordnete durch treue junge Abgeordnete aus, versprach anderen Abgeordneten einen Sitz im späteren Senat, verabschiedete mit der Alianza Popular (rechter Flügel der reformistischen Franquisten unter Manuel Fraga, später wurde aus ihr die heutige PP) das neue Wahlgesetz (das den konservativen, ländlichen Gebieten mehr Gewicht verleiht) und ließ andere mit Berichten des Geheimdienstes (SECED) erpressen. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, was er der franquistischen Elite alles für Versprechungen und Garantien geben musste, damit sie dem Vorhaben zustimmten. Klar ist, dass er die Machtstrukturen unberührt lassen musste/wollte. Nicht umsonst hatte Franco noch vor seinem Tod gesagt: «Está todo atado y bien atado» (Es ist alles unter Dach und Fach; alles würde – trotz Reform – gleich bleiben).

Fakt ist, dass die franquistischen Abgeordneten am 18. November 1976 der Reform zustimmten. Am 20. November – an Francos Todestag – versammelten sich zwischen 150.000 und 300.000 Franquisten in Madrid, um gegen die Reform zu protestieren. Ein Motto war «Franco, resucita, España te necesita» (Franco, erstehe wieder auf, Spanien braucht dich). Suárez ließ sich aber nicht beirren, und am 15. Dezember 1976 ließ er das Volk über das Gesetz abstimmen. Zwar rief die demokratische Opposition dazu auf, sich zu enthalten, weil die demokratischen Garantien nicht gegeben waren (die Parteien waren immer noch illegal, sie durften nicht im Fernsehen auftreten oder offizielle Kampagnen machen; die Meinungs- und Pressefreiheit war immer noch nicht gewährleistet, etc.), aber sie hatte mit ihrem Aufruf nur wenig Erfolg. Wenn man die Bevölkerung nach 40 Jahren Diktatur fragt „wollt ihr Demokratie?“, dann gibt es nur eine Antwort: 94% stimmten für das Gesetz, bei einer Wahlbeteiligung von ca. 78%. In den baskischen Provinzen Gipuzkoa und Bizkaia lag die Wahlbeteiligung aber z.B. nur bei 45% bzw. 54%. Es war kein demokratisches Referendum, aber es war besser als nichts. Und diejenigen, die sich enthielten, weil sie einen Bruch und keine Reform wollten, hofften trotzdem, dass das „Ja“ gewinnt. Denn, was wäre die Alternative? Weitere 40 Jahre Diktatur? Allerdings hatte das Referendum eine kleine, nicht ganz unwichtige Falle: Da die Monarchie durch einen Militärputsch wiedereingeführt worden war, hätte man die Menschen auch nach der gewollten Staatsform fragen müssen. Doch Suárez hatte bereits mehrere geheime Umfragen durchführen lassen und die sagten voraus, dass die Anhänger einer Republik klar gewinnen würden. Somit entschied er, nicht danach zu fragen und die Monarchie einfach ins Gesetz rein zu schreiben, in der Hoffnung, dass die Leute es nicht mitbekommen (lange Zeit war das die Vermutung vieler Republikaner, aber 2016 wurde ein bis dahin unveröffentlichtes Interview mit Suárez aus dem Jahr 1995 ausgestrahlt, in dem er es zugab). Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes und dem Ergebnis des Referendums wurde automatisch bestimmt, dass Spanien eine Monarchie bleibt .

Ende Januar 1977 kam es zum “Blutbad von Atocha” (Matanza de Atocha), bei dem drei bewaffnete Rechtsextremisten der Fuerza Nueva ein Anwaltsbüro in Madrid-Atocha stürmten und auf die neun anwesenden Arbeitsrechtler (Mitglieder der Comisiones Obreras) schossen: 5 wurden getötet, 4 erlitten schwere Schussverletzungen. Schon in den Tagen davor hatten rechtsextreme Gruppen zwei Linke erschossen. Über 100.000 Menschen nahmen an der Beerdigung teil, die gleichzeitig zum größten linken Protest der Diktatur wurde. Ab Februar 1977 begann Suárez dann die Oppositionsparteien zu legalisieren, und im April dann endlich auch den PCE und den PSUC. Grund hierfür war, dass sie nach der Ermordung der Anwälte die „Ruhe bewahrt hatten“ und Suárez hatten überzeugen können, dass sie die Transición nicht gefährden würden. Bedingung für die Legalisierung des PCE war, dass sie die „verhandelte Reform“ der Diktatur, den König und die bourbonische Flagge als Nationalflagge Spaniens akzeptierten. Die Parteien, die an den republikanischen Werten festhielten, wurden erst nach den Wahlen legalisiert (z.B. Acción Republicana, Izquierda Republicana, PTE oder ERC). Viele Anhänger des PCE empfanden diese Zugeständnisse als Verrat, nicht nur an der Republik, sondern an allen, die in den letzten Jahrzehnten gegen die Diktatur gekämpft hatten. Der PCE — allen voran Santiago Carrillo, der während der gesamten Diktatur im Exil gelebt hatte und nun die Führung einer Partei übernahm, die wenig mit seinem Exil-PCE zu tun hatte — schürte so auch die Angst vor einem Militärputsch und mahnte zur Vorsicht, damit es nicht zu einem Bürgerkrieg kommt. Es ist schwierig, in diesem Zusammenhang nicht wieder an die Worte von Carbonell zu denken: Dass uns die Vorsicht nicht zu Verrätern macht.

Das Militär war unruhig. Der Marine-Minister Gabriel Pita da Veiga trat aus Protest wegen der Legalisierung des PCE zurück und kein hoher Offizier war bereit, ihn zu ersetzen. Dass Suárez im Mai 1977 – kurz von den Neuwahlen – ein neues Amnestie-Gesetz verabschiedete, dank dem auch viele vermeintliche, mutmaßliche und tatsächliche ETA-Mitglieder wieder freigelassen wurden, half nicht gerade, um das Militär und die rechten Kreise zu beruhigen. In den 2 Jahren nach Francos Tod hatten rechtsextreme Todesschwadrone, die vom Geheimdienst und der Polizei unterstützt wurden, über 60 linke Aktivisten und Unbeteiligte ermordet (vor allem im Baskenland). Auch die ETA, und besonders die neugegründete GRAPO, von der man bis heute nicht genau weiß, ob sie einfach „nur“ extrem linksradikal war oder doch von rechtsradikalen Kräften unterwandert wurde (sie beging immer dann Attentate, wenn es für die linken Kräfte sehr ungünstig war und einige der Anführer sind heute Philo-Franquisten), hatten in der Zeit etwa 40 Menschen getötet (hauptsächlich Polizisten/Militärs und franquistische Politiker). Was war der Unterschied? ETA-Mitglieder wurden – egal ob nun an einem Attentat beteiligt oder nicht – verhaftet, misshandelt, gefoltert und verurteilt; rechte Terroristen hatten absolut nichts zu befürchten, da sie die Polizei, die Geheimdienste und die Politik hinter sich hatten.

Am 15. Juni 1977 fanden dann endlich die Parlamentswahlen statt; es waren die ersten freien Wahlen seit 1936. Frei, weil die meisten Oppositionsparteien legalisiert wurden, das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer galt und man keine Zweifel an der Richtigkeit der veröffentlichten Ergebnisse haben braucht. Aber kursiv geschrieben, weil viele republikanische Parteien und der Partido Carlista immer noch nicht zugelassen worden waren, der König immer noch ein Fünftel der Senatoren selbst ernannte und das neugegründete Wahlbündnis UCD (Unión de Centro Democrático) von Adolfo Suárez das Monopol für die Wahlpropaganda in den staatlichen Medien hatte. Außerdem konnten zehntausende Menschen wegen Organisationsfehlern nicht wählen. Ziel der UCD, die selbsternannte Sozialdemokraten, Liberale, Konservative und Franquisten in sich vereinte, war die Popularität und den Einfluss von Suárez zu nutzen, und sie schaffte es. Sie wurde erste Kraft, allerdings gewann sie nicht so haushoch, wie man es sich gewünscht hatte. Die UCD erhielt 34,4% der Stimmen und 165 von den 350 Sitzen im Parlament (Congreso; vergleichbar mit dem Bundestag); im Senat (Senado; geplant wie der Bundesrat) erhielt sie 106 Sitze (von 207). Die Wahlbeteiligung lag bei 79%. Das erstaunlichste war aber, dass die sozialdemokratische PSOE zweitstärkste Kraft wurde, mit 29,3% der Stimmen und 118 Sitzen im Parlament. Drittstärkste Kraft wurde der PCE mit 9,3% und 20 Sitzen, viertstärkste die rechts-konservative, franquistische Alianza Popular mit 8,2% und 16 Sitzen. Die Spanier hatten sich ganz klar für die Mitte entschieden: UCD (mitte-rechts) und PSOE (mitte-links) hatten knapp 64% der Stimmen und über 80% der Sitze (283 von 350) im Parlament gewonnen.

Allerdings waren die Wahlergebnisse regional ziemlich unterschiedlich. So gewannen in Katalonien die Socialistes de Catalunya (PSC, PSOE) mit knapp 29%, und der eurokommunistische PSUC wurde zweitstärkste Kraft, mit ca. 18,3%. UCD wurde nur drittstärkste Kraft (16,9%), knapp vor Pacte Democràtic per Catalunya (16,8%; Convergència, PSC-R, Esquerra Democràtica de Catalunya). Die Alianza Popular belegte den 7. Platz, mit nur 3,5%. Damit hatten die Katalanen vor allem links und katalanistisch gewählt: ca. 64% für links/mitte-links, und fast 76% für katalanistische Parteien. Für die Senatswahlen hatte die Assemblea das Wahlbündnis Entesa dels Catalans (Übereinkunft der Katalanen) ins Leben gerufen, das 12 der 16 in Katalonien gewählten Senatoren stellte. Die anderen Senatoren gehörten zu Convergència (2), UCD (1) und der unabhängige Lluís Maria Xirinacs, der in der Provinz Barcelona über 500.000 Stimmen erhielt. Xirinacs und die zwei Senatoren von Convergència schlossen sich später der Entesa an (d.h. 15 der 16 Senatoren Kataloniens waren katalanistisch). Im Baskenland wurde UCD auch nur 3. Kraft, mit 12,8%. Erste Kraft wurden die bürgerlichen Nationalisten vom PNV-EAJ (29,3%), zweite Kraft der PSE-PSOE (26,5%). Damit hatten dort die meisten zwar mitte-rechts gewählt (ca. 46%), doch insgesamt kam der Baskismus/baskische Nationalismus (Vasquismo/ Nacionalismo vasco; u.a. Selbstbestimmungsrecht für die Basken, Anerkennung der Basken als Nation, etc.) auf über 71% (PNV-EAJ, PSE-PSOE, Euskadiko Ezkerra, Euskadiko Partidu Komunista, etc.).

Die Wahlergebnisse von 1977 zeigten, dass Alianza Popular (mit Manuel Fraga, Arias Navarro und 10 weiteren Ex-Ministern von Franco als Abgeordneten) es trotz der Unterstützung des Finanzsektors nicht geschafft hatte, den sogenannten ‘soziologischen Franquismus’ (Franquismo sociológico) für sich zu gewinnen; dieser hatte größtenteils die UCD gewählt. Auch die rechtsextremen Parteien hatten, verglichen mit ihrer Präsenz in den letzten Jahren, eher wenig Rückhalt bekommen (insgesamt nur ca. 150.000 Stimmen für Fuerza Nueva und die diversen Splitterparteien der Falange, etc.). Aber auch der PCE, der auf bekannte Gesichter des Bürgerkriegs gesetzt hatte (u.a. Dolores Ibárruri und Santiago Carrillo), hatte anscheinend die falsche Strategie gewählt. Die Menschen wollten was neues, jüngeres. Und so erhielt der PSOE die größte Unterstützung, obwohl der Großteil des antifranquistischen Kampfes vom PCE-PSUC angeführt worden war. Adolfo Suárez wurde vom König zum Regierungspräsidenten ernannt und beauftragte eine Komission damit, eine neue Verfassung auszuarbeiten.

Die Zeit für Katalonien war gekommen. Am 11. September 1977 gingen 1 Mio. Katalanen (ein Fünftel der damaligen Bevölkerung Kataloniens; als würden heute 16 Mio. Deutsche für etwas auf die Straße gehen) in Barcelona auf die Straße, um „Freiheit, Amnestie und das Autonomiestatut“ („Llibertat, Amnistia i Estatut d’Autonomia“) zu fordern (hier). Es war die bis dato größte Demonstration der Geschichte Spaniens. Knapp einen Monat später kehrte Josep Tarradellas (ERC) — war u.a. unter Francesc Macià Regierungs- und Gesundheitsminister und unter Lluís Companys Finanz- und Premierminister gewesen; seit 1954 Präsident der katalanischen Exil-Regierung in Frankreich — nach Katalonien zurück, wo er von zehntausenden Katalanen empfangen wurde. Sein Satz «Ciutadans de Catalunya, ja sóc aquí!» (Bürger Kataloniens, ich bin wieder da!) ging in die Geschichte ein (hier). Alfonso Suárez – von den Massen in Barcelona überwältigt und überfordert – akzeptierte Tarradellas als legitimen Gesprächspartner und führte die Generalitat wieder ein. Damit war die Generalitat die erste und einzige republikanische Institution, die wiederhergestellt wurde. Dies ist wichtig, denn die Generalitat wurde wiederhergestellt, bevor es in Spanien eine neue Verfassung gab (Wiedereinführung der Generalitat 1977; Spanische Verfassung 1978), sodass anerkannt wurde, dass die katalanischen Institutionen ihre Legitimation nicht aus der spanischen Verfassung beziehen, sondern ein historisch gewachsenes Recht sind. Wie man jetzt im Nachhinein weiß, hatten sowohl Suárez in Madrid als auch u.a. Jordi Pujol (Convergència) in Barcelona Angst bekommen, als sie sahen, dass in Katalonien die linken Kräfte haushoch gewonnen hatten. Um nicht mit den sozialistischen und eurokommunistischen Kräften verhandeln zu müssen, griff man auf Tarradellas – der schon fast 80 Jahre alt und ziemlich gebrechlich war – zurück, da man von ihm Mäßigung erwartete.

Der verfassungsgebende Prozess gestaltete sich als schwierig, denn man wollte unbedingt einen Militärputsch verhindern. Von den sieben „Vätern der Verfassung“ waren 3 von der UCD, und jeweils einer vom PSOE, Alianza Popular, PCE-PSUC und der Fraktion ‘katalanische Minderheit’ (Minoría catalana; Miquel Roca i Junyent, von Convergència); d.h. vier der sieben stammten aus dem franquistischen Lager. Die baskischen Nationalisten vom PNV-EAJ wurden nicht zugelassen, weil PSOE und UCD sich auf 7 statt 9 Mitglieder in der Kommission geeinigt hatten und der Sitz für die Basken damit wegfiel. Bei der folgenden Parlamentsdebatte über den Entwurf, stellte Xirinacs einen alternativen Verfassungsentwurf vor, in dem er u.a. eine Konföderation vorschlug und das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkannte. Aber der Entwurf wurde abgeschmettert. Auf Druck des Militärs wurde der Artikel 2 in den Vortitel der Verfassung aufgenommen, der besagt, dass „die Verfassung auf der unauflösbaren Einheit der spanischen Nation basiert, der gemeinsamen und unteilbaren Heimat aller Spanier […]“. Dieser vorgeschriebene Artikel kam direkt vom Regierungspalast der Moncloa und wurde von einem Kurier übergeben; der Artikel wurde weder debattiert noch wurde über ihn abgestimmt, er wurde einfach kommentarlos in die Verfassung geschrieben. Viele andere Artikel wurden mit der Mehrheit von UCD und Alianza Popular (AP) verabschiedet wie z.B. dass das Militär die Einheit Spaniens verteidigen muss was den PSOE öfter dazu veranlasste, von einer „reaktionären“ Verfassung zu sprechen. Aber am Ende schaffte es Suárez (und der König) die unterschiedlichen Parteien zu „vereinen“ (u.a. mit geheimen Treffen, etc.). Was da wohl so alles besprochen wurde und was das für Folgen hatte, sehen wir später (vor allem institutionalisierte Korruption, bei der jede der anwesenden Parteien teilnahm). Nicht ganz unwichtig muss wohl u.a. das Amnestie-Gesetz vom Oktober 1977 gewesen sein: mit diesem Gesetz wurden zwar alle politischen Gefangenen begnadigt, aber – Dank einer Änderung in letzter Minute von Seiten der UCD  – gleichzeitig auch alle Straftaten der Diktatur; d.h. jeder General, jeder Polizist, jeder Beamte, jeder Falangist, jeder Politiker, jeder Rechtsextreme, der bis Ende 1976 politische oder administrative Straftaten begangen hatte, war ein freier Mensch und musste nichts befürchten. Die Gräueltaten der Diktatur blieben bis heute ungesühnt. Das war nicht das, was die Menschen meinten, als sie auf den Straßen die „totale Amnestie“ forderten. „Totale Amnestie“ bedeutete, dass auch „gewöhnliche Kriminelle“ begnadigt werden sollten, da zu denen u.a. Homosexuelle, Transsexuelle, Prostituierte, Ehebrecherinnen, Frauen, die abgetrieben hatten, Kriegsdienstverweigerer, Bettler und Drogenabhängige zählten. In diesem Zusammenhang ist das Lied “Companys, no és això” von Lluís Llach (1978) zu nennen, der das Gefühl vieler Menschen zusammenfasste: «No era això, companys, no era això, pel que varen morir tantes flors; pel que vàrem plorar tants anhels. Potser cal ser valents un altre cop, i dir no, amics meus, no és això» (Das war es nicht, Freunde, das war es nicht, wofür so viele Blumen gestorben sind; wofür wir so viele Tränen der Sehnsucht vergossen haben. Vielleicht sollten wir wieder mutig sein, und nein sagen, meine Freunde, das ist es nicht).

Am 31. Oktober 1978 nahm der spanische Kongress dann die Verfassung mit einer überwältigenden Mehrheit an: 325 stimmten dafür (vor allem UCD, PSOE, PCE, 9 der AP, 7 der Minoría Catalana, etc.), 14 enthielten sich (PNV-EAJ, weil sie ausgeschlossen worden waren; 2 der AP und ein paar Abgeordnete der UCD, EC) und 6 stimmten dagegen (5 der AP und 1 von Euskadiko Ezkerra). Der erste Schritt in Richtung Demokratie war geschafft, jetzt musste die Bevölkerung die neue Verfassung nur noch per Referendum bestätigen. Es begann eine breitangelegte Propaganda-Kampagne, die versuchte, den Menschen die Verfassung zu erklären und schmackhaft zu machen. Parallel dazu besetzten die rechtsextremen Kräfte die Straßen: neben Demonstrationen, Angriffen und Attentaten von rechtsextremen Gruppierungen, erlangte das Militär sehr viel Aufmerksamkeit. Bei Militärmärschen und Kundgebungen wurde an Franco und den Putsch erinnert (hier), die rechte Hand gehoben und „Arriba España“ gerufen. Ranghohe Generäle wetterten öffentlich gegen die Verfassung, die Gefahr eines Putsches wurde immer offensichtlicher. Nicht zuletzt, weil im November 1978 eine Gruppe von Guardias Civiles, Policía Armada und Generälen aufgeflogen war, die einen Putsch geplant hatten (Operación Galaxia; u.a. wurde Tejero festgenommen, der 1981 den missglückten Putschversuch im Kongress durchführen würde). Dementsprechend passten die Parteien ihre Propaganda an: „Entweder die Verfassung oder Diktatur“.

In diesem Klima wurde dann am 6. Dezember 1978 abgestimmt. Es gab einige Unregelmäßigkeiten: so stimmte das Wahlregister des Innenministeriums und der Wahlkommission nur in 11 von 50 Provinzen überein, über 1 Mio. Menschen erschienen doppelt im Wahlregister, in Madrid fehlten 300.000 wahlberechtigte Personen im Wahlregister, und in der Provinz Ourense fehlten ca. 30% der Wahlberechtigten im Register. Aber ansonsten verlief der Wahltag gut: 88,5% stimmten für die Verfassung. Doch die Wahlbeteiligung lag nur bei 67%, d.h. nur 58,9% der Wahlberechtigten hatten für die Verfassung gestimmt (ca. 15,7 Mio. von 26,6 Mio.). In Katalonien selbst war sowohl die Wahlbeteiligung als auch die Zustimmung minimal höher als im gesamtspanischen Durchschnitt (68% und 90,5%). Am meisten stach das Baskenland heraus, wo in keiner der drei Provinzen das Ja zur Verfassung mehr als 50% der Wahlberechtigten erreichte: in Álava stimmten 59% ab, aber nur 72% für die Verfassung (42,3% der Wahlberechtigten), in Bizkaia lag die Wahlbeteiligung bei nur 42,5% und 73% stimmten für die Verfassung (30,4% aller Wahlberechtigten) und in Gipuzkoa gingen nur 43,4% wählen, und nur 64,6% stimmten für die Verfassung (27,7% aller Wahlberechtigten). Warum? Der PNV-EAJ hatte zur Enthaltung und die linken Unabhängigkeitsbefürworter (Euskadiko Ezkerra, Herri Batasuna) zum „Nein“ aufgerufen. In Galicien lag die Wahlbeteiligung auch bei nur ca. 50%, was aber eher mit ausgewanderten Galiciern, die aber immer noch im Wahlregister standen, dem strömenden Regen am Wahltag, den damals unglaublich schlechten Straßen und einem verbreiteteren politischen Desinteresse der Landbevölkerung – die relativ stark von der Außenwelt isoliert war – erklärt werden kann.

Spanien hatte eine neue Verfassung, die das Land – zumindest auf dem Papier – an seine westeuropäischen Nachbarn anglich. In manchen sozialen Fragen ging sie sogar um einiges weiter als andere europäische Verfassungen. So ist sie eine der wenigen Verfassungen, die das internationale Recht in Themen wie Grund- und Menschenrechte explizit über alles stellt, was in der Verfassung steht. Außerdem garantiert sie das Recht auf Wohnung/ kostenlose Bildung/ Arbeit/ Gesundheit/ würdiges Leben/ unangekündigte Demonstrationen, etc. (aber eben nur auf dem Papier, die Wirklichkeit sieht bekanntlich anders aus). In den folgenden Jahren nahm die politische Gewalt jedoch extrem zu: auf der einen Seite intensivierte die ETA-m (ETA-militarra; eine der beiden Gruppen, in die die ETA zerfallen war) ihre Aktionen gegen die Staatsgewalt (1978: 64 Tote; 1979: 80; 1980: 93; 1981: 32), da sie radikal gegen das neue System war (für sie war es von Franquisten erarbeitet und legitimiert worden, weshalb es einfach eine Fortsetzung des Franquismus war), auf der anderen Seite intensivierten sich auch die Aktionen des rechtsextremen Staatsterrorismus (willkürliche Verhaftungen von Basken, denen eine ETA-Mitgliedschaft vorgeworfen wurde, Folter, Misshandlungen, rechtsextreme Todesschwadrone und Polizeieinheiten, die sowohl im spanischen als auch im französischen Baskenland Menschen ermordeten). Bis es dann am 23. Februar 1981 schließlich zum Putsch kam (über 200 Guardias Civiles stürmten den Kongress, nahmen die Abgeordneten als Geiseln; das Militär besetzte Städte mit Panzern, die Medien, etc.), der „Dank“ der Rede des Königs, der sich zur Demokratie bekannte, vereitelt wurde. Bei den folgenden Parlamentswahlen 1982 – ein paar Tage vorher war wieder eine Gruppe von Generälen aufgeflogen, die einen weitreichenden Putsch vorbereiteten –  gewann der PSOE die absolute Mehrheit (48,1%), die UCD versank in der Bedeutungslosigkeit (6,7%; löste sich daraufhin auf) und die franquistische Alianza Popular von Manuel Fraga konnte dieses Mal den „soziologischen Franquismus“ hinter sich vereinen und wurde mit 26,4% zweitstärkste Kraft (später entstand aus der Partei die heutige PP). Der PSOE vertuschte den letzten Putschversuch, und auch den nächsten im Jahr 1985, um die „Gesellschaft nicht zu beunruhigen“.

Mit dem Machtwechsel 1982 endete die Transición; Spanien wurde 1982 in die NATO, 1986 in die EG/EU aufgenommen. Doch es fehlte noch ein offizielle Erzählung: Wie sollten die 7 Jahre in der Geschichtsschreibung erzählt werden? Wie sollten die Spanier die Transición in Erinnerung behalten? Dafür trafen sich im Mai 1984 die führenden Politiker der Transición mit über 30 Geschichtswissenschaftlern aller wichtigen Universitäten Spaniens im Dorf San Juan de la Penitencia (Toledo). Das Treffen wurde zwar kurz in den wichtigsten Medien des Landes erwähnt, aber die Unterhaltungen und Aufnahmen waren streng geheim. Dort entstand der Mythos der Transición; der Mythos einer franquistischen Klasse, die sich nach Demokratie sehnte, und einer Opposition, die bereit war, für das Wohl Spaniens auf ihre wichtigsten Forderungen zu verzichten und die parlamentarische Monarchie zu akzeptieren. Der Mythos eines friedlichen Übergangs zur Demokratie (bei fast 600 Todesopfern und tausenden Verletzten zwischen 1975 und 1982), der im König Juan Carlos I. und Adolfo Suárez seine heldenhaften Hauptfiguren fand. Der Mythos eines Volkes, das sich danach sehnte, die Diktatur hinter sich zu lassen und dafür in heroischer und pragmatischer Weise zusammenrückte. Der Mythos von Millionen Spaniern, die als überzeugte Franquisten ins Bett gingen, und am nächsten Morgen als überzeugte Demokraten erwachten. Ein beispielloser Übergang von einer totalitären Diktatur zu einer westlichen Demokratie, der überall in der Welt bewundert wurde. Jahrzehntelang wurde diese Erzählung in den Medien, in den Schulen, im Fernsehen wie ein Mantra runtergerattert. Jeder, der das anzweifelte, war verrückt (so sagte es z.B. der damalige Ministerpräsident Felipe González, PSOE). Die Vergangenheit wurde in Schweigen gehüllt, in der Hoffnung, dass sich die Rechten, aber auch die Opfer des Franquismus, nicht rührten. Die Vergangenheit sollte vergessen werden, die Angst bei vielen Opfern hielt noch jahrzehntelang. Was im Bürgerkrieg und der Nachkriegszeit passiert war, war ein riesiges Tabu. Und wenn man doch mal darüber sprach, dann war der Satz immer „Es gab keine Guten und Bösen“; der Satz wird noch heute sowohl von Rechts (PP, Ciudadanos) als auch von „Links“ (PSOE) wie ein Mantra wiederholt. Als wäre die legitime Verteidigung eines gewählten, demokratischen Systems vergleichbar mit einem gewaltsamen faschistischen Militärputsch, dessen Ziel es war, halb Spanien auszulöschen.

Es gab auch keine „Entfranquisierung“: Bis weit in die 90er und 2000er hinein fand man überall franquistische Plaketten an Hauswänden, Statuen, Obelisken und Siegessäulen. Noch heute findet man in Spanien Dörfer, die einen franquistischen Namen tragen (z.B. Guadiana del Caudillo, Alcocero de Mola, San Leonardo de Yagüe, Villafranco del Guadiana) und über 1.000 Straßennamen, die franquistische Generäle oder Politiker ehren (z.B. Pasaje del General Mola, Plaza Arriba España, Calle Queipo de Llano, Plaza General Sanjurjo, Calle del Generalísimo, Plaza del Caudillo, etc.). Die Richter der franquistischen Gerichte wurden zu Richtern in demokratischen Gerichten, die franquistischen Polizisten wurden einfach in die neuen „demokratischen“ Polizeikörper integriert (die Guardia Civil blieb intakt, die Policía Armada wurde in Policía Nacional unbenannt); nur das Militär erfuhr eine strukturelle Umwandlung. Doch diese Umwandlung war eher oberflächlich, und so kommt es, dass sich noch heute der Staatsrat (Consejo de Estado), der die Regierung beraten soll, und das Militärhauptquartier im selben Gebäude befinden (die Umwandlung hat auch nicht verhindert, dass im Jahr 2018 über 1.000 Ex-Militärs und Reservisten ein Manifest unterschrieben, in dem sie Franco lobten und sich gegen seine Exhumierung aussprachen). Auch die Beamten, Lehrer, alle Staatsdiener, die vorher der Diktatur gedient hatten, traten jetzt in den demokratischen Staatsdienst ein, als wäre nichts gewesen. Selbst die Familie Franco durfte ihr ergaunertes Vermögen behalten (man geht von 50 Gesellschaften, 22 Immobilien und insgesamt 600 Mio. Euro aus). Man weigert sich sogar bis heute, bekannten Folterknechten (wie z.B. Antonio González Pacheco/Billy el Niño) die Verdienstmedaillen — jede Verdienstmedaille erhöht ihre Pension um 15% (Billy el Niño hat vier, obwohl er min. 13 Frauen und Männer gefoltert hat) — abzuerkennen. Es sind/waren doch jetzt schließlich alle astreine Demokraten. Wer das anzweifelte, war vom „Groll zerfressen“ und „wünschte sich den Bürgerkrieg zurück“ („guerracivilista“). Auch die franquistischen Parteien durften problemlos in die Demokratie einziehen: nicht nur die von Franquisten gegründete und angeführte Alianza Popular/PP, sondern auch Fuerza Nueva, Falange Española de las JONS, FE-La Falange, etc.

Die Tatsache, dass der Diktator im Bett sterben und seine Nachfolge regeln konnte, ist aber einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass ein Großteil der Spanier entweder für ihn war oder sich von der Politik fern hielt. Die demokratische Opposition hatte trotz allem nie die Stärke und den sozialen Rückhalt, die für einen wirklichen Regimewechsel nötig gewesen wären; von gewissen Ausnahmen wie Katalonien, Baskenland oder Teilen Madrids mal abgesehen. Erst seit den 2000ern scheint sich etwas daran zu ändern, und immer mehr Menschen vor allem in Katalonien, aber auch im Rest Spaniens  fangen an, diesen „gesellschaftlichen Konsens“ der Vergangenheit zu hinterfragen. Als Katalysator hat natürlich auch die Krise ab 2008 gewirkt, bei der offensichtlich wurde, dass es Artikel in der Verfassung gibt, die einfach ignoriert werden können (wie z.B. das Recht auf eine menschenwürdige Wohnung), während andere wie in Stein gemeißelt scheinen. Eine Verfassung übrigens, die erst zweimal gerändert wurde (1992: Ausländerwahlrecht im Rahmen des Vertrags von Maastrich; 2011: Einführung der Schuldenbremse auf Druck Brüssels; das deutsche Grundgesetz wurde in dem Zeitraum 28 Mal geändert); eine Verfassung, die niemand, der unter 57 ist, gewählt hat (ca. 70% der heutigen Bevölkerung haben sie nicht gewählt), und die z.B. in Katalonien nur von 17% der Bevölkerung wiedergewählt werden würde.

Es ist schwer zu beschreiben bzw. nachzuvollziehen, was das teilweise bei jenen „neuen Demokraten“ auslöst, die jetzt auf die Barrikaden gehen. Diese „Demokraten“, die davon sprechen, dass das alles nur „Rachegelüste der Verlierer“ seien, dass „wir uns alle zusammen damals die heutige Verfassung gegeben haben“ und dass man sie nicht ändern darf (besonders erstaunlich ist dieses Argument von Leuten vom PP, wie der Ex-Präsident Aznar, die beim Referendum entweder mit „Nein“ gestimmt oder sich enthalten hatten, weil sie die Verfassung nicht wollten), und dass man die alten Wunden nicht öffnen sollte. Vernarbte und verheilte Wunden vielleicht nicht, aber diese offene Wunde war noch nie geschlossen; man hat einfach versucht, sie mit einem Pflaster zuzukleben. Aber das half nichts, denn eine Wunde heilt nur, wenn sie sauber ist; und so sind es jetzt die Enkel jener Opfer, die den Mund auf machen; die versuchen ihren Eltern und Großeltern Gehör zu verschaffen. Über 70 Jahre haben manche geschwiegen und brechen heute weinend zusammen, wenn sie davon berichten, wie die Faschisten ihre Väter, Mütter oder Geschwister abführten und erschossen. Niemand will heute mehr Rache, man will Gerechtigkeit und das historische Andenken. Denn während alle franquistischen Kriegsopfer während der Diktatur ehrenvoll bestattet, geehrt und anerkannt wurden, liegen noch heute über 140.000 Opfer der franquistischen Repression anonym in unzähligen Massengräbern verscharrt, ohne dass ihre Angehörigen wissen, wo sie sind. Erst 2002 wurde das erste Massengrab geöffnet, auf Initiative einer privaten Angehörigengruppe. Denn bis heute tut der Staat nichts; er bezahlt noch nicht einmal die Graböffnung geschweige denn den DNA-Abgleich. Die PP, zwischen 2011 und 2018 an der Macht, verkündete voller Stolz, dass man das „Gesetz zum historischen Andenken“ (2007; PP hatte dagegen gestimmt) durch eine Hintertür außer Kraft gesetzt hatte, indem man dafür einfach keinen Etat im Haushaltsplan vorgesehen hatte. Mit diesem Gesetz sollte u.a. den Opfern öffentliche Unterstützung bei der Suche, Identifizierung und Exhumierung ihrer Angehörigen zugesichert werden; doch ohne Etat, keine Unterstützung, keine Würde.

Katalonien im demokratischen Spanien

Katalonien wurde mit der neuen spanischen Verfassung als historische Nationalität Spaniens anerkannt (nicht als Nation, da dieses Wort der spanischen Nation vorbehalten war; es ist jedoch eine rein sprachliche Regelung, selbst die konservativen „Väter der Verfassung“ waren der Meinung, dass es Synonyme sind und hatten dagegen gestimmt), erhielt Ende 1979 ein Autonomiestatut (= Landesverfassung), mit dem viele geforderten Sonderrechte wiedererlangt wurden und das Katalonien weitreichende Kompetenzen in Bildung, Kultur, Sprache, Wirtschaft und Gesundheit zusicherte. Außerdem wurden die eigenen Institutionen wiedereingeführt, wie z.B. die Generalitat de Catalunya (Regierung, Parlament, Präsident der Generalitat), oder die eigene autonome Polizei, die Mossos d’Esquadra, die – ähnlich wie die Ertzaintza (im Baskenland) oder die Policía Foral/ Foruzaingoa (in Navarra) – die Aufgaben der gesamtspanischen Policía Nacional übernommen hat.

Doch das Territorialproblem Spaniens war damit noch nicht gelöst. Geplant waren höchsten drei Autonome Gemeinschaften, für die drei historischen Nationalitäten (Katalonien, Baskenland und Galicien), die, dadurch, dass sie sich schon während der Republik entweder ein Autonomiestatut erkämpft hatten (Katalonien 1932 und das Baskenland 1936) oder dabei gewesen waren und vom Putsch unterbrochen wurden (Galicien), auf einem schnellen Weg zu einem neuen Autonomiestatut kommen konnten. Doch sofort begannen andere Regionalpolitiker, auch ein Autonomiestatut für ihre Region zu fordern. Besonders extrem war es in Andalusien, wo die regionale PSOE eine sehr anti-katalanische Kampagne führte, um die Menschen zu mobilisieren. Und am Ende schafften sie es; sogar ohne den gesetzlich vorgeschriebenen Weg. Immer mehr Autonome Gemeinschaften entstanden, weil die Politiker einer Region nicht „weniger sein wollten, als die Nachbarn“. Und das alles nur, um zu verhindern, dass Katalonien einen Sonderstatus hat (das Baskenland und Navarra haben ja einen Sonderstatus – ein eigenes Finanzierungssystem – der sogar in der Verfassung festgeschrieben ist). So entstanden z.B. La Rioja, Kantabrien (vorher Teil von Alt-Kastilien) und die Autonome Gemeinschaft Madrid (traditionell Teil von Neu-Kastilien). Für die meisten neuen Gemeinschaften mussten sogar neue Flaggen und Hymnen erfunden werden, weil es dort weder eine kollektive Identität und Geschichte noch jemals irgendwelche Autonomiebestrebungen gegeben hatte. Das war für viele Katalanen ein Hohn. Es war die Zeit des „Kaffee für alle“ (Café para todos), was schon damals von den führenden Politikern (u.a. Suárez, González, etc.) sehr kritisch gesehen wurde; nicht zuletzt, weil das immense Kosten sind und besonders die neu erfundenen Gemeinschaften eher dazu dienten, Freunden und Familienangehörigen ein öffentliches Gehalt zu sichern, als sich tatsächlich selbst zu verwalten. Außerdem war und ist die Politik vieler dieser Gemeinschaften vor allem von Neid und Missgunst geprägt: forderte Katalonien z.B. eine Kompetenz, so wurde erst gegen Katalonien geschimpft, aber im nächsten Moment forderte man für sich selbst dieselbe Kompetenz, nur um nicht „weniger“ zu haben. Aber die Katalanen akzeptierten erstmal diese Situation, denn für den Anfang hatte man viel erreicht.

In den folgenden Jahrzehnten, die Katalonien von der CiU (Convergència i Unió – einem christdemokratischen, liberalen, katalanisch-nationalistischen Parteibündnis) regiert wurde, eroberte man sich immer mehr Rechte zurück. Jordi Pujol, der von 1980 – 2003 Präsident Kataloniens war, beherrschte das Spiel der „Puta i la Ramoneta“ zur Perfektion. Diese sehr katalanische Eigenschaft beruht auf dem Verhandlungsgeschick der Katalanen, und auf der Taktik von „Zuckerbrot und Peitsche“. Die generelle Haltung der katalanischen Regierung wurde auch oft als „peix al cove“ bezeichnet („Fisch im Korb“, bedeutet so viel wie „besser das, als nichts“, auch vergleichbar mit dem Sprichwort „Besser ein Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dach“). Wenn z.B. die Zentralregierung ein Gesetz umsetzen wollte, aber nicht die Mehrheit dafür hatte, bot die CiU an, sie mit ihren Stimmen zu unterstützen…im Tausch für ein paar zusätzliche Kompetenzen. Hatte eine der beiden Hauptparteien keine Regierungsmehrheit, dann unterstützte man eine von beiden (ohne jedoch jemals als Koalitionspartner in die Regierung einzutreten), was Katalonien mehr Kompetenzen brachte, und Spanien Stabilität. Über 30 Jahren lang garantierte die CiU (neben den baskischen Nationalisten vom Partido Nacionalista Vasco-Eusko Alderi Jeltzalea) die Regierbarkeit Spaniens.

Trotzdem war das Verhältnis zwischen der Zentralregierung in Madrid und der Generalitat nicht einfach, weil die Zentralregierung viele Kompetenzen nur sehr langsam oder nur teilweise an Katalonien abtrat. Laut Autonomiestatut hat Katalonien z.B. die Kompetenz für den regionalen Zugverkehr (Rodalies), doch jahrelang beschränkte sich diese Kompetenz darauf, dass man den Fahrplan selbst ausarbeiten durfte. Madrid weigerte sich die Schienen, die Züge, das Personal etc, an die Generalitat abzugeben, obwohl das so vorgeschrieben war. Und so ähnlich verlief es mit vielen Themen. Auch im Baskenland war es ähnlich: so besagt zwar das Statut von Gernika (baskisches Autonomiestatut; 1979), dass die baskische Regierung die Kompetenzen über die Gefängnisverwaltung und Sozialversicherung hat, aber BIS HEUTE – 41 Jahre nach Inkrafttreten des Statuts – wurden diese Kompetenzen nicht abgetreten.

Außerdem versteht man in Spanien, oder besser gesagt in Kastilien, immer noch nicht wirklich, dass es auch Menschen in Spanien gibt, deren Muttersprache nicht Spanisch ist. Menschen, die tatsächlich auf einer anderen Sprache denken, träumen, lieben, leben. Menschen, die tatsächlich ein Leben in ihrer Muttersprache führen wollen. Man hatte und hat dort das Gefühl, die Katalanen pochten so auf ihre Sprache, nur um Madrid zu ärgern. Jeglicher Versuch, die sprachliche Situation zu normalisieren (was zum Teil auch heißt, positive Diskriminierung zu betreiben, wie die Subvention katalanischsprachiger Medien), wurde und wird als Angriff auf das Spanische aufgefasst. Und daher gab es immer wieder Gegenkampagnen, wenn die Generalitat mal wieder ein Gesetz beschloss, das in Augen der Zentralregierung das Spanische benachteiligte. Nichtsdestotrotz führte Katalonien die sprachliche Immersion (Immersió Lingüística) ein, d.h. vom Kindergarten an bis zum Schulabschluss ist die einzige Unterrichtssprache im Bildungssystem Katalanisch; zumindest theoretisch (vom Spanisch- und Fremdsprachunterricht mal abgesehen; an vielen Schulen im Umland von Barcelona wird sich allerdings nicht dran gehalten, sodass große Teile des Unterrichts doch auf Spanisch sind). Das sollte vor allem Kindern aus spanischsprachigen Haushalten, die immerhin etwas mehr als 50% ausmachten, das Erlernen der katalanischen Sprache erleichtern und so die Integration fördern. Heute ist die Immersion ein Konzept, das von nahezu allen Katalanen akzeptiert und verteidigt wird (Umfragen von 2012 haben ergeben, dass 80% der Katalanen die Immersion befürworten, nur 14% lehnen sie ab). Die Immersion (Eintauchen) gilt als die weltweit erfolgreichste Sprachlernmethode, die in vielen Ländern angewandt wird, wie z.B. in Kanada, Finnland, Schweiz und auch in den dänischen Schulen in Schleswig-Holstein.

Der Katalanismus heute

So, der geschichtliche Teil ist hiermit größtenteils abgeschlossen. Auch, wenn er wieder etwas länger geworden ist, ist es meiner Meinung nach ziemlich wichtig, um einen großen Teil der Unabhängigkeitsbewegung zu verstehen, besonders den „harten Kern“ (vor allem diejenigen, die schon seit mehreren Generationen in Katalonien leben und bei denen der Kampf für mehr Eigenständigkeit von Generation zu Generation weitergegeben wurde). Denn aus der Geschichte Kataloniens, dem ewigen Kampf um den Erhalt ihrer Sprache und Kultur, dem Widerstand gegen eine aufgezwungene absolutistische Monarchie und der Unterdrückung während der Diktaturen des 20. Jahrhunderts, resultiert ein Selbstverständnis, ein Nationalgefühl, das man als Deutscher oft nicht nachvollziehen kann (und die meisten Spanier auch nicht). Deutschland kennt dieses Problem nicht, weil Deutschland anders entstanden ist als Spanien. In den ehemaligen Fürstentümern, Herzogtümern, Freien Städten und Königreichen des deutschen Sprachraums (z.B. Königreich Preußen, Königreich Bayern, Herzogtum Holstein, Großherzogtum Baden, Freie Stadt Hamburg, etc.) gab es schon früh ein Zusammengehörigkeitsgefühl, obwohl man keinen gemeinsamen Staat hatte. Man hatte eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Helden wie Martin Luther oder Johannes Gutenberg, ein gemeinsames Kulturgut (z.B. Goethe, die Weimarer Klassik), gemeinsame Traditionen und eine gemeinsame Sprache (dieser Punkt zählt allerdings nur, wenn man das Deutsche als Dialektkontinuum betrachtet, denn Niederdeutsch ist kein Dialekt des Standard- oder Hochdeutschen). Aus diesem „Nationalgefühl“ entstand der Wille, einen deutschen Nationalstaat zu errichten, der von vornherein sehr föderalistisch geprägt war. In Spanien war es anders. Die vorhandenen föderalen Strukturen wurden abgeschafft, eine absolutistische Monarchie aufgezwungen und versucht, jede andere Identität zu unterdrücken (ein neues spanisch-kastilisches Nationalgefühl „aufzustülpen“).

Spanien ist heute nicht umsonst einer der wenigen Staaten Europas, in dem sich große Teile der Bevölkerung nicht mit dem Staat identifizieren können: Im Baskenland fühlen sich 43% entweder ausschließlich oder hauptsächlich als Basken, nur 10% fühlen sich hauptsächlich als Spanier oder nur als Spanier; in Navarra fühlen sich über 70% in unterschiedlicher Weise als Navarresen (24% ausschließlich als Navarresen, ca. 24% als Basken/ baskische Navarresen, 22% hauptsächlich als Navarresen), nur ca. 2,4% fühlen sich ausschließlich als Spanier (Daten vom CIS 2020; das Navarrómetro sagt, dass sich 45% ausschließlich als Navarresen, 20,1% als Basken und 15,4% als spanische Navarresen fühlen); auf den Kanaren fühlen sich 6% ausschließlich als Kanarier und über 30% mehr als Kanarier als als Spanier; auf den Balearen, wo es eigentlich kein Zusammengehörigkeitsgefühl gibt, sondern die meisten sich mit ihrer jeweiligen Insel identifizieren (zwischen 63 und 79%), fühlen sich zwischen 25% (Ibiza, über 60% der Bevölkerung wurden nicht auf der Insel geboren) und 47% (Formentera) mehr als Balearer als als Spanier oder ausschließlich als Balearer (bzw. besser gesagt als Mallorquiner, Menorquiner, Ibizenker, etc.).

Heute fühlen sich ca. 26% der Katalanen ausschließlich als Katalanen und nicht als Spanier. Etwa 23,5 % fühlen sich mehr als Katalanen als als Spanier. Der Rest fühlt sich größtenteils sowohl als Katalanen als auch als Spanier (36%), und nur 9% fühlen sich mehr als Spanier oder ausschließlich als Spanier. Das kann einem mehr oder weniger gefallen, aber man kann niemanden zwingen, sich so zu fühlen, wie man es gerne hätte. Da bringt es auch nichts, dass man in den spanischen Medien immer wieder erwähnt, dass „diese Katalanen sich als das fühlen können, was sie wollen, aber dass sie laut ihrem Ausweis Spanier sind“ und „dass sie damit klar kommen müssten“. Die Tatsachen sind da, und man muss mit ihnen umgehen. Zumindest in der Politik. Ich muss gestehen, dass ich dieses Verständnis für die Katalanen, die sich nicht als Spanier fühlen, nicht immer gehabt habe. Wenn irgendwelche Katalanen im spanischen Fernsehen auftraten und sagten „sie wären nicht in ihrem Land“ oder sie wären „im ausländischen Fernsehen“ konnte ich nur den Kopf schütteln….und tu es noch heute. Aber ich habe verstanden, dass es halt so ist. Genauso wie mich niemand zwingen kann, mich nur als Deutscher zu fühlen, obwohl ich mich mehr als spanisch-katalanischer Hamburger fühle.

Zwischen den Katalanen, die sich ausschließlich als Katalanen fühlen, gibt es leider auch eine kleine Randgruppe, die eine ziemlich starke Abneigung gegen Spanier hat. Und alles, was mit Spanien zu tun hat. Viele davon kommen aus Familien, in denen der Kampf um die Freiheit Kataloniens und die Republik sehr stark verankert ist und die daher während der Diktatur extrem gelitten haben (Großeltern, die erschossen wurden oder fliehen mussten, Eltern, die im Gefängnis waren, etc.). In diesem Fall äußert sich die Abneigung allerdings nicht gegen Spanier per se, sondern gegen diejenigen, die die Reform der Diktatur verteidigten und nicht den Bruch. Von diesen linken Kreisen wird CIU und Jordi Pujol genauso verachtet wie die PP und die PSOE. Es gibt auch eine kleine Gruppe von Ultra-Nationalisten, die z.B. gegen Einwanderung sind. Allerdings kann man die an einer Hand abzählen. In den spanischen Medien werden sie zwar oft erwähnt, um die Lüge eines generalisierten Spanien-Hasses in Katalonien zu untermauern, aber am Ende sind es eben diese Medien, die diese Gruppen in Katalonien überhaupt bekannt machen. Die aufsehenerregende Gruppe Nosaltres sols!, die in den 80er Jahren z.B. Flugblätter mit der Aufschrift „Xarnegos fora“ (Xarnegos raus!; xarnegos war ein abfälliger Begriff für spanische Einwanderer) verteilte – und die noch heute von rechten Medien als Beweis für den katalanischen Spanien-Hass missbraucht wird – hatte nur 15 Mitglieder und fand in den Medien Madrids mehr Aufmerksamkeit als in der katalanischen Gesellschaft.

Sie sind eine kleine Minderheit, ja. Aber, um ehrlich zu sein, waren sie für mich (informierte mich früher ausschließlich über die Medien Madrids und komme aus einer sehr spanisch-nationalistischen Familie) lange Zeit das Sinnbild der Katalanisten: spanienfeindlich, mürrisch und arrogant. Und das, obwohl ich in meinem Leben nur einer solchen Person begegnet war. Das einzige Beispiel aus meinem Leben ist eine direkte Nachbarin meines Großvaters. Eine griesgrämige alte Frau, die alle hasst, die nicht Katalanisch sprechen. So fiel einem Freund aus Pamplona mal ein Ball über ihren Zaun und er fragte sie auf Spanisch, natürlich, ob sie ihn zurückwerfen könnte. Sie schrie ihn an, wir wären in Katalonien und er solle gefälligst Katalanisch sprechen. Als er ihr entgegnete, dass er aus Navarra sei und nur hier die Ferien verbringt, zerstach sie den Ball mit einer Schere. Gegrüßt werden wir seit Jahren nicht mehr von ihr. Aber ich kenne sie nicht, wer weiß, was sie für Erfahrungen in ihrer Kindheit und Jugend mit „Spaniern“ (also Repräsentanten der Diktatur) gehabt hat? Ich weiß nicht, ob es tatsächlich Katalanen gibt, die Spanien und die Spanier hassen. Wahrscheinlich schon, bei einigen gibt es sehr viel angestaute Wut. Aber wenn, dann ist das meist eher eine Trotzreaktion auf das Verhalten von Madrid und den Hauptstadtmedien.


Lange Zeit mussten wir darauf vertrauen, was uns die Medien und spanischen Politiker sagten. Aber nun gibt es objektive Ergebnisse. Eine Umfrage vom katalanischen Statistik-Institut von 2019 hat ergeben, dass es in Katalonien keine generalisierte Ablehnung gegen Spanier gibt: auf einer Skala von 0 – 10 (0 = sehr unsympathisch; 5 = weder sympathisch noch unsympathisch; 10 = sehr sympathisch) wurde keine Region Spaniens von den Katalanen schlechter als mit 6 bewertet (durchschnittlich 6,8; am schlechtestes schnitt Madrid ab, mit 6,1; am besten das Baskenland, mit 7,5). Selbst diejenigen, die die Unabhängigkeit wollen, bewerten den Rest der Spanier durchschnittlich mit 6,5. Wenn man sich anguckt, wie viele Katalanen den Rest Spaniens mit weniger als 5 bewerten (also sie nicht mögen), dann sieht man, dass das nur durchschnittlich 10% tun (am schlechtest schnitt wieder Madrid ab, 19% der Katalanen bewerteten die Madrilenen mit weniger als 5). Nur 1,3% der Katalanen empfinden eine absolute Abneigung gegen über dem Rest Spaniens (also eine 0). Das wahre Problem liegt nämlich auf der anderen Seite: der Rest Spaniens bewertet die Katalanen durchschnittlich zwar mit einer 5,6 (niedrigster Wert überhaupt), was vermuten ließe, dass es keine wirkliche Antipathie gegen Katalanen gibt. Aber: 26% der Spanier geben an, Katalanen nicht zu mögen (0 – 4) — in manchen Regionen sogar über 30% (z.B. Extremadura, 39%; Castilla y León, 37%; Castilla – La Mancha, 35%) — und fast 10% der Spanien hassen Katalanen (Bewertung mit 0). Es gibt keine Region in Spanien, die unbeliebter ist als Katalonien, und die Sympathie, die die Katalanen für andere Regionen haben, ist immer höher als andersherum. Das wahre Problem ist also nicht der so oft vorgeworfene Spanien-Hass („Hispanofobia“), sondern die Katalanophobie im Rest Spaniens. In diesen beiden Graphiken, die vom Datenanalysten Joe Brew erstellt wurden, sieht man es deutlich:


Von allen Katalanen, die ich kenne – egal ob nun für oder gegen die Unabhängigkeit – hasst niemand seine spanischen Mitbürger. Die Kritik richtet sich immer gegen den Staat, auch wenn es manchmal zu verallgemeinert ausgedrückt wird (z.B. ein Slogan von 2010: Spanien beutet uns aus; oder Rufe wie „Puta Espanya“). Denn anders als die Basken, die sich fast immer aus allem raus gehalten haben, hatten und haben die Katalanen den Anspruch, Spanien zu verändern und zu modernisieren. Nur versteht man in Katalonien unter Spanien einfach etwas anderes als in Madrid oder Kastilien; und mit der Zeit sind viele Katalanen zu dem Schluss gekommen, dass sich ihre Vorstellung von Spanien nie durchsetzen wird; mehr noch, dass man von der anderen Seite immer nur Hass und Missgunst zurückbekommt.

Es sind zwar sehr wenige, die ihre Abneigung gegenüber Spanien offen zur Schau stellen, aber Idioten gibt es halt überall. Darum ist es vielleicht nicht ratsam, z.B. Spanien-Flaggen zu zeigen (z.B. am Auto, T-Shirt, etc), wenn man auf der Straße nicht als „Facha“ (Faschist) beschimpft werden will, oder keine Kratzer am Auto haben möchte. Viele tragen die Flagge und selten erntet man mehr als verwunderte oder missbilligende Blicke, aber wer auf Nummer sicher gehen will, vermeidet es. Denn die spanische Flagge ist für viele Katalanen (aber auch für viele Spanier) heute immer noch ein Zeichen des Franquismus und der Monarchie, die die republikanische Flagge Spaniens wieder durch die heutige ersetzten. Das erste, was die Faschisten taten, als sie Katalonien militärisch besetzten, war die spanische Flagge zu hissen, Massengottesdienste auf offener Straße zu feiern und die Marcha Real (immer noch spanische Nationalhymne) zu spielen. Wie hätte da ein positives Gefühl bei den Katalanen entstehen sollen? Wie kann man die Abneigung für diese Symbole als Spanien-Hass bezeichnen? Die Menschen haben ein Gedächtnis. Die spanische Flagge war während der Diktatur nur in den Viertel der katalanischen Oberschicht sichtbar, die mit Franco ihre Rechte wiedererlangt hatte; bei der normalen Bevölkerung war sie verhasst: ihre Flaggen waren die der Republik und die Senyera, denn diese standen für die Verbesserungen, die die „einfachen“ Bürger dank der Republik erlebt hatten und die ihnen nun gewaltsam wieder genommen wurden. Bei vielen Spaniern — egal ob in Madrid, Zaragoza oder Barcelona — löst das Zeigen der Spanien-Flagge heute immer noch das gleiche Unbehagen aus, das das Zeigen der Deutschland-Flagge bis zur WM 2006 bei den meisten Deutschen auslöste. Außerhalb des sportlichen Kontextes hat das Zeigen einer Nationalflagge immer eine politische Aussage. Und im Falle der spanischen Flagge, die in antimonarchischen/ republikanischen Kreisen auch „bourbonische Fahne“ (bandera borbónica) genannt wird, bedeutet das halt Pro-Monarchie, Zentralismus, Anti-Katalanismus und eine eher wohlwollende Haltung zur Franco-Diktatur.

Allerdings: Würde jemand mit einer katalanischen Unabhängigkeitsflagge (Estelada) durch Madrid laufen, würde er mindestens dieselbe Reaktion ernten, da dort der Hass auf Katalonien sehr viel offener und aggressiver ausgelebt wird. Seit dem Jahr 2000 gibt das Auto-Kennzeichen nicht mehr preis, woher das Auto kommt. Offiziell hieß es, dass es so einfacher wäre, Gebrauchtwagen zu verkaufen, aber eigentlich wusste jeder, dass somit u.a. verhindert werden konnte, dass Autos mit „B“ (Barcelona) in Madrid oder Autos mit „M“ (Madrid) in Barcelona zerkratzt werden (vor allem aber, um es Basken zu erleichtern, durch Spanien zu fahren, da sie früher andauernd von der Polizei angehalten wurden, weil allein ihr baskisches Kennzeichen sie schon verdächtig machte, der ETA anzugehören).

Soweit ich weiß, gab es bisher kaum gewalttätige Übergriffe von Seiten der Separatisten (von den Aktionen von Terra Lliure in den 70er/80er Jahren mal abgesehen). Und wenn doch mal einer überschnappt, dann wird der Übergriff von allen katalanistischen Parteien vehement verurteilt. Im unionistischen Lager sieht es dagegen ganz anders aus: es gibt immer wieder Gewalt im Zeichen der Einheit Spaniens, ohne dass auch nur eine unionistische Partei das verurteilt. Diese Typen, die hauptsächlich Anhänger der Falange, Democracia Nacional, Vox, España 2000Somatemps oder irgendwelcher Carlisten-Vereinen sind, treffen sich meistens am spanischen Nationalfeiertag (12. Oktober) oder am 20. November (20-N; Todestag von Franco und Primo de Rivera) und wedeln mit Franco-Flaggen herum, singen die Hymne der Falange oder die Spanische Nationalhymne mit dem franquistischen Text, und skandierten beleidigende oder drohende Parolen (z.B. Artur Mas in die Gaskammer, Stellt Puigdemont an die Wand, Dynamit gegen die Podemos-Anhänger, etc.). Sie sind sehr gewalttätig; immer wieder schlagen sie Linke oder Separatisten zusammen. Am 11. September 2013 stürmten z.B. 15 Mitglieder der Falange und Alianza Nacional die Bibliothek Blanquerna in Madrid, wo gerade ein institutioneller Akt der Generalitat zur Diada stattfand. Sie trugen Franco- und Falange-Fahnen, riefen „Ihr täuscht uns nicht, Katalonien ist Spanien“, schlugen und schubsten einige der Anwesenden, zerstörten Mobiliar und versprühten beim Rausgehen noch Reizgas im Raum. Es kam aber auch schon zu Todesopfern (wie z.B. der 19-jährige Valencianer Guillem Agulló im Jahr 1993; vom „Komando Marchalenes IV. Reich“ erstochen, sein Mörder Pedro Cuevas wurde nach nur 4 Jahren wegen guter Führung entlassen). Besonders bedroht sind auch Journalisten, die ihre Versammlungen begleiten. Mehrfach wurden die Versammelten von den Rednern aufgerufen, sie zu schlagen („aber nicht zu doll“), was dann auch umgesetzt wurde.

Die wenigen Fälle, die es im katalanistischen Lager geben kann, sind für mich ziemlich traurig, denn wenn es etwas gibt, was den Katalanismus und den katalanischen Separatismus auszeichnet, dann ist es das Fehlen von Rassismus/ Fremdenfeindlichkeit und eine tiefe Abscheu für den Faschismus, unter dem man so lange gelitten hat. Anders als andere Nationalismen Europas, ist der Katalanismus extrem inklusiv, progressiv und weltoffen: jeder, der Katalane sein will, kann es sein. Es zählt der Wille, sich mit der katalanischen Sprache und Katalonien identifizieren zu wollen, nicht die Abstammung. Es kommt nicht von ungefähr, dass Barcelona 2017 die größte Demonstration für die Aufnahme von Flüchtlingen beherbergt hat, die Europa je gesehen hat: über 500.000 Menschen folgten dem Aufruf von Casa nostra. Casa Vostra (Unser Zuhause. Euer Zuhause), durchliefen die Straßen der katalanischen Hauptstadt unter den Mottos «Prou d’excuses. Acollim ara» (Schluss mit den Ausreden. Nehmen wir jetzt auf)/ «No més morts. Obrim fronteres!» (Keine weiteren Toten mehr. Öffnen wir die Grenzen!)/ «Catalunya, terra d’acollida» (Katalonien, Zufluchtsland), und forderten die spanische Regierung auf, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Spanische Flaggen sah man keine, dafür aber republikanische und die Estelada (Unabhängigkeitsflagge). Auch die ersten Rettungsschiffe, die im Mittelmeer Schiffsbrüchige retten, hatten vor allem katalanische Crews. Im Thema Fremdenfeindlichkeit unterscheiden sich die Wähler der Unabhängigkeitsparteien und Unionisten ziemlich stark voneinander: während z.B. 56% der PP- und Ciudadanos-Wähler dem Satz „Mit der ganzen Einwanderung fühlt man sich nicht mehr wie Zuhause“ zustimmen, stimmen dem nur ca. 25% der Unabhängigkeitsbefürworter zu. Während über 48% der Unabhängigkeitsbefürworter  dafür sind, „mehr oder sehr viel mehr Geld für die Aufnahme von Geflüchteten“ auszugeben, wollen das von den Unionisten nur 11%. Außerdem sind fast 48% der Unionisten dafür, dass es entweder strikte Obergrenzen oder überhaupt keine Einwanderung gibt, während das bei den Unabhängigkeitsbefürwortern nur knapp 14% befürworten.

Das Argument, dass Katalanen nicht solidarisch sind (oder das bekannte Klischee „Katalanen sind geizig“), ist auch nur ein weiterer Slogan des rechten spanischen Nationalismus. Wie geizig kann ein Volk sein, das bei der jährlich stattfindenden Spendengala La Marató de TV3 (ein Spendenmarathon des öffentlichen Fernsehsenders Kataloniens TV3, vergleichbar mit dem RTL-Spendenmarathon) jedes Mal zwischen 8 und 11 Mio. € spendet? Können Katalanen unsolidarisch sein, wenn sie sogar mehr spenden als Deutschland (mit zehnmal mehr Einwohnern) beim RTL-Spendenmarathon? Vergleich: La Marató 2016: 11,4 Mio. €; RTL-Spendenmarathon 2016: 7,8 Mio. €. Dieser Spendenmarathon, der jedes Jahr Geld für die Erforschung von Krankheiten und die Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse sammelt, ist in Spanien einzigartig. Ähnliche Projekte, die spanienweit versucht wurden (z.B. von Antena 3 oder RTVE), waren ein totales Fiasko und mussten immer wieder eingestellt werden, weil selten mehr als 1 Mio. € zusammenkamen.

Für einen Katalanisten ist es egal, woher man kommt, welcher Religion man angehört etc. Wichtig ist nur, dass man die Sprache lernt, wenn man in Katalonien lebt. Lernt beispielsweise ein Einwanderer aus Murcia oder dem Senegal Katalanisch und identifiziert sich mit Katalonien, so ist er genauso ein Katalane, wie jemand, der nachweisen kann, dass seine Familie seit 10. Generationen in Olot lebt. Kinder andalusischer Einwanderer, die man in Madrid gerne trotzdem Andalusier nennt, gelten in Katalonien automatisch als Katalanen. Deshalb legt man in Katalonien so viel Wert auf die katalanische Sprache, sie ist DAS Identitätssymbol und die größte Hilfe zur Integration. Als Minderheit innerhalb Spaniens, und zudem mittlerweile als Minderheit in ihrem eigenen Land/ ihrer eigenen „Minderheitenregion“, blieb den Katalanen auch nichts anderes übrig, ohne ihre Kultur und Sprache endgültig aufzugeben; oder eben eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich Einheimische und Zuwanderer nicht durchmischen.

Seit 300 Jahren gab es nicht eine einzige Generation von Katalanen, die nicht dafür hätte kämpfen müssen, ihr Leben auf Katalanisch führen zu dürfen. Ob es nun das Verbot des amtlichen Gebrauchs war (1716); die Einführung des Spanischen als einzige Unterrichtssprache und das Verbot des Katalanischen in den Gerichten (1768); das königliche Gesetz von 1772, das alle Händler und Kaufleute dazu zwang, ihre Rechnungsbücher auf Spanisch zu führen; das Aufführungsverbot von Theaterstücken, die nicht auf Spanisch waren (1801); das erneute Verbot der katalanischen Sprache in den Schulen (1825, es folgten noch bis zu 10 weitere Verbote dieser Art bis 1975); das Verbot von katalanischsprachigen Grabinschriften (1838); das Verbot, bei Telefongesprächen Katalanisch zu sprechen (1898); das Verbot der Jocs Florals, einem Dichterwettbewerb auf Katalanisch, einer katalanisch-okzitanischen Tradition aus dem 14. Jhd. (1902); die Tatsache, dass 1924 Antoni Gaudí (im Alter von 72 Jahren) verhaftet und verprügelt wurde, weil er sich weigerte, mit der Polizei auf Spanisch zu sprechen (während der Diktatur von Primo de Rivera); oder natürlich die unzähligen Repressionen während der Franco-Diktatur. Und trotzdem hat die Sprache überlebt. Noch Anfang des 20. Jhd. sprach ein großer Teil der katalanischen Landbevölkerung kein Spanisch (da nur unzureichender Zugang zum Bildungssystem, kaum Kontakt zu den Städten/ der öffentlichen Verwaltung), die letzten monolingualen Sprecher starben wohl in den 1970er Jahren. So beklagte sich 1898 der liberale Abgeordnete Joan Maluquer i Viladot aus Solsona (Zentralkatalonien) im spanischen Kongress darüber, dass man die Telefongespräche nicht mehr auf Katalanisch führen dürfe, da es ihm so unmöglich sei, sich von Madrid aus mit seinen Wählern in Manresa in Verbindung zu setzen, da diese „nicht ein Wort Spanisch“ sprächen («no saben ni una palabra de castellano»).

Katalanen sind nicht gegen Einwanderung: Katalonien ist seit jeher ein Einwanderungsland, in dem jeder, der es wollte, seinen Platz gefunden hat. So hat uns z.B. die zahlreiche okzitanische Immigration im 16./17. Jhd. unzählige okzitanische Nachnamen hinterlassen, von denen heute jeder Katalane sagen würde, dass sie 100%ig katalanischen Ursprungs sind (z.B. Albiach, Albinyac, Cambó, Cabot, Reixach, Peiró, Soley, Pujol, Dausà, Lostau, Rosell, Gascó/Guasch; die meisten okzitanischen Nachnahmen sind allerdings mit den katalanischen identisch, wie z.B. Camps, Badia, Pàmies/Pàmias, Tàpies/Tàpias, Comes/Comas, Prat, Prades/Pradas, Blanc, Ros, Bonet, Bernat, Esteve, etc.). 70% der heutigen Bevölkerung Kataloniens sind ein direktes oder indirektes Produkt der Einwanderung des letzten Jahrhunderts, 50% der Katalanen haben keine katalanischen Großeltern (so sind die 20 häufigsten Nachnamen in Katalonien alle spanisch; wie z.B. García, Martínez, López, Sánchez, etc.). Nur ca. 24% der Katalanen geben an, dass sie vier katalanische Großeltern haben (anders ist es z.B. in Andalusien, wo über 70% vier andalusische Großeltern haben).

Und allein zwischen 2000 und 2010 kamen über 1 Mio. ausländische Migranten nach Katalonien (vor allem aus Lateinamerika, Marokko, Rumänien, Italien, China, etc.). Katalonien ist ein Schmelztiegel der Kulturen und will es auch sein. Das Einzige, was man erwartet, ist, dass die Einwanderer ihre Sprache lernen und respektieren. So wie es in jedem Land der Welt verlangt wird. Vor allem, weil die Einwanderung (besonders aus Südspanien) in den 60er und 70er Jahren ein Ausmaß angenommen hatte, das jede normale Gesellschaft überfordert hätte. Allein die Provinz Barcelona verdoppelte ihre Einwohnerzahl zwischen 1960 und 1980, von ca. 2 Mio. auf knapp 4 Mio. Menschen. Ende der 70er Jahre waren 61% der Einwohner der Provinz Barcelonas außerhalb Kataloniens geboren worden. Das ist eine Zahl, die muss man erstmal verdauen, und natürlich irgendwie integrieren. Denn man mag jetzt vielleicht anmerken, dass die Einwanderer ja ihre Landsleute waren (als spanische Staatsbürger), doch Tatsache ist, dass die Zuwanderer weder ihre Sprache sprechen konnten noch ihre Kultur kannten.

Außerdem gab es ein riesiges Problem: Niemand hatte sich auf die große Anzahl von Menschen vorbereiten und so gab es nicht genug Wohnungen. Deshalb entstanden überall – aber vor allem in Barcelona – ganze Barracken-Viertel, in denen zehntausende Einwanderer lebten. Auf dem Montjuïc, am Strand (der sogenannte Somorrostro), auf dem Carmel, entlang der Avinguda Diagonal, etc. Die ersten entstanden bereits in den 40ern, als viele, die auf der republikanischen Seite gekämpft hatten, nach Barcelona kamen, um der Repression in ihren Heimatdörfern zu entfliehen. In den 50ern wurden diese Viertel immer größer, weil immer mehr Menschen aus Südspanien vor dem Hunger und dem Elend fliehen mussten und sich niemand dafür verantwortlich fühlte, Wohnungen zu bauen. Von der franquistischen Verwaltung konnten sie nichts erwarten: man ignorierte sie, und wenn die Barracken störten (z.B. als 1952 der Eucharistische Weltkongress in Barcelona stattfand), wurden sie einfach innerhalb weniger Stunden abgerissen. Die Menschen lebten dort ohne fließend Wasser, ohne Strom, ohne Abwasserkanäle; und doch sagen fast alle, die damals dort gelebt haben, dass es ihnen besser ging als in der Heimat. Erst in den 70ern/80ern erhielten dann diejenigen, die sich bis dahin keine eigene Wohnung hatten kaufen können, eine Wohnung (die letzten Barracken wurden in den 90ern abgerissen). Wer sich für das Thema interessiert, dem empfehle ich eine Dokumentation von TV3 (Barraques. La ciutat oblidada; mit englischen Untertiteln).

Insgesamt wuchs die Bevölkerung Kataloniens von etwa 1,9 Mio. Einwohnern im Jahr 1900 auf knapp 6 Mio. Mitte der 1980er Jahre an. Verschiedenen Berechnungen zu Folge hätte Katalonien ohne diese Einwanderung 1980 nur etwa 2,4 Mio. Einwohner gehabt. Besonders die Einwanderungswelle der 60er/70er hatte zur Folge, dass plötzlich die Hälfte der Bevölkerung Kataloniens kein Katalanisch sprechen konnte. Der unausgesprochene Pakt zwischen den Alteingesessenen (damals oft Catalans Vells – „Alt-Katalanen“ genannt) und den Neuankömmlingen (Catalans Nous – „Neu-Katalanen“) war: Wir kommen von Außerhalb, arbeiten hier, deswegen werden unsere Kinder Katalanisch lernen. Mit Erfolg! Tatsächlich waren es die Einwanderer selbst, die forderten, dass die Schulen ihre Kinder auf Katalanisch unterrichten sollten: die erste Schule, in der 1983 die Immersion offiziell eingeführt wurde, befand sich in Santa Coloma de Gramenet, einer Hochburg der spanischsprachigen Einwanderung (die Einwohnerzahl stieg von 15.000 im Jahr 1950 auf über 140.000 im Jahr 1981).

Auch wenn heutzutage immer noch etwa 53% der Bevölkerung Kataloniens das Spanische als Muttersprache haben und nur 32% das Katalanische, empfinden 36,3% der Katalanen das Katalanische als „ihre“ Sprache (llengua d’identificació). Betrachtet man nur diejenigen, die in Katalonien geboren sind (mittlerweile 65% der Bevölkerung), sieht es anders aus: 51% haben das Katalanische als Muttersprache, 42% das Spanische. Über 57% derjenigen, die Katalonien geboren sind, empfinden das Katalanische als ihre Sprache, 32% das Spanische und 9% beide. Über 81% der Bevölkerung können mittlerweile Katalanisch sprechen, und niemand, außer die rechts-konservative PP und die rechts-liberalen Ciudadanos/Ciutadans, stellt das System der sprachlichen Immersion in Frage. Mehr noch, sobald sich die Zentralregierung traut, das System zu verändern, gehen Zehntausende auf die Straße. Schließlich war es dieses System, das die Integration von Millionen von Einwanderern ermöglichte, ohne die Kinder in getrennte Klassen zu stecken.

In Bezug auf den historisch motivierten Separatismus (Independentisme, nicht zu verwechseln mit dem Katalanismus/Nationalismus) wäre noch anzumerken, dass der Katalanismus seit seinen Anfängen föderalistisch/konföderal geprägt war und keinesfalls separatistisch. Erst nach den gescheiterten Autonomiebestrebungen und mit dem Verbot katalanistischer Parteien während der Diktatur von Primo de Rivera sprachen sich einzelne Gruppierungen offen für die Unabhängigkeit und Separation aus (vor allem Estat Català). Nach dem Ende der Franco-Diktatur verfolgte man das Ziel, so viel Selbstverwaltung wie möglich zu bekommen, aber (erstmal) nicht die Unabhängigkeit. Viele Katalanen vertrauten darauf, dass sie ihre Bestrebungen nach Selbstverwaltung und ihr Modell von Katalonien innerhalb des spanischen Staates realisieren könnten. Erst seit Ende der 80er Jahre, als sich die links-katalanistische ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) in ihrem Statut als „independentista“ (separatistisch/ die Unabhängigkeit befürwortend) definierte, gewann diese Bewegung an Kraft, blieb aber immer eine Rand-Ideologie. Sie waren nur „cuatro gatos/ quatre gats“ (vier Katzen); der Anteil derjenigen, die sich die Unabhängigkeit wünschten, lag bis zum Jahr 2005 nur bei zwischen 13 und 16% (ERC erreichte meistens nur zwischen 4 und 8% der Stimmen). Auch die größte katalanistische Partei, die CiU, unterstützte nicht die Unabhängigkeit; ihr Ziel war es, die Autonomie weiter auszubauen. Man hatte ja Erfahrung darin, mit Madrid zu verhandeln.

Es ist auch wichtig den Begriff „Separatismus“ zu definieren, denn die wenigsten Unabhängigkeitsbefürworter bezeichnen sich selbst als Separatisten. Nicht zuletzt, weil das in Spanien ein sehr negativ besetzter Begriff ist: Die Truppen Francos ermordeten in Katalonien die Menschen vor allem, weil sie „Rote“ und „Separatisten“ waren (Rojo separatista ist heute noch eine beliebte Beleidigung in rechten Kreisen). Niemand will Mauern errichten und die katalanische und spanische Gesellschaft voneinander trennen. Man bezeichnet sich entweder als Independentista (Unabhängigkeitsbefürworter) oder Soberanista (Souveränist), d.h. man möchte die vollkommene Unabhängigkeit der eigenen Institutionen, um eigene Entscheidungen treffen zu können, um nicht von der Willkür Madrids abhängig zu sein (wo die Gegner Kataloniens immer die Mehrheit haben) und um die eigenen Interessen selbst in Europa verteidigen zu können. Man möchte weiterhin mit Spanien zusammenarbeiten, aber eben auf Augenhöhe. Man ist sich sehr wohl bewusst, dass viele Katalanen starke familiäre und freundschaftliche Bindungen zum Rest Spaniens haben und niemand will dem ein Ende setzen. Allerdings ist so eine Beziehung im Moment unmöglich (auch in Zukunft eher unwahrscheinlich) und die störrische Haltung des Staates bewirkt, dass immer mehr Katalanen keine Zukunft mehr im spanischen Staat sehen.

Ein Staat, der sich nicht ändert

Dabei gab es immer ein Thema, bei dem man nie weiter kam: die Finanzierung. Schon vor 2006 hatte die Generalitat immer wieder beklagt, dass Katalonien von den Investitionen der Zentralregierung ausgeschlossen wurde. Infrastrukturen, die gebaut werden sollten, wurden nicht gebaut, und das Geld wurde stattdessen in die Infrastruktur von Madrid gesteckt. Eines von vielen Beispielen ist der Straßenbau. Während zwischen 1992 und 2012 in Madrid über 800 km an Autobahnen gebaut wurden, waren es in Barcelona nur 20 km. Außerdem muss man für die katalanischen Autobahnen sehr viel höhere Mautgebühren bezahlen, da die Autobahnstrecken, die gebaut wurden, von Privatunternehmen finanziert wurden und daher auch heute noch in privater Hand sind, während der Großteil der Autobahnen in Madrid öffentlich sind (und wenn nicht, dann beträgt die Maut nur einen Bruchteil dessen, was man in Katalonien zahlt). Und geht eine Maut-Autobahn in Madrid pleite, so übernimmt der Staat einfach die Kosten (zuletzt wieder über 4,5 Milliarden €). So kostet die Strecke Barcelona – Tarragona (100 km) 14,20 € (Lkw 31,29 €), die Strecke Barcelona – La Jonquera (Grenze zu Frankreich, 155 km) 15,20€ (Lkw 30,70 €), die Strecke Barcelona – Zaragoza (306 km) 29,40 € (Lkw 65,45€) und die Strecke Barcelona – Valencia (350 km) 41,22 € (Lkw 72,59 €), während z.B. die Strecke Madrid – Toledo (74 km) 0 € kostet, die Strecke Madrid – Zaragoza (314 km) auch 0 €, und die Strecke Madrid – Valencia (355 km) auch 0 € kostet. Das bedeutet, dass es für Firmen, die ihre Waren mit Lkws durch Spanien transportieren, sehr viel billiger ist, ihren Sitz in Madrid zu haben — wo sie zudem die niedrigsten Steuern Spaniens bezahlen — als in Barcelona.

Auch die Flughäfen sind ein Streitthema: Sowohl der Hauptstadtflughafen Madrid-Barajas als auch der von Barcelona-El Prat werden von der staatlichen AENA verwaltet. Doch der Fokus liegt auf Madrid; und so werden verstärkt Langstreckenflüge an Madrid vergeben und es wird mehr in den dortigen Flughafen investiert (bis zu 20% aller Investitionen), obwohl Barcelona viel rentabler ist (bekommt aber nur 7% der Investitionen). Oder der Hafen Barcelonas, auch in staatlicher Hand: Über 15 Jahre lang versuchte man mit dem Entwicklungsministerium über eine Anbindung an die Bahnstrecke zu verhandeln. Am Ende wurde es zwar genehmigt, aber der Hafen muss — um das investierte Geld zurück zu bezahlen — Gebühren für jede Ware und jeden Passagier berechnen. Damit hat der Hafen nicht nur einen Wettbewerbsnachteil und ist spanienweit der einzige Hafen, der sich seine Infrastruktur selbst finanzieren muss, sondern finanziert so gleichzeitig den Bau und Ausbau von anderen Häfen in Spanien, die ihm Konkurrenz machen. Obwohl er nicht der größte Containerhafen Spaniens ist (vor ihm befinden sich Algeciras und València), so ist er doch der größte Kreuzfahrtschiffhafen des Mittelmeers und der am stärksten wachsende Hafen Europas. Mit jährlichen Einnahmen von zwischen 150 und 200 Mio. € und einem Gewinn von ca. 53 Mio. €, liegt er in Spanien auf Platz 1.

Man beklagte zudem, dass man sehr viel in die Kasse einzahlte, aber nur einen Bruchteil zurückbekam. Daher wollte man ein neues Finanzierungsmodell. Natürlich hoffte man auf das baskische Modell (die baskischen Provinzen und Navarra treiben alle Steuern selbst ein und zahlen dann etwa 6% der Staatsausgaben als „Ausgleich“, ein historisches Sonderrecht), aber diese Forderung wies Madrid jedes Mal mit der Aussage „verfassungswidrig“ zurück. Außerdem begann die Zentralregierung unter Aznar (PP) ab dem Jahr 2000 immer mehr Kompetenzen Kataloniens einzuschränken und wieder an sich zu reißen, sodass man im Jahr 2003 entschied, das Autonomiestatut zu reformieren, um Kataloniens Einordnung im spanischen Staat neu zu definieren.

Die Regierung der Generalitat hatte Großes vor: Um ein neues Statut zu verabschieden braucht man eine 2/3 Mehrheit im katalanischen Parlament, dann eine Mehrheit im spanischen Kongress und am Ende muss die neue Landesverfassung noch vom Volk durch ein Referendum bestätigt werden. Der Entwurf wurde vom katalanischen Parlament nahezu einstimmig angenommen (fast 90% dafür): Von den 135 Abgeordneten stimmten 120 dafür (PSC, ERC, CiU, ICV) und 15 dagegen (PP). Zapatero, der neue Ministerpräsident Spaniens (PSOE), hatte öffentlich versprochen, das Statut so abzusegnen, wie es im katalanischen Parlament beschlossen wurde. Gehalten hat er sich nicht dran. Sobald der Inhalt öffentlich wurde, positionierten sich sofort wichtige Institutionen gegen das Autonomiestatut, darunter die spanische Zentralbank (Banco de España), die katholische Kirche, der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial), der Arbeitgeberverband (Patronal) und alle Hauptstadtmedien. Die PP forderte, dass es ein gesamtspanisches Referendum geben müsse, um über das Statut abzustimmen und begann sofort, Unterschriften zu sammeln, damit das Statut gar nicht erst zur Debatte zugelassen wird (sie sammelten über 4 Mio. Unterschriften). Mit den 4 Mio. Unterschriften gegen das Autonomiestatut in unzähligen Kisten verpackt, inszenierte sich Rajoy vor dem spanischen Kongress. Außerdem organisierte Rajoy, damals in der Opposition und seit 2011 spanischer Ministerpräsident, eine öffentliche Kundgebung in Madrid, bei der er gegen Katalonien schimpfte und sich weigerte Katalonien als Nation und Spanien als plurinationalen Staat anzuerkennen. Er ernte viel Applaus und „Spanien! Spanien!“-Rufe von Seiten der über 200.000 Teilnehmer.

Trotzdem wurde der Entwurf zur Debatte zugelassen. Die größten Streitthemen waren die im Statut erwähnten Aussagen, dass „Katalonien eine Nation“ sei, dass „Spanien ein plurinationaler Staat“ sei, und verschiedene Artikel, die auf den historischen Sonderrechten Kataloniens beharrten. Außerdem wurde das „Recht und die Pflicht, Katalanisch zu beherrschen“ (damit wären das Katalanische und das Spanische in Katalonien rechtlich gleichgestellt) und das neue Finanzierungsmodell (Concert Econòmic) kritisiert. Das Statut wurde wochenlang im spanischen Kongress debattiert, in hitzigen Debatten wurden die meisten der 223 Paragraphen umgeschrieben und manche sogar ganz gestrichen. Die Paragraphen, in denen Katalonien als Nation bezeichnet wurde, wurden gestrichen und dafür ein Satz in die Präambel (ohne juristischen Wert) zugefügt, der besagt, dass „das Parlament von Katalonien Katalonien als Nation definiert“. Gestrichen wurde auch die Pflicht, Katalanisch zu beherrschen und die Aussage, dass Spanien ein plurinationaler Staat ist. Diese wurde durch „Spanien ist ein Staat, der die vielfältigen Identitäten seiner Völker anerkennt und respektiert“ ersetzt. Auch das Finanzierungsmodell, das das Statut festlegte (alle Steuern aus Katalonien werden von der Generalitat erhoben und verwaltet und ein Anteil an Spanien abgegeben) wurde nicht übernommen. Stattdessen einigte man sich darauf, dass sich Spanien verpflichtete, denselben Anteil, den Katalonien am spanischen BIP hat (18,8%), auch in Katalonien zu investieren. Denn bisher blieben die staatlichen Investitionen immer weit darunter, bei etwa 8,5 – 11 %.


Kurz zum finanziellen Problem, das Katalonien hat. Katalonien, dessen Bevölkerung 16% ganz Spaniens ausmacht, ist mit einem BIP von ca. 204 Milliarden Euro die produktivste Region Spaniens, noch vor Madrid (202 Milliarden). Beim BIP pro Einwohner rutscht Katalonien aber mit 27.613 € pro Einwohner auf Platz vier, hinter Madrid (31.700 €), dem Baskenland (30.700 €) und Navarra (29.060 €). Das durchschnittliche Bruttoeinkommen ist in Katalonien 24.300 €/Jahr (spanischer Durchschnitt 23.100€; Madrid ca. 26.300€), in Deutschland ca. 40.000€/Jahr (nur zum Kontext, denn hier in Deutschland wird ja immer gerne von den „reichen Katalanen“ gesprochen, die ja so unsolidarisch sind). Wenn man die reale Kaufkraft betrachtet, befindet sich Katalonien sogar auf Platz 7, weil die Lebenshaltungskosten dort viel höher sind als in anderen Regionen. Im europäischen Vergleich sieht man es noch extremer: Nach dem BIP/Einwohner, steht Katalonien in Europa auf Platz 63 von insgesamt 272 EU-Regionen (Regional Social Progress Index 2016). Beim sozialen Fortschritt rutscht Katalonien allerdings auf Platz 163; hinter 11 anderen spanischen Regionen; 8 von ihnen mit einem niedrigeren BIP! Bei diesem Ranking werden vor allem Bereiche bewertet, die von öffentlichen Investitionen und dem Finanzierungssystem abhängig sind (z.B. Gesundheitswesen, Bildungssystem, Aufstiegschancen, Umwelt, Sicherheit, etc.), die in Katalonien jedoch stark zu wünschen übrigen lassen.

Spanien ist, trotz der föderativen Ansätze, ein Zentralstaat, der vor allem seit der Regierung von Aznar (bis 2004) einen extremen Rezentralisierungskurs führt. Besonders deutlich wird der Rezentralisierungskurs des Staates an der heutigen Situation Madrids. Während 1980 nur 50 der 250 größten Unternehmen in Spanien ihren Sitz in Madrid hatten, sind es mittlerweile über 200. Während fast überall in Spanien, besonders in der Peripherie, zwischen 1980 und 2016 das öffentliche Kapital und der Anteil am gesamtspanischen BIP zurückgegangen sind, ist das öffentliche Kapital in Madrid um 30% und der Anteil am gesamtspanischen BIP um 34% gestiegen. Dies liegt einerseits natürlich am „Efecto Capitalidad“ (Hauptstadteffekt), d.h. alle staatlichen Institutionen, Organismen, etc. haben dort ihren Sitz und dies zieht zudem Investoren und Unternehmen an, die wiederum selbst ihren Sitz dort gründen oder dorthin verlegen (z.B. die großen Energiekonzerne, Verlage, Versicherungen, etc.). Andererseits ist es aber auch die Folge des politischen Willens. Und der führt dann zu großen staatlichen Investitionen in der Hauptstadt, die allerdings nicht als „regionalisierte“ Investitionen aufgeführt werden (und deshalb nicht in der Madrider Finanzbilanz auftauchen), da sie ja „allen Spaniern“ zu Gute kommen. Stattdessen erscheint aber der Gewinn von landesweit operierenden Unternehmen ausschließlich in Madrid (da sie dort ihren Sitz haben und Steuern bezahlen), obwohl der Gewinn ja nicht nur dort erzielt wurde.

Alle Steuern werden vom Staat erhoben und eingetrieben und danach an die Autonomen Gemeinschaften verteilt (ohne Transparenz oder einen gesetzlich festgelegten Schlüssel). Eine Ausnahme gibt es bei der Erbschaftssteuer, der Vermögenssteuer und bestimmten Prozentsätzen der Mehrwertsteuer und der Einkommensteuer (IRPF), die direkt an die Autonomen Gemeinschaften weitergeleitet und von ihnen verwaltet werden dürfen, was allerdings nur einen Bruchteil ausmacht. So nimmt die Generalitat mit diesen Steuern bloß etwa 2,5 Milliarden pro Jahr ein (das restliche katalanisches Steueraufkommen liegt bei ca. 38 Milliarden, die aber an den Staat gehen) — obwohl sie schon die höchsten Steuersätze Spaniens eingeführt hat (Madrid hat die niedrigsten) — und muss darauf hoffen, dass man ihnen in Madrid genug Geld wiedergibt, um die Haushaltskosten zu decken (größtenteils für Sozial- und Bildungspolitik, da diese Ausgaben ja vom Staat vorgegeben sind). Außerdem wird das „Principio de Ordinalidad“ nicht eingehalten, also das Prinzip, das besagt, dass die Reihenfolge der Länder in Bezug auf ihre Finanzkraft nicht durch den Länderfinanzausgleich verändert werden darf (d.h. dass ein Geberland, das vor dem Ausgleich z.B. auf Platz 3 stand, nach dem Ausgleich nicht plötzlich auf Platz 5 stehen darf). Über 21% des gesamten Steueraufkommens Spaniens stammen aus Katalonien (ca. 38 Milliarden), man würde also erwarten, dass man vielleicht zwischen 16% (Anteil an der Gesamtbevölkerung) und 18% (Anteil des BIP) zurückbekommt; das ist und war aber noch nie so. Stattdessen steuert Katalonien 18% seines Steueraufkommens zudem dem spanischen Länderfinanzausgleich bei (Fondo de Compensación Interterritorial). Laut Berechnungen verschiedener Wirtschaftswissenschaftler anhand der von der Zentralregierung veröffentlichten Zahlen, hat Katalonien jedes Jahr ein Haushaltsdefizit von ca. 16 Milliarden Euro. Zwischen 8 – 10% des BIP Kataloniens, die als Steuern an Spanien gehen und nicht zurückkommen (anders z.B. Andalusien, wo man 6 Milliarden mehr zurückbekommen hat, als man eingezahlt hat). Wenn man das als Solidaritätsbeitrag betrachtet, wie man das in Spanien inoffiziell tut, dann ist das eindeutig zu viel. Bayern, das größte Geberland in Deutschland, gibt 1% seines BIP ab (etwa 5,8 Mrd.), in anderen Ländern Europas schwankt der Prozentsatz zwischen 3 – 5% (Haushaltsdefizite im Vergleich: Bayern 1% des BIP; Flandern ca. 3%, West-Schweden 2%). Das ist Solidarität, 8 – 10% ist Ausbeutung. Vielleicht keine bewusste Ausbeutung, aber man weigert sich halt auch, etwas dran zu ändern. Zwischen 1986 und 2012 hat Katalonien so fast 300 Milliarden Euro verloren.

Niemand in Katalonien stellt das Prinzip der territorialen Solidarität in Frage. Bei den Verhandlungen für ein neues Finanzierungssystem war immer die Rede von festgelegten Solidaritätsbeiträgen für ärmere Regionen. Doch das aktuelle System ist einfach unhaltbar und überhaupt nicht effizient. Dadurch, dass dem Haushalt Kataloniens nicht genug Geld zur Verfügung steht, muss man einen Handelsüberschuss erwirtschaften, und das führt dazu, dass die Löhne sinken (um wettbewerbsfähig zu bleiben). In Valencia z.B. ist es extremer, da die Region zwar offiziell als arm gilt (BIP/Einwohner liegt unterhalb des spanischen Durchschnitts), aber trotzdem ein Nettozahler im System ist. Das hat in den letzten Jahren zu einer enormen Verschuldung geführt. Und wenn man jetzt sehen würde, dass die Transferleistungen wenigstens was gebracht haben, dann hätte das ganze ja wenigsten etwas positives. Die Wahrheit ist jedoch, dass sich die wirtschaftliche Situation in den Nehmer-Regionen von 1980 bis heute kaum verändert hat. Während das BIP/Einwohner z.B. in Katalonien, Andalusien oder Castilla y León seit 1980 nahezu gleichgeblieben ist (119%, 74% bzw. 93%; wobei 100% das durchschnittliche BIP/Einwohner in Spanien ist), ist das BIP/Einwohner in anderen Regionen sogar weiter gesunken, wie z.B. Murcia (von 100% auf 81%), Valencia (von 101% auf 90%), Castilla – La Mancha (von 83% auf 77%) oder den Balearen (von 114% auf 104%). Gestiegen ist es u.a. in Extremadura (von 59% auf 68%) oder Galicien (von 83% auf 89%). Dies liegt aber eigentlich nur daran, dass sie Bevölkerung verloren haben. An der Spitze liegt Madrid (von 113% im Jahr 1980 auf 137% im Jahr 2016). Tatsächlich befindet sich heute das BIP/Einwohner in 10 Autonomen Gemeinschaften unter dem spanischen Durchschnitt; im Jahr 1980 waren es nur 7.

Anstatt mit dem Geld in Katalonien Eisenbahnstrecken, öffentliche Autobahnen oder den langersehnten Corredor Mediterráneo (Mittelmeer-Korridor) zu bauen, investierte die Zentralregierung stattdessen ins Straßennetz von Madrid, in neue Flughäfen in der Pampa und in den ungeheuer teuren Ausbau des Hochgeschwindigkeitszugnetzes; von Madrid aus in alle Ecken Spaniens, so menschenleer sie auch sein mögen. Der Bau des Mittelmeer-Korridors wird außerdem seit Jahrzehnten von der EU verlangt und subventioniert, denn diese Eisenbahnstrecke, die Algeciras in Andalusien mit La Jonquera an der katalanisch-französischen Grenze verbinden würde, würde alle wichtigen Häfen Spaniens kinderleicht mit Europa verbinden und den Handel mit Asien erleichtern (und vor allem billiger und umweltfreundlicher machen). Der Korridor wäre nicht nur für Katalonien extrem wichtig, sondern für ganz Spanien, schließlich würde der „Mittelmeer-Bogen“ (macht etwa die Hälfte des gesamten spanischen BIPs aus) direkt mit dem europäischen Teil der Route verbunden werden. Die Route Algeciras – Stockholm verbindet 245 Mio. Menschen und macht 66% des gesamten BIP Europas aus. Was war Madrids Gegenvorschlag? Den Mittelmeer-Korridor anstatt durch die Mittelmeeranreiner, quer durch Zentralspanien zu bauen, durch Madrid und dann durch die aragonesischen Pyrenäen (dem höchsten, breitesten und unzugänglichsten Abschnitt der Pyrenäen) nach Frankreich. Dass das überhaupt keinen Sinn macht, da es in Zentralspanien keine Häfen gibt, hat man erst geglaubt, als die EU ausdrücklich auf die Priorität eines tatsächlichen MITTELMEER-Korridors hingewiesen hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Madrid schon Milliarden in das eigene Projekt investiert hatte. So entstand z.B. der Flughafen con Ciudad Real (Castilla – La Mancha). Zwar wurde er privat finanziert, aber die Sparkasse, die die Kredite vergeben hatte – Caja Castilla-La Mancha – musste vom Staat gerettet werden (für ca. 5 Mrd. Euro). Der Flughafen hatte über 1 Mrd. € gekostet, wurde 2008 eröffnet und musste 2011 wieder geschlossen werden, weil er kaum Flugverkehr hatte (nur ca. 50.000 Passagiere statt den geplanten 2 Mio.). Neben dem Flughafen und der AVE-Station soll hier zudem der größte Containerhafen Südeuropas entstehen. Mitten im Nichts, über 400km vom Meer entfernt. Außerdem wurden in der Region viele Autobahnen geplant und gebaut, um z.B. Extremadura mit dem Flughafen in Ciudad Real zu verbinden, etc. Allerdings wurden bisher nur Teilstrecken fertiggestellt.

Was ist das Problem dabei? Der Großteil der Grundstücke dort gehört der Wirtschaftselite Madrids (= Spaniens; nahezu alle großen Börsenunternehmen), u.a. den Familien der größten Straßenbauunternehmen (z.B. der Familie Entrecanales, Inhaber von Acciona; der Familie Del Pino Calvo-Sotelo, Inhaber von FerrovialFlorentino Pérez, Präsident des Real Madrid und Hauptaktionär des Bauunternehmens ACS), dem Bauunternehmen OHL (sowohl der Präsident Villar Mir als auch sein Schwiegersohn Javier López Madrid – ein enger Freund der Königin Leticia – sind wegen millionenschwerer Korruption angeklagt) oder der Familie Botín (Inhaber der Bank Santander). Dieselben Straßenbauunternehmen, die später die Straßen bauen. Und übrigens: Sowohl die Villar Mir und die Entrecanales als auch die Calvo-Sotelo und die Botín verdanken ihren Reichtum ihrer Nähe zu Franco (ihre Unternehmen waren verantwortlich für den Wiederaufbau, inklusive Zwangsarbeitern). Auch die Familie Franco hat hier unglaublich große Grundstücke (u.a. verkaufte sie 3,3 Mio. Quadratmeter einer über 9 Mio. m² großen Finca bei Arroyomolinos) und profitierte von den Grundstücksaufwertungen vom ehemaligen Präsidenten Aznar (von landwirtschaftlicher, nicht bebaubarer Nutzfläche zu Bauland, das teurer ist). Der Staat kauft Teile dieser Grundstücke auf, um dort die Straßen und Infrastruktur zu bauen; allerdings zu horrenden Preisen. So waren die Preise zwar auf ca. 28 €/m² geschätzt worden, aber am Ende zahlte der Staat teilweise über 3.000 €/m². Statt nur 75m beidseits der geplanten Straße zu kaufen, kaufte man außerdem 150m. Über 1,8 Mrd. an Steuergeldern, die sich die reichsten Familien Spaniens mal wieder Dank der Mithilfe der Politik untereinander aufteilten.

Auch das Thema des AVE (der Hochgeschwindigkeitsbahn) ist ein schwieriges. Spanien hat mit über 5.000 km an Hochgeschwindigkeitszugnetz (in Bau oder fertiggestellt) das größten Netz der Welt, nur übertroffen von China. Die Strecke Madrid – Barcelona wurde erst 2008 eingeweiht, während z. B. die Strecke Madrid – Sevilla schon seit 1992 funktionierte. Das Problem? Man kommt immer nur nach Madrid, es gibt keinen Schnellzug, der z.B. Barcelona und Valencia oder Zaragoza und Bilbao verbindet. Einige Strecken mussten sogar schon wieder geschlossen werden, so z.B. die Strecke Madrid – Cuenca – Albacete, die durchschnittlich nur 9 Passagiere pro Tag transportierte und täglich 18.000€ kostete. Tatsächlich gibt es nicht einen einzigen Kilometer des Hochgeschwindigkeitsnetzes, der keinen Verlust macht. Selbst die am meisten benutzte Strecke (Madrid-Barcelona) macht jeden Tag Verluste. Und natürlich wurde auch für den Bau der Strecken unglaublich viel Land von den reichsten Familien gekauft…

All diese Themen sind heutzutage überall präsent und für viele ein Grund, jetzt die Unabhängigkeit zu wollen. Da die Zentralregierung mit Beginn der Krise die Finanzierung kürzte, war die Generalitat gezwungen, überall zu kürzen, Steuern zu erhöhen, etc., was sie nicht hätte tun müssen, wenn man das Haushaltsdefizit hätte reduzieren können (allerdings lehne ich mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass es der liberalen CiU auch nicht besonders schwer fiel, im sozialen Bereich zu kürzen). Außerdem musste die Generalitat (und andere autonome Regierungen) ab 2012 Kredite beim spanischen Staat aufnehmen (mit Zinsen!), um den Haushalt zu finanzieren. Diese Kredite sind Teil des FLA (Fondo de liquidez autonómica; eine Art Rettungsfonds für die Autonomen Gemeinschaften), das 2012 eingerichtet wurde, weil die Autonomen Gemeinschaften keinen Zugang mehr zu anderen Krediten hatten. So nimmt der spanische Staat Kredite auf (Dank der EZB ohne Zinsen), und die Autonomen Gemeinschaften müssen unzählige Kontrollmechanismen überwinden, um an das Geld zu kommen. Neben der Tatsache, dass der Staat das Geld zwar „umsonst“ bekommt, aber von den Autonomen Gemeinschaften Zinsen verlangt, stößt eine Bedingung auf Protest: um an das Geld zu kommen, muss man den Großteil des Kredits dafür benutzen, um Schulden bei den Banken abzubezahlen. Das System ist einfach nur pervers: der Staat kürzt die Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften und zwingt sie so, Kredite bei ihm aufzunehmen, die sie dann mit Zinsen zurückzahlen müssen. Zwei Drittel der Schulden Kataloniens gehen auf dieses System zurück. Und das ist einfach nur grotesk, wenn man bedenkt, dass der Staat z.B. einfach das Geld zurückgeben müsste, das er Katalonien schuldet. Dabei spricht niemand von den angehäuften 300 Mrd. an Defizit, sondern nur von den versprochenen und beschlossenen Investitionen, die niemals ausgezahlt wurden. So versprach man jeweils in den Jahren 2004, 2008 und 2012 4 Mrd. € in Katalonien zu investieren. Bis jetzt sind nur 10% davon investiert worden. Stattdessen verdoppelte man die geplanten Investitionen in Castilla – La Mancha.


Zurück zum Autonomiestatut. Nach allen Änderungen (50% aller Paragraphen), schienen die spanischen Abgeordneten zufrieden zu sein und ließen über das neue Statut abstimmen: Es wurde angenommen, mit 189 Stimmen dafür (PSOE, CiU, ICV, Izquierda Unida, Partido Nacionalista Vasco, Bloque Nacionalista Galego) und 154 Stimmen dagegen (PP, Eusko Alkartasuna und ERC). Da vom Original-Statut fast nichts übrig geblieben war, nachdem es im spanischen Kongress debattiert worden war, stieg ERC aus dem Vorhaben aus und kündigte an, gegen das Statut zu werben. Beim darauffolgenden Referendum in Katalonien stimmten 74 % dafür und 20% dagegen, die Wahlbeteiligung lag aber nur bei 49% (was nicht verwundert, da zu  der Zeit die Wahlbeteiligung in Katalonien eh eher gering war; 1999: 59%; 2006; 57%; viele Einwanderer interessierten sich nicht für die katalanische Politik). Damit trat das neue Statut am 18. Juni 2006 in Kraft.

Einen Monat später reichte die PP eine Klage beim Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional) ein, da ihrer Meinung nach 144 Paragraphen gegen die Spanische Verfassung verstießen. In Katalonien war man entrüstet: Nachdem von ihrem eigentlichen Statut nichts mehr übrig geblieben war, und es trotzdem von einer Mehrheit der Bevölkerung angenommen worden war (es war immerhin besser als nichts, wir erinnern uns ans „peix al cove“), hatte die PP immer noch nichts besseres zu tun, als weiter dagegen vorzugehen?

Im Jahr 2009 veröffentlichten die 12 wichtigsten in Katalonien verlegten Zeitungen (mehrere Lokalzeitungen wie Segre, Diari de Tarragona, Diari de Girona oder Regió7, aber auch die katalonienweiten Avui und El Punt und die spanienweiten La Vanguardia und El Periódico de Catalunya) einen gemeinsamen Leitartikel unter dem Titel „La dignidad de Catalunya“ (Die Würde Kataloniens). Darin erklärten sie der spanischen Öffentlichkeit die Tragweite, die ein negatives Urteil des Verfassungsgerichts haben würde. Wenn das Verfassungsgericht über das Statut urteilte — das ja ein doppelter politischer Pakt ist (1. Pakt im katalanischen Parlament, 2. Pakt im spanischen Kongress/Senat), der durch das katalanische Volk demokratisch legitimiert worden ist — würde sich das Gericht nicht nur zur vierten legislativen Kammer (nach dem katalanischen Parlament, dem spanischen Kongress und dem Senat) erheben, sondern auch einen der Grundsätze des Rechts brechen: Pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten). Das wahre Problem wäre nicht das Statut, sondern, ob man in Spanien den Fortschritt oder den Rückschritt möchte; ob man die „demokratische Reife eines pluralistischen Spaniens“ akzeptieren oder blockieren will. Desweiteren stand dort: «In Katalonien ist man sehr besorgt und in Spanien sollte man das wissen. Man ist mehr als nur besorgt. Immer mehr Katalanen haben es satt, zornige Blicke von denjenigen zu ernten, die in der katalanischen Identität (Institutionen, Wirtschaftsstruktur, Sprache und Kultur) nur den Fabrikationsfehler sehen, der verhindert, dass Spanien eine erträumte und unmögliche Gleichförmigkeit erreicht. […] Niemand sollte es falsch verstehen oder die unausweichlichen Widersprüche des heutigen Katalonien fehlinterpretieren. Niemand sollte eine falsche Diagnose stellen, trotz all der Probleme, der Abneigung und des Verdrusses. Wir stehen hier nicht vor einer schwachen, erniedrigten Gesellschaft, die bereit ist, gleichmütig mit anzusehen, wie ihre Würde beschädigt wird. Wir wünschen uns keinen negativen Ausgang und vertrauen auf die Rechtschaffenheit der Richter, aber niemand, der Katalonien kennt, wird daran zweifeln, dass die Forderung nach Anerkennung ihrer Identität, Verbesserung der Selbstverwaltung, einer besseren Finanzierung und Verwaltung der Infrastruktur immer beharrlich gestellt wurde und immer wieder mit einer großen sozialen und politischen Mehrheit gestellt werden wird.»

Das Verfassungsgericht stand schon immer in der Kritik, weil es zu politisiert ist. Dieses Mal war schlimmer, denn anstatt 6 konservative und 6 progressive Richter zu haben, gab es nun eine Mehrheit der Konservativen, weil ein progressiver Richter, der Katalane Pablo Pérez Tremp, ausgeschlossen worden war. Außerdem war die Vorsitzende eine Konservative (von der PP vorgeschlagen), d.h. sie hatte doppeltes Stimmrecht im Falle eines Gleichstands. Später wurde dieses Ungleichgewicht jedoch ausgeglichen, da ein konservativer Richter starb. Die Kritik? Es dauerte vier Jahre bis das Verfassungsgericht zu einem Urteil kam, und in der Zwischenzeit waren die Mandate von vier Richtern ausgelaufen. Da die PP im Senat die Wahl von vier neuen Richtern blockierte (schließlich waren drei von ihnen konservativ), wurde im Juni 2010 ein Urteil veröffentlicht, obwohl vier der Richter eigentlich gar nicht mehr hätten mitentscheiden dürfen (6 Richter stimmten für das Urteil, 4 dagegen). 14 Paragraphen wurden als verfassungswidrig eingestuft (darunter die Aussage, dass das Katalanische die Hauptsprache der Verwaltung und der Bildung sein solle; die Einrichtung eines katalanischen Justizrates und die bilaterale Übereinkunft zwischen Generalitat und Zentralregierung, was die Höhe der Solidaritätsbeiträge betrifft) und aus dem Statut gestrichen. Kurioserweise strich das Verfassungsgericht aber auch Paragraphen (Thema Justiz), die wortwörtlich auch im andalusischen Autonomiestatut von 2007 auftauchen (und die übrigens nicht von der PP angefochten wurden). Außerdem schränkte das Urteil weitere 27 Paragraphen ein, indem es vorgab, wie diese zu interpretieren seien. So darf das Wort „Nation“ zwar in der Präambel stehen bleiben, da sie eh keinen juristischen Wert hat, trotzdem wird nochmal extra darauf hingewiesen, dass es ein Synonym für die, in der Verfassung erwähnten, „Nationalitäten“ ist und deshalb daraus keine zusätzlichen Rechte hervorgehen. Außerdem darf Katalanisch nicht mehr zwingend erforderlich sein, dies sei nur dem Spanischen vorbehalten. Auch darf die Generalitat keine Volksbefragungen durchführen oder zur traditionellen territorialen Gliederung der Vegueries zurückkehren, sondern muss die aktuellen Provinzen beibehalten. Viele ehemalige Verfassungsrichter – selbst die damals anwesenden Richter Eugeni Gay und Javier Delgado Barrio – und Verfassungsrechtler kritisierten das Urteil öffentlich, da das Gericht viel zu legislativ gehandelt hatte und durch die verschiedenen vorgegeben Interpretationen, ein neues Statut geschaffen hatte. Und das ist erstens nicht seine Aufgabe und zweitens hat es so eine demokratische Anomalie geschaffen (manche Verfassungsrechtler sprechen auch von einem indirekten Staatsstreich): Katalonien erhielt eine neue Landesverfassung, die weder vom katalanischen Parlament/spanischen Kongress noch vom katalanischen Volk gewählt worden war.

Es beginnt der Unabhängigkeitsprozess (El Procés)

Ein paar Tage nach der Veröffentlichung des Urteils, am 10. Juli 2010, fand in Barcelona die bis dahin größte Demonstration statt, die Katalonien je gesehen hatte. Über 1.600 Vereine, Gewerkschaften und Organisationen riefen auf, gegen das Urteil auf die Straße zu gehen: 1,5 Millionen Menschen folgten dem Aufruf und füllten die Straßen Barcelonas mit dem Motto «Som una nació. Nosaltres decidim» (Wir sind eine Nation. Wir entscheiden). Lag der Anteil derer, die ein unabhängiges Katalonien wollten, im Jahr 2005 noch bei 13 %, stieg er 2010 auf 25 % (30% waren für einen Gliedstaat innerhalb eines föderalen Spaniens). Fühlten sich 2006 nur 14,5 % ausschließlich als Katalanen, waren es 2011 schon 21 %, und 2012 29,6 %. Zufall? Ganz bestimmt nicht. Für viele Katalanen bedeutete dieses Urteil das Ende der Hoffnung, ihre Ziele innerhalb Spaniens verfolgen zu können. Wenn noch nicht einmal ein zusammengestampftes Autonomiestatut im spanischen Staat Platz hatte, dann hatten sie es wohl auch nicht.

Bei den katalanischen Parlamentswahlen im November 2010 gewann die CiU unter Führung von Artur Mas, und löste damit das Links-Bündnis von PSC – ERC – ICV ab, die für das Scheitern des Autonomiestatus verantwortlich gemacht wurden (obwohl Artur Mas persönlich mit Zapatero das endgültige Statut verhandelt hatte, sah man bei ihm keine Schuld). Im Jahr 2011 gewann die PP dann die Parlamentswahlen in Spanien. Mit absoluter Mehrheit (44% der Stimmen, aber 53% der Mandate). Das lag zum einen daran, dass die vorher regierende sozialdemokratische PSOE bei der Bevölkerung verhasst war, weil sie erst die Krise geleugnet und später ein straffes Sparprogramm eingeführt hatten; aber auch daran, dass die PP, mit Rajoy an der Spitze, versprochen hatte, auf gar keinen Fall im sozialen Bereich zu kürzen, und einen stark anti-katalanischen Diskurs geführt hatte. In Katalonien erhielt die PP nur 12% der Stimmen. Der Wahlsieg der PP war für die meisten Katalanen ein Schlag ins Gesicht. Nicht nur, weil mit der PP ihr größter Feind gewonnen hatte, sondern viel mehr wegen der Tatsache, dass ihr anti-katalanischer Diskurs anscheinend mit viel Unterstützung im Rest Spaniens rechnen konnte.

Artur Mas versuchte zwei Jahre lang, mit Rajoy eine neue Finanzierung (Pacte Fiscal) für Katalonien auszuhandeln, damit die Verschuldung nicht weiter steigt, doch Rajoy blockte immer wieder ab. Am 11. September 2012, dem Nationalfeiertag Kataloniens, kam es zur nächsten Massendemonstration. 2 Mio. Menschen füllten die Straßen Barcelonas unter dem Motto «Catalunya. Nou Estat d’Europa» („Katalonien. Ein neuer Staat Europas“) und forderten die katalanische Regierung auf, den Unabhängigkeitsprozess zu beginnen. An diesem Tag kam es auch zu einem Bruch innerhalb des PSC (katalanische Schwesterpartei der PSOE; eigentlich Verfechter der föderativen Lösung), denn mehrere wichtige Abgeordnete gingen zu der Demonstration und forderten ein Referendum. Viele dieser Abgeordneten verließen später die Partei, weil sie mit dem Parteikurs nicht mehr einverstanden waren.

Der katalanische Präsident Artur Mas rief daraufhin vorgezogene Wahlen aus, um die „Stimme des Volkes“ in die Wahlurnen zu bringen. Seine Partei, die CiU, hatte sich in dem Moment von ihrem traditionellen „Autonomismus“ (Kampf um mehr Selbstbestimmung und -verwaltung innerhalb Spaniens) abgewendet und definierte sich plötzlich als klar separatistisch, was viele Menschen verwunderte und misstrauisch werden ließ. Dementsprechend fiel auch die Wahl aus: Die CiU verlor knapp  8 Prozentpunkte (von 38% im Jahr 2010 auf 30%), stattdessen konnte ERC (seit Jahrzehnten offen separatistisch) ihr Ergebnis verdoppeln, von 7 % im Jahr 2010 auf 14%. Die Wahlbeteiligung stieg um 10 Prozentpunkte im Vergleich zu 2010 (2010: 59%, 2012: 69,6%). Da die Parteien, die für ein Referendum und für die Unabhängigkeit einstanden, in der Mehrheit waren (CiU, ERC und CUP stellten 74 Abgeordnete, PP und Ciutadans nur 28; die restlichen Parteien, insgesamt 33 Abgeordnete, kann man nicht eindeutig zuordnen, da z.B. ICV — 13 Abgeordnete — zwar ein Referendum wollte, aber sich nicht zur Unabhängigkeit äußerte), entschied man, den Kurs in Richtung verbindliches Referendum weiterzuführen. Denn dafür gab es auf jeden Fall eine klare Mehrheit von 87 Abgeordneten im Parlament (CiU, ERC, CUP, ICV; 64%). Außerdem hatte man die Zivilgesellschaft im Rücken: die neugegründete ANC (Assemblea Nacional Catalana) und Òmnium Cultural, die beiden Vereine, die für die Organisation der jährlichen Massendemonstrationen verantwortlich sind, übten immer wieder Druck auf die Regierung aus, um den Prozess voranzutreiben.

Anfang 2013 beschloss das katalanische Parlament die Erklärung „Declaració de Sobirania i del Dret a Decidir del Poble de Catalunya“ (Erklärung der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts der Bürger Kataloniens); 85 Abgeordnete (CiU, ERC, ICV, CUP) stimmten dafür, 41 stimmten dagegen (PSC, PP, Ciudadanos), 2 Abgeordnete der CUP enthielten sich, und 5 Abgeordnete des PSC weigerten sich, an der Abstimmung teilzunehmen, weil sie nicht mit der Parteilinie einverstanden waren. Diese Erklärung wurde kurz darauf vom spanischen Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional) annulliert, nachdem die PP Klage eingereicht hatte. Im Juni 2013 organisierten Òmnium Cultural und ANC das Konzert „Concert per la Llibertat“ (Konzert für die Freiheit) im Camp Nou, dem Stadion vom FC. Barcelona, zu dem 90.000 Besucher kamen und 400 Interpreten, die für das Selbstbestimmungsrecht einstanden (darunter Repräsentanten der Nova Cançó, wie Lluís Llach, Maria del Mar Bonet, und bekannte katalanische Künstler wie Peret, Sopa de Cabra, Companyia Elèctrica Dharma, Gossos, Grup de Folk; Künstler aus Valencia oder dem Baskenland wie Paco Ibáñez, Pau Alabajos und Fermin Muguruza; oder das Orfeó Català etc). Alle Eintrittskarten wurden am selben Tag verkauft, an dem sie auf den Markt kamen. Im Internet musste man bis zu 6 Stunden warten, um eine Karte kaufen zu können.

Am 11. September 2013 kam es zur nächsten medienwirksamen Demonstration, der Via Catalana. Die Via Catalana war eine 400 km lange Menschenkette, mit etwa 1,5 Mio. Teilnehmern, die sich von El Pertús in Nordkatalonien quer durch ganz Katalonien bis nach Alcanar (an der Grenze zu Valencia) zog und die den „Baltischen Weg“ zum Vorbild hatte (über 600km lange Menschenkette in den baltischen Staaten im Jahr 1989, um die Unabhängigkeit von der Sowjetunion zu erlangen). Zu diesem Zeitpunkt erreichten die Befürworter eines unabhängigen Kataloniens schon 48,5 % bei den Umfragen. Die Befürworter eines Gliedstaates innerhalb eines föderalen Spaniens sanken auf 21%, und nur 18,6% waren der Meinung, dass alles so bleiben sollte wie bisher. Auf die Frage „Unabhängigkeit Ja oder Nein?“ antworteten 58% mit Ja, und 36% mit Nein.


Die große Krise und das neue politische Bewusstsein

Natürlich muss man das alles aber auch im gesamtspanischen Kontext betrachten. Im Jahr 2008 begann die schwerste Krise, die das demokratische Spanien je erlebt hat. Wie im Rest Spaniens, schoss auch in Katalonien die Arbeitslosenquote in die Höhe, von 6,5 % im Jahr 2007 auf 16,9 % im Jahr 2009 und 23,1 % im Jahr 2013 (Spanien 2013: 26,1 %). Die Jugendarbeitslosigkeit (16 – 24 jährige) stieg von 13% im Jahr 2007 auf 50,4% im Jahr 2012. Überall wurde gnadenlos gekürzt, vor allem im Gesundheitswesen und Bildung (so wurden z.B. ganze Krankenhausstationen geschlossen, die Kranken wurden einfach tagelang in den Fluren „gelagert“, etc.). Menschen konnten ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen und landeten auf der Straße (teilweise über 500 Zwangsräumungen täglich). Manche dieser „desahuciados“ (Zwangsgeräumten) sprangen aus Verzweiflung von ihren Balkonen  in die Tiefe oder erhängten sich teilweise auf offener Straße. Ganze Familien mussten Wohnung „illegal“ besetzen, weil sie keine Bleibe mehr hatten. Die Protestbewegung 15-M hatte auch in Barcelona einen besonders starken Rückhalt in der Bevölkerung, die Plaça Catalunya wurde wochenlang von den Demonstranten besetzt. Die sozialen Probleme, die man in Katalonien hat, sind dieselben, die man auch in Madrid, Galicien oder Valencia hat. Deshalb entstand eine große Solidarität untereinander und vielleicht auch deshalb ein größeres Verständnis innerhalb dieser Gruppen für den Willen der Katalanen, ein Referendum abhalten zu dürfen. Schließlich verteidigt diese soziale Bewegung eben das: eine aktivere Rolle und ein Mitbestimmungsrecht der Bürger in der Politik, einen klaren Bruch mit der Transición und eine sozialere, bessere Gesellschaft. Die PP begründet den Anstieg des Separatismus gerne damit, dass die Katalanen „flüchten“ wollen, jetzt wo das Schiff untergeht. Damit machen sie es sich aber zu einfach. Viel mehr hat die Bewegung des 15-M dazu beigetragen, dass viele Katalanen jetzt hoffen, durch einen eigenen Staat auch ein neues sozialeres, gerechteres System zu schaffen. Für diese Katalanen geht es lange nicht mehr darum, historische Rechte für Katalonien einzufordern oder sich gegen Spanien zu stellen, da sie meistens selber entweder gar nicht in Katalonien geboren sind oder Kinder nicht-katalanischer Einwanderer sind. Ihre Hoffnung ist es einfach, mit einem neuen Staat neu anzufangen. Weg von einem Staat, der bis in alle Ebenen korrumpiert ist; der keinerlei Bestrebungen hat, die Diktatur aufzuarbeiten (bis heute weigern sich die PP, die Franco-Ära als Diktatur zu bezeichnen oder die Opfer der Diktatur zu entschädigen, und subventioniert stattdessen mit staatlichen Gelder die Stiftung Francisco Franco, deren einzige Aufgabe es ist, Franco, den Militärputsch und die Diktatur zu verherrlichen); weg von der von Franco legitimierten Monarchie, die von einem Skandal in den nächsten schlittert, den Steuerzahlern Millionen von Euro kostet und die mittlerweile mehrere Milliarden Euro im Ausland angesammelt hat (80% der Katalanen wollen eine Republik, während z.B. 60% der Kastilier die Monarchie beibehalten wollen); weg von einem Staat, der die Interessen der Banken und Konzerne über die seiner eigenen Bürger stellt; weg von einem Staat, der seine Folterknechte beschützt, begnadigt und auszeichnet (allein im Baskenland gab es zwischen 1978 und 2014 über 3.000 dokumentierte Folterfälle; über 70 Polizisten, die vor allem in den 80ern und 90ern wegen Folter verurteilt wurden, wurden kurze Zeit später von der jeweiligen Regierung begnadigt und mit Ehrenmedaillen ausgezeichnet); weg von einem Staat, in dem der Faschismus unbehelligt auf den Straßen spazieren, Parteien und „Gewerkschaften“ gründen kann, ohne dass irgendwas passiert; weg von einem Staat und seiner politischen und wirtschaftlichen Klasse, die jeden Tag mit neuen Korruptionsskandalen im Fernsehen erscheint, und dann noch die Frechheit besitzt, den Bürgern die Schuld für die Krise in die Schuhe zu schieben („ihr habt über euren Verhältnissen gelebt“).

Monarchie oder Republik


Im Jahr 2014 wollte die katalanische Regierung ihr Wahlversprechen wahr machen, und ein verbindliches Referendum zur Unabhängigkeit abhalten. Der Ton zwischen Barcelona und Madrid wurde rauer, da die spanische Verfassung solch ein Referendum nicht erlaubt (wenn, dann müsste es in ganz Spanien abgehalten werden) und die katalanische Regierung behauptete, dass sie es trotzdem abhalten würde (anzumerken ist allerdings, dass es einige Verfassungsrechtler gibt, die meinen, dass man die spanische Verfassung zu streng interpretiert und dass ein Referendum sehr wohl möglich wäre, wenn politischer Wille vorhanden wäre). Die Generalitat entsandte sogar eine Delegation von Politikern aller pro-Referendum-Parteien nach Madrid, um im spanischen Kongress zu beantragen, dass ihnen zeitweise die Kompetenz für das Abhalten eines Referendums übertragen wird; doch auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Zwischenzeitlich fand am 11. September 2014 — zum 300 jährigen Jubiläum der Eroberung Barcelonas am 11. September 1714 — erneut eine Massendemonstration statt. Über 1,8 Mio. Menschen bildeten Mitten in Barcelona ein „V“ (steht für voluntat, votar und victòria; Wille, wählen und Sieg) und verlangten, das Referendum abzuhalten. Carme Forcadell, damalige Sprecherin der ANC, forderte: «President, posi les urnes!» (Präsident, stellen sie die Wahlurnen auf!).

Daraufhin beschloss das katalanische Parlament ein eigenes Gesetz, das „nicht-referendielle Volksbefragungen“ in Katalonien regeln sollte (mit einer Mehrheit von fast 80%, inklusive einiger Abgeordneter des PSC), doch auch dieses Gesetz wurde später vom Verfassungsgericht (auf Drängen der PP) größtenteils annulliert. Auch das Dekret, das das Referendum für den 9. November 2014 anberaumte, wurde vom Verfassungsgericht (wieder auf Antrag der PP) annulliert. Daraufhin musste Artur Mas eingestehen, dass es keine Möglichkeit gab, ein legales Referendum abzuhalten. Stattdessen würde man eine Bürgerbefragung (offiziell Bürgerbeteiligungsprozess genannt) abhalten, die weder legale noch juristische Garantien hätte. Da man sich mit der Vorbereitung einer formellen Volksbefragung wegen Missachtung einer Gerichtsentscheidung hätte strafbar machen können, begrenzte die Generalitat ihre Beteiligung darauf, die Wahllokale, Stimmzettel und Wahlurnen bereitzustellen. Der Rest wurde von 45.000 Freiwilligen organisiert. Doch selbst gegen diese Art der Befragung legte die Zentralregierung der PP Verfassungsklage ein, die erst ein paar Tage vor der Befragung zugelassen wurde, wodurch die Befragung theoretisch ausgesetzt war. Doch sie fand trotzdem statt. Über 2,3 Mio. Katalanen nahmen an dieser symbolischen Befragung teil, etwa 80% (1,8 Mio.) stimmten für die Unabhängigkeit. Allerdings lag die Wahlbeteiligung wohl nur bei ca. 37% (genaue Zahlen kennt man nicht, da man auch keine Wahlregister anlegen oder die Wahlberechtigen festlegen durfte und auch alle Personen ab 16 Jahren teilnehmen durften, die in Katalonien gemeldet waren).

Auch wenn diese Art der Befragung für mich anfänglich einfach nur ein Witz war, so war es doch die einzige Möglichkeit, die die CiU hatte, ihr Wahlversprechen irgendwie umzusetzen. Alle legalen Formen waren abgelehnt worden, sodass man sich für eine symbolische Befragung entschied, die sie weder vorbereiten noch begleiten durften. Dass die Wahlbeteiligung nicht höher war, lag vor allem an den fehlenden Garantien. So viel Aufwand, für nix und wieder nix. Dafür stehen die meisten eben nicht vom Sofa auf. Desto erstaunlicher war es deswegen, dass über 2 Mio. Menschen teilgenommen hatten. Obwohl ich gegen die Befragung war, muss ich zugeben, dass ich meine Meinung geändert habe, sobald ich Fotos von den Leuten sah, die ihre Stimmzettel in die Urnen warfen. Besonders bewegt hat mich das Foto des Großvaters einer Nachbarin von uns, der anscheinend sein ganzes Leben von einem unabhängigen Katalonien geträumt hatte und nun weinend seinen Stimmzettel abgab. Da kann man noch so lange denken, dass man im Recht ist und die anderen im Unrecht, „eso te toca la patata“…und man fängt an, gewissen Dinge zu überdenken.

Für Artur Mas war es die einzige Chance, sein Wahlversprechen zu halten und so irgendwie zum Märtyrer zu werden. Denn das alles hatte ein juristisches Nachspiel. Obwohl sowohl Rajoy als auch andere wichtige Regierungssprecher am Vortag der Befragung, öffentlich bekannt gegeben hatten, dass es sich bei der Befragung weder um ein Referendum noch um einen Volksentscheid handelte, und es deshalb juristisch keinen Wert haben würde, erhob der spanische Oberstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce (Sohn des ehemaligen Vorsitzenden des TOP unter Franco; und von der PP zum Oberstaatsanwalt ernannt) ein Jahr später Anklage gegen Artur Mas, Irene Rigau (Bildungsministerin) und gegen Joana Ortega (Vizepräsidentin) wegen Ungehorsam (die Anklagen wegen Rechtsbeugung und Unterschlagung öffentlicher Gelder wurden später fallen gelassen). Zuvor hatte das Oberlandesgericht von Katalonien schon entschieden, dass man keine Straftat nachweisen konnte, aber das war wohl egal.

Was hatte die PP dazu gebracht, so plötzlich die Meinung zu ändern? Die Tatsache, dass 2,3 Mio. Menschen wählen gegangen sind. Damit hatte man nicht gerechnet, sodass man entschied, den Pakt mit CiU platzen zu lassen (PP und CiU hatten zuvor abgemacht, dass die Befragung stattfinden konnte, solange keiner aus der Regierung sich dabei beteiligte). So wirklich nachweisen konnte man den Angeklagte den Ungehorsam nicht, da das Verfassungsgericht keine eindeutige Unterlassungsanordnung eingereicht hatte und es auch keine offiziellen Dokumente gab, die beweisen würden, dass einer der Angeklagten aktiv an der Durchführung der Befragung teilgenommen hatte. An dem Tag, an denen die drei aussagen mussten, wurden sie von 40.000 Menschen bis vors Gerichtsgebäude begleitet. Im März 2017 wurde Mas zu einer Geldstrafe von 36.500 € und 2 Jahren Amtsverbot verurteilt, Ortega zu 30.000 € und 21 Monaten Amtsverbot und Rigau zu 24.000€ und 18 Monaten Amtsverbot, alle haben Berufung eingelegt und wollen zur Not auch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.

Die Interpretation dessen, was passiert ist, hätte in Katalonien und Madrid unterschiedlicher nicht sein können. Während man z.B. in der katalanischen Presse (sowohl spanischsprachig als auch katalanischsprachig) die Volksbefragung als einen legitimen demokratischen Prozess betrachtete, sah man in Madrid darin eine Kampfansage (desafío). Während man in Katalonien darüber berichtete, dass die Generalitat der Bevölkerung eine Stimme geben wollte, bezeichnete die madrilenische Presse den Vorgang als illegal, diktatorisch und toxisch. Allerdings ist man es gewohnt, dass bestimmte Medien in Madrid den Katalanismus auch gerne mit Nazi-Deutschland vergleichen. Während man den Prozess gegen Mas in Katalonien als politischen Prozess ansieht, beharrt man in Madrid auf der Verfassungswidrigkeit seiner Handlungen. Es ist aber mehr als eindeutig, dass die Zentralregierung hier versucht, ein politisches Problem — denn das Problem mit Katalonien ist ein politisches — mit juristischen Mitteln zu bekämpfen, weil man nicht in der Lage ist, eine politische Lösung anzubieten. Dazu aber gleich mehr.

Im Jahr 2015 kündigte Präsident Mas erneut vorgezogene Wahlen an. Da man kein bindendes Referendum abhalten dürfe, müssten jetzt die Wahlen dazu herhalten: sie wurden zum indirekten Plebiszit. Die beiden großen separatistischen Parteien Convergència (vorher CiU, aber die Partei Unió Democràtica verließ das Bündnis, weil sie gegen die Unabhängigkeit war) und ERC also eine bürgerlich-liberale und eine links-republikanische Partei — gründeten zusammen das Bündnis Junts pel Sí (kurz JxSí – Zusammen fürs Ja). Sie positionierten sich ganz klar für das Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit. Sollte es eine Mehrheit von Separatisten geben, so wollte man Katalonien in 18 Monaten zur Unabhängigkeit führen, zur Not auch durch eine einseitige Unabhängigkeitserklärung. Die antikapitalistische, links-separatistische CUP (in Spanien vor allem dafür bekannt, spanische Flaggen und Fotos des Königs zu verbrennen; fordert die Vereinigung aller katalanischsprachigen Länder, kostenloses Wohnen, Wasser und Strom für alle und eine Verstaatlichung der Banken; sie sind basisdemokratisch, es gibt keine Führungsposition, alle Entscheidungen – selbst die der gewählten Abgeordneten – werden gemeinschaftlich getroffen) trat dem Bündnis zwar nicht bei, befürwortet aber ganz klar die Unabhängigkeit, besonders die unilaterale; aber allerdings auch den Austritt aus der EU, die für sie nur ein Instrument des Großkapitals ist.

Dadurch waren die anderen Parteien gezwungen, sich auch zu positionieren, was nicht jeder gelang. Catalunya Sí que es pot (kurz CSQP, ein Bündnis von Podemos, den Ökosozialisten von ICV und der Vereinten Linken EUiA) verteidigt zwar das Selbstbestimmungsrecht und ein Referendum, äußerte sich aber nicht zur Unabhängigkeit. Die PP und Ciutadans positionierten sich ganz klar gegen alles, sowohl gegen das Referendum als auch gegen die Unabhängigkeit. Nur der sozialdemokratische PSC positionierte sich nicht wirklich, obgleich sie die Umwandlung Spaniens in einen föderativen Bundesstaat verteidigen (womit sie im gesamtspanischen Kontext ziemlich alleine dastehen).

Zwei Wochen vor der Wahl, es war mal wieder der 11. September, gab es abermals eine Massendemonstration in Barcelona. Zwischen 1,4 und 2 Mio. Menschen überfluteten über 5km der 7km langen Avinguda Meridiana, eine der Hauptverkehrsstraßen der Stadt (achtspurig). Das Motto: Via Lliure (freie Bahn). Aus Madrid kamen Kommentare wie „sie sind eine Schande“ oder „peinliches Spektakel“ (Cristina Cifuentes, von der PP, Präsidentin von Madrid), „es ist nicht alles Demokratie, man muss auch die Gerichtsurteile achten“ (Soraya Sáenz de Santamaría, PP, Vize-Ministerpräsidentin Spaniens) und Zeitungen wie La Razón betitelten es als „separatistische Offensive“. Die Zeitung ABC, noch etwas rechter als La Razón (was kaum möglich ist) und die zweithäufigst gelesene Zeitung Madrids, bevorzugte es, das Thema gar nicht erst auf die Titelseite zu bringen. Stattdessen sprach man, mal wieder, über Venezuela (immer, wenn die innenpolitischen Probleme zu groß werden, berichten die konservativen Medien Spaniens über die schlechte Situation in Venezuela, um die Angst vor Podemos zu schüren).

Das Ergebnis der „alles entscheidenden“ Wahl am 27. September 2015: JxSí und die CUP erhielten zusammen zwar eine absolute Mehrheit an Sitzen im Parlament (72 von 135), aber „nur“ 48% der Stimmen (JxSí 39,5 %, CUP 8,2 %). Dabei verlor JxSí sogar 10 Mandate im Vergleich zur letzten Wahl, bei der allein Convergència und ERC zusammen 74 Mandate erhielten. Wäre es ein richtiges Plebiszit gewesen, hätte man es verloren, da sie ja von 52 % nicht gewählt worden waren. Zählt man jedoch die Stimmen zusammen, die sich klar gegen eine Unabhängigkeit positioniert hatten (PP und Ciutadans), dann kamen diese bloß auf knapp 26% (Ciutadans 17 %, PP 8,5 %). Zählt man den PSC dazu, dann 39% (jedoch sind große Teile des PSC trotzdem für ein Referendum, aber nur, wenn es mit dem Staat verhandelt wurde). Catalunya Sí que es pot geriet wegen der starken Polarisierung zwischen die Fronten und erreichte nur knapp 9 %, kann aber nicht dem „Nein“-Lager zugerechnet werden, weil sie das Referendum wollen (was zumindest für das Referendum wieder eine Mehrheit von mindestens 60 % im Parlament bedeutet).

Da JxSí mit Abstand die stärkste Kraft war, wollten sie die Regierung bilden, was sich aber als ziemlich schwierig erwies, da man auf die Unterstützung der CUP angewiesen war. Das einzige, das sie eint, ist die Unabhängigkeit, ansonsten sind sie wie Wasser und Öl. Die CUP wollte unter gar keinen Umständen, dass Artur Mas, der der Hauptverantwortliche der Kürzungen war und der zwischenzeitlich mit Korruptionsskandalen in Verbindung gebracht worden war (daher auch der Stimmenverlust zwischen 2012 und 2015), Präsident wird. Erst Ende Januar 2016, am letzten Tag, bevor man Neuwahlen hätte ausrufen müssen, konnte man sich auf einen Präsidentschaftskandidaten einigen. Artur Mas musste das Feld räumen, stattdessen kam Carles Puigdemont, Bürgermeister von Girona.

Kurz nach der Wahl beschloss das Parlament (nur mit den Stimmen von JxSí und der CUP) eine Erklärung, die den „Abnabelungsprozess“ von Spanien für begonnen erklärte (procés de desconnexió). In die Kritik geriet daraufhin Carme Forcadell, die neue Parlamentsvorsitzende, da sie die Erklärung — trotz Widerstand der Opposition — zur Debatte und zur späteren Abstimmung freigegeben hatte. Sowohl Carme Forcadell als auch die anderen vier Parlamentssprecher, die allesamt dafür waren, die Erklärung zur Debatte freizugeben, werden der Missachtung der Entscheidung des Verfassungsgerichts beschuldigt, das angeblich die Anweisung gegeben hatte, über nichts, was mit der Unabhängigkeit zu tun hat, zu debattieren oder abzustimmen. Zwischenzeitlich entschied das Gericht, dass einer der Parlamentssprecher, Joan Nuet von CSQP, nicht vor Gericht erscheinen müsse, nachdem er zuvor ausgesagt hatte, dass er kein Separatist sei (aber trotzdem nicht verhindern könnte/wollte, dass ein Thema im Parlament debattiert wird). Daraufhin wurden die Stimmen lauter, die das ganze als politischen Prozess bezeichneten, weil der einzige der fünf Beschuldigten, der nicht für die Unabhängigkeit war, „laufen gelassen“ wurde. Kurz darauf wurde er aber wieder vorgeladen, wohl um zu vermeiden, dass man eines politischen Prozessen bezichtigt werden könnte. Nun müssen alle aussagen, mal gucken ob es auch zur Anklage kommt. Auch, wenn ich das Verhalten der Abgeordneten nicht in Schutz nehmen möchte, denn obwohl sie es leugnen, weiß jeder, dass sie genau wussten, was sie taten, so wird es halt doch immer deutlicher, dass man versucht, das Problem auf juristischem Weg zu lösen. Einzelne Richter des Verfassungsgericht haben sich schon beschwert, dass die PP sie für ihre Politik benutzt. Und das ist erstens antidemokratisch und zweitens hat es den Effekt, dass die Angeklagten zu Märtyrern werden, sich die Fronten verhärten und noch mehr Katalanen die Unabhängigkeit wollen. Denn Artur Mas ist nicht Rosa Parks (mit der er sich sogar mal verglich), Carme Forcadell ist nicht Nelson Mandela. Sie kämpfen zwar für die demokratischen Rechte eines Volkes, aber dieses Volk wird – zumindest heutzutage – nicht mehr gewaltsam unterdrückt. Um also zu verhindern, dass sie zu Märtyrern werden, müsste man politischen Lösungen anbieten.

Wer jedoch Weitsicht und Ansätze von demokratischen Denkmustern bei der PP sucht, der denkt wohl auch noch, dass die Erde eine Scheibe ist. Als Strafe dafür, sich immer wieder gegen die Zentralregierung aufgelehnt zu haben, entschied die PP in Madrid Ende November 2015, den Haushalt Kataloniens zu kontrollieren. Um an das Geld zu kommen, das ja eigentlich den Katalanen gehört, müssen ab jetzt zusätzliche Kontrollmechanismen überwunden werden und auf das „Ok“ von Madrid gehofft werden. Jede Ausgabe wird jetzt überwacht und im Zweifelsfall nicht zugelassen. Das vergrößert natürlich das bereits existierende Gefühl der Bevormundung.

Im Jahr 2016 passierte erst einmal nichts besonders. Die Regierung in Katalonien war unfähig zu regieren, weil die CUP den Haushaltsplan blockierte, da er nicht sozial genug war. Das ging Monate so. In der Öffentlichkeit wurde die Ablehnung gegen die CUP immer größer, da man der Meinung war, dass sie das Fortschreiten des Unabhängigkeitsprozessen verhinderten. Doch die CUP blieb trotz des Drucks (auch bekannt als Pressing CUP) standhaft: der Weg zur katalanischen Republik hat für sie nur einen Sinn, wenn er sozialer ist als der Status Quo.


Die Kloaken des Innenministeriums

Im Juli 2016 kam jedoch etwas ans Licht, womit niemand so wirklich gerechnet hatte. Vermutet ja, es bestätigt zu wissen, war aber was anderes. Es kam raus, dass das spanische Innenministerium zusammen mit einer politischen Sondereinheit der Nationalpolizei jahrelang katalanische Politiker ausspioniert hatte, die für die Unabhängigkeit kämpften. Dabei handelte es sich nicht nur um illegale Abhöraktionen, sondern auch um Nötigung und Erpressung von Bankangestellten in Andorra, damit diese ihnen die Kontoauszüge der überwachten Politiker aushändigten. Alles geschah ohne Gerichtsbeschluss, also illegal (obwohl man doch so sehr auf das Einhalten der Gesetze pocht). Mit den Ergebnissen wollte man den Unabhängigkeitsprozess schwächen. So leakte man (der Innenminister selbst) im Jahr 2014 (kurz vor der Volksbefragung) z.B. die Information an die Zeitung El Mundo, dass Xavier Trias, damaliger Bürgermeister Barcelonas und Mitglied von CiU, 13 Mio. Euro in verschiedenen Banken in Andorra und der Schweiz versteckte. Die Anschuldigungen waren falsch, und der spanische Innenminister wusste das, und trotzdem erzählte er der Zeitung, es wäre die Wahrheit. Neben dem Innen- und dem Außenministerium war auch der Präsident des Amts für Betrugsbekämpfung in Katalonien (Oficina Antifrau de Catalunya), Daniel de Alfonso, an der sogenannten „Operación Cataluña“ beteiligt. Aus den veröffentlichten Aufnahmen mehrerer Meetings zwischen De Alfonso und dem spanischen Innenminister Jorge Fernández Díaz geht hervor, dass sie gegen fast alle hohen Parteimitglieder von CiU und ERC ermittelten, aber nichts brauchbares gefunden hatten. Da Fernández Díaz befürchtete, dass eine hypothetischen Anklagen wegen fehlender Beweise fallen gelassen werden würden (und er deshalb schlecht dastehen würde), schlug De Alfonso vor, zuerst den Oberstaatsanwalt Eduardo Torres Dulce (oben schon erwähnt) zu überzeugen, denn der würde die Anklagen auf jeden Fall durchbringen („la fiscalía te lo afina“ > die Staatsanwaltschaft verfeinert das). Es ginge ja auch nicht darum, ob es stimmt, sondern nur darum, das Ansehen der Separatisten zu zerstören. Sie sprachen auch über Xavier Trias und die 13 Mio. in Andorra, doch während De Alfonso vor der Veröffentlichung warnte, weil sie keinen einzigen Beweis hätten („no tengo ninguna, ninguna prueba, ninguna, ninguna…“), wollte der Innenminister es darauf ankommen lassen. Außerdem wollte man verbreiten, dass Artur Mas eine geheime, außereheliche Tochter hätte, die er mit Geld aus der Generalitat unterhielt (auch falsch). In den veröffentlichten Aufnahmen (6 Stunden lang), kam so manche Intrige und Verschwörung zum Vorschein, und auch, dass Rajoy von allem gewusst hat. Wenn man jetzt aber denkt, dass Rajoy sich dazu geäußert hätte, dann kennt man die PP nicht. Man leugnet alles, stellt sich als Opfer einer illegalen Abhöraktion dar, und gut ist.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss des spanischen Kongressen kam zu dem Ergebnis, dass die PP eine politische Polizeieinheit gegründet hatte – die sogenannte Brigada Patriótica (Patriotische Brigade) – die zum einen die Ermittlungen in den Korruptionsfällen der PP torpedieren sollte, und zum anderen politische Gegner ausspionieren, verfolgen und diskreditieren sollte (darunter PSOE, Convergència, ERC und Podemos); zur Not sollten auch Beweise gefälscht werden. Der gesamte Kongress — mit Ausnahme der PP — missbilligte den Innenminister, der daraufhin zurücktreten musste (in der PP war er sowieso verhasst, weil er in der Vergangenheit „zu weich“ mit den Katalanen gewesen war). Das ist typisch für die PP; die Handlanger werden einfach aus dem Weg geschafft, und die, die die tatsächliche politische Verantwortung haben, bleiben im Amt. So war es mit der Regierung von Aznar (12 seiner 14 damaligen Minister stehen heute wegen Korruption vor Gericht oder sitzen im Gefängnis); so war es bei Esperanza Aguirre (frühere Präsidentin Madrids), die erst im Halteverbot parkte, dann vor der Polizei floh und einen Polizisten dabei umfuhr (alles auf Video); so ist es bei Feijóo (Präsident Galiciens), dem Verbindungen zum Drogenschmuggel nachgesagt werden (u.a. Fotos auf Jachten, zusammen mit führenden Drogenbaronen Galiciens); so war es bei Rita Barberà (frühere Bürgermeisterin von València, mittlerweile plötzlich verstorben; kurz bevor sie wegen ihres Korruptionsskandals aussagen sollte), die andauernd besoffen zu Terminen erschien, die Angehörigen der Opfer des Metro-Unglücks in València auslachte, in den Skandal von Emarsa verstrickt war (30 Mio. veruntreutes Steuergeld), etc.


Am 11. September 2016 fand erneut eine Demonstration statt, dieses Mal lag der Fokus allerdings nicht nur in Barcelona. Die Organisatoren (Assemblea Nacional de Catalunya und Òmnium Cultural) wollten eine dezentrale Kundgebung, weshalb auch in vier weiteren katalanischen Städten demonstriert wurde. Insgesamt waren es wohl wieder um die 1 Mio. Menschen: Etwa 60.000 in Berga, 110.000 in Tarragona, 117.000 in Lleida, 200.000 in Salt (Girona) und 540.000 in Barcelona. Ihr Motto: A punt (Bereit/Nah dran).

Am 28. September 2016 kündigte der katalanische Präsident Carles Puigdemont im Parlament an, dass er vor hat, ein bindendes Referendum über die Zukunft Kataloniens anzuberaumen, das im September 2017 stattfinden soll. Warum der Sinneswandel? Ein Referendum war ja eigentlich nicht mehr vorgesehen. Die CUP verlangte es: sie war der Meinung, dass die Unabhängigkeitsbefürworter das Plebiszit (die Wahlen 2015) nicht gewonnen hatten. Um für den Haushaltsplan der Regierung zu stimmen, musste es also vorher ein Referendum geben. Es folgten noch zwei Resolutionen vom Parlament, die die katalanische Regierung beauftragten, das Referendum vorzubereiten und einen „verfassungsgebenden Prozess“ (Procés constituent) zu beginnen, um die Gefahr eines juristischen und politischen Vakuums in Katalonien zu vermeiden, wenn es zur einseitigen Unabhängigkeitserklärung kommt. Doch beide Resolutionen wurden kurz darauf vom Verfassungsgericht annulliert. Anfang Januar 2017 hat Puigdemont das Projekt vor einer EU-Kommission vorgestellt, eine wirkliche Antwort auf die Frage, ob Katalonien nach der Unabhängigkeit noch EU-Mitglied wäre oder nicht, wurde ihm nicht gegeben. Puigdemont und seine Vertreter bereisten seit Monaten die Welt, um mit Politikern und Parlamentariern zu reden und für die Unabhängigkeit zu werben. Da man aber weiß, dass die Unterstützung dafür eher dürftig ist, sind diese ganzen Reisen eher für das Publikum daheim gedacht. „Guck mal, er verteidigt unsere Rechte sogar im Ausland“. Dabei werben sie allerdings nicht nur, sondern wettern auch gegen Spanien. Vor ein paar Wochen verglich Puigdemont die spanische Demokratie sogar mit der der Türkei. Das wiederum hilft natürlich nicht dabei, Rajoy zum Dialog zu bringen.

Die Menschen sind müde. Seit mindestens 5 Jahren gehen sie jedes Jahr auf die Straße, veranstalten medienwirksame Massendemonstrationen mit Millionen von Teilnehmern, sind voller Vorfreude. Jedes Mal versprechen die Politiker ein bindendes Referendum, aber es passiert nichts. Ob es dieses Mal eins gibt? Puigdemont hat Rajoy erneut zum Dialog aufgerufen, noch wäre Zeit, eine politische Lösung zu finden. Sollte es keine geben, findet das Referendum im September statt, sagt er. Ob nun vom Staat erlaubt oder nicht. Doch ein Datum gibt es noch nicht. Es wurde noch nicht offiziell anberaumt. Es gibt auch noch keine Frage. Puigdemont darf noch nichts offiziell ankündigen, weil es sofort vom Verfassungsgericht annulliert werden würde. Die Angst bei den Menschen, dass ein nicht-verhandeltes Referendum aber so endet wie am 9. November 2014 ist groß. Man hat die Nase voll von symbolischen Akten. Wenn man dieses Mal wählen geht, dann soll das Ergebnis zählen. Egal ob dafür oder dagegen. Die Zahl derjenigen, die das Referendum wollen, liegt immer noch bei 80%. Aber die Zustimmung für die Unabhängigkeit sinkt. Wollten 2012 noch fast 58% für die Unabhängigkeit stimmen (bei der Frage „Unabhängigkeit Ja, Nein oder Enthaltung) und 20 % dagegen, so sind es im März 2017 nur noch 43,3 %, die für die Unabhängigkeit stimmen würden, aber auch nur 22 % wären dagegen (20% würden sich enthalten). Stellt man die Befragten vor die Wahl „Unabhängigkeit ja oder nein“ sagen 44,3 % Ja und 48,5% Nein. Das sind aber alles nur Umfragen, die ein Referendum einfach nicht ersetzen können.


Korruption und noch mehr Korruption

Der Grund, weshalb gerade jetzt die Zustimmung — besonders für Convergència — gesunken ist, ist dass im März der Prozess im Korruptionsskandal „Cas Palau“ begonnen hat; einer der größten Korruptionsskandale Kataloniens. Schon im Jahr 2005 warf Pasqual Maragall (PSC), der damalige Präsident Kataloniens, Artur Mas und seiner Partei (CiU) vor: „Sie haben ein Problem, und das heißt 3%!“ (Vostès tenen un problema i aquest problema es diu 3%). Was meinte er damit? Dass Convergència, die Partei, die heute zusammen mit der ERC das Bündnis JxSí bildet, seit Jahrzehnten 3% an Komissionen von Unternehmen kassiert hat, und ihnen im Gegenzug öffentliche Aufträge zusicherte, ohne vorher an einem öffentlichen Auswahlverfahren teilnehmen zu müssen. Der Vorwurf lag damals im Raum, beweisen konnte man das allerdings nicht. Bis Fèlix Millet, Vorsitzender der Fundació Palau de la Música Catalana (das Palau de la Música Catalana ist einer der bekanntesten Konzertsäle Barcelonas), festgenommen und wegen Geldwäsche und Veruntreuung angeklagt wurde. Er selbst gab zu, 3,3 Mio. € veruntreut zu haben (u.a. um seine Immobilien zu renovieren und teure Reisen zu bezahlen), laut dem Richter könnte es sich allerdings um bis zu 35 Mio. € handeln, die insgesamt veruntreut wurden. Das könnte einer von tausenden Korruptionsskandalen sein, die es in Spanien gibt. Aber 2013 stellte der Richter fest, dass die CiU zwischen 1999 und 2009, mit Jordi Pujol als Vorsitzenden und Artur Mas als seiner rechten Hand, mindestens 5,1 Mio. € als illegale „Spenden“ bekam. Somit hatte sich die Partei über Jahre hinweg illegal finanziert (so wie die PP). Jordi Pujol, der Vater des Katalanismus nach der Franco-Diktatur, der während der Diktatur verhaftet und gefoltert worden war, der 23 Jahre lang Präsident Kataloniens gewesen war; ein Mann, dem Millionen Katalanen vertraut hatten, fiel in Ungnade. Nicht nur er, seine ganze Familie. Jordi Pujol, ein Ehrenmann, wie man ihn in Katalonien sah, der immer vom Seny (Gemeinsinn, Vernunft, Besonnenheit) sprach und sich als Musterbeispiel für Moral und Anstand inszenierte, leugnete monatelang, dass er Geld in Andorra versteckte. Er führte Interviews im Fernsehen und trat im Parlament auf, um sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen. Im Parlament ließ er den Satz fallen «Si vas segant la branca d’un arbre, al final cau tota la branca, tots els nius que hi ha. No és que desprès caurà aquell d’allà….aquell d’allà. No! Cauran tots!» („Wenn du am Ast eines Baumes sägst, fällt am Ende der ganze Ast, und alle Nester, die sich auf ihm befinden. Nicht erst eins hier, ein anderes da. Nein! Alle werden fallen!“). Was er damit andeuten wollte, ist mehr als deutlich geworden.

Denn er, seine Familie, alle Korruptionsfälle in Spanien sind keine Einzelfälle: Sie sind das Produkt eines zutiefst korrumpierten Systems, das seinen Ursprung zwar wohl im 19. Jhd. hat, das aber während der Franco-Diktatur perfektioniert und während der Transición zementiert wurde; und das anfängt zu funktionieren, sobald man an die Macht kommt. Das ist der Preis – zumindest einer – den die Spanier für den „friedlichen Übergang zur Demokratie“ haben bezahlen müssen. Die meisten Korruptionsskandale, die in den letzten Jahren aufgedeckt wurden, verliefen nach dem selben Prinzip. Die PP sticht dabei allerdings am meisten hervor (u.a. Fall Nóos: 2,3 Mio. €; Fall Púnica: 7,5 Mio. €; Fall der Schwarzen Kreditkarten: 15 Mio. €; Fall Palma Arena: 42 Mio. €; Fall Lezo/Canal Isabel II: ca. 60 Mio. €; Fall Gürtel: 120 Mio. €; Fall Castor: 1,4 Milliarden €); aber auch die PSOE hatte mit dem Fall Filesa (umgerechnet ca. 14 Mio. €) und dem Fall ERE in Andalusien, bei dem es um 150 Mio. € ging, ihre eigenen großen Korruptionsskandale. Hier zum Vergleich die Anzahl der Korruptionsskandale pro Partei, und die Geldmenge (in Milliarden), um die es geht:

Am Ende gab Pujol zu, 4 Mio. € in Andorra vor dem Finanzamt zu verstecken (anscheinend das Erbe seines Vaters). Wie viel es wirklich ist, muss noch herausgefunden werden. Ihm, seiner Frau Marta Ferrusola, und ihren sieben erwachsenden Kindern (und deren Ehepartnern) wird vorgeworfen, Geld, das sie durch das Kassieren von illegalen Komissionen (für die Vergabe öffentlicher Aufträge) erhielten, nach Andorra geschafft und durch zwielichtige Aktiengeschäfte dieses Geld vermehrt zu haben und auf dem gesamten Globus verteilt zu haben. Die Polizei bezifferte das nicht versteuerte Vermögen der Pujols zwischenzeitlich auf 69 Mio. Euro. Allerdings ist im Moment niemand der Pujols wegen Korruption oder Vorteilsgewährung angeklagt, sondern „nur“ wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Tatsächlich liegt das Verfahren gegen Jordi Pujol still, und die Ermittlungen konzentrieren sich auf seine Söhne Oleguer Pujol i Ferrusola und Jordi Pujol i Ferrusola (waren zwischenzeitlich auch in U-Haft). Was aus dem Fall Pujol also wird, wird sich noch herausstellen. Und wie viel Interesse die Machthaber des Staates daran haben, dass Jordi Pujol auspackt (der ja schon damit gedroht hatte, alles aufliegen zu lassen), werden wir sehen.

Aber das ist halt leider kein Einzelfall. Als Spanien entschied, Steuersünder nicht anzuklagen, wenn sie ihr verstecktes Geld wieder zurück nach Spanien bringen und dafür 10% Steuern bezahlen (später nur noch 3%, weil sich zu wenige meldeten), kam eine Welle von Geld zum Finanzamt (diese Steueramnestie wurde mittlerweile für verfassungswidrig erklärt). Emilio Botín, der Vorsitzende der Bank Santander (aus Kantabrien), der 2 Milliarden in der Schweiz versteckt hatte, bezahlte an einem Tag einfach mal 211 Mio. € an Steuern nach. Andere bis zu 100 Mio. €. Insgesamt waren es über 30.000 Nachzahlungen, darunter ehemalige Führungspolitiker der PP, Angehörige des Königshauses, Expräsidenten des Real Madrid, Exdirektoren von Zeitungen, Vorsitzende von Handelskammern, etc. Wundert es jetzt noch jemanden, dass zwar fast niemand in Spanien jemals einen 500-Euro-Schein gesehen hat (deshalb nannte man ihn auch „Bin Laden“; alle wussten, dass er existiert, aber niemand hatte ihn je gesehen), Spanien aber trotzdem das Land der EU ist, in dem sich die meisten 500€-Scheine befinden?

Um als Partei nicht weiter mit diesem Korruptionsskandal in Verbindung gebracht zu werden, führte Convergència im Juli 2016, noch vor dem Prozessbeginn am 1. März 2017, eine Neugründung durch und nennt sich ab jetzt Partit Demòcrata Europeu Català (kurz PDeCAT). Sie meinten, dass die Partei von Grund auf neu gegründet wurde und dass es nötig war, um in einem unabhängigen Katalonien, eine neue Partei zu haben. Aber jeder weiß, warum der Name geändert wurde. Artur Mas, der anfangs mit der Neugründung und Neustrukturierung beauftragt war, wurde nach Prozessbeginn subtil geraten, sich aus der Partei zurückzuziehen, damit jeglicher Verdacht von Korruption ausgelöscht werden kann.

Denn beim Prozess im Cas Palau kam folgendes heraus: Das spanische Bauunternehmen Ferrovial, das weltweit operiert, 100.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von über 9 Milliarden € hat (und u. a. 700km des unrentablen und zurecht kritisierten Hochgeschwindigkeitszugnetzes in Spanien gebaut hat) kam 1999 mit der CiU zu folgender Übereinkunft: Ferrovial machte eine große Spende an das Palau de la Música im Tausch für die Vergabe eines öffentlichen Bauauftrages. Die Höhe der Spende entsprach meistens 3 oder 4 % des jeweiligen Bauvertrages. Diese 4 % gingen allerdings nicht direkt an die Convergència, zuerst teilten sich Fèlix Millet und Jordi Montull (Verwaltungsdirektor des Palau) einen Teil des Geldes untereinander auf. Millet bekam 1 %, Montull 0,5% und 2,5 % gingen dann an Convergència. Mas hat das immer bestritten und öffentlich gesagt, dass er seine Hand für seine Parteimitglieder und den Schatzmeister Osàcar ins Feuer legt. Ob’s weh tat? Das Urteil (Nachtrag 2018): Millet und Montull wurden u.a. wegen Veruntreuung von 26 Mio. € zu knapp 10 und 8 Jahren Haft verurteilt. Daniel Osàcar, Ex-Schatzmeister von Convergència, zu 4 Jahren Haft. Convergència muss wegen illegaler Parteifinanzierung 6,6 Mio. € zahlen. Die Funktionäre von Ferrovial (das Unternehmen gehört zu großen Teilen den Nichten und Neffen von Leopoldo Calvo-Sotelo, ehemaliger Minister unter Franco und 1982 kurzzeitig Präsident Spaniens; und der Familie Del Pino, der zweitreichsten Familie Spaniens) wurden freigesprochen, weil der Richter der Meinung war, dass ihr Vergehen verjährt war.

Neben dem „Cas Palau“ wurde zeitgleich auch der „Cas Pretòria“ verhandelt, der größte urbanistische Korruptionsskandal Kataloniens. Sieben Jahre waren nötig, um die Ermittlungen zu beenden und Anklage gegen 11 ehemalige Abgeordnete (sowohl von der CiU als auch der PSC) zu erheben, die dutzende Millionen damit verdienten, Komissionen von den Unternehmen zu kassieren, denen sie die öffentlichen Bauaufträge zuteilten. Den beiden Hauptangeklagten erwarten jeweils 8 Jahre Gefängnis und Geldstrafen in Höhe von 13 Mio. €.


Es ist also nicht verwunderlich, dass die Zustimmung für Convergència (bzw. jetzt PDeCAT), sank. In Madrid hat man die Skandale sofort genutzt, um die Theorie, dass die politischen Anführer des Unabhängigkeitsprozesses nur so schnell die Unabhängigkeit wollten, um sich den Korruptionsvorwürfen zu entziehen, anzufeuern. Ganz von der Hand zu weisen ist das vielleicht nicht, schließlich hatten sich viele gewundert, als Artur Mas im Jahr 2012 plötzlich davon sprach, dass man Katalonien jetzt „mit staatlichen Strukturen“ ausstatten müsste; hatte er doch vorher immer an der Autonomie festgehalten. Viele separatistische Katalanen haben sich jetzt deswegen vom PDeCAT distanziert; andere feiern Artur Mas, besonders weil er bereit war, sein politisches Leben für die Unabhängigkeit Kataloniens an den Nagel zu hängen. Viele andere haben sich dann aber einfach einen anderen politischen Repräsentanten gesucht, entweder Puigdemont — der vollkommen frei von jeglichen Korruptionsvorwürfen, seit seiner Jugend Separatist und um einiges sozialdemokratischer ist — oder Leute von ERC oder der CUP (der PDeCAT lag bei Umfragen 2017 u.a. bei nur knapp 10%, ERC dagegen bei über 30%). Und das ist das Problem, das die Zentralregierung hat. Läge die Zukunft des Unabhängigkeitsprozesses in den Händen einiger Politiker, könnte man ihn auf diese Weise beenden. Aber er liegt in den Händen von mindestens 2 Mio. Menschen und tausenden Abgeordneten, Stadträten und Bürgermeistern, die sich öffentlich dazu bekannt haben, zur Not auch gegen das Verbot des Verfassungsgerichts zu verstoßen, um das Referendum abzuhalten. Egal was komme, denn das Selbstbestimmungsrecht ist ein fundamentales Menschenrecht.

Dabei muss man sich immer vor Augen führen, dass Katalonien nicht der Kosovo, Palästina oder die Westsahara ist. Man hat sich da in etwas reingesteigert, von dem niemand genau weiß, wie das enden wird. Und die Zentralregierung macht es immer schlimmer. Die Begriffe Seny und Rauxa fallen immer wieder. Kataloniens Geschichte ist geprägt vom Seny — dem oben erwähnten Gemeinsinn, die Vernunft, die Besonnenheit — und der Rauxa, dem Zorn- oder Gefühlsausbruch, dem plötzlichen, unüberlegten Handeln. La rauxa s’ha imposat al seny, die Rauxa hat sich gegenüber dem Seny durchgesetzt, hört man in diesen Tage oft. Immer wieder drohen Mitglieder der PP oder Medien aus Madrid damit, dass die spanische Verfassung es auch erlaubt, einer Autonomen Gemeinschaft das Autonomiestatut zu entziehen. Und dass man, zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung, auch die Armee nach Katalonien schicken könnte. Die Forderungen werden aus rechten Kreisen immer lauter. Und in Katalonien lässt man sich davon nicht beirren. Man weiß, dass sich das Madrid nicht trauen würde. Nicht nach 1934 (Einmarsch der Armee in Katalonien und Verhaftung der gesamten katalanischen Regierung) und der Franco-Diktatur. Nicht im Europa des 21. Jhd. Es geht ja schließlich auch nur darum, dass man den Leuten die Chancen geben will, abstimmen zu können, nicht um eine Straftat. Und was gibt es demokratischeres als Wahlurnen?

Die aktuelle Situation ist etwas festgefahren. Rajoy versucht durch die Ankündigung neuer Investitionen (dieselbe Summe, wie sie schon 2004, 2008 und 2012 versprochen und nicht eingehalten wurde) die Katalanen zu beruhigen, erreicht aber nur das Gegenteil, da er es als Friedensangebot verkauft hat. Doch wie soll man das verstehen? Allein seit 2012 schuldet die Zentralregierung Katalonien 8 Milliarden € an Investitionen, die versprochen und nicht durchgeführt wurden (mal ganz von den 16 Milliarden Defizit pro Jahr abgesehen), und jetzt kommt Rajoy und verkauft 4 Milliarden als Akt der Solidarität? Reist durchs Land und gibt Interviews, in denen er behauptet, Katalonien würde jetzt am meisten Geld vom Staat kriegen?! Damit schürt er nur bewusst weiter den Katalonien-Hass bei vielen Spaniern, die sowieso schon denken, dass Katalonien bevorzugt wird. Seit Jahren hat er nicht offiziell mit dem katalanischen Präsidenten gesprochen, lehnt jeden Dialog ab, und versucht, das Problem durch Gerichtsprozesse auszumerzen, während er gemütlich in seinem Büro in Madrid sitzt. Puigdemont hat angekündigt, dass er keinen weiteren Antrag für ein Treffen mit Rajoy stellen wird, nachdem die vorherigen unbeantwortet blieben. Wenn er reden möchte, dann soll er sich melden.

Vor kurzem hat die katalanische Vizepräsidentin, Neus Munté, der Zentralregierung vorgeworfen, 34 Urteile des Verfassungsgerichts gegenüber Katalonien missachtet zu haben, ohne dass das irgendwelche Folgen gehabt hätte (hauptsächlich Einmischungen der Zentralregierung in die Kompetenzen der Autonomien, das Nicht-Übertragen von gesetzlich vorgeschriebenen Kompetenzen, etc.). Warum also stehen 8 katalanische Abgeordnete wegen Ungehorsam vor Gericht, aber niemand aus Madrid? Warum wurde erlaubt, dass die PP das Verfassungsgericht 2015 mit zusätzlichen Kompetenzen versah (vor allem die Sanktionsgewalt; damit ist das spanische Verfassungsgericht das einzige der demokratischen Welt, das auch Strafen verhängen darf), die es vorher nicht hatte, und die es nur haben sollte, um sie im Fall Artur Mas, etc. anwenden zu können? Noch heute gibt es aktive Verfassungsrichter, die sich offen gegen diese neuen Kompetenzen des Verfassungsgerichts stellen. Warum darf man ein demokratisch gewähltes Parlament zwingen, bestimmte Debatten zu zensieren? Warum stellt man eine Parlamentspräsidentin vor Gericht, die nur ihre Pflicht erfüllt hat? Warum denkt man in Madrid immer noch, dass sich das ganze mit der Zeit in Luft auflösen wird?


Anti-Katalanismus/ Katalanophobie

Aber in Madrid rührt sich nichts. Oder zumindest nichts Produktives. Man macht, was man immer gemacht hat: ihre Abneigung gegen Katalanen in allen spanienweiten Medien zur Schau stellen. Die anti-katalanische Haltung Madrids und Kastiliens hat eine lange Tradition. Schon im 15. Jhd. schrieben die Chronisten des Königreichs Kastilien, dass die Kastilier die „einzigen und legitimen Nachfahren der Westgoten-Könige sind“ und dass die kastilische Dynastie „das Produkt der göttlichen Vorsehung“ sei (z.B. Rodrigo Jiménez de Rada oder Alfonso de Cartagena). Im 16. Jhd. wurde Fernando el Católico (König von Aragonien und, durch die Heirat mit Isabel I. auch König von Kastilien), der nach dem Tod seiner Frau Isabel la Católica (Königin von Kastilien, aber nicht Königin von Aragonien, da das die dortigen Gesetze nicht erlaubten) Regent der kastilischen Krone war, vom kastilischen Adel vertrieben, weil sie „den alten Katalanen“ (viejo catalanote) nicht als König wollten (dabei war er gar kein Katalane – seine Urgroßmutter väterlicherseits, Leonor von Aragonien, war Katalanin – sondern ein Aragonese, der aus der kastilischen Trastámara-Dynastie stammte). Auf seinem Weg zurück  nach Aragonien ließen ihn die Kastilier noch nicht einmal durch ihre Städte reisen; er musste immer einen Bogen drum machen und auch außerhalb kampieren.

Da die katalanischen Gesetze nicht erlaubten, dass katalanische Soldaten an Kriegen im Ausland teilnehmen oder ausländische Kriege mit katalanischem Geld finanziert werden, war Kastilien gezwungen, seine Kriege selbst zu bezahlen (allerdings gingen auch die Gewinne nur an Kastilien). So war z.B. die Kolonialisierung Amerikas eigentlich ein rein kastilisches Unterfangen, zwar mit finanzieller Unterstützung vom Königreich Valencia und auch aragonesischen oder valencianischen Conquistadoren (Eroberern); aber es gab keinen einzigen bekannten katalanischen Conquistador. Was nicht heißt, dass es nicht einzelne katalanische Soldaten oder Seeleute gegeben hätte, wie z.B. Joan de Grau i Ribó unter der Führung von Hernán Cortés (Mexico), Miquel Rifós (führte eine Expedition am Río de la Plata) oder Joan de Serrallonga (ein Militär, der Columbus bei seiner dritten Reise nach Amerika begleitete). Eine wichtige Ausnahme stellte Joan Orpí dar, der im 17. Jhd. nach Venezuela aufbrach, um Salinen zu verteidigen, die die Niederländer erobern wollten. 1638 gründete er die Stadt Nueva Barcelona, in Erinnerung an die Stadt, in der er studiert hatte. Aber erst ab dem 18. Jhd. — als Katalonien in Kastilien „einverleibt“ worden war und dort auch die kastilischen Gesetze galten — gibt es eine verstärkte katalanische Präsenz in den Führungspositionen in Übersee.

Vor allem ab dem 17. Jhd. mit dem Aufstand in Katalonien und der Verweigerung, sich am Spanisch-Französischen Krieg zu beteiligen, galten die Katalanen als unsolidarisch, merkwürdig und eigen. Misstrauen und Verbitterung waren an der Tagesordnung. Es prallten einfach zwei unterschiedliche Welten aufeinander: ein absolutistisches Kastilien, wo das Wort des Königs Gesetz war; und ein mediterranes, handelndes Katalonien, in dem der König erstmal die Erlaubnis des Parlaments und der Gerichte benötigte, um seine Gesetze durchsetzen zu können. Selbst Francisco de Quevedo, einer der wichtigsten Schriftsteller des 17. Jhds., beschrieb die Katalanen als „die Pocken ihrer Könige“ (viruelas de sus reyes) oder „die abscheuliche Fehlgeburt der Politik“ (Son los catalanes el aborto monstruoso de la política). Außerdem schrieb er:  „Solange es in Katalonien auch nur einen Katalanen und Steine auf den verlassenen Feldern gibt, so werden wir Feinde und Krieg haben“ (En tanto en Cataluña quedase un solo catalán, y piedras en los campos desiertos, hemos de tener enemigos y guerra). Voltaire schrieb dagegen einige Jahrzehnte später: „Katalonien ist eines der fruchtbarsten und am besten gelegenen Länder dieser Erde. […] Kurz gesagt, Katalonien kann auf das ganze Universum verzichten, doch seine Nachbarn können nicht auf Katalonien verzichten“ (La Catalogne est un des pays les plus fertiles de la terre, et des plus heureusement situés. […] La Catalogne, enfin, peut se passer de l’univers entier, et ses voisins ne peuvent se passer d’elle). 

Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg verfestigt sich im Rest Spaniens das Bild der Katalanen als untreues, feindliches und unregierbares Volk. Der sardische Chronist und Militär Vicente Bacallar y Sanna (blieb den Bourbonen treu) schrieb während des Spanischen Erbfolgekrieges: „Es ist nicht zu leugnen, dass die Kastilier ihre Kraft aus ihrer natürlichen Eitelkeit schöpften, die daraus resultierte, dass sie zum einen nicht von Aragonesen und Katalanen erobert worden waren, und zum anderen, dass sie von den Portugiesen, die sie verachteten und verabscheuten, gedemütigt worden waren“ (No se puede negar que sostuvo mucho el ánimo de los castellanos la natural vanidad de no ser conquistados de aragoneses y catalanes, y ultrajados de portugueses, a los cuales despreciaban y aborrecían). In der darauffolgenden Repression war das oberste Gebot: „Alles aus der Erinnerung der Katalanen zu löschen, was mit ihren abgeschafften Verfassungen, Bräuchen, Sonderrechten und Sitten zu tun hat“ (Borrándoles de la memoria a los catalanes todo aquello que pueda conformarse con sus antiguas abolidas constituciones, ussáticos, fueros y costumbres; Consejo de Castilla im Jahr 1715). Ein Kommandant schrieb nach Madrid: „Wir müssten sie alle erhängen, aber bedauerlicherweise können wir es nicht: es fehlt uns an Stricken“.

Besonders die katalanische Sprache war ihnen ein Dorn im Auge. So befahl José Patiño (Staatssekretär und Intendant in Katalonien): „In den Schulen sind Bücher auf Katalanisch verboten, und auch auf Katalanisch zu schreiben oder zu sprechen, und die christlichen Lehren dürfen nur auf Spanisch verbreitet werden; durch diese und weitere weiche Maßnahmen wird sich das Spanische in Katalonien ausbreiten.“ (Que en las escuelas no se permitan libros en lengua catalana, escribir ni hablar en ella dentro de las escuelas y que la doctrina cristiana sea y la aprendan en castellano; que por estos y otros medios suaves se irá haciendo común en el Principado). Ein weiterer Befehl lautete: „Um die kastilische Sprache sorgfältig einzuführen, werden nur milde und heimliche Verfügungen angeordnet, damit man den Effekt erzielt, ohne dass man die Sorgfalt bemerkt“ (Pondrá el mayor cuidado en introducir la lengua castellana, a cuyo fin dará las providencias más templadas y disimuladas, para que se consiga el efecto, sin que se note el cuidado). Im 19. Jhd. führte man in den Schulen (die natürlich nur von der kleinen Oberschicht besucht wurden) ein Kontrollsystem ein: am Anfang der Woche übergab der Lehrer einem Schüler einen Metallring. Wenn ein anderer Schüler Katalanisch sprach, bekam er den Ring. Und so weiter. Am Ende der Woche wurde der Schüler bestraft, der in Besitz des Ringes war. Außerdem wurde 1842 – nach einer Belagerung Barcelonas während der Bullangues, liberaler Volksaufstände nach dem 1. Carlistenkrieg – der Satz geprägt, der in den folgenden Jahrzehnten von unzähligen spanischen Militärs und Politikern wiederholt werden sollte: „Barcelona muss man mindestens ein Mal alle 50 Jahre bombardieren“ (A Barcelona hay que bombardearla al menos una vez cada 50 años; General Espartero).

Anfang des 20. Jhds. — einer sehr aufwühlenden Zeit, wie wir gesehen haben — wurden die Stimmen lauter, die forderten, dass man das „katalanische Problem“ beenden müsste. Verschiedene Militärzeitungen forderten, dass „katalanische Soldaten ihren Militärdienst außerhalb von Katalonien absolvieren sollten, um nicht mehr so unanständig und aufsässig zu sein, und um die Ideen der anderen Spanier anzunehmen“ (Ejército y Armada; 1906), und dass „das katalanische Problem nicht durch Freiheit, sondern nur durch Einschränkungen gelöst werden kann; nicht durch Schonung und Verträge, sondern durch Eisen und Feuer“ (La Correspondencia Militar; 1907). Während der Diktatur von Primo de Rivera wurde beim Sprachverbot stark durchgegriffen; Lehrer, die z.B. dabei erwischt wurden, wie sie Katalanisch mit ihren Schülern sprachen, wurden entlassen. Warum auch nicht? Schließlich war es doch ein „väterlicher Gefallen, wenn man die katalanischen Kindern zwang, Spanisch zu sprechen. Genauso wie man ein kurzsichtiges und rebellisches Kind dazu zwingt, eine Brille zu tragen“ (Juan Llarch, 1927).

Im 20. Jhd. war man in Kastilien mittlerweile davon überzeugt, dass man das Thema Katalonien nicht mehr lösen kann. So schrieb es u.a. Ortega y Gasset, einer der wichtigsten Intellektuellen seiner Zeit: „Das katalanische Problem kann man nicht lösen, man kann es nur ertragen“ (El problema catalán no se puede resolver, sólo se puede conllevar). Die Madrider Tageszeitung El Imparcial („Der Unparteiische“) titelte 1932: „Lieber den Bürgerkrieg als das Autonomiestatut“ (Antes que el Estatut la guerra civil). Man hat die Katalanen nie verstanden. Man hat es noch nicht einmal versucht. Zudem wurde es in manchen Kreisen immer populärer, die Katalanen als „Juden“ zu beschimpfen. Sie seien „die Juden Spaniens“. Im Spanischen Bürgerkrieg schrieben die Putschisten sogar die Hymne der Falange um, und sangen bei der Schlacht am Ebro: „Catalán, judío y renegado, pagarás los daños que has causado“ (Katalane, Jude und Abtrünniger, du wirst für den Schaden bezahlen, den du angerichtet hast).

Verstärkt wurde diese Haltung zudem von Franco, der den Katalanismus mit einer jüdisch-freimaurerischen Verschwörung in Verbindung brachte. Der General Queipo de Llano, einer der abartigsten Kriegsverbrecher, die Europa je gesehen hat und dem noch heute Straßennahmen in ganz Spanien gewidmet sind, berichtete 1936 im Radio: „Wir werden Madrid in einen Gemüsegarten, Bilbao in eine große Fabrik und Barcelona in ein riesiges leeres Grundstück verwandeln“. Die Falange war nicht anders: „Aber eine Warnung. Es ist Schluss mit diesem Verhalten und mit dem Verrat. Denn lieber sehen wir dieses Land in Schutt und Asche, als dass es sich wieder gegen die heilige Bestimmung Spaniens erhebt“ (José Giménez-Arnau, Propagandachef der FET y de las JONS). Ein anderer General, José Millán-Astray, bezeichnete das Baskenland und Katalonien als „Krebstumore der Nation“, die „nur der Faschismus beseitigen kann“. Und sie taten alles, um sie zu beseitigen. Die Repression während der Nachkriegszeit kannte keine Grenzen. Im Jahr 1952 fragte der Gouverneur von Barcelona nach der Schließung der katalanischsprachigen Zeitschrift Aplec: „Glauben Sie, dass wir in den Krieg gezogen sind, damit das Katalanische wieder in der Öffentlichkeit genutzt wird?“. Santiago Bernabeu, damaliger Präsident des Real Madrid, verkündete 1967: „Ich mag Katalonien, trotz der Katalanen“. Und selbst nach der Diktatur gingen die Anfeindungen weiter. Natürlich ging es meistens um die Sprache. So sollten die Katalanen das Katalanische doch bitte nur „Zuhause“ sprechen, denn die anderen „Spanier wären schon gestraft genug, wenn sie Katalonien besuchen müssen“ (Antonio Crevette, in der Zeitung YA, 1981). 1983 forderte der ehemalige spanische Präsident Leopoldo Calvo-Sotelo, dass man die „Immigration von spanischsprachigen Einwandern nach Katalonien und Valencia fördern müsse, um so das ‘spanische Nationalgefühl’ zu garantieren, das sie mit sich bringt“. Felipe González — von 1982 – 1996 Präsident Spaniens (PSOE) — bezeichnete den ETA-Terrorismus im Baskenland als „Problem der öffentlichen Ordnung“, während die „Verschiedenheit Kataloniens die tatsächliche Gefahr“ sei (hecho diferencial). In einer Zeit, wo die ETA bereits hunderte Menschen ermordet hatte, und die spanische Regierung mit Todesschwadronen die baskische Bevölkerung terrorisierte. Aber die Gefahr war Katalonien, das friedlich darauf beharrte, als Nation innerhalb Spaniens existieren zu dürfen.

Und heute? Während jedes Jahr in Katalonien Millionen Menschen für das Selbstbestimmungsrecht auf die Straße gehen, schweigt Madrid. Stattdessen muss man als Katalane mitansehen, wie alle wichtigen Medien Spaniens über Katalonien und die Katalanen herziehen; sie in gute (Unionisten) und schlechte Katalanen (Separatisten) einteilen; ihnen vorwerfen, einer Gehirnwäsche unterzogen worden zu sein. Als wenn Katalanen nicht selbst denken könnten. Einzelne Medien, wie z.B. La Razón, El Mundo, Libertad Digital, OkDiario, Periodista Digital, ABC oder Fernsehsender wie 13TV (Eigentum der Spanischen Bischofskonferenz, sehr konservativ, anti-katalanisch, sehr rechts), Intereconomia (extrem rechts, franquistisch) oder TeleMadrid (immerhin ein öffentlicher Sender, aber in Händen der PP) kann man guten Gewissens als Separatisten-Produktionsmaschinerien bezeichnen. Ihre anti-katalanischen Titelblätter und Talkshows, ihre Lügen und Diffamierungen bringen immer mehr Leute dazu, die Unabhängigkeit zu wollen. Dazu gehören Kommentare wie, dass durch die sprachliche Immersion „kleine Kinder psychisch gefoltert“ werden; dass man den Leuten verbietet, Spanisch zu sprechen; mehr noch, dass Spanischspecher verfolgt werden, wie damals die Juden in Deutschland; in diesem Zusammenhang vor allem eine Reportage von TeleMadrid, die „Bürger zweiter Klasse“ (Ciudadanos de segunda) hieß, die die angebliche Diskriminierung spanischsprachiger Bürger in Katalonien anprangerte und die voller Verleumdungen, Lügen und anti-katalanischer Parolen war; Aufrufe zum Boykott katalanischer Produkte; der Vergleich vom Gedenkzug am Todestag von Lluís Companys mit dem Ku-Klux-Klan; der Vergleich von José Montilla, ehemaliger sozialdemokratischer und nicht-separatistischer Präsident Kataloniens, mit dem „Führer“ und „dem 3. Reich“; der bekannte Satz vom spanischen Bildungsminister Wert, dass man „die katalanischen Schüler hispanisieren müsse“tenemos que españolizar los alumnos catalanes»); die andauernden Hass-Predigten und Vergleiche des Katalanismus mit dem Faschismus und Nationalsozialismus vom Moderator Federico Jiménez Losantos (z.B. sagte er zur Demo am 11. September 2013, dass man „so ein totalitäres zur Schaustellen zuletzt im Deutschland der 30er Jahre“ gesehen hätte); Beleidigungen, wie die von Eduardo García Serrano bei Intereconomia und 13TV, der die katalanische Gesundheitsministerin als „Schwein, Sau, Schlampe und Hure“ beschimpfte («esta señora es una cerda, una puerca, una guarra, esta tipa es una zorra»), der die Abgeordnete der CUP Anna Gabriel als „Hure und Untervögelte“ (puta y malfollada le vienen como anillo al dedo) bezeichnete, die „sich nicht anzieht, sondern sich nur bedeckt, um den Körper zu verdecken, mit dem sie die Mutter Natur bestraft hat“ und der sich lauthals darüber ausließ, dass das Katalanische, das Galicische und das Baskische rechtlich dem Spanischen gleichgestellt werden sollten, denn es wären doch nur Bauernsprachen, die nur dazu da wären, um mit den Kühen und Schafen zu sprechen; der Wirbel und der Shitstorm, den die Tatsache auslöste, dass „Pa negre“, ein katalanischsprachiger Film, Spanien bei der Oscar-Verleihung 2012 repräsentieren sollte (bei Intereconomia nannte man den Film, der 9 Goyas gewonnen hat, eine Missgeburt); Und nicht zu vergessen die abertausenden Tweets von spanischen Mitbürgern, die 2015, nach dem Absturz der Germanwings-Maschine – die auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf war und wo alle 150 Insassen starben – den Tod der Katalanen feierten, sich wünschten, alle Toten wären Katalanen («ojalá que todos los muertos en el accidente sean catalanes»), den Absturz bejubelten, weil dabei Katalanen gestorben waren («lo del accitente de avión me parece muy bien si había catalanes dentro de él») oder dazu aufriefen, kein Drama zu machen, schließlich wären nur Katalanen gestorben und keine Menschen («a ver, a ver…no hagamos un drama: que en el avión iban catalanes, no personas»). Besonders schmerzhaft war für viele die fehlende Solidarität Madrids mit Barcelona nach den Attentaten im August 2017. Während nach den Madrider Zuganschlägen 2004 über 1,5 Mio. Katalanen am Trauermarsch in Barcelona teilnahmen, schafften es die linken Kräfte in Madrid im Jahr 2017 nur ca. 100 Menschen dazu zu bewegen, ihre Solidarität mit Barcelona zu bekunden. Ja, 2004 war ein riesiger Schock; das erste und bis heute größte islamistische Attentat Europas. Aber 100?

Es war nicht nur, dass sich die Zentralregierung gegen Katalonien gestellt hatte, sondern auch die Medien und ein großer Teil der spanischen Bevölkerung. Katalanen sind keine Engel, es gibt Spinner und Idioten wie überall. Aber wie sollte ein Volk damit umgehen, dass 4 Mio. Spanier einen Antrag unterschrieben hatte, um ihre Landesverfassung zu verbieten? Wie reagiert man darauf, dass ein Präsidentschaftskandidat über 200.000 Menschen zusammentrommelt, die offen gegen dich und deine Kultur sind? Wie versteht man es, dass die Partei, die den stärksten anti-katalanischen Kurs fuhr, von über 11 Mio. Menschen gewählt wurde? Das ursprüngliche Problem ist zwar sehr viel älter, aber alles, was in den letzten 10 Jahren passiert ist, hat wie ein Katalysator gewirkt. Deshalb sind so viele zum Separatismus übergetreten, denn man musste kein Nationalist oder gebürtiger Katalane sein, um den Hass auf sich zu ziehen. Was sagt es einem, wenn es mittlerweile zehntausende Separatisten gibt, die gar nicht in Katalonien geboren sind und die fast kein Katalanisch sprechen? Dass etwas gehörig falsch läuft in diesem Land, das ein Nationalstaat sein wollte, aber nie erkannt hat, das es nicht Frankreich ist.


Und dabei hätte es alles einfacher laufen können. Man hätte Spanien anders verstehen können, nämlich so, wie es ist. Vielfältig, multikulturell, plurinational und mehrsprachig. Man hätte ein Spanien errichten können, das seine koloniale Vergangenheit hinter sich lässt, das seine eigenen Völker respektiert, so wie sie sind, ohne sie kastilisieren zu wollen. Man hätte sich einfach an der Schweiz statt an Frankreich orientieren sollen. Schweizer sprechen vier verschiedene Sprachen, und doch hat keiner von ihnen ein Problem damit, sich als Schweizer zu bezeichnen. Wenn man die Ereignisse der letzten Jahre betrachtet, dann ist es schon fast erschreckend, welche Parallelen man zum Anfang des 20. Jhds. findet. Schon 1898 — das alte, imperiale Spanien hatte gerade die letzten Kolonien in Amerika verloren und sträubte sich gegen das innovative und progressive Katalonien, das eine stärkere Demokratisierung und Europäisierung forderte —  schrieb Joan Maragall in seinem Gedicht „Oda a Espanya“ (Ode an Spanien):

Escolta, Espanya – la veu d’un fill
que et parla en llengua – no castellana:
parlo en la llengua – que m’ha donat
la terra aspra;
en ‘questa llengua – pocs t’han parlat
en l’altra, massa.

Salva’t, oh! Salva’t – de tant de mal;
que el plor et torni feconda, alegre i viva;
pensa en la vida que tens entorn:
aixeca el front,
somriu als set colors que hi ha en els núvols.

On ets, Espanya? – No et veig enlloc.
No sents la meva veu atronadora?
No entens aquesta llengua – que et parla entre perills?
Has desaprès d’entendre an els teus fills?
Adéu, Espanya!

„Spanien, hör die Stimme eines Sohnes, der in einer nicht-kastilischen Sprache zu dir spricht. Ich spreche die Sprache, die mir das raue Land gegeben hat. In dieser Sprache haben wenige mit dir gesprochen; in der anderen, zu viele.
Rette dich, oh! Rette dich vor so viel Leid. Mögen dich die Tränen wieder fruchtbar, fröhlich und lebendig werden lassen. Denk an das Leben, das dich umgibt: Heb den Kopf, lächle den sieben Farben in den Wolken zu. Wo bist du, Spanien? Ich sehe dich nirgendwo. Hörst du nicht meine tosende Stimme? Verstehst du diese Sprache nicht, die zwischen Gefahren zu dir spricht? Hast du verlernt, deine Kinder zu verstehen? Auf Wiedersehen, Spanien!“

Wie viele Intellektuelle seiner Zeit, liebte er Spanien, hasste aber den zentralistischen Staat, der seine Macht auf lokalen Oligarchen, und seine Geschichte auf den militärischen Erfolgen der Vergangenheit stützte. Doch bereits 11 Jahre später veröffentlichte er den Artikel „Visca Espanya“ (Es lebe Spanien!), denn durch die Idee des Föderalismus, der in ganz Spanien immer mehr Anhänger gewann und durch das Aufstreben des katalanistischen Bündnisses Solidaritat Catalana (entstanden als Reaktion auf den Überfall spanischer Soldaten auf zwei katalanische Zeitungen und des darauffolgenden Gesetzes, das dem Militär in Katalonien erlaubte, jeden anzuklagen, der „gegen die Einheit Spaniens“ oder „gegen das Militär selbst“ war), war in ihm erneut die Hoffnung entfacht, dass es mit Spanien doch nicht so schlimm enden müsste, wie er dachte. So schrieb er:

Així ja’n sabèm are de cridar «Visca Espanya»; ja no necessitèm ningú que’ns en ensenyi […]. I això no us pensèu que vagi contra ningú més que contra aquells que vulguin que això’ls vagi en contra. Perquè en aquest «visca Espanya» hi cab tothom que estimi a Espanya en esperit i en veritat. Els únics que no hi caben són els que no hi volen cabre, els enemics de la Espanya veritable. (Espanya no ha de viure) pas agarrotada, com fins are, en els lligams d’un uniformisme que és contrari a la seva naturalesa […]; ha de viure en la llibertat dels seus pobles; cadascú lliure en sí […] per refer tots junts una Espanya viva […]. Espanyols? sí! Més que vosaltres!

„So können wir jetzt selbst „Es lebe Spanien“ rufen; niemand braucht es uns mehr beizubringen […]. Und denkt nicht, dass das gegen irgendjemanden gerichtet ist. Es geht höchstens gegen diejenigen, die wollen, dass es sich  gegen sie richtet. Weil alle in dieses „Es lebe Spanien“ passen, die Spanien wirklich lieben. Die einzigen, die da nicht reinpassen, sind die, die nicht reinpassen wollen, die Feinde eines wahrhaftigen Spaniens. (Spanien) darf nicht wie bisher unter den Fesseln eines Uniformismus erstarren, der gegen die eigene Natur ist […]. Es muss in der Freiheit seiner Völker leben; jedes in sich frei […], damit wir alle zusammen ein lebendiges Spanien errichten können […]. Spanier? Ja! Mehr noch als ihr!“

Auch wenn man die Situationen von damals und heute nur bedingt vergleichen kann, so ist es doch erstaunlich, wie sehr sich die Diskurse wiederholen. Und wer weiß, vielleicht ist die Zuspitzung der aktuellen Ereignisse vergleichbar mit einem vernachlässigten Kind – wie Joan Maragall es schreibt – das zum letzten Mal aufschreit, damit sich die Mutter um es kümmert. Vielleicht ist die Mutter aber nicht dazu in der Lage. Und wenn doch, ist es vielleicht auch schon zu spät. Außenstehenden bleibt nichts anderes als zu hoffen, dass die Zentralregierung noch rechtzeitig einlenkt, denn das, was passieren könnte, wenn Katalonien im September tatsächlich ein eigenständiges Referendum abhält, das „Ja“ gewinnt und man sich einseitig für unabhängig erklärt, das wollen wir glaube ich lieber nicht erleben. Nicht nur, weil man nicht weiß, wie Spanien reagieren wird (im Europa des 21. Jhds. glaubt zwar keiner, dass die Armee in Katalonien einmarschieren könnte, aber bei der PP weiß man nie), sondern vor allem, weil niemand genau weiß, wie es dann mit diesem unabhängigen Katalonien weiter geht. Die Befürworter in der Politik sind zwar der Meinung, dass es möglich ist, einen lückenlosen Anschluss an die EU zu garantieren, da man sich an Schottland orientiert (hätte Schottland für die Unabhängigkeit gestimmt, hätte es noch 2 Jahre gedauert, bis die Unabhängigkeit erklärt worden wäre, um alle Verträge mit der EU und Großbritannien vorzubereiten), aber wer versichert den Leuten, dass es auch so kommen wird? Die Generalitat bereitet seit Monaten ein geheimes Gesetz „der Übergangszeit“ vor (llei de transitorietat), aber niemand weiß, was das besagt, denn sobald es öffentlich würde, würde das Verfassungsgericht es wieder annullieren. Wie kann man für die Unabhängigkeit stimmen, ohne zu wissen, was einen erwartet? Wie schon gesagt, die allermeisten erhoffen sich ein neues System, ein faires, sozialeres System, doch kann eine liberale Partei, wie sie die PDeCAT ist, sowas garantieren? Können ERC und die CUP genug Druck ausüben, damit wirklich alles besser wird? Was passiert mit der spanischen Staatsangehörigkeit, die keinem Spanier einfach weggenommen werden kann? Was passiert mit den Menschen, die die Unabhängigkeit nicht wollten? So sehr ich mittlerweile bestimmte Teile der Unabhängigkeitsbewegung verstehen kann, so könnte ich ohne diese ganzen Informationen nicht für die Unabhängigkeit stimmen. Was aber unbedingt kommen muss, und so fordern es immer noch fast 80% der Katalanen, ist ein Referendum. Ein richtiges, mit juristischen Sicherheiten, das garantiert, dass jeder, der gehört werden will, seine Stimme abgeben kann. Und für den Rest, muss die Politik dann Lösungen finden. Und zwar richtige, tiefgreifende Lösungen, wie die Umwandlung Spaniens in einen föderativen oder vielleicht sogar konföderativen Staat, in dem sich die Gliedstaaten wohl fühlen, ohne immer das Gefühl zu haben, vom Rest des Landes gehasst zu werden; in dem eigene Gesetze nicht einfach von der Zentralregierung wieder annulliert werden können (katalanische Gesetze zur Gleichstellung von Mann und Frau, zur Bekämpfung der Energiearmut, Besteuerung von Banken, Besteuerung der Atomenergie-Produktion, Besteuerung für leerstehende Wohnungen, zum Fracking-Verbot, zur Verhinderung von Zwangsräumungen, etc., wurden allesamt von der PP vors Verfassungsgericht gebracht und annulliert). Die nächsten Monate versprechen, spannend zu werden.

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4 Gedanken zu “Kataloniens Weg zur Unabhängigkeit?

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  3. Der Artikel ist retrospektiv und historisch ja durchaus „verwertbar“, aber was die ökonomischen, juristischen und politischen Argumente angeht, phasenweise ziemlich „hanebüchen“. Von juristischer Verfolgung, ökonomischer Benachteiligung und politischer Ignoranz durch den spanischen Staat zu sprechen ist wahrlich sehr einseitig und vor allem auch in höchstem Maße kurzsichtig. Zum einen ist Ihre Milchmädchenrechnung mit der „16-Milliarden -Defizit-Legende“ mittlerweile längst widerlegt ( sogar der ehem. katal. Schatzmeister Mas-Collel hat sie in Frage gestellt ), zum anderen verschweigen Sie beharrlich, daß Katalonien Jahr für Jahr einen Handelsüberschuss von über 22 Milliarden Euro mit Restspanien erwirtschaftet ( weit über 50% der katalanischen Gesamtausfuhren gehen nach Restspanien ). Ihre Behauptung, das Verfassungsgericht würde mit zweierlei Maß gegen katalanische und staatliche Politiker vorgehen, ist mehr als gewagt. Frau Forcadell und Co. haben bewußt und auch individuell trotz vorliegender Verbotserklärungen vom Verfassungsgericht, Akte vollzogen. Dabei ging es nicht um die Erlaubnis zur Durchführung von Debatten zur Unabhängigkeit sondern vielmehr darum, dass Resolutionen zur Gründung einer katalanischen Republik im katalanischen Parlament zur Wahl gestellt werden. Laut Verfassung entspricht das nicht der Kompetenz regionaler Parlamente. Frau Forcadell hat als Parlaments-Präsidentin Neutralität zu wahren. Forcadell ist nun wirklich alles andere als neutral, ihre parlamentarische Arbeit fokussiert ganz klar die separatistische Gesinnung im Plenum. Das katalanische Parlament verstößt nicht nur laufend gegen spanisches Gesetz sondern sogar gegen das katanische Statut selbst. Sogar die Gutachten der eigenen Juristen werden schlichtweg ignoriert. Mit einer knappen Sitzmehrheit ( keine Stimmenmehrheit ) schaffen die Separatisten einerseits kontinuiierlich Fakten während sie andererseits die Zentralregierung als dialogressistent darstellen. Ich will und kann hier nicht weiter ausholen, aber so sehr ich mit einigen Passagen Ihres Artikels komform gehen kann, muß ich insgesamt leider zur Schlussfolgerung kommen, daß Sie hier zu sehr die separatistische Perspektive hervorheben.

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