Die galicische Sprache (gal.: galego) ist eine der fünf kooffiziellen Amtssprachen Spaniens. Ich würde sagen, dass Galicisch im Ausland wohl die unbekannteste Amtssprache Spaniens ist. Naja, vielleicht nicht ganz. Aranesisch ist höchstwahrscheinlich noch unbekannter, schließlich kennen nicht einmal die meisten Spanier diese Sprache. Fast jeder hat schon einmal etwas über das Baskische oder Katalanische gehört, auch wenn man die Sprachen nicht ganz zuordnen kann. Aber Galicisch? Was soll das sein? Selbst die meisten Romanistik-Studenten an meiner Uni können damit relativ wenig anfangen, und das ist traurig. Man mag es nämlich kaum glauben, aber die Galicische Sprache war, neben dem Okzitanischen (wovon die meisten – mal ganz nebenbei bemerkt – auch noch nichts gehört haben), eine der wichtigsten Sprachen des Mittelalters. Die Lyrik auf der Iberischen Halbinsel und Teilen Europas entstand zu dieser Zeit fast ausschließlich in dieser Sprache. Selbst der König von Kastilien beherrschte Galicisch. Aus ihr entstand eine der heutigen Weltsprachen, das Portugiesische. Es ist nicht gerecht den Sprechern gegenüber, dass ihre Sprache so ignoriert wird. Mit etwa 3 Mio. Sprechern ist Galicisch natürlich eine kleine Sprache. Aber wer kann denn schon behaupten, sich theoretisch mit über 800 Mio. Menschen in Amerika, Europa, Afrika und Asien verständigen zu können? Spanisch-Sprecher könnten sich mit etwa 500 Mio. Menschen, Portugiesisch-Sprecher mit etwa 300 Mio. Menschen unterhalten. Galicier halt mit über 800 Mio, da sie sich auf beiden Sprachen verständigen könnten. Im Folgenden möchte ich euch die Geschichte dieser Sprache und ihre Besonderheiten vorstellen, und vielleicht dazu animieren, sich näher mit ihr zu beschäftigen. Es lohnt sich bestimmt :)
Galicisch, ja mit „c“ geschrieben, da es im Deutschen auch das Wort „Galizisch“ gibt, dieses sich jedoch auf eine Region zwischen Polen und der Ukraine bezieht, ist eine Romanische Sprache, genauer gesagt eine Iberoromanische Sprache, wie das Spanische und Portugiesische. Entstanden ist die Sprache im 8. Jhd. n. Chr. im Nordwesten der Iberischen Halbinsel, der ehemaligen römischen Provinz Gallaecia (abgeleitet vom keltischen Stamm der Gallaeker, die das Gebiet besiedelt hatten), die – neben Galicien – auch Teile Asturiens, Leons und Nordportugals vereinte. Die Hauptzentren der Provinz waren Bracara (das heutige Braga in Portugal) und Lucus (das heutige Lugo, in Galicien).

Die Galicisch-Portugiesische Sprache im 10. Jhd.
In den darauffolgenden Jahrhunderten festigte sich die Galicisch-Portugiesische Sprache, es entstand Literatur und Lyrik, sie war Sprache am Hof der galicischen, leonesischen und kastilischen Könige und erlebte im frühen und mittleren Mittelalter ihre Blütezeit. Im 12. Jhd. wurde Portugal unabhängig, was jedoch zunächst zu keiner Spaltung der Sprache führte. Meiner Meinung nach ist Galicisch-Portugiesisch (Galego-Portugués oder Galaicoportugués) auch nicht die richtige Bezeichnung für diese frühe Form der galicischen bzw. portugiesischen Sprache. Schließlich entstand die Sprache bevor es Portugal überhaupt gab. Passender wäre galego medieval, also mittelalterliches Galicisch. In Portugal nennt man es sogar „mittelalterliches Portugiesisch“, was den Ursprung der Sprache zu verbergen versucht und sowohl historisch als auch linguistisch einfach falsch ist. Selbst nach der Unabhängigkeit Portugals blieben die Varietäten auf beiden Seiten der Grenze nahezu identisch.
Erst ab dem 15. Jahrhundert, als die Kastilische Krone ihren Einfluss in Galicien ausweitete, das Galicische als Amtssprache verbot und einen spanischsprachigen Adel importierte, entwickelten sich die Varietäten beidseits des Miño in unterschiedliche Richtungen. In Portugal wurde das Zentral- und Süd-Portugiesische, das stärker vom Mozarabischen (dem romanischen Varietäten, die im muslimischen Teil der Iberischen Halbinsel gesprochen wurden) geprägt war, zur Sprache der Elite. Das Nordportugiesische wurde plötzlich zum „Dialekt“, während die Varietäten des Südens, die vorher „Dialekte“ waren, zur Standardsprache wurden. So veränderte sich vor allem Teile der Aussprache des Portugiesischen. In Galicien selbst begannen zu der Zeit die „dunklen Jahrhunderte“ (séculos escuros). Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert verschwand die galicische Sprache von der „öffentlichen“ Bildfläche. Die Tatsache, dass Kastilien die galicische durch eine eigene, spanischsprachige, Elite ersetzt hatte (als Strafe, auf Grund von fehlender Unterstützung bei Erbfolgekriegen) und die Zentralisierung und Uniformierung des Staates immer weiter vorrückte, bewirkten, dass das Galicische aus dem öffentlichen/ amtlichen Leben verschwand. Wer Galicisch sprach galt als dumm, bäuerlich, ungebildet und arm; Schriftsteller, Dichter und die Elite (aus Kastilien importierte Beamten, etc.) mieden die Sprache; doch innerhalb der Familien und außerhalb der Machtzentren lebte sie weiter. Tatsache ist einfach, dass Galicien bis vor gar nicht all zu langer Zeit sehr ländlich geprägt war. Die Stadtbevölkerung, die das öffentliche Leben bestimmte, machte selbst im Jahr 1900 nicht einmal 7% der Bevölkerung aus (die größte Stadt war A Coruña, mit ca. 44.000 Einwohnern im Jahr 1900 und knapp 244.000 heute; Vigo, heute die größte Stadt mit ca. 295.000 Einwohner, hatte 1900 nur ca. 23.000 Einwohner); der Rest lebte auf dem Land und sprach ausschließlich Galicisch.
Natürlich wurde die Sprache in der Zeit stark vom Spanischen beeinflusst, besonders in phonetischer Hinsicht. Doch die meisten spanischen Einflüsse kamen erst im 20. Jhd. Ende des 18. Jhd, aber vor allem ab Mitte des 19. Jhd. erlebt die Sprache eine literarische Wiedergeburt (Rexurdimento). Wie in ganz Europa entstand im Rahmen der Romantik und der entstehenden Nationalstaaten ein neues Gefühl der Heimatverbundenheit und viele Dichter, wie z.B. Manuel Curros Enríquez (‘Aires da miña terra’), Eduardo Pondal (‘Queixumes dos pinos’, einschließlich Os Pinos, der heutigen Nationalhymne Galiciens) oder die Nationalheldin Galiciens, Rosalía de Castro (‘Cantares Gallegos’, ‘Follas novas’) bedienten sich wieder ihrer Muttersprache, um ihre Werke zu veröffentlichen.
Im 20. Jhd. wurde die Sprache aber noch zweimal stark verfolgt. Einmal während der Militärdiktatur von Primo de Rivera (1923-1930) und später während der Diktatur von Francisco Franco (1936-1975), der – paradoxerweise – selber aus Galicien stammte. Während beider Diktaturen waren die Regionalsprachen streng verboten, wobei sich das Verbot in den 50er Jahren etwas lockerte. Dies hat dazu geführt, dass man heutzutage in den Städten kaum noch Galicisch hört (in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern sprechen nur 9% immer Galicisch und 16% öfter Galicisch als Spanisch). Dabei verhält es sich ähnlich, wie mit dem Plattdüütschen in Städten wie Bremen und Hamburg. Die wenigsten sprechen es, viele würden es aber gerne schnacken können. Wer dann jedoch tatsächlich Galicisch/Platt spricht, gilt als „Bauer“ und hat es in den Städten schwer. Allerdings gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Plattdüütschen und dem Galicischen in den Städten: zwar wird das Galicische in den Städten wenig benutzt, aber trotzdem können es über 80% der Stadtmenschen sprechen. In Hamburg kommen wir wahrscheinlich nicht einmal auf 10%, die mehr als das Klischee-Vokabular — Moin, snacken, krüsch, mucksch, Klöönsnack, tüddelig, Buddel, Moars, schmöken, suutsche (suutje), etc. — drauf haben (laut einer Studie von 2016, sehen sich nur knapp 16% der Norddeutschen als „gute oder sehr gute Plattsnacker“, 1984 waren es noch über 35%). Auf dem Land ist Galicisch jedoch bis heute die Hauptsprache der Bevölkerung (in Orten mit weniger als 10.000 Einwohner sprechen über 80% hauptsächlich Galicisch im Alltag [knapp 57% sogar ausschließlich]).
Bis vor wenigen Jahren galt Galicien im internationalen Vergleich als ein Musterbeispiel, denn nirgendwo sonst in Europa hat die Mehrheit der Bevölkerung die Regionalsprache als Muttersprache. Doch die Zahl derjenigen, die Galicisch als erste Muttersprache erlernen, geht immer weiter zurück. Vor 60 Jahren, war Galicisch die erste und einzige Muttersprache von über 80% der Bevölkerung. Im Jahr 2003 war sie es von 56% und heute von nur 42%. Allerdings ist auch der Anteil derer, die sowohl mit Galicisch als auch auf Spanisch aufwachsen gestiegen (von 16,3% im Jahr 2003 auf 23,7% heute). Der Anteil derjenigen, die nur Spanisch als Muttersprache haben, ist in den letzten 15 Jahren in etwa gleich geblieben (ca. 30%; in absoluten Zahlen ist es allerdings gestiegen). Das kann jetzt vielleicht nicht ganz so dramatisch aussehen; doch schaut man sich die Zahlen bei den unter 14-jährigen an, ist es erschreckend: hatten im Jahr 2003 noch 33% ausschließlich das Galicische als Muttersprache und 20% sowohl Spanisch als auch Galicisch, sind es im Jahr 2018 nur noch 19% [und 29% beide Sprachen). Im Alltag benutzen es bei den unter 14-jährigen nur 14% ausschließlich; 44% sprechen ausschließlich Spanisch.
Man sollte aber trotzdem nicht die Hoffnung verlieren. Ja, der Anteil der Menschen, die heutzutage ausschließlich Galicisch im Alltag sprechen geht zurück (2003: 43%, 2018: 31%)², jedoch beherrschen fast 88% der Bevölkerung die Sprache und insgesamt sprechen 52% im Alltag hauptsächlich Galicisch. Damit kann man arbeiten. Die Politik müsste nur wieder von ihrem Kurs abkommen, dem Spanischen immer mehr Raum zu lassen und sterile Debatten über die Sprache vermeiden. Außerdem ist es auch die Politik, die die Stigmatisierung der Leute, die Galicisch im Alltag sprechen, bekämpfen muss. Heute werden nämlich, vor allem in den Städten, Galicisch-Sprecher automatisch als Separatisten abgestempelt; ein Begriff, der in Spanien einen sehr faden Beigeschmack hat. Das ist bekanntermaßen das Hauptproblem beim Schutz der Regionalsprachen in Spanien: Sie werden politisiert. Und damit verlieren sie Sprecher.
Auch wenn die Statistiken mehr als beunruhigend sind, habe ich auf meinen Reisen durch Galicien eine andere Realität kennengelernt. Ja, in A Coruña und Vigo sprechen die meisten Spanisch, aber sonst? Überall hört man Galicisch. Wirklich überall. Und Tatsache ist, dass außerhalb der großen Städte, die Mehrheit der Bevölkerung hauptsächlich Galicisch im Alltag spricht (z.B. an der Costa da Morte über 92%, im Osten Lugos über 88%, im Nordosten Pontevedras 82%, im Südosten der Provinz A Coruña über 93%, und im Norden und Süden Lugos 70%).
Besonders Leuten, die den Jakobsweg gehen oder das ländliche Galicien bereisen wollen, kann ich nur empfehlen: Lernt Galicisch! Auch wenn es nur ein bisschen ist. Es lohnt sich auf jeden Fall. Ich glaube, ich bin in meinem Leben noch nicht so gut behandelt worden. Sobald die Einheimischen merken, dass man etwas Galicisch kann, behandeln sie einen wie einen König. Es öffnet einem Türen, die einem sonst mit aller Sicherheit verschlossen geblieben wären.
Galicisch: Ein Dialekt des Portugiesischen?
Nein. Ein klares Nein. Höchstens könnte man sagen, dass das Portugiesische ein Dialekt des Galicischen ist. Wahrscheinlich aber noch nicht einmal das. Das Portugiesische und Galicische sind beide aus der Galicisch-Portugiesischen/ Mittelalterlichen Galicischen Sprache entstanden. Nach der Trennung durch die Unabhängigkeit Portugals und auf Grund des starken Einflusses der südlichen Dialekte auf das Standardportugiesische auf der einen Seite, und des Spanischen auf das Galicische auf der anderen Seite, entfernten sich beide Varietäten immer weiter von einander. Der sprachwissenschaftliche Konsens heutzutage ist, dass Portugiesisch und Galicisch zwei eigenständige Sprachen sind, die jedoch aus einer Ursprungssprache entstanden sind. Wenn man so möchte, kann man sagen, dass Galicisch und Portugiesisch zwei Varietäten der Galicisch-Portugiesischen Sprache sind.
In Portugal betrachtet man das Galicische allerdings oft als Teil der Portugiesischen Sprache, und auch innerhalb Galiciens gibt es Bewegungen, die die diese Position vertreten. Verfechter dieser These heißen entweder „Reintegrationisten“ oder „Lusisten“. Beide betrachten das Galicische und das Portugiesische als eine Sprache, unterscheiden sich aber im Grad der Anpassung an die portugiesische Rechtschreibung¹. Die offizielle Norm der Real Academia Galega orientiert sich größtenteils an der spanischen Rechtschreibung. So benutzt man z.B. die Zeichen <ll>, <ñ> und Endungen wie <–ción> und <–zón>, wo das Portugiesische <lh>, <nh> und <-ção> verwendet.
Besonders bei <ñ> sind sich die meisten Linguisten darin einig, dass es sich um eine Graphie spanischen Ursprungs handelt (sie entstand als Abkürzung für ein doppeltes N, und da im Spanischen das lateinische <nn> palatisierte und zum [ɲ] wurde, stand das ñ ab da für diesen Laut). Im Galicisch-Portugiesischen palatisierte das <nn> aber nicht (lat. anno wurde zu /ano/ und nicht zu /aɲo/), weshalb es keinen Sinn gemacht hätte, in anderen Kontexten ohne doppeltes N, dieses dopptelte N zu schreiben. Allerdings findet man <ñ> vereinzelt in der mittelalterlichen Literatur, sowohl in Portugal als auch in Galicien (damals gab es keine Norm, mal schrieb man <n, ni>, mal <ñ, gn, nn>). Für das <ll> kann man nicht genau sagen, ob es spanischen Ursprungs ist, da es auch in anderen Sprachen vorkam. Meistens schrieb man <l, li, ly> oder eben <ll>. Im 13. Jhd. übernahm man in Portugal allerdings das <nh> und das <lh> aus dem Okzitanischen und vereinheitlichte so die Schriftsprache (*Carolina Michaëlis de Vasconcelos; Cancioneiros da Ajuda, vol. 1, 1904). Ab diesem Zeitpunkt findet man auch <lh> und <nh> — neben den oben genannten Formen — in der mittelalterlichen galicischen Literatur, z.B. bei den galicischen Trobadores Juião Bolseiro («e ide-vos já, por nostro Senhor, e non venhades nunca u eu for, pois começastes con outra molher», [aus “Que os olhos que vergonha non am!”; 13. Jhd.]); Pedro Amigo de Sevilha («Porque, filha, des que o vós conhocestes nunca punhou ergu’en mi vos tolher», [aus “Dizede, madre, por que me metestes”; 13. Jhd.]) oder bei Johan Airas («non soubestes novas de mi e por maravilha tenho», [aus “Amigo, quando me levou”; 13. Jhd.]).
Davon abgesehen hat die RAG (Real Academia Galega — die Institution, die für die Regulierung der Sprache zuständig ist) aber auch Regeln zur Akzentuierung aus dem Spanischen übernommen und Wörtern, die dem Spanischen ähnlicher sind, den Vorzug gegeben. Dies wird von den beiden reintegrationistischen Bewegungen kritisiert, denn so wolle man bloß erreichen, dass das Galicische verschwindet (indem es sich im Spanischen auflöst). Im Jahr 2003 gab es eine Rechtschreibreform, die endlich galicischen Formen den Vorzug gab, oder zumindest erlaubte (z.B. estudar statt estudiar, servizo statt servicio, amábel und amable oder panadaría statt panadería). Die Reintegrationisten treten für eine Rechtschreibung ein, die sich zwar stark an der portugiesischen orientiert, jedoch typisch galicische Besonderheiten miteinbezieht und sich stärker an die mittelalterlichen Schreibweisen hält. Ziel ist es, das Galicische Schritt für Schritt wieder in die portugiesische — also die traditionelle — Rechtschreibung und Sprache zu integrieren (daher Reintegrationisten). Die Lusisten schreiben dagegen einfach direkt in der portugiesischen Orthographie. Keine dieser beiden Möglichkeiten genießt einen offiziellen Status, jedoch benutzen viele Galicier sie. Hier ein Beispiel für die unterschiedlichen Schreibweisen:
Auch hier sieht man, dass Sprache politisiert wird. Denn die Vertreter des Reintegrationismus gelten oft als Separatisten, Anti-Spanier und meistens als Linke, während die Befürworter der offiziellen Norm als rechts-konservative, spanische Nationalisten gelten. Dies mag auch ein Grund sein, weshalb die Zahl der Sprecher zurückgeht, da es immer noch ein so starkes Zerwürfnis zwischen den Bewegungen gibt.
Um nochmal auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Galicischen und Portugiesischen zurückzukommen, muss man ein bisschen weiter ausholen. Die Gemeinsamkeiten sind nicht zu leugnen. Grammatikalisch sind die beiden sprachen nahezu identisch. Beide benutzen noch den konjugierten Infinitiv und den „futuro de subjuntivo“; Formen, die in anderen romanischen Sprachen verschwunden sind oder nie existiert haben. Außerdem verzichten beide Sprachen größtenteils auf analytische Vergangenheitsformen, also mehrteiligen Tempusformen. So benutzt man anstatt des Pretérito Perfecto composto (z.B. ten comido — er hat gegessen) das Pretérito Perfecto simples (comeu — er aß), und anstatt des zusammengesetzten Plusquamperfekts (tiña comido — er hatte gegessen) das Antepretérito (comera — er hatte gegessen). Auch der Wortschatz ist sehr ähnlich und eigentlich gibt es so gut wie keine Verständigungsschwierigkeiten zwischen Galiciern und Portugiesen.
Bei Nordportugiesen noch weniger, denn viele ländliche Regionen Nordportugals haben einen Dialekt beibehalten, der mit denen in Südgalicien nahezu identisch ist. So sagt man sowohl in Südgalicien als auch in Nordportugal [ˈt͡ʃuj.βɐ] („tschuiba“) für chuva [pt.] choiva/chuvia [gl.] (Regen), während das Standardportugiesische [ˈʃu.vɐ] („schuwa“) für chuva und das Standardgalicische [ˈt͡ʃoj.βɐ] / [ˈt͡ʃu.βjɐ] für choiva/ chuvia vorschreibt. Gleiches gilt für chamar ([t͡ʃaˈmaɾ] — [ʃɐˈmaɾ]), chave ([ˈt͡ʃa.βɪ] — [ˈʃa.vɨ]) oder fechar ([feˈt͡ʃaɾ] — [fɨˈʃaɾ]). Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass viele der Besonderheiten des Galicischen auch noch in den nordportugiesischen Dialekten von Alto Minho und Trás-Os-Montes zu finden sind: b/v werden „b“ ([b]/ [β]) ausgesprochen, ch wird „tsch“ ([t͡ʃ]) ausgesprochen, –ão wird meist –om/ –õ ausgesprochen und Endungen wie –agem verlieren das „m“)³.


Anders als die zentral- und südportugiesischen Dialekte, haben die Dialekte im Norden zudem die Aussprache der Diphthonge <ei> und <ou> als [ej] und [ow] beibehalten. Im Süden wurden sie monophthongiert (außer in Lissabon, dort wurde [ej] zu [ɐj]): «ouro» hört sich dort also eher an wie „ôro“ [ˈo.ɾu] und nicht wie [ˈow.ɾu]; «leite» wird dort [ˈle.tɨ] ausgesprochen und nicht [ˈlej.tɨ] (Lissabon: [ˈo.ɾu] und [ˈlɐjt]). Diese Monophthongierung hört man auch im brasilianischen Portugiesisch (z.B. brasileiro wird [bɾa.ziˈle.ɾu] ausgesprochen), doch sowohl in Galicien als auch in Nordportugal sind die Diphthonge erhalten geblieben.
Wenn man so möchte, beziehen sich die Hauptunterschiede auf das, was heute die Standardsprache Portugals ist. Denn im Vergleich zu den nordportugiesischen Dialekten sind die Unterschiede fast vernachlässigbar. Der Dialekt Lissabons hat aber einen so starken Einfluss im Land gehabt, dass alles was nicht diesem Dialekt entspricht, als Bauernsprache abgetan wird. So kann man zu dem Schluss kommen, dass Portugiesisch und Galicisch sehr unterschiedlich sind, obwohl es nicht wirklich den Tatsachen entspricht. Natürlich hat sich die Standardsprache Portugals verändert, man hat sich besonders im späten Mittelalter immer mehr an der Rechtschreibung des Okzitanischen orientiert, das Französische hatte einen großen Einfluss, südliche dialektale Varianten hatten großen Einfluss auf den Standard und sowohl das Portugiesische als auch das Galicische haben — unabhängig voneinander — verschiedene phonetische Prozesse durchlaufen.
Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Vereinfachung der mittelalterlichen Zisch-Lauten, den Sibilanten. So wurden die mittelalterlichen Laute [dz] und [ts] im Portugiesischen zu [z] (weiches s) und [s] (scharfes s), während sie im Galicischen zu [θ] („th“ in „thing“) wurden. Die mittelalterlichen Laute [z̺] und [s̺] wurden zu [z] und [s] im Portugiesischen, und im Galicischen zu [s̺]. Und das letzte Laut-Paar, das vereinfacht wurde ist [ʤ] und [ʃ]. Das Galicische hob die Stimmhaftigkeit auf und verwandelte sie in [ʃ], während das Portugiesische [ʒ] und [ʃ] beibehielt¹. Das mittelalterliche [ʧ] (wie deutsches „tsch“) wurde im Großteil des Portugiesischen „desaffrikatisierte“ und zum [ʃ] gewandelt, während das Galicische und Nordportugiesische diesen Laut beibehielten. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal sind die Nasalvokale und nasalen Diphthonge, die das Portugiesische beibehielt, das Galicische jedoch größtenteils verloren hat. Ein Überbleibsel der Nasalität ist das [ŋ], das in etwa so ausgesprochen wird, wie das „ng“ bei „Ding“ und das bewirkt, dass der vorherige Vokal leicht nasaliert wird. Während das Galicische allerdings die mittelalterliche Aussprache der Wörter, die auf –om/ –on endeten, halbwegs beibehalten hat, wurden sie im Portugiesischen größtenteils zu –ão (außer im Norden): altgal. coraçom [ko.ɾaˈt͡sõ] > gl. corazón [ko.ɾaˈθõŋ] / [ko.ɾaˈsõŋ] > pt. coração [ku.ɾɐˈsɐ̃w̃] / [kuɾɐˈsõ(ŋ)] (Nordportugal); oder altgal. carvon [kaɾˈβõ] (Kohle) > gl. carbón [kaɾˈβõŋ] (Galicisch) > pt. carvão [kɐɾˈvɐ̃w̃] / [kɐɾˈβõ(ŋ)] (Nordportugal).
Hier eine kleine Tabelle, um die unterschiedlichen Entwicklung der Sibilanten deutlich zu machen (bei zwei Formen im Galicischen, ist die erste die Standardaussprache und die zweite die Dialektale mit Seseo; bei manchen Formen im Portugiesischen habe ich sowohl die des Europäischen Portugiesisch [EP] als auch die des Brasilianischen Portugiesisch [BP] notiert, um zu verdeutlichen, dass sich das EP besonders bei den Vokalen am meisten vom Ursprung weg entwickelt hat).
Eine kurze Erläuterung der IPA-Zeichen, für die, die sie nicht kennen:
- [ʣ] hört sich an wie d + weiches s (wie in „sein“)
- [ʦ] entspricht in etwa dem deutschen <z> („Zeit“ = [t͡saɪ̯t])
- [s̺] und [z̺] gibt es im Deutschen nicht; es handelt sich dabei um apiko-alveolare Sibilanten (mit der Zungenspitze [apiko] am oberen Zahndamm [alveolar]). Das [s̺] entspricht dem festlandspanischen s, das sich für Deutsche oft wie ein „sch“ anhört, was jedoch falsch ist. Es wird mit einem „Zischlaut“ realisiert und hat mit „sch“ nichts zu tun. Das [z̺] entspricht dem weichen deutschen s in „sein“, aber auch mit einem Zischlaut.
- [ʤ] entspricht dem deutschen „dsch“ in Dschungel
- [ʒ] entspricht dem zweiten <g> in „Garage“
- [ʃ] entspricht dem deutschen „sch“
- [θ] entspricht dem englischen <th> in „thing“
Interessant ist auch, dass es sowohl in Galicien als auch in Nordportugal Regionen gibt, die die mittelalterlichen Unterscheidung der Laut-Paare beibehalten haben. Zwar mit leichten Veränderungen, wie weiter oben beschrieben, aber trotzdem mit einer bedeutungsunterscheidenden Funktion. So unterscheiden einige nordportugiesische Dialekte immer noch zwischen stimmlosen und stimmhaften apiko-alveolaren Silibanten [s̺] [z̺] und den standardportugiesischen stimmlosen bzw. stimmhaften laminal-alveolaren Silibanten [s] [z]. So wird z.B. passo [ˈpa.s̺u] anders ausgesprochen als paço [ˈpa.su] (Schritt/ Landhaus), oder cozer [kuˈzeɾ] anders als coser [kuˈz̺eɾ] (kochen/ nähen). Dies findet man auch in Dialekten West-Galiciens, z.B. bei Mazaricos, wo allerdings die Stimmhaftigkeit verloren gegangen ist. So unterscheidet man dort nur zwischen [s̺] und [s].
Außerdem ist es auch wichtig zu erwähnen, dass einige nordportugiesische Dialekte weitere Gemeinsamkeiten mit dem Galicischen haben:
- So wird das –ão des Portugiesischen im Alto-Minhoto und Transmontano in bestimmten Kontexten wie [õw] oder [õ] ausgesprochen (wie weiter oben beschrieben), was eher an das [õŋ] des Galicischen erinnert als an das [ɐ̃w̃] des Standardportugiesischen; auch wird „ao“ („zum“) hier [ɔ] ausgesprochen, genauso wie im Galicischen; „não“ hört sich eher an wie [nõ(ŋ)] / [nũ(ŋ)] (Galicisch [nõŋ]); und auch Verbformen, die im Portugiesischen auf –am enden, werden wie [õ]/ [ũ] ausgesprochen (z.B. falaram [fɐˈla.ɾõ] / [fɐˈla.ɾũ] statt [fɐˈla.ɾɐ̃w̃]; Galicisch: falaron [faˈla.ɾõŋ]).
- Außerdem findet man dort auch die Pronomen el und aquel (Galicisch: el/ aquel; sonst im Portugiesischen ele/ aquele).
- Man findet auch ein antihiatisches –i–, wie „a i-áuga“ oder „a i-alma“ (‘das Wasser/ die Seele’; dialektal auch in Südgalicien; sonst „a agua“/ a alma“)
- das mittelalterliche „assi“ (‘so’; Galicisch: así; Portugiesisch: assim)
- Verbformen wie fai/ trai/ hai (‘er macht/ bringt/ es gibt’; Galicisch: fai/ trai/ hai; Portugiesisch: faz/ traz/ há)
- die Formen tenhem/ ponhem/ venhem statt der standardsprachlichen têm/ põem/ vêm (‘sie haben/ legen/ kommen’; Galicisch: teñen/ poñen/ veñen)
- Wörter wie aldea/ cea/ area statt aldeia/ ceia/ areia (‘Dorf/ Abendessen/ Sand’; Galicisch: aldea/ cea/ area)
- Wegfall der Nasallaute bei Wörtern wie home/ onte/ virge/ viage (‘Mann/ gestern/ Jungfrau/ Reise’; Galicisch: home/ onte/ virxe/ viaxe; Portugiesisch: homem/ ontem/ virgem/ viagem)
- den unbestimmten Artikel ũa [ˈũ.ɐ]/ [ˈũŋ.ɐ] statt uma [ˈu.mɐ] (‘eine’; Galicisch: unha [ˈũŋ.ɐ]/ [ˈu.ɐ])
- Vergangenheitsformen wie quijo/ tivo, tevo/ veu/ estivo, estevo/ puxo statt quis/ teve/ veio/ esteve/ pôs (‘er wollte/ hatte/ war/ legte’; Galicisch: quixo/ tivo/ veu/ estivo/ puxo)
- und selbst das Phänomen, dass der nasale Diphthong am Wortende verschwindet: irmã [iɾˈmã] statt irmão [iɾˈmɐ̃w̃] (Galicisch: irmán [iɾˈmãŋ]), oder mã [ˈmã] statt mão [ˈmɐ̃w̃] (Galicisch: man [ˈmãŋ]; ‘Hand’)
- Erstaunlich ist auch, dass die nordportugiesischen Dialekte zum großen Teil den Gebrauch der 2. Person Plural (vós; ‘ihr’) beibehalten hat, während im Rest Portugals und der restlichen portugiesischsprachigen Welt heute vocês (eigentlich höfliches „Sie“) benutzt wird, das in der 3. Pers. Plural konjugiert wird. Damit sind die nordportugiesischen Dialekte dem Galicischen wieder um einiges näher: z.B. vós ides (ihr geht), vós sois/ sodes/ soides/ sondes (ihr seid), vós cantais/ cantades/ cantaides/ cantandes (ihr singt), vós comeis/ comedes/ comeides/ comendes (ihr esst), vós vindes/ vides (ihr kommt), etc. Dabei sind die Formen auf –ais/ –eis/ –is der Standard im Portugiesischen (auch, wenn sie im Standard kaum benutzt werden), aber regional kommen auch noch die mittelalterlichen Formen mit –des vor. Die Formen mit –des sind im Galicischen dagegen mehrheitlich und auch Standard (z.B. ides/ sodes/ cantades/ andades/ vides); nur ganz im Süden findet man -ndes (z.B. sondes/ cantandes); ganz im Westen, an der Costa da Morte, -ás (z.B. cantás, andás) und ganz im Osten Formen mit -is (z.B. cantais/ andais/ comeis).
Dialekte des Galicische
Das Galicische wird meistens in drei dialektale Blöcke geteilt: das westliche, zentrale und östliche Galicisch. Grundlage für diese Einteilung, bei der sich die Dialektgrenzen fast vertikal durch das Gebiet ziehen, ist die unterschiedliche Pluralbildung bei Substantiven, die auf –n enden. So lautet der Plural für razón, ladrón und can im Westgalicischem (und im Standard) razóns, ladróns und cans, im Zentralgalicischen razós, ladrós und cas, und im Ostgalicischen razois, ladrois und cais.
Jedoch gibt es auch Linguisten, die das Galicische nur in zwei Blöcke unterteilen: einen mit und einen ohne Gheada. Die Gheada ist ein Phänomen, das nur im Galicischen vorkommt. Es beschreibt die Aussprache des [g] wie [h] (wie deutsches h) oder [x] (ach-Laut). So werden Wörter wie gato, Galicia oder galego statt [ˈga.to], [ga.ˈli.θja] und [ga.ˈle.go] entweder wie [ˈha.to], [ha.ˈli.θja] und [ha.ˈle.ho] oder wie [ˈxa.to], [xa.ˈli.θja] und [xa.ˈle.xo] ausgesprochen. Das Phänomen kommt in der gesamten Westhälfte Galiciens vor, wobei es auch vereinzelt im Osten vorkommen kann. Man weiß bis heute nicht, woher es kommt. Einige sagen, es sei ein Überbleibsel der vorromanischen Sprachen, andere meinen, es sei eine natürliche Entwicklung im Sprachwandel, und wiederum andere sind der Meinung, dass die Aussprache aus dem Spanischen übernommen wurde (falsch übernommen, da dieser Laut im Spanischen ja nicht für [g] existiert). Was jedoch gegen diese letzte These spricht ist, dass die Gheada nicht in allen Kontexten vorkommt (z.B. /ng/ bleibt erhalten oder wird sogar zu /nk/: domingo [doˈmiŋ.gʊ] / [doˈmiŋ.kʊ]) und auch in Regionen vorkommt, die ansonsten sprachlich gesehen sehr konservativ sind (z.B. Os Ancares im Osten, wo man sogar noch die Nasalvokale beibehalten hat).
Zusammen mit der Gheada tritt oft der Seseo auf, den man auch im Spanischen kennt. Dieses Phänomen beschreibt die Aussprache des [θ] als [s], entweder immer (= seseo explosivo) — z.B. realización [re.a.li.sa.ˈsjoŋ] statt [re.a.li.θa.ˈθjoŋ] — oder nur an Silben- und Wortende (seseo implosivo), z. B. dez [ˈdɛs] statt [ˈdɛθ]. Beide Phänomene gelten zwar als dialektal, also nicht dem Standard entsprechend, gelten aber nicht als falsch und scheinen, sprachwissenschaftlich gesehen, um einiges „galicischer“, also konservativer, zu sein, als z.B. die Aussprache des Standardgalicische.
Galicisch wird, wie man auf den Karten sieht, auch außerhalb Galiciens gesprochen. So spricht man es im Westen von Asturien (galego-asturiano oder eonaviego genannt) und im Westen der Provinzen León und Zamora (galego oder chapurrau genannt). Die Dialekte gehören alle zum Ostgalicischen. In diesen Gebieten ist es die Muttersprache von bis zu 90% der Bevölkerung, es ist eine sehr lebendige und im Alltag sehr präsente Sprache. Genauso wie in ländlichen Regionen Galiciens kann man hier noch einzelne monolinguale Galicisch-Sprecher finden, also Menschen, die nur Galicisch und kein Spanisch sprechen können.
Typisch für die zentralen und östlichen Dialekte ist, dass das die mittelalterliche Endung –ão (entstanden aus dem Wegfall des -n- im lateinischen <-anu>) zwar die Nasalität verloren, aber den Diphthong –ao beibehalten hat (im Gegensatz zum Standard und dem Westgalicischen, wo die Nasalität durch das [ŋ] beibehalten wurde, aber der Diphthong verschwand). So findet man im Großteil des Sprachgebiets Wörter wie irmao [iɾˈmaw], mao [ˈmaw], vrao [ˈbɾaw], cotiao (alltäglich), chao (Boden) oder serao (Abend), während sie im Westgalicischen und im Standard irmán, man, verán, cotián, chan und serán lauten (Portugiesisch: irmão, mão, verão, chão und serão). Charakteristisch ist für dieses Gebiet zudem die feminine Form, die mit dem Standard übereinstimmt: irmá, burelá (eine Frau aus Burela), etc. Im Westgalicischen findet man diese Unterscheidung nicht: hier steht irmán sowohl für Bruder als auch für Schwester; und fisterrán kann sowohl für einen Mann als auch für eine Frau aus Fisterra stehen. Dieses Phänomen der Erhaltung der Nasalität durch [ŋ] findet man auch in anderen Wörtern, die im Standard und in den zentralen und östlichen Dialekten auf –á enden, die aber im Westgalicischen –án haben: mazán (Apfel), ran (Frosch), lan (Wolle), abelán (Haselnuss) und mañán (Morgen) statt mazá, ra, la, abelá und mañá (siehe Portugiesisch: maçã, rã, lã, avelã und manhã). Ein weiteres Merkmal, das das Sprachgebiet nahezu in zwei gleichgroße Hälften teilt, ist die Benutzung des Personalpronomens ti (du; Standard) oder tu: im Westen sagt man ti, im Osten und im äußersten Süden, tu. Nicht ganz so verbreitet sind die Laute [kwa]/ [gwa], die im Süden von Ourense und Pontevedras und im Osten beibehalten wurden, während sie im restlichen Galicisch zu [ka]/ [ga] wurden: cuatro [ˈkwa.tɾʊ] / catro [ˈka.tɾʊ] (vier), aguardar [a.ɣwaɾˈðaɾ] / agardar [a.ɣaɾˈðaɾ] (warten), cuando [ˈkwan.dʊ] / cando [ˈkan.dʊ] (wann), etc. (im Portugiesischen ist es mehrheitlich zwar [kwa]/ [gwa] — quatro, aguardar, quando — aber im Norden findet man oft noch [ka]/[ga]). Hier ein paar Karten, damit man sich die Verbreitung der einzelnen Phänomene angucken kann:
Wer möchte kann sich die unterschiedlichen Dialekte auch anhören. Jemand, der weder Spanisch noch Portugiesisch versteht, wird wohl wenig bis keine Unterschiede feststellen, bis auf dass an der Küste schneller gesprochen wird, aber ich finde es kann nicht schaden, sich nach so viel Theorie auch mal die Sprache anzuhören. Für das Westgalicische ein Beispiel aus Mazaricos (A Coruña), für das Zentralgalicische ein Beispiel aus Chandrexa de Queixa (Ourense) und für das Ostgalicische ein Beispiel aus Triacastela (Lugo).
Was wird aus dem Galicischen?
Diese Frage ist natürlich nicht zu beantworten, denn schließlich können wir die Zukunft ja nicht voraussagen. Es ist aber so, dass es um die Zukunft dieser schönen Sprache, die über 100 Wörter für „Regen“ kennt, im Moment nicht besonders gut gestellt ist. Zwar ist sie, besonders in ländlichen Regionen, immer noch die Hauptsprache der Menschen, jedoch hat die Sprachpolitik der letzten 10 Jahre einen erheblichen Schaden angerichtet. 10 Jahre sind nichts im Vergleich zur über 1000 jährigen Geschichte der Galicischen Sprache, aber trotzdem hat sich in diesen 10 Jahren so viel getan, dass die Zukunft der Sprache auf dem Spiel steht. Vielleicht muss man es nicht so dramatisieren, mag man jetzt denken, schließlich beherrschen ja noch 88%² der Bevölkerung das Galicische. Muss man aber vielleicht doch. Denn anders als in Katalonien, wo das Katalanische die einzige Unterrichtssprache an öffentlichen Schulen ist und auch sonst sehr viel Prestige innerhalb der Bevölkerung genießt, hat man es in Galicien nicht geschafft, der Regionalsprache einen ähnlichen Raum zu schaffen. Mit dem Ende der Diktatur Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre wurden zwar Rahmenbedingungen beschlossen, die den Anteil der Galicischen Sprache im Unterricht auf mindestens 25%, später 30%, festlegten, wirklich dran halten mussten sich die Schulen allerdings nicht. Was jedoch kein Problem war, da man ja meistens eh Galicisch sprach. Hauptziel war es, die Bevölkerung im Galicischen zu alphabetisieren, schließlich hatten ganze Generationen nur Spanisch lesen und schreiben gelernt und hatten demnach nur mündliche Kompetenzen in ihrer Muttersprache. Lag der Anteil der Menschen, die Galicisch schreiben konnten, im Jahr 1991 noch bei etwa 33%, liegt er heute bei etwas über 60%; bei den unter 25-Jährigen sogar bei über 95%².
Die sprachliche Normalisierung wurde und wird in Galicien aber nicht so streng durchgeführt, wie in Katalonien oder dem Baskenland. Im Jahr 2004 einigten sich die Parteien, auch die rechts-konservative PP, darauf, den Anteil der Galicischen Sprache im Unterricht auf mindestens 50% zu erhöhen. Die vorherigen Gesetze wurden nämlich kaum umgesetzt, dreiviertel aller Schulen unterschritten die mind. 30%, die vorgeschrieben waren, und innerhalb der Gesellschaft kam es zur Mobilisierung gegen dieses Praktiken und für mehr Galicisch im Unterricht. Mit dem Gesetzesvorschlag von 2004 wollte man so den Forderungen der Bevölkerung entgegenkommen. Im Jahr 2005 gewann zwar wieder die rechts-konservative PP, die seit 1989 durchgehend mit absoluter Mehrheit bei den Regionalwahlen gewonnen hatte, jedoch dieses Mal eben nicht mit einer absoluten Mehrheit. Daher regierte eine Koalition aus der PSOE (ähnlich der SPD) und dem BNG (Bloque Nacionalista Galego – eine linksnationalistische galicische Partei), die es sich zum Ziel machte, den Gesetzesvorschlag von 2004 zu debattieren und ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Obwohl dieser Gesetzesvorschlag auch vom PP unterschrieben worden war, und es eigentlich nur noch darum ging, die Einhaltung der geltenden Gesetze zu überwachen, machte die Partei eine 180° Wende in ihrem Diskurs und fing an vom „Aufoktroyieren des Galicischen“, „Zwang“, „Vorherrschaft des Galicischen“ und „Ende der sprachlichen Freiheit“ zu reden; ein Diskurs, der in Madrid schon lange geführt wurde und der nun auch durch die parteitreuen Medien in Galicien verbreitet wurde. Sowas hatte man noch nie gesehen: nach 30 Jahren Demokratie beteiligten sich jetzt sogar Mitglieder der PP an Demonstrationen gegen die Galicische Sprache.
Die mediale Offensive war gewaltig, und so organisierte sich die galicische Gesellschaft erneut: Es kam zu Studentenprotesten, Streiks, Demonstrationen, etc., allesamt mit dem Ziel, die Rolle des Galicischen im Bildungssystem zu stärken. 2007 trat das neue Gesetz in Kraft, das den Anteil des auf Galicischen gehaltenen Unterrichts auf mindestens 50% festsetzte. Außerdem gab es ein neues Projekt, die sogenannten Galescolas, öffentliche Vorschulen für Kinder zwischen 0 und 6 Jahren, in denen die Hauptverkehrssprache Galicisch ist. Wie wichtig die frühkindliche Bildung für den Erhalt des Galicischen ist, werde ich gleich erklären, aber zuerst möchte ich den weiteren Verlauf der politischen Debatte erläutern. 2009 gab es erneut Regionalwahlen, die die PP mit absoluter Mehrheit gewann. Zwar nicht was die Stimmen anging (47%), jedoch in Parlamentssitzen. Im selben Jahr machte die PP das Gesetz rückgängig und erließ ein neues Dekret. Dieser Erlass besagt, dass zusätzlich zu Spanisch und Galicisch, nun auch Englisch im Unterricht benutzt werden solle. Damit wolle man eine multilinguale Gesellschaft schaffen. Was auf den ersten Blick ganz logisch scheint, schließlich leben wir ja in einer globalisierten Welt, in der Englisch die wichtigste Sprache ist, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als versteckter Angriff auf die galicische Sprache. Garantierte das Gesetz von 2007 noch, dass in der Grundschule Fächer wie Mathe, Naturkunde und Sozialkunde auf Galicisch unterrichtet wurden4, wurde 2010 mit dem neuen Dekret das Galicische an den Rand gedrängt, sodass alle Hauptfächer auf Spanisch und eher unwichtige Nebenfächer wie Sport, Kunst oder Religion auf Galicisch unterrichtet werden. In der Sekundarstufe war die Veränderung noch extremer. So wurden vorher alle wichtigen technischen und naturwissenschaftlichen Fächer auf Galicisch unterrichtet, seit 2010 jedoch auf Spanisch4. Mehr noch, es ist ausdrücklich verboten, Fächer wie Mathe, Physik oder Chemie auf Galicisch zu unterrichten. Außerdem wurde ein Programm gegründet, das Schulen, die Englisch als zusätzliche Unterrichtssprache einführen wollen, finanziell unter die Arme greifen soll. Von den bisher etwa 60 Zentren, die davon Gebrauch gemacht haben, sind allerdings die meisten Privatschulen, die obendrein ihre Lehrpläne so gestaltet haben, dass Galicisch nur noch im Sport- oder Kunstunterricht gesprochen wird.
Eine weitere Maßnahme war die Namensänderung der Galescolas. Anstatt Galescolas heißen sie nun Galiñas azuis (Blaue Hühner). Mit einem Schlag hatte man es geschafft, das Galicische an den Rand zu drängen. Und der Protest von Seiten der Zivilgesellschaft, insbesondere der Lehrer-, Eltern- und Pädagogen-Verbände ließ nicht lange auf sich warten5. Noch im selben Jahr kam es zu einer der größten Demonstrationen, die Galicien jemals erlebt hat. Geändert hat sich aber nichts. Das Dekret gilt nach wie vor und 2012 hat die PP erneut die Regionalwahlen mit absoluter Mehrheit (nach Sitzen, nicht nach Prozent; 46%) gewonnen. Die Auswirkungen sind erschreckend, besonders in den Kindergärten und Vorschulen. In den sieben Städten Galiciens ist der Anteil des Galicischen in der frühkindlichen Bildung von 35% in 2008/2009 (obwohl es zu der Zeit laut Gesetz mindestens 50% hätten sein müssen) auf knapp 5% in 2012/2013 gefallen. Dies bezieht sich nur auf die Städte, in den ländlichen Gebieten sieht es natürlich anders aus. Aber die meisten Menschen leben halt in den Städten.
Wie viele vielleicht wissen, ist das Schulsystem in Spanien etwas anders als in Deutschland. Da es keine Elternzeit gibt, fangen die Kinder schon sehr früh an, in den Kindergarten zu gehen (der Mutterschaftsurlaub beträgt 16 Wochen). Daher spielt die Sprache in den Kindergärten und Vorschulen eine unglaublich große Rolle im Spracherwerb. In öffentlichen Kindergärten und Vorschulen wird in Galicien die Sprache als Verkehrssprache verwendet, die von der Mehrheit der Kinder Zuhause gesprochen wird. Auf dem Land ist es Galicisch, in den Städten fast immer Spanisch. Aber nicht, weil niemand Galicisch spricht, sondern, weil das Mehrheitssystem das Spanische indirekt bevorzugt. Selbst wenn jemand Zuhause Spanisch spricht, aber möchte, dass das Kind auf Galicisch unterrichtet wird, hat er meist nicht die Möglichkeit dazu, da eben nur die Sprache zählt, die Zuhause gesprochen wird. Aktuelle Studien haben ergeben, dass es viele Fälle gibt, in denen ein Kind über die Sprache entschieden hat. Geben z.B. 15 Kinder an, dass sie Zuhause Galicisch sprechen und 16, dass sie Zuhause Spanisch sprechen, wird Spanisch zur Umgangssprache in der Gruppe. Und obwohl laut Dekret beide Sprachen gelehrt werden sollen, passiert dies oft nicht. Anders als z.B. in Deutschland, wo die meisten Kinder erst ab dem dritten Lebensjahr in den Kindergarten kommen, oft auch erst später oder gar nicht, und Zuhause die Chance haben, die Muttersprache ihrer Eltern aufzusaugen wie ein Schwamm, haben die meisten Kinder in Spanien diese Möglichkeit nicht. Ab dem 3. Monat verbringen sie den Großteil des Tages in den Kindergärten und Vorschulen. Und da bekanntermaßen die ersten Lebensjahre die entscheidenden beim Spracherwerb sind, ist eben die Umgangssprache in den Kindergärten von besonderer Bedeutung. Denn selbst, wenn die Eltern, oder ein Elternteil, mit dem Kind Zuhause Galicisch sprechen, dieses jedoch in der Krippe nur Spanisch spricht und hört, wird dieses Kind aller Wahrscheinlichkeit nach das Galicische als Muttersprache verlieren und stattdessen das Spanische verwenden. Und hier liegt halt das Problem. Statistisch gesehen passen sich Galicisch-Sprecher dem sprachlichen Umfeld eher an, als Spanisch-Sprecher, was in letzter Instanz dazu führt, dass sie mit ihren Kindern eher Spanisch reden. Hinzu kommen, wie schon bereits erwähnt, die Stigmatisierungen, unter denen Galicisch-Sprecher in den Städten leiden. Genauso wie hier in Norddeutschland Kinder ab einem gewissen Alter aus Trotz nicht mehr Plattdüütsch schnacken wollen, um z.B. nicht negativ aufzufallen, passiert das gleiche auch in den galicischen Städten. Die Eltern denken, dass die Kinder mit Galicisch keine Chance haben werden und entscheiden sich deshalb für das Spanische; andere Eltern haben einen unerklärlichen Hass auf’s Galicische, etc. Es gibt unzählige Gründe, weshalb sich jemand für eine Sprache entscheidet.
Anders als in der frühkindlichen Bildung ist das Verhältnis zwischen Spansich und Galicisch als Unterrichtssprache in den Grundschulen und in der Sekundarstufe etwas ausgeglichener. Landesweit (auf Galicien bezogen, natürlich) gaben 2013 etwa 45% der Schüler an, größtenteils auf Galicisch unterrichtet zu werden und etwa 54% größtenteils auf Spanisch. Dies zeigt einen klaren Rückgang des Galicischen seit 2008, als 60% der Schüler größtenteils auf Galicisch unterrichtet wurden und 38% auf Spanisch. Die Zahlen von 2018 scheinen zwar anzudeuten, dass der Großteil der Schüler bis zur 10. Klasse zweisprachig unterrichtet werden (72% geben an, genauso viele Fächer auf Galicisch wie auf Spanisch zu haben), dies ändert sich aber radikal ab der 11. Klasse: nur noch 36% der Schüler geben da noch an, gleich viele Fächer auf beiden Sprachen zu haben, und über 45% geben Spanisch als primäre Unterrichtssprache an).
Was nun aus dem Galicischen wird, das steht in den Sternen. Wie man gesehen hat, waren allein die letzten zehn Jahre sowas von unbeständig, dass sich wohl niemand trauen wird, da eine Vorhersage zu machen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Galicier sich ihres Reichtums bewusst werden, anfangen auch die Parteien zu wählen, die ihren Wünschen entsprechen (es ist und bleibt ein kleines Mysterium, wie eine Bevölkerung, die zutiefst antizentralistisch und antikapitalistisch ist, die PP wählen kann) und dass diejenigen, die für ihre Sprache kämpfen, ihre Kraft beibehalten; denn sie werden sie brauchen!
FALADE GALEGO!
fontes: ¹ Comparación Galego – Portugués /Vergleich zwischen Galicisch und Portugiesisch:
http://www.filologia.org.br/revista/artigo/2(6)30-37.html
² Instituto Galego de Estatística: www.ige.eu/
³ Instituto Camões:
www.cvc.instituto-camoes.pt/hlp/geografia/dialectosportugueses.pdf
www.cvc.instituto-camoes.pt/hlp/gramhist/fonetica.html
4 Lexislación/ Gesetze: www.xunta.gal
5 O galego na Educación / Das Galicische im Bildungssystem:
www.adide.org/revista/index.php?option=com_content&task=view&id=320&Itemid=69
Dialectos septentrionais do português
A Língua Portuguesa no Alto Minho
Opúsculos – Volume VI – Dialectologia – Parte II (J. Leite de Vasconcellos)
Obra de Vasconcellos (Instituto Camões)
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Jens Schlegel Menargues
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